Erst Rocksängerin, dann Bildhauerin – Pia Bohr: „In der Kultur haben es Frauen immer noch schwerer“

Im Atelier: Pia Bohr mit ihrer Skulptur „Big Engel“. (© Foto: Melanie Hoessel)

Geht’s um Frauen im Kulturbetrieb, so kann Pia Bohr (61) fundierte Auskunft geben. Zuerst hat die Dortmunderin sich über 25 Jahre lang als Sängerin der international gefeierten Kultband „Phillip Boa & the Voodooclub“ verdingt, dann ist sie nach und nach in die Kunstszene gewechselt und hat sich als Bildhauerin etabliert – zuerst mit Holzskulpturen, seit einiger Zeit mit ebenso organischen und biomorphen Schöpfungen in Bronze, weil die Arbeit mit diesem Material körperlich weniger aufreibend ist.

Besuch in ihrer Werkstatt im Dortmunder Klinikviertel, Dudenstraße 4. Hier blüht buntes Leben: Im selben Hinterhof befinden sich eine Kita und das BVB-Fanprojekt. Wir sitzen inmitten einiger ihrer neueren Arbeiten. Ihr Werkstatt-Raum atmet die angenehme Atmosphäre früherer Zeiten, hat gleichsam Patina – bis hin zum nostalgischen Radio aus den 1960er Jahren. Es funktioniert noch einwandfrei. Auch ihre Bronze-Skulpturen, so Pia Bohr, „werden so ziemlich alles überdauern. Sie schmelzen erst bei 1100 Grad.“ Bei dieser Temperatur entstehen sie auch – in einer hochspezialisierten Gießerei im münsterländischen Drensteinfurt. Bundesweit gibt es nur noch ganz wenige vergleichbare Betriebe. Veredeltes Handwerk.

Ja, für Frauen sei es in der Kultur immer schwieriger als für Männer, auch heute noch. Als Sängerin habe sie vielen Fans und Kollegen bloß als „blondes Schätzchen“ gegolten, dabei habe sie selbst etliche Songs für Phillip Boa geschrieben. Gut, dafür fließen (oder rinnen) immer noch ein paar Tantiemen, aber die Anerkennung hielt sich in Grenzen. Überdies gab es abstrusen Rechtsstreit: Als Sängerin hieß sie Pia Lund, doch wurde ihr juristisch untersagt, diesen Namen auch als Bildhauerin zu tragen. Dann halt Pia Bohr. Zur Bandgeschichte gehört schließlich auch, dass ihre damalige Ehe zerbrochen ist. Eine tolle Zeit war es gleichwohl, als die Gruppe beispielsweise mit dem Produzenten von David Bowie arbeiten konnte.

Wie war es dann als Künstlerin? Auch da habe sie kämpfen müssen. Nun nicht mehr in konfliktreicher Gruppendynamik, sondern als Einzelne – mit größeren Freiheiten, aber auch gewachsenen Risiken. Ein männlich dominierter Künstlerbund habe sie partout nicht aufnehmen wollen. Es gab gar Kollegen, die ihr ausreden wollten, Skulpturen mit glatten Oberflächen zu gestalten. Warum? Tja. Einfach mal so. Bestimmen wollen. Herrschaft ausüben. Überdies hatte sie kein Kunststudium vorzuweisen, erst recht nicht bei einem prominenten Professor. Als käme es im Schaffensprozess nicht auf andere Dinge an. Auf Liebe zum Material und Beseelung des Stoffes. Auf Formfindung und Proportionen. Auf innere Wahrhaftigkeit. Und dergleichen mehr. Als Bezugsgrößen für ihr Schaffen nennt Pia Bohr die Oeuvres von Hans Arp, Francis Bacon und Louise Bourgeois.

Vor Relikten des früheren Hoesch-Stahlwerks: Pia Bohrs Arbeit „Die Spionin“. (© Foto: Bruno de Piero)

Und die Zukunft? Scheint, gerade für Frauen, nicht eben rosig zu werden. Pia Bohr beobachtet vielfach eine Wendung rückwärts. Mühsam erstrittene Frauenrechte seien zunehmend bedroht, sagt sie. Im Gefolge des Rechtspopulismus machten sich sogenannte „Trad Wives“ (etwa: Traditionsweibchen) breit, die vorzugsweise mit Trachten oder Schürzen dienende Rollen annähmen, fast wie die „braven Muttis“ in den 1950er Jahren. Dementsprechend erstarke auch der Machismo, keineswegs „nur“ in der kulturellen Sphäre. Wehmütig lächelnd erinnert sich Pia Bohr des Titels ihrer digitalen Graphik: „Das Ende des Patriarchats“. Schön wär’s ja…

Als Ur-Dortmunderin hadert sie, wie so viele, gelegentlich mit dieser Stadt: „Dortmund ist kulturelle Provinz.“ Und nebenan? Nun, schon in der Unistadt Bochum sehe es besser aus. Ungleich lebendiger sei es in Berlin, wie sie kürzlich wieder erleben durfte. Doch da wolle sie nicht dauerhaft hin. „Da gibt es schon so viele Künstlerinnen und Künstler.“

Von Selbstverwirklichung in den Künsten redet sie nicht gern. Noch weniger mag sie die Redensart, jemand mache „das Hobby zum Beruf“. Nein, kulturelles Schaffen sei vor allem harte Arbeit. Es sei freilich wunderbar, wenn sie sehe, wie Leute ihre Skulpturen liebevoll berühren. Dabei werden, neben geglätteten Partien, auch Narben und Verletzungen in Holz oder Bronze spürbar. Schmerzliche Schönheit. Frauen riskierten derlei haptische Annäherung übrigens eher und inniger als Männer. Woran es wohl liegt?

Über all die Jahre hinweg macht Pia Bohr dieselbe Erfahrung: Oft ist unklar, wann der nächste Gig (Auftritt) oder Kunstkauf ansteht. Daraus folgt permanenter Druck. Zwar kann sie inzwischen von der Bildhauerei leben, doch haben ihr die Zeiten der freischaffenden Existenz nur einen kümmerlichen Rentenanspruch eingebracht. Wir nennen den Betrag hier nicht, es könnten einem schier die Tränen kommen. In wilder bewegten Jahren macht man sich ja auch wenig Gedanken über Einkünfte im „Ruhestand“. Auch so ein Wort, das ihr widerstrebt.

„Frauen in der Kunst“ – das Thema findet Pia Bohr wichtig. Aber: „Dass es eigens hervorgehoben wird, zeigt auch, dass es leider immer noch nicht selbstverständlich ist.“ Wo sie recht hat…

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Der Text ist zuerst im Kulturmagazin Westfalenspiegel (Münster) erschienen: www.westfalenspiegel.de

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Vom 10. Mai bis zum 8. Juni 2025 ist unter dem Titel „helle wachträume“ eine gemeinsame Ausstellung von Pia Bohr und Sonia Ruskov zu sehen, und zwar in der Produzentengalerie „Friedrich 7″ (Friedrich-Ebert-Straße 7, 44263 Dortmund). Öffnungszeiten: Mittwoch 16-18 Uhr, Samstag/Sonntag 14-17 Uhr.

Weitere Infos über die Künstlerin: www.bohrskulpturen.de




Auf Fehmarn und Kreta, zwischen Hendrix und Dylan: Plötzlich drängen sich Erinnerungen an die 60er und 70er Jahre auf

Es war nicht geplant, es hat sich einfach so ergeben. Auf meinen/unseren letzten beiden Reisen hat sich eine gewisse Andacht auf Popmusik-Größen vergangener Zeiten gerichtet bzw. auf diese vergangenen Zeiten selbst. Der Geist der Orte war freilich nicht mehr ohne weiteres spürbar, er waberte nicht von selbst, man musste ihn schon willentlich beschwören.

Mit bescheidenen Mitteln "Love and Peace" beschwören: Jimi-Hendrix-Gedenkstein auf Fehmarn. (Foto: Bernd Berke)

Gemeißelte Gitarre mit eingelassener Blumenvase und knapper Inschrift – mit solch bescheidenen Mitteln wird „Love and Peace“ beschworen: Jimi-Hendrix-Gedenkstein auf Fehmarn. (Foto: Bernd Berke)

Kommen wir zur Sache.

Im Sommer ging es hinauf nach Fehmarn. Was nicht jeder Rockfan weiß: Dort hat einst der geniale Gitarrist Jimi Hendrix das allerletzte Live-Konzert seines Lebens gegeben – exakt datiert: am Sonntag, dem 6. September 1970. Nur zwölf Tage später ist er in London gestorben.

„Woodstock an der Ostsee“?

Laut Reiseführer und anderen Quellen hatten seinerzeit drei – in derlei Dingen völlig unerfahrene – Kieler Jungspunde ein dreitägiges Festival aus dem insularen Boden gestampft und dafür nicht „nur“ Hendrix, sondern mal eben auch Ten Years After, Canned Heat, Taste und andere Spitzenbands jener Jahre engagiert. Sie wollten quasi ein „Woodstock an der Ostsee“ stemmen.

Das Ganze scheiterte freilich nicht nur am stürmischen Regenwetter, sondern vor allem am organisatorischen Chaos mit Hamburger Rockern als „Ordnungs“-Kräften, die am Schluss das Festivalzentrum abfackelten, weil es nicht sofort Geld für ihre zweifelhaften Dienste gab.

Regen damals, Regen jetzt

Trotz alledem überwog bei vielen Besuchern die Sehnsucht nach „Love & Peace“, die sich später zusehends in Nostalgie verwandelte. So nimmt es nicht Wunder, dass heute ein recht unscheinbarer Gedenkstein (unsere Tochter, generationsbedingt von keinerlei Hippietum angekränkelt: „Der ist aber ipsig“) auf dem früheren Festival-Gelände am Flügger Strand wehmütige Erinnerungen weckt. Gar manche(r) pilgert hin, so auch wir. Übrigens bei heftigem Regen, der just einsetzte, als wir uns dem Steine näherten. Ein Zeichen, ein Zeichen! Aber wofür bloß?

Auch hier ist "Love and Peace" angesagt: Wandbild in der Nähe der Höhlen von Matala/Kreta. (Foto: Bernd Berke)

Auch hier ist „Love and Peace“ angesagt: Wandbild in der Nähe der Höhlen von Matala/Kreta. (Foto: Bernd Berke)

In den Herbstferien lag jetzt noch eine kurze letzte Sonnenwoche auf Kreta an. Licht schöpfen für den langen Winter. Und siehe da, ob nun Zufall oder nicht: Wiederum manifestierten sich die 60er und 70er Jahre an einer bestimmten Stätte auf unseren Wegen, nämlich in Matala. Kreta-Kenner haben sicherlich zumindest von den dortigen Felshöhlen gehört oder sie aufgesucht, die in frühchristlicher Zeit als Gräber genutzt wurden.

Hippies in den Höhlen

In den späten 60er und frühen 1970er Jahren kamen dann Hippies aus aller Welt hierher, darunter im Gefolge auch Bob Dylan und Cat Stevens, der damals eine Größe war, sich aber leider längst aus dem Olymp des Rock verabschiedet hat. Ja, das musste mal wieder gesagt werden.

In den Höhlen von Matala gab es, wie man sich denken kann, keinerlei sanitäre Einrichtungen, so dass… Nun ja, auch das kann man sich sozusagen olfaktorisch vorstellen. Doch man mag es nicht tun. Lieber blumig erinnert als erstunken.

Im milden Licht des Spätnachmittags: Blick auf die Felshöhlen von Matala. (Foto: Bernd Berke)

Im milden Licht eines Spätnachmittags: Blick auf die Felshöhlen von Matala. (Foto: Bernd Berke)

Heute jedenfalls sind die meisten Geschäfte rings um die Höhlen auf Touristennepp ausgerichtet. Man sollte ihnen nicht auf den Leim gehen. Ein paar Kilometer weiter normalisieren sich Freundlichkeit und Preise.

Und wo bleibt der ästhetische Mehrwert?

Auch in Matala sucht man, noch deutlich unbeholfener und naiver als auf Fehmarn, ausdrücklich „Love & Peace“ zu beschwören. Doch angesichts der beiden Gedenkorte im Norden und Süden wage ich melancholisch zu behaupten: So sehr diese Musik einmal befreiend und belebend gewirkt hat; bei Licht und nüchtern aus der Distanz betrachtet, zeitigt die bloße Erinnerung an große Zeiten von Rock und Pop ästhetisch nicht unbedingt fruchtbareren Mehrwert als die heimelige Tümelei vorheriger Generationen. Beweist mir doch bitte das Gegenteil!




Der Sound des Aufbruchs im Revier: Ruhr Museum zeigt 60 Jahre „Rock & Pop im Pott“

Plakat zum Auftritt der Rolling Stones in der Dortmunder Westfalenhalle, 1967 (Ruhr Museum)

Plakat zum Auftritt der Rolling Stones in der Dortmunder Westfalenhalle, 1967 (Ruhr Museum)

Essens Kulturdezernent Andreas Bomheuer erinnert sich: Essener Songtage 1968, ein singuläres Ereignis in der neueren Musikgeschichte des Ruhrgebiets. Der legendäre Frank Zappa entstieg auf der Bühne einem Sarg und fragte das Publikum schlankweg: „How do you feel?“ Dann legte er los. – Bomheuer ist heute noch ergriffen von dem Moment: „So etwas vergisst man nie.“

Just in Essen, im Ruhr Museum auf dem Gelände des Weltkulturerbes Zeche Zollverein, schickt sich jetzt eine Ausstellung an, derlei kostbare Erinnerungen en gros zu wecken: „Rock & Pop im Pott“ erzählt die Geschichte der populären Musik im Revier über 60 Jahre hinweg. Dazu bietet man die immense Fülle von rund 1500 Exponaten auf (etwa die Hälfte davon Schallplatten).

Historischer Startpunkt sind die damals bundesweit beispiellosen Dortmunder Jugendkrawalle im Spätherbst 1956. Deutsche Radiosender spielten seinerzeit keinen Rock’n’Roll, also musste man sich die Schaffe im Kino „reinziehen“. Es lief der Film „Rock Around the Clock“ (deutscher Titel „Außer Rand und Band“) mit Bill Haley.

Dortmunder Jugendkrawalle

Nach dem Lichtspiel waren nahezu 2000 Jugendliche tatsächlich dermaßen aufgekratzt, dass gar Scheiben zu Bruch gingen – ein in jenen Jahren ungeheuerlicher Vorgang, über den etwa der „Spiegel“ breit berichtete und der schon die Energien ahnen ließ, die sich in dieser Musik Bahn brachen. Fotos und aufgeregte Zeitungsartikel erinnern daran. Interessanter Nebenaspekt: In den Anfangszeiten war – neben dem Kino – auch die Kirmes ein Ort, an dem Rock’n’Roll zur Geltung kam. Auch hier konnte man für ein paar Stunden aus der landläufigen Spießigkeit der Adenauer-Ära ausbrechen.

Blick in die Ausstellung (Ruhr Museum/Foto: Brigida Gonzáles)

Blick in die Ausstellung (Ruhr Museum/Foto: Brigida Gonzáles)

Die Schau beginnt mit markanten Songzitaten und dem Durchgang durch einen Sound-Raum, in dem Highlights des Ruhrgebiets-Rock zur 15minütigen Bild- und Toncollage komprimiert sind. Eine Ausstellung über Musik geht halt nicht ohne Musik. Es ist freilich eine Gratwanderung: Man kann Rock & Pop zwar nicht nur in Vitrinen einsperren, doch andererseits muss man im Museum weit übers bloße „Zuballern“ mit Musik hinaus gelangen.

Sperrholzkisten-Ästhetik

Das Rock-Spektrum im Westen der Republik reicht von Nena bis Herbert Grönemeyer, von Phillip Boa bis Extrabreit (die heute zur längst überbuchten Eröffnung der Ausstellung spielen), von Franz K. bis Geier Sturzflug, von Grobschnitt bis Bröselmaschine. Auch die Humpe-Schwestern Inga und Annette stammen aus dem Ruhrgebiet, genauer: aus Hagen. Die berühmte Schlagzeile „Komm nach Hagen, werde Popstar“ brachte ein neues Selbstbewusstsein zum Ausdruck.

In den frühen Jahren: Auftritt der Gruppe "The Kepa Beatles" in Gelsenkirchen, 1964. (Foto: Herribert Konopka)

In den frühen Jahren: Auftritt der Gruppe „The Kepa Beatles“ in Gelsenkirchen, 1964. (Foto: Herribert Konopka)

Nach dem akustischen Einstieg wird man über einen Boden mit starken Farben (nach passender Maßgabe der Pop Art) durch die Jahrzehnte geleitet, unterwegs waltet eine dem Gegenstand angemessene Sperrholzkisten-Ästhetik. Bloß nicht zu schick und gediegen werden, lieber ein wenig „schmutzig“ bleiben! Einige Seitenkabinette vertiefen die Themen des Hauptstrangs, da geht es beispielsweise um veränderte Tanzstile und vielfach ausdifferenzierte Moden.

Das Team unter Leitung des Museumschefs Prof. Heinrich Theodor Grütter hat kaum eine Facette ausgelassen, die Ausstellung entfaltet ein wahres Kaleidoskop, sie trumpft hie und da mit raumgreifenden „Leitobjekten“ (Kinokasse, Jukebox, Synthesizer) auf, lässt aber nebenher auch manche Zwischentöne anklingen.

Wenn Rock historisch wird

Grütter hält dafür, dass eine solche Ausstellung erst jetzt wirklich sinnvoll sei, weil nun manche Entwicklungen abgeschlossen und somit „historisch“ sind. Mitten im Strom der Ereignisse wäre eine museale Aufarbeitung kaum möglich gewesen. Am Konzept beteiligt war übrigens das Dortmunder Archiv für populäre Musik im Ruhrgebiet. Eine Einrichtung, die sicherlich größere Beachtung verdient.

"Schmutzige" Mode: Lederkutte von Wolle Pannek, Gitarrist von "Eisenpimmel". (Ruhr Museum)

„Schmutzige“ Mode: Lederkutte von Wolle Pannek, Gitarrist von „Eisenpimmel“. (Ruhr Museum)

Zur besseren Gliederung gibt es eine Außen- und eine Innenperspektive, sprich: Hier geht es sowohl um Gastspiele internationaler Rock- und Pop-Stars im Revier, allen voran Beatles (25. Juni 1966) und Stones (12. September 1965) in der Essener Grugahalle, als auch um die zahllosen Bands, die im Ruhrgebiet selbst entstanden sind.

Heinrich Theodor Grütter selbst erinnert sich gern an die Jungs aus seiner Heimatstadt Gelsenkirchen, die als „German Blue Flames“ Furore machten und als eine der ganz wenigen deutschen Gruppen im „Beat Club“ des Fernsehens spielen durften.

Zu großen Teilen ist die Ausstellung eine Angelegenheit für „Best Agers“, wie Grütters selbstironisch anmerkt. Erkennbar ist aber auch das Bemühen, denn doch ein paar jüngere Leute aufs Zollverein-Gelände zu locken, beispielsweise durch Live-Konzerte und musikalische Workshops.

Hymnen aufs Revier

Hunderte, ja Tausende Formationen sind seit Ende der 50er Jahre im Revier entstanden. Zunächst spielten sie Rock’n’Roll und Beat, es folgten z. B. Protestlieder, Krautrock, Neue Deutsche Welle, Punk und Heavy Metal, schließlich Techno und HipHop, wobei in letzterer Stilrichtung Migranten den Ton angeben. Gar nicht mal so erstaunlich: Von den Kindern der Zugewanderten stammen, wie Experten versichern, neuerdings auch die treffendsten „Hymnen“ aufs vielfach geschundene Revier.

Eine regional zugespitzte These der Schau lautet, dass das proletarisch geprägte Revier für Beatmusik fast so prädestiniert gewesen sei wie die Gegend um Liverpool. Immerhin hat ja der Dortmunder Manfred Weissleder den Star Club in Hamburg gegründet, in dem die Beatles frühen Ruhm erlangten. Auch in späteren Jahrzehnten kann man dem (zuweilen rebellischen) Geist der Ruhrregion nachspüren. So hat das einst stählerne Industriegebiet buchstäblich seine eigenen Spielarten des Heavy Metal hervorgebracht.

Weitere Leihgaben gesucht

Die Essener haben den strammen Ehrgeiz, möglichst die gesamte Band-Landschaft des Ruhrgebiets zu kartographieren. Bereits jetzt zeugen über 700 Tonträger-Exponate von ungeheurer Vielfalt. Und die bis Februar 2017 dauernde Schau soll unentwegt wachsen: Wer selbst noch dergleichen Schätze hortet, soll sich melden und womöglich zum Leihgeber werden. Auch Bands, die schon Tonträger veröffentlicht haben (im Zweifelsfalle reichen Demo-Kassetten), werden aufgefordert, Laut zu geben. Das Ganze könnte zur Unternehmung von geradezu enzyklopädischen Ausmaßen anschwellen…

Plakat des Dortmunder Kult-Clubs "Fantasio", 1971 (Ruhr Museum / Ruud van Laar / Foto: Bernd Berke)

Plakat des Dortmunder Kult-Clubs „Fantasio“, 1971 (Ruhr Museum / Ruud van Laar / Foto: Bernd Berke)

Man sollte sich jedenfalls für diese Schau reichlich Zeit nehmen, am besten (ganz im Sinne der Veranstalter) mehrmals kommen, sonst entgehen einem vielleicht Feinheiten wie etwa die Catering-Listen von Rockstars (welchen Saft wollten sie trinken?) oder rare Plakate wie jenes der vom Niederländer Ruud van Laar begründeten Dortmunder Kultstätte „Fantasio“ von 1971, das einen Auftritt des famosen Gitarristen Rory Gallagher avisierte. Oder ein hübsches Detail auf dem Plakat von 1967, das die Rolling Stones in der Dortmunder Westfalenhalle ankündigte und den Eintrittspreis mit schlappen 7 Mark angibt. Man vergleiche, was heute für die Crew von Mick Jagger aufgerufen wird.

Königsweg der Kultur

Rock & Pop haben auch im Revier etliche neue Auftrittsorte (neudeutsch Locations) entstehen lassen, dies ist natürlich gleichfalls Thema im Ruhr Museum, ebenso wie Fanzines, Szene-Zeitschriften und Devotionalien, das technische Equipment (vor allem zahlreiche Gitarren) oder die großen Festivals von „Rockpalast“ bis „Juicy Beats“, wobei die in Duisburg katastrophal beendete Loveparade nur diskret gedämpft zur Sprache kommt.

Glasklar wird allerdings, dass die anfangs so misstrauisch beäugte und niedergehaltene Rock- und Popkultur in den letzten Jahrzehnten recht eigentlich der Haupt-und Königsweg der Kultur gewesen ist. Wer damals jung war, hat es eh im Innersten gespürt.

„Rock & Pop im Pott“. 5. Mai 2016 bis 28. Februar 2017. Geöffnet Mo-So 10 bis 18 Uhr. Ruhr Museum auf Zeche Zollverein, Kohlenwäsche (Gebäude A 14), kostenlose Parkplätze A 1 und A 2, Zufahrt über Fritz-Schupp-Allee. Eintritt 7 Euro, ermäßigt 4 Euro. www.tickets-ruhrmuseum.de Audioguide 3 Euro. Katalog 304 Seiten, 33 Abbildungen (Klartext Verlag) 24,95 Euro. Info-Telefon/Buchung von Führungen: 0201 / 24 681 444.