Das lachende Glück lässt auf sich warten: Franz Lehárs Operette „Der Graf von Luxemburg“ in Hagen

Das ist ja sowas von Neunzehnhundertachtzig! Roland Hüve nimmt sich am Theater Hagen Franz Lehárs einstigen Erfolg „Der Graf von Luxemburg“ vor und macht daraus genau den Operettenjux, der damals einem Publikum jenseits altmodischer Unterhaltungsbedürfnisse das Vergnügen an der Gattung vermiest hat. Liri, liri, lari, der ganze Spaß geht tschari – aber alles der Reihe nach.

Melancholie auf der Mondsichel: Kenneth Mattice als Graf von Luxemburg in Hagen. Foto: Klaus Lefebvre

Melancholie auf der Mondsichel: Kenneth Mattice als Graf von Luxemburg in Hagen. Foto: Klaus Lefebvre

Dabei signalisiert der Anfang, es könnte sich jemand etwas gedacht haben: Der titelgebende Graf René schaukelt auf einer Mondsichel und der blonde Tod grüßt den Nachdenklichen, bevor der Karneval von Paris explodiert – oder explodieren sollte. Denn schon dieses erste Bild ist brav aufgestellt, der Chor gestikuliert wie in tausend Operetten vorher, die Tanz-Fröhlichkeit ist aufgesetzt und das prickelnde Leben der Pariser Bohème ist bloße Behauptung. Die kunterbunte Kostümseligkeit von Siegfried E. Mayer lässt Menschen durcheinanderquirlen, denen anzusehen ist, dass sie die gierigen Ausschweifungen dieser Halbwelt, ihre künstlichen Freuden, den gnadenlosen Überlebenskampf, den besinnungslosen Rausch des Vergnügens und die lastende Einsamkeit dahinter höchstens aus Bohème-Kolportagen á la Henri Murger kennen.

Dass dem adligen Bonvivant das Geld ausgegangen ist und das Elend aus den Eiffelturm-Kulissen winkt, geht in einer Fröhlichkeit unter, die weder den resistenten Überlebenswillen noch die nihilistische Unbekümmertheit durchscheinen lässt, die letztlich zu dem Ehe-Geschäft mit dem alternden Fürsten Basil führt: Der hält äußerlich an Standesethik und Adelsmoral fest und offenbart damit, wie innerlich morsch die gesellschaftlichen Regeln sind: Um eine bürgerliche Opernsängerin zu heiraten, verschachert er diese um eine halbe Million an den Grafen René. Der soll sie heiraten und drei Monate lang – ohne sie zu sehen oder um ihre Identität zu wissen – als Frau Gräfin behalten. Geschieden, geadelt und unberührt kann sie anschließend standesgemäß und formal korrekt im fürstlichen Ehehafen einlaufen.

Kein Zaubertrank fürs Heute

Natürlich kommt die Liebe dazwischen. Und der Zufall bricht sich mächtig Bahn, als im dritten Akt aus dem Nichts eine bejahrte Gräfin auftaucht, um ein Eheversprechen einzulösen, das die fürstliche Hoheit wohl in ihren wilden Jugendjahren ohne weiteres Nachdenken ausgesprochen hat. Immerhin ist diese „dea ex machina“ eine Paraderolle für Marilyn Bennett, die sie weidlich auskostet: „Alles mit Ruhe genießen, stets sich das Leben versüßen, ich lass zu allem mir Zeit.“

So geht Pariser Karneval in Hagen: Kenneth Mattice, Chor und Extrachor des Theaters Hagen in Franz Lehárs "Der Graf von Luxemburg". Foto: Klaus Lefebvre.

So geht Pariser Karneval in Hagen: Kenneth Mattice, Chor und Extrachor des Theaters Hagen in Franz Lehárs „Der Graf von Luxemburg“. Foto: Klaus Lefebvre.

Aus diesem Stoff mit faszinierend aktuellen Zügen ließe sich ungeachtet des abgestandenen Ehemoralins ein Zaubertrank fürs Heute brauen. Hedonismus und die Rolle des Geldes, der Wert von Beziehungen, die Frage nach authentischen Gefühlen und der Tanz auf dem Vulkan – „Wir bummeln durchs Leben, was schert uns das Ziel“ – sind Themen auch des 21. Jahrhunderts. Man kann sie ausspielen, ohne die Operette konzeptuell zu überfrachten.

Aber bei Hüve bleiben solche Themen in Bilderbanalität bunt übertüncht. Und Siegfried E. Mayers Bühne hat ihren besten Moment im zweiten Akt, für den er statt eines mondänen Salons die Bühne der Pariser Oper von hinten zeigt, wo Madame Angèle Didier in Erwartung ihrer fürstlichen Vermählung gerade das Finale ihrer letzten „Tosca“ singt und von einer Sperrholzkulisse der Engelsburg springt.

Wackere Sänger, aber kein Operetten-Ensemble

Die Opernsängerin, die eine ebensolche mimt, ist in Hagen Angela Davis: Ein klangsatter Sopran mit Stamina und Opulenz, aber keine Operettendiva. Dazu fehlt ihr Leichtigkeit und Eleganz. Ihr Inkognito-Ehemann, in Hagen ein Bariton, ist mit Kenneth Mattice attraktiver Bühnenerscheinung passend besetzt. Seine Höhe hat der Sänger technisch nicht im Griff, aber die melancholischen Seiten seiner Rolle trifft er, wenn er der Stimme im Zentrum auch verschattete Töne abgewinnt.

Richard van Gemert ist ein gekonnt charakterisierender Sänger, aber kein Operettenbuffo, und Cristina Piccardi hangelt sich bei ihren neckischen Auftritten an handgestrickten, vibratogemusterten Stimmfäden durch die Partie der Juliette Vermont, die mit ihrem mittellosen Maler Armand Brissart von einer soliden Zukunft träumt – aber in diesem Fall macht das fehlende Geld die ehrliche Liebe unmöglich. Keine Soubrette also, die sich mit Charme und flexiblem Changieren zwischen Sprache und Gesang ihre Partie zu eigen macht.

Die Hagener Sängerinnen und Sänger schlagen sich wacker, aber ein Operetten-Ensemble bilden sie nicht; auch das lustlos sich bewegende Ballett (Eric Rentmeister als Choreograph) hilft ihm nicht auf die Beine. Was etwa für die Barockoper gilt – das Bemühen um eine „historisch informierte“ Aufführungspraxis – liegt in der Operette (noch?) weit entfernt. Doch wer sie als Diminutiv der Oper versteht und entsprechend besetzt, geht an ihr vorbei.

Nota bene: Vor einer Generation gab es sie noch, die alten Entertainer der Operette. Eine Ahnung davon, wie so etwas funktionieren könnte, vermittelt Oliver Weidinger als Fürst Basil immer dann, wenn er hart an der Übertreibung entlang agiert, ohne die Grenze zu überschreiten. So eingefahren, klischeehaft und abgelebt sich das Genre früher präsentiert hat: Die agierenden Personen waren oft noch echte Könner ihres Fachs. Ohne Verklärung der Vergangenheit sei’s gesagt.

Das Hagener Orchester bemüht sich unter dem treibenden Stab von Rodrigo Tomillo, die schmierige Sentimentalität früherer Routine-Aufführungen gar nicht erst aufkommen zu lassen, in der Lehár’schen Partitur das leichthändige Erbe Jacques Offenbachs zu entdecken und mit frischen Tempi und spritziger Artikulation zu punkten. Dass es aus dem Graben öfter nach Paul Lincke tönt, liegt an den unterbelichteten Geigen, deren Glanz sich mit Sparbesetzung nicht gegen die üppig besetzten Bläser entfalten kann. Vom „lachenden Glück“ der Operette sind wir in Hagen also diesmal ein gutes Stück entfernt.

Weitere Vorstellungen: 15., 23. November; 4., 14., 18., 31. Dezember 2019; 5., 15. Januar; 16. Februar 2020.
Karten: Tel. (02331) 207 32 18. www.theaterhagen.de




Die Säulen der Macht: Franz Lehárs „Das Land des Lächelns“ wird in Hagen ernst genommen

Maskenhaft starr die Menschen und die Tradition: China im Bühnenbild der Hagener Neuinszenierung von Franz Lehárs "Das Land des Lächelns". Foto: Klaus Lefebvre

Maskenhaft starr die Menschen und die Tradition: China im Bühnenbild der Hagener Neuinszenierung von Franz Lehárs „Das Land des Lächelns“. Foto: Klaus Lefebvre

Säulen stehen für Macht, für Festigkeit, für ewige Werte. Sigfried E. Mayer stellt sie in das imperiale Wien; zwischen ihnen entwickelt sich die schwärmerische Liebe zwischen Lisa und Sou-Chong. Sie ragen aber auch im zweiten Teil in die Bühnenhöhe, wenn sich in China die Tragödie dieser Beziehung ereignet. In beiden Ländern stützen steinerne Grundsätze die Gesellschaft. Unverrückbar für Individuen wie die gebildete, persönlichkeitsbewusste Feldmarschallstochter; unbeweglich auch trotz seiner politischen Macht für den selbstbewussten, reformbereiten chinesischen Prinzen. Ein einfaches, aber sprechendes Bild, das Mayer für die Neuinszenierung der Franz-Lehár-Operette „Das Land des Lächelns“ in Hagen entworfen hat.

Keine Chance also, die Schranken auf Dauer zu überwinden zwischen dem alten Europa und dem noch älteren China. Der greise Offizier im unmerklich sich auflösenden k.u.k-Vielvölkerstaat – Werner Hahn ist der arg plebejische Marschall – hat zwar keine Chance mehr, seiner emanzipierten Tochter Widerstand zu leisten. Aber umso eiserner ist die Faust, mit der Onkel Tschang – Rainer Zaun in traditionellem Gewand und undurchdringlicher Miene – das fernöstliche Riesenreich zusammenhält und seinen Neffen in die Bahn der Tradition zwingt.

In Roland Hüves Inszenierung zieht sich die psychische Fessel unnachsichtig zu. Den Ausweg finden die flotte Prinzessin Mi und der unbekümmerte Leutnant Gustl: Sie schlüpfen unter dem Gewicht von Herkommen und Staatsräson durch: „Ich liebe Dich und Du liebst mich, und da liegt alles drin.“

Nicht weniger erstarrt - die Gesellschaft des alten Europa. Szene aus dem ersten Akt der Lehár-Operette "Das Land des Lächelns". Foto: Klaus Lefebvre

Nicht weniger erstarrt – die Gesellschaft des alten Europa. Szene aus dem ersten Akt der Lehár-Operette „Das Land des Lächelns“. Foto: Klaus Lefebvre

Maria Klier holt die Tennis spielende Mi heraus aus der putzigen Soubrettensphäre. Da leidet ein junges Mädchen, das etwas verstanden hat vom Eigenwert des Individuums, von persönlicher Liebe, von der seelisch mörderischen Folge eines hohlen Traditionalismus. Sie äußert bare Verzweiflung, wenn sie in ihren „Zig-Zig“-Rufen den Schmerz aussichtsloser Liebe über kulturelle Grenzen hinweg hinausschluchzt. Aber sie entdeckt den Fluchtweg, der dem „hohen“ Paar verschlossen bleibt. Mit ihrem Leutnant – Richard van Gemert lässt das Tenorbuffo-Klischee weitgehend hinter sich – ist sie auch der sängerische Pluspunkt der Hagener Aufführung.

Am Rollenporträt liegt es nicht, dass Veronika Haller als Lisa nicht zur Gänze überzeugt: eine elegante Erscheinung im Frack, eine Frau die weiß, was sie will, kein naiver Schwarmkopf aus der Wiener Oberschicht. Aber Haller kann das technische Niveau für ihre anspruchsvolle Gesangspartie nicht garantieren. Nach wunderschön verhaltenem Beginn wird ihr Sopran immer steifer und härter, in der Höhe kalt und forciert, im Legato uneinheitlich und unfrei.

Die Macht der Tradition verkörpert Onkel Tschang (Rainer Zaun). Gegen sie hat Sou-Chong (Kejia Xiong) keine Chance. Foto: Klaus Lefebvre

Die Macht der Tradition verkörpert Onkel Tschang (Rainer Zaun). Gegen sie hat Sou-Chong (Kejia Xiong) keine Chance. Foto: Klaus Lefebvre

Für den Prinzen aus dem Reich der Mitte kann Hagen mit einem chinesischen Sänger aufwarten: Kejia Xiong artikuliert ausgezeichnet, aber der Tenor hat keinen Schmelz im gequetschten Timbre, trifft die Intonation zu oft nur ungefähr. Bei Verena Grammel reicht ein Satz, mit dem sie als Tante Hardegg die ganze verknöcherte Welt der alten europäischen Monarchie vergegenwärtigt – so bringt man Nebenrollen ein.

Mit dem Philharmonischen Orchester Hagen waltet Mihhail Gerts über den Lehár-Klang. Er hat 2014 den „Deutschen Operettenpreis für junge Dirigenten“ gewonnen. Die zu klobigen Anfangstakte und das etwas schwerfällige Tempo überwindet er schnell, muss aber immer wieder nach einer flüssig-eleganten Phrasierung suchen. „Von Apfelblüten einen Kranz“ lässt er arg verschleppen. Im ersten Finale am chinesischen Hof macht der estnische Dirigent mit majestätischem Aplomb deutlich, wo Lehár wohl auf die drei Jahre vorher uraufgeführte – und schon im Juli 1926 in Dresden nach Deutschland gekommene – „Turandot“ Giacomo Puccinis geschielt haben mag. In der Zeremonie der „gelben Jacke“ (so hieß die erste Version der Operette) trumpfen Chor (Wolfgang Müller-Salow) und Orchester beeindruckend wuchtig auf.

Doch dabei bleibt es nicht: Das Orchester arbeitet immer wieder schöne instrumentale Details heraus. Alfonso Palencias Choreografie unterstreicht, wie die Gesellschaften funktionieren: in Wien mit hohler militärischer Mechanik, in Peking in ritualisierten Bewegungen maskenhaft-unheimlicher Gestalten.

Man verlässt das Theater Hagen voller Hochachtung für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Franz Lehárs viel gespieltem Meisterwerk und voller Trauer, dass solche Leistungen seit Jahren von einer Kulturpolitik, die diese Bezeichnung nicht verdient, ignoriert und finanziell immer weiter ausgehöhlt werden.

Nächste Vorstellungen am 31.12.2015, 8. und 20.1.2016. Karten: Tel.: (0 23 31) 207 32 18. Weitere Infos: www.theaterhagen.de




Frech und weltläufig: „Ball im Savoy“ von Paul Abraham am Theater Hagen

Eleganter Bohemièn: Johannes Wollrab als Aristide in "Ball im Savoy" in Hagen. Foto: Klaus Lefebvre

Eleganter Bohemièn: Johannes Wollrab als Aristide in „Ball im Savoy“ in Hagen. Foto: Klaus Lefebvre

Nein, einen besonders guten Ruf genossen die Operetten von Paul Abraham nach dem Zweiten Weltkrieg nicht: Am ehesten tauchte noch „Viktoria und ihr Husar“ auf den Spielplänen auf, weil sie mit dem Schlager „Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände“ dem Zeitgeschmack entsprechend recht gut zu sentimentalisieren war.

Aber „Die Blume von Hawaii“ hielt man spätestens in den siebziger Jahren für grenzwertig bis unspielbar, und „Ball im Savoy“ war seit dieser Zeit so gut wie völlig verschwunden – trotz eines prominent besetzten Films von 1955 mit Nadja Tiller, Caterina Valente, Bully Buhlan und Bibi Jones und einer TV-Produktion von 1971 mit Gritt Boettcher, Christiane Schröder, Klaus Löwitsch und Theo Lingen.

Das scheint sich seit einigen Jahren zu ändern: Den Kolonial-Exotismus der „Blume von Hawaii“ sieht man heute aus einer anderen Perspektive. Die rekonstruierte Partitur, wie sie an der Wiener Volksoper erklang, erwies die genialen Fähigkeiten Abrahams als Instrumentator. „Viktoria und ihr Husar“ wurde durch Florian Ziemen in Gießen gründlich entstaubt. Und „Ball im Savoy“, dem noch Operetten-Spezialist Volker Klotz nicht viel gute Worte schenkte, weckte der WDR 2010 mit einer konzertanten Aufführung – ebenfalls in rekonstruierter Form – aus dem Dornröschenschlaf.

Rekonstruierten die Partitur von "Ball im Savoy": Matthias Grimminger und Henning Hagedorn. Foto: Werner Häußner

Rekonstruierten die Partitur von „Ball im Savoy“: Matthias Grimminger und Henning Hagedorn. Foto: Werner Häußner

Die phänomenale, opulente Premiere an der Berliner Komischen Oper im Juni 2013 markierte nicht nur die Rückkehr von Paul Abrahams Musik an den Ort ihrer Entstehung, sondern offenbar auch eine Trendwende in der Rezeption. „Ball im Savoy“ erschien in den letzten beiden Jahren in Plauen-Zwickau und Gera-Altenburg, kommt im Mai 2015 in Halle/Saale heraus und wird derzeit in Hagen gespielt. Nicht zu vergessen: In Dortmund steht mit „Roxy und ihr Wunderteam“ eine weitere Abraham-Operette auf dem Spielplan, die nicht zur Trias der Erfolge der Weimarer Zeit gehört, sondern erst 1936 entstand, als der aus Ungarn stammende, aus Deutschland vertriebene Jude Paul Abraham in seiner Heimat an seine Berliner Erfolge anzuknüpfen versuchte.

In Hagen führen Regisseur Roland Hüve und Ausstatter Siegfried E. Mayer einen Kampf gegen die Armut des Theaters, den sie nur zum Teil gewinnen. Das Bühnenbild mit seinen von Ulrich Schneiders Licht gnädig geschönten Vorhängen kann das mondäne Flair nicht beschwören, ist aber klug konzipiert. Denn es lässt Raum für die Choreografien und wirkt als unauffälliger Horizont für Mayers wirklich atemberaubende Kostüme. Sie lassen die verschwenderische Revue ahnen, die im Dezember 1932 die Berliner Theaterunternehmer Rotter im Großen Schauspielhaus (in DDR-Zeiten der alte Friedrichstadtpalast) ausstatteten, um den dringend benötigten finanziellen Erfolg zu erzielen.

Nur scheinbar ein Paar - oder doch nicht? Marilyn Bennett als mondäne Tangolita und Johannes Wollrab als Aristide in "Ball im Savoy" in Hagen. Foto: Klaus Lefebvre

Nur scheinbar ein Paar – oder doch nicht? Marilyn Bennett als mondäne Tangolita und Johannes Wollrab als Aristide in „Ball im Savoy“ in Hagen. Foto: Klaus Lefebvre

Mayer lässt es glitzern und funkeln, in Weiß und Rot, Gold und Violett. Ronald Bomius und seine Mitarbeiter in der Maske verwandeln das Ballett, den Chor und die Statisterie in bubiköpfige Damen und pomadig gescheitelte Herren – die ganze demí-monde des Berlin der zusammenbrechenden Weimarer Republik gibt sich tanzend und swingend ein Stelldichein.

Den Damen bleibt er nichts schuldig: Madeleine (Veronika Haller), die so gerne treu und häuslich wäre, hat in Weiß und Goldblond einen rauschenden Auftritt. Eine Affäre aus den Dandy-Zeiten ihres Ehemanns Aristide (Johannes Wollrab), die schöne Tangolita (Marilyn Bennett), tritt als rauchig-rote Versuchung in die Arena der Verwicklungen, an deren Ende die Unschuld der beinahe betrogenen Betrügerin Madeleine feststeht.

Den Trick zum Beweis hat sich Daisy Darlington alias Kristine Larissa Funkhauser ausgedacht. Diese Frau sprengt so ziemlich jede zeitgenössische Heimchen-am-Herd-Ideologie: Eine amerikanische Komponistin (!) von Jazz (!), die sich ein männlichen Pseudonym zulegt, um ihrem Vater zu beweisen, dass sie das Zeug zum Erfolg hat, um sich ihre Unabhängigkeit (!) zu sichern und der Heirat mit einem unterbelichteten Schokoladenfabrikanten zu entgehen.

Dass die Nazis mit diesem Prototyp einer selbstsicheren Frau nichts anfangen konnten, liegt auf der Hand. „Ball im Savoy“ verschwand schon im Frühjahr 1933: die jüdischen Gebrüder Rotter waren pleite, der Jude Abraham aus Deutschland geflohen. Für die saubere, deutsche Operette, wie sie sich die NS-Kulturpolitik wünschte, war das freche, weltläufige Werk Abrahams nicht geeignet.

Regisseur Roland Hüve – er hat unter anderem in Bielefeld Cole Porters „Anything goes“ in Szene gesetzt – kennt die Herausforderung der großen Szene, des präzisen Timing und des hohen Tempos auf personenreicher Bühne. Da spielen das Ballett und der Opernchor (musikalisch einstudiert von Wolfgang Müller-Salow) wacker mit. So ganz können sie die bräsigen Bewegungsmuster der üblichen Operettenroutine nicht überwinden; schuld daran sind auch Andrea Danae Kingstons mäßig originellen Choreografien. Der Augenweide fehlt manchmal das Augenzwinkern: Ironie ist eben schwer …

Von Damen umschwärmt: Bernhard Hirtreiter als "Salontürke" Mustafa Bei. Foto: Klaus Lefebvre

Von Damen umschwärmt: Bernhard Hirtreiter als „Salontürke“ Mustafa Bei. Foto: Klaus Lefebvre

Auf der anderen Seite lässt Hüve den Solisten Raum, sich zu entfalten: „Ich hab einen Mann, der mich liebt“ wird so zur ganz großen Nummer Veronika Hallers, und Bernhard Hirtreiter darf als ganz im Nachtclub-Milieu assimilierter türkischer Attaché Mustafa Bei mit Esprit erzählen, wie es ist, wenn „wir Türken küssen“.

Dass in Hagen mit Microport gesungen werden muss, ist nicht recht einzusehen, zumal die Stimmen durch die Verstärkung entstellt werden: Veronika Haller hat auf einmal ein grelles Vibrato und Marilyn Bennett klingt ältlich verzerrt. Mag sein, dass ihnen David Marlow nicht vertraute, über das Abraham-Orchester zu kommen.

Die üppige Instrumentierung ist von Matthias Grimminger und Henning Hagedorn rekonstruiert. Das Dortmunder Duo verwendete viel Sorgfalt bei der Sichtung der Quellen, geht aber – wie auch bei der Aufführung an der Komischen Oper Berlin zu registrieren – am Sound der frühen dreißiger Jahre vorbei. Mir scheint der Schlagzeugeinsatz zu aufdringlich, und die harte, grelle Intonation der Blechbläser erinnert eher an amerikanischen Bigband-Sound als an die schmeichelnd-lasziven Klänge der Tanzkapellen dieser Zeit, wie sie uns von Schellack-Platten entgegentönen.

Das Hagener Orchester macht sich den Tonfall, den Witz im Rhythmus, die Tanztempi und die instrumentalen Farben schnell zu eigen; in dem kleinen Haus hätte Zurückhaltung bei der Lautstärke der Finesse der Musik gut getan. Dafür gelingen intime Nummern wie „Ich hab einen Mann, der mich liebt“ expressiv und empfindsam.

Mit „Ball im Savoy“ hat Hagen zweierlei bewiesen: Entgegen allen Unkenrufen lebt die Operette, wenn sie mit Sorgfalt und Liebe reanimiert wird. Und wieder einmal ist eine Hagener Produktion ein erfolgreicher Nachweis, wie unverzichtbar die Stadttheater auf der kulturellen Landkarte sind. Daher: Hände weg von diesem Erbe! „Ball im Savoy“ ist zudem ein Argument für eine Idee, auf die man in Hagen sonst schwerlich kommt: „Es ist so schön, am Abend bummeln zu geh’n ….“.

Info: www.theater-hagen.de