Wer auf dem Pavianfelsen oben sitzt – Elmar Goerden besorgt in Bochum die Uraufführung von Schimmelpfennigs „Besuch bei dem Vater“

Von Bernd Berke

Bochum. Heimkehr des verlorenen Sohnes, anders als in der Bibel: Als 21-Jähriger taucht ein gewisser Peter bislang ungekannten Vater auf. Der Patriarch Heinrich lebt mit diversen Frauen in der 20-Zimmer-Villa seiner Gattin draußen am Walde. Nun legt sein Sohn die allzu bereiten Weibchen reihenweise flach. So weit die Nachricht.

„Besuch bei dem Vater“ – bewusst steif und unterkühlt gibt sich der Titel. Roland Schimmelpfennig hat für seinen neuen Theatertext die Gattungsbezeichnung „Szenen und Skizzen“ gewählt. Tatsächlich ist es kein Stück im herkömmlichen Sinne, sondern ein mäanderndes Gebilde mit recht schroffen Tempowechseln. Mal gleicht der Redefluss einem munteren Bach, mal einem gestauten Gewässer. Hie und da plätschert’s leise. Der Text (den der emsige Schimmelpfennig zur Trilogie ausbauen will) wirkt streckenweise fahrig und zerstreut.

Schreckliches Logo auf dem Handy

Allerdings birgt der Stoff enorm viel „Futter“ für Schauspieler. Beinahe sensationell: Bochums Intendant Elmar Goerden, sonst lieber den Klassikern hold, liefert hier die erste Uraufführung seiner Laufbahn. Wie zwei gute alte Kumpel nahmen er und Schimmelpfennig nebst Ensemble den herzlichen Beifall entgegen. Schön und gut. Wenn Freundschaft denn den Blick nicht trübt. Goerden ist kein Zertrümmerer, er lässt Stücke stets zum Tragen kommen. So zeigen sich ihre Stärken, aber auch Schwächen.

Schimmelpfennig jongliert leichthändig mit Versatzstücken und grast zwischen Tag und Traum so manches ab: Buchstäblich bei Adam, Eva und Noah beginnen seine Streifzüge. Die biblischen Urahnen kommen als längst verlorene Bezugsgrößen zur Sprache. Zwischendurch blitzen Signale der Gegenwart auf, die freilich auch mit Vergangenheit durchwoben sind. Heinrichs Teenie-Tochter Isabel (Louisa Stroux) hantiert unentwegt mit einem Handy, auf dessen Display ein Leuchtturm-Logo wie ein KZ-Wachturm aussieht.

Menschenleere Republik dämmert herauf

Auch sonst umspielt der Text das Jetzt aus Halbdistanz. Da geht’s etwa um kinderlose Frauen in den Dreißigern, die beruflich bereits abgehängt und auf Umschulung angewiesen sind. Eine menschenleere Republik dämmert schon am Horizont. Es gibt überdies Zeichen, dass Lesekultur (Zerreißen russischer Bücher von Tolstoi & Co.) und Esskultur (keiner weiß, wie man eine Ente herrichtet) vergehen.

Angesichts der unheilschwangeren Zukunft verliert auch Heinrichs Frau Edith (Susanne Barth) die Balance. Anfangs hat die distinguierte Dame das Geschehen im Griff – wie ein Conférencier, der die Zuschauer durch einen gediegenen Abend geleitet. Doch uralte Riten und Triebe zwischen den Geschlechtern ragen hinein – und sind stärker.

In den trostlosen Stillstand der lieblos möblierten winterlichen Villa schneit also dieser angebliche Sohn Peter (übermüdet, trotzdem jugendlich vital: Marc Oliver Schulze) hinein. Woher er kommt, weiß niemand. Auf solch ein unbeschriebenes Blatt können die Frauen ihre (sexuellen) Wünsche projizieren. Alsbald beherrscht er mit maskulinem Gehabe ohne sonderlichen Aufwand die Agenda im Haus.

