Kunst retten oder reinigen wollen – und dabei vernichten

Den flapsigen Spruch „Ist das Kunst – oder kann das weg?“ fand ich persönlich immer schon ziemlich bescheuert. Schon gar nicht zeugt er von ästhetischem Sinn. Etwas origineller kommt jetzt ein Bändchen aus dem Dumont-Verlag daher, in Anspielung nennt es sich: „Das war Kunst – Jetzt ist es weg“. Halbwegs launig, aber nicht leichtfertig werden hier teilweise unfassbare Verluste verzeichnet.

Wohl gar nicht so selten werden Kunstwerke dermaßen dilettantisch „restauriert“, dass sie kaum noch wiederzuerkennen sind. Besonders in Spanien scheint dies ein Problem zu sein, weil dort der Zugang zum Berufsfeld der Kunstrettung kaum geregelt ist. So grotesk sind mitunter die Verzerrungen der Originale geraten, dass man sich mit Grausen abwendet und an bösartigen Mutwillen glauben könnte. Da werden einstmals dezente Farbgebungen durch schrill kreischende Kolorierung „ersetzt“, oder die Gesichtszüge und Körperpartien der Figuren entgleisen vollends ins Fratzenhafte. Selbst die Nachbehandlung eines Freskos von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle misslang auf bestürzende Weise. Aggressive Reinigungsmittel setzen dem Weltkunstwerk heftig zu.

Die mit kurzen Texten skizzierten und fotografisch dokumentierten Vorher-Nachher-Gegenüberstellungen erschöpfen sich nicht in restauratorischem Unglück. Da geht es auch um vorwitzige Museumsbesucher, etwa eine Dame, die ein bewusst unfertig belassenes Kunst-Kreuzworträtsel kurzerhand ausfüllte oder einen russischen Museumswärter, der – in völliger Verkennung der Sachlage – gemalten Gestalten mit dem Kugelschreiber Augen verpasste. Er meinte, es müsse so…

Selbstverständlich begegnen wir auch den oft belächelten, hin und wieder in gut gemeinte Aktion tretenden Reinigungskräften, die beispielsweise eine mit Pflastern und Fett verzierte Badewanne von Joseph Beuys gar gründlich säuberten. Der offenbar unwirsche Hausmeister, der eine Fettecke (ebenfalls von Beuys) in den Müll warf, darf ebenfalls nicht fehlen. Ähnliches widerfuhr auch Martin Kippenbergers Arbeit „Wenn’s anfängt durch die Decke zu tropfen“, die im Museum Ostwall im Dortmunder U derart hingebungsvoll geputzt wurde, dass die wohlkalkulierten Kalkflecken in einem Gummitrog nicht mehr zu sehen waren.

Das schmale Buch, ein nettes Mitbringsel für leicht gehobene Ansprüche, erschöpft sich nicht in einer bloßen Kuriositätenschau oder einem wohlfeilen Gejammer über die Bedrohung hehrer Kultur, sondern wirft auch die (nicht mehr ganz neue) Frage auf, ob sich die Kunst zu Teilen so entwickelt hat, dass sie nicht mehr ohne Weiteres als solche erkennbar ist. Besonders souveräne oder auch mit Gelassenheit und Humor gesegnete Künstler machen sich derweil Kalamitäten mit ihren Werken so zu eigen, dass sie mit den kläglichen Resultaten wiederum kreativ umgehen.

Schließlich geht’s auch noch um veritable Unfälle mit der Kunst: Da blieb ein US-Student in einer überdimensionalen marmornen Vulva zu Tübingen stecken, als er diese näher inspizieren wollte. 22 Feuerwehrleute mussten ihm heraushelfen. Ein Kunstfreund stürzte mitten in ein Bild hinein, an dem er sich abstützen wollte. Eine Besucherin in Los Angeles löste mit ihrem Sturz sogar eine Domino-Kettenreaktion von 60 Säulen aus. Und bei all dem haben wir über häufige Transportschäden noch gar nicht geredet. Ein Fazit: Die Kunst ist, wie alles im Leben, nie gänzlich sicher.

Cora Wucherer: „Das war Kunst – Jetzt ist es weg. Misslungene Restaurierungen und andere kuriose Kunstunfälle“. Dumont, 112 Seiten (Format 17 x 14 cm), 50 farbige Abbildungen. 18 €.

 




Die im Dunkeln sieht man nicht…: Bis zu 90 Prozent deutscher Museumsschätze schlummern in Depots – Beispiel Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Kaum zu fassen, was in den Kellern der Museen schlummert: Je nach Art des Hauses lagern etwa 40 bis 90 (!) Prozent der Besitztümer in den Depots. Beileibe kein Gerümpel, sondern vielfach Reichtum, der praktisch nie gezeigt wird.

Man kann es allerdings nur schätzen, denn vielfach sind die Bestände gar nicht aufgearbeitet. Die im Dunkeln sieht man nicht. Selbst Museumsdirektoren wissen oft nicht genau Bescheid – oder wollen nichts verraten. Eine komplette Erfassung wäre jedenfalls ein aufwendiges, kostspieliges Unterfangen.

Im Dortmunder Ostwall-Museum ist die Lage allerdings in diesem Punkt günstiger. Hier kennt man auch die „unsichtbaren“ Kunstwerke recht genau. Vor etwa zwei Jahren gab’s einen herben Wasserschaden im Stammhaus. Folge: Das Depot musste an drei Behelfs-Standorte ausgelagert weiden, in denen die sorgsam verpackten Kunstwerke in drangvoller Enge verwahrt werden. Die Adressen sind natürlich geheim, fotografieren ist dort strikt untersagt.

Die Dortmunder haben die Umzüge notgedrungen zur gründlichen Inventur genutzt. Rosemarie Pahlke, stellvertretende Museumsleiterin: „Aufräumen ist immer gut. Jetzt kennen wir uns aus.“ Dabei konnte man die Bilder nach Dringlichkeit ordnen: Welche müssen zuerst restauriert werden?

Wasserschaden zur Inventur genutzt

Rund 1200 Bilder und Skulpturen besitzt das Ostwall-Museum. Hinzu kommen fast 4000 graphische Blätter, die wegen ihrer Lichtempfindlichkeit meist drunten bleiben. Nur rund zehn Prozent der Bestände können ständig gezeigt werden.

Dortmund macht daraus eine Tugend: Seit zwei Jahren zeigt das Haus im Rotations-Verfahren immer wieder andere Werke, die aus dem Depot geholt werden. Titel der Reihe, die etwas Licht in die Finsternis bringt: „Sammlung in Bewegung“. Bis zum 4. März ist Teil III zu sehen, Museumsleiter Kurt Wettengl bereitet Teil IV vor und verspricht weiterhin Qualität: „Es lohnt sich immer noch.“

Gibt es auch Depot-Stücke, die er am liebsten abgeben würde? Wettengl verneint entschieden: „Alles hat seinen Wert!“ Selbst Kunstrichtungen, die heute weniger geschätzt werden, könnten später einmal Furore machen. Auch gelte es, das Museum mit seiner eigenen Sammlungsgeschichte als Ort des Gedächtnisses zu erhalten.

Ans Thema Depot knüpfen sich Nebenaspekte. Zu denken wäre an NS-Raubkunst, nach der immer intensiver gefahndet wird – oft auf Betreiben von Anwälten, die für die Erben tätig wrden. Was mag sich in dieser Hinsicht noch in deutschen Depots befinden? Museen in Hagen, Wuppertal und Duisburg sind mit derlei Rückgabe-Forderungen konfrontiert worden, Dortmund (noch) nicht.

Filzanzug und Lollis in der Werkstatt

Ein weites Feld ist just die Restaurierung. Selbst bei guten Bedingungen können im Depot auf Dauer Schäden entstehen. Das Ostwall-Museum hat wiederum Glück im Unglück. Erstmals gibt es hier eine feste Stelle für eine Restauratorin. Anke Klusmeier versieht den spannenden Dienst zwischen Chemie, Materialkunde, Handwerk und Kunstgeschichte. Derzeit überprüft sie einige monochrome Bilder mit Argusaugen auf winzige Schadspuren. Zuweilen trügt der Schein: Ein Bild von Anselm Kiefer zeigte arge Kratzer. Recherchen ergaben freilich, dass der Künstler sie willentlich erzeugt hat.

Spezielle Sorgen bereitet „Fluxus“-Kunst der 1960er Jahre, die sich aus Stoffen des Alltags nährte. So musste in Dortmund ein löchrig gewordener Filzanzug von Joseph Beuys „geflickt“ werden. Für ein Bild von Wolf Vostell, zu dem Dauerlutscher gehören, brauchte man Ersatz. Die Lollis waren schmierig ausgelaufen. Allerdings gibt es kaum noch Lutscher, die den „historischen“ Exemplaren entsprechen. Viele Süßwaren-Firmen mussten passen. Eine konnte schließlich helfen.

Eine Dauerlösung ist das verstreute Dortmunder Depot schon wegen der weiten Wege nicht. Eine Rückkehr in den Ostwall-Keller ist ausgeschlossen. So hoffen die Museumsleute auf den großen Wurf: Falls der frühere Brauereiturm „Dortmunder U“ eines Tages zum Museum umgebaut würde, wäre wohl auch die Depotfrage gelöst.

________________________________________________________

INFO

In Siegen wird der Platz schon knapp

  • Weiteres Beispiel: das Museum für Gegenwartskunst in Siegen, das von Eva Schmidt geleitet wird. Hier enthält das Depot u. a. Teile einer wertvollen, stetig wachsenden Privatsammlung. Der Platz wird allmählich knapp.
  • Siegen hat ein reguläres Depot mit idealen Bedingungen: konstante Temperatur (18 bis 20 Grad), optimale Luftfeuchtigkeit von 58 Prozent.
  • Im Regelfall lagern hier beispielsweise auch Bilder des Hagener Malers Emil Schumacher, die allerdings derzeit (bis zum 20. Mai) im Hause ausgestellt sind.
  • Weitere Spitzenstücke im Depot sind einige Großformate von RupprechtGeiger. Sie verschwinden dort freilich nicht für Jahrzehnte, sondern werden immer mal wieder(als Leihgaben) irgendwo präsentiert. (bw/bke)

 




Damit die alten Filme nicht zerbröseln – Archivare stemmen sich gegen den Verfall von historischen Dokumenten in NRW

Von Bernd Berke

Duisburg. Kaum zu glauben, dass dies einmal Filme gewesen sein sollen: Eine Dose enthält nur noch ein seltsam bräunliches Pulver, aus einer anderen riecht es übel nach Essigsäure. Was immer auf den Streifen drauf gewesen sein mag – sie sind unwiederbringlich dahin!

Gegen derlei optischen Gedächtnisverlust stemmt sich der „Arbeitskreis Filmarchivierung NRW“. Federführend ist Sabine Lenk, Leiterin des einzigen Filmmuseums im Lande. Sie hat die zerbröckelten Filme zur Anschauung mit nach Duisburg gebracht. In ihrem Düsseldorfer Institut befindet sich das größte Filmlager von NRW, das sich über 1000 Quadratmeter erstreckt und laut Lenk „noch Platz für neue Fundstücke bietet.“ Dort lagern bereits Tausende Spulen bei konstanter Temperatur und einer idealen Luftfeuchtigkeit von nur 25 Prozent. Filme könnten auf diese Weise – so eine erstaunliche Schätzung – theoretisch bis zu 1000 Jahre überdauern.

Auch Alltagsszenen auf „Super 8″ gesucht

Zahlreiche Filmschätze im Lande sind allerdings bedroht, darunter rare Dokumente zur Vergangenheit Westfalens und des Ruhrgebiets. Selbst in städtischen Depots werden sie oft nur unzureichend verwahrt. Um zu retten, was zu retten ist, bieten die Institutionen, die hinter dem Archivkreis stehen (siehe Infos am Schluss), sachkundige Hilfe an. Und sie suchen nun verstärkt nach verborgenen Kleinoden auf Zelluloid. Auch Alltagsszenen aus dem privaten Bereich sind gefragt. Hans Hauptstock vom WDR-Archiv: „Der Badeausflug der Dortmunder Familie zum Sorpesee kann auf seine Art ein historisches Belegstück sein.“ Also: Alle mal nachschauen, was sich seinerzeit (beispielsweise auf „Super 8″) so angesammelt hat…

Der Archivkreis wurde vor 15 Jahren auf Anregung des damaligen Kulturministers Hans Schwier gegründet und meldete sich gleich mit einer „Bielefelder Erklärung“ zu Wort, die zur Erhaltung filmischer Werte aufrief. Jetzt erneuert eine „Düsseldorfer Erklärung“ den Appell und bittet um finanzielle Förderung durchs Land. Denn schon die Restaurierung eines einstündigen Streifens kann leicht um die 10 000 Euro kosten.

Immerhin: Seit 1991 ist einiges geschehen. Der Archivkreis hat systematisch rund 400 wichtige Fundorte für Filme aufgespürt – vom Wirtschafts- und Polizeiacrhiv bis hin zu kirchlichen Sammlungen. Fast überall gammelten regionale Bestände vor sich hin. Farbtöne waren verblasst, ganze Filme zerbröselten allmählich, waren bereits  unauflöslich verklebt oder brüchig geworden. Einiges hat man bewahrt und teilweise auf neuere Medien umkopiert. Anfangs war Nordrhein-Westfalen mit solchen Aktionen bundesweit Vorreiter, inzwischen hat Baden-Württemberg gleichgezogen.

Ein ständiger Kampf mit der Zeit

Beim Sichten und Bewahren historischer Filme führen die Experten seit jeher einenKampf mit der Zeit, sprich: vor allem mit technischen Neuerungen. Nachdem der Tonfilm aufkam, sind etliche Stummfilme verrottet. 1957 wurden Nitratfilme verboten, weil sie so leicht entflammbar sind. Folglich interessierte sich kaum noch jemand für das Material, es wanderte häufig in die Mülltonne. Ähnlich erging’s der Normal-8- und der Super-8-Schmalfilmtechnik, als die Videokassette aufkam. Die wiederum wird von digitalen Speichermedien verdrängt: CD-ROM, DVD, Festplatte. Deren Verfallszeiten liegen bei wenigen Jahrzehnten. Zudem kommt ständig neue Software heraus, so dass bald niemand mehr mit früheren Varianten umgehen kann. Probleme genug.

Was aber geschieht mit den glücklich geretteten Filmen? Sie sollen nicht nur im Archiv schlummern, sondern wissenschaftlich ausgewertet und möglichst oft gezeigt werden. So manche TV-Dokumentation hat schon Honig aus diesem Fundus gesogen, so etwas Paul Hofmanns nostalgischer WDR-Dreiteiler „Als der Ruhrpott noch schwarz-weiß war“, der derzeit im „Dritten“ wiederholt wird (Teil 2 am 27. November).

___________________________________________________

HINTERGRUND

Universitäten der Region ins Boot holen

  • Zum 1991 gegründeten NRW-Arbeitskreis Filmarchivierung gehören u. a. folgende Einrichtungen:
  • Das Filmmuseum Düsseidorf (Schulstraße 4, 40213 Düsseldorf, Tel.: 0211/899-3788).
  • Das NRW-Hauptstaatsarchiv in Düsseldorf.
  • Das Archiv des Westdeutschen Rundfunks (WDR).
  • Die „Kinemathek im Ruhrgebiet“.
  • Das Medienzentrum des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL).
  • Die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen.
  • Das Duisburger Filmforum.
  • Das Wirtschaftsarchiv der Firma Mannesmann.
  • Dringend erwünscht, aber noch nicht verwirklicht ist eine engere Kooperation mit den regionalen Universitäten.