Qual mit dem verlorenen Paradies

Der Vater (Wolfgang Hinze) muss es geahnt haben: Gleich bei der ersten Begegnung hat er sich Peter (wenn auch noch freundlich) vom Leibe gehalten. Er spielt diesen Zwiespalt mit exquisiter Choreographie. Wie denn überhaupt die wechselnde Haltung der Figuren zueinander mitunter einem Ballett gleicht. Doch zuweilen sind es auch bloße Stellproben mit rastlosen Auf- und Abtritten.

Der Nimbus des alten Heinrich wird jedenfalls demontiert. Er ist ja auch brüchig. Seit zehn Jahren quält sich der Anglist mit einer Übersetzung von Miltons „Paradise Lost“(„Verlorenes Paradies“ – aha, aha!). Und wenn Sonja (Katja Uffelmann) in seinem Beisein eine Wildente (Achtung, Ibsen-Anspielung!) schießt, hält er dies für einen Höhepunkt seines Lebens.

Schließlich landet man quasi wieder in der Urhorde, Die beiden Männer zücken Messer und Feuerwaffen, die Frauen quieken vor Angst. Wer darf ganz oben auf dem Pavianfelsen sitzen? Ach ja, die Tünche der Kultur und Zivilisation ist eben dünn.

18., 21 .,27. April, 9, 11., 30. Mai. Tel.: 0234/3333-5555.

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ZUR PERSON

Vom Journalismus zum Theater

  • Roland Schimmelpfennig wurde 1967 geboren.
  • Er arbeitete zunächst als freier Journalist und Autor in Istanbul – ein spezieller Umweg zum Theater.
  • 1990 begann er ein Regiestudium in München und gehörte später zur künstlerischen Leitung der dortigen Kammerspiele.
  • Zwischenzeitlich war er Hausautor an der Berliner Schaubühne und am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg.
  • Neuere Stücke: „Fisch um Fisch“, „Die arabische Nacht“, „Push Up 1-3″, „Die Frau von früher“, „Angebot und Nachfrage“.



Die Sehnsucht nach Ironie und Humor im Theater – Fritz Kater gewinnt den Mülheimer Dramatikerpreis

Von Bernd Berke

Mülheim. Herrje, was war das für ein Kopf-an-Kopf-Rennen beim Mülheimer Dramatikerwettbewerb „stücke 2003″! Um Mitternacht lag in der öffentlichen Jury-Diskussion Roland Schimmelpfennigs „Vorher/Nachher“ noch mit drei Stimmen in Front. Aber dann! Da wechselten unversehens zwei Damen des Gremiums (Luzerns Intendantin Barbara Mündel und die Schauspielerin Verena Buss), deren erklärte Lieblingsdramen bereits ausgeschieden waren, das Lager und plädierten nun unisono für Fritz Katers „zeit zu lieben zeit zu sterben“.

Jetzt stand es plötzlich drei zu drei. Traditionell wiegt in Mülheim das Votum des gesamten Festival-Publikums eine Jury-Stimme auf. Und das gab diesmal den Ausschlag: Die feucht-fröhliche und doch anrührende Groteske über das Scheitern einer Liebe zwischen Deutschland Ost und West lag in der Gunst der Besucher denkbar knapp vorn („Notenschnitt 1,99″). Ergo: Fritz Kater (bürgerlich: Armin Petras) bekommt diesmal den mit 10.000 Euro dotierten Preis.

Roland Schimmelpfennig hatte mit seinen 51 episodischen, oft surreal-märchenhaften Szenen, die gleichfalls um die schiere Unmöglichkeit der Liebe in diesen wehen Zeiten kreisen, das Nachsehen („Note 2,19″). Schade, schade.

Diese zwei am höchsten gehandelten Stücke erfüllten einen ansonsten meist vergebens gehegten Wunsch nach mehr Humor und (Selbst)-Ironie in der aktuellen Dramatik. Jurorin  Barbara Mundel wunderte sich: „MUSS Theater eigentlich immer nur schmerzen und verstören?“ In der Tat: Orgien des Weltekels und der allzeit rinnenden Körperflüssigkeiten wie Marius von Mayenburgs „Das kalte Kind“ gibt es mehr als genug.

Lebhaftes Desinteresse an Ulrike Syhas „Nomaden“

Geradewegs eine Zumutung war am Abschlussabend Ulrike Syhas ungelenker Versuch „Nomaden“, zwangsläufig hilf- und ratlos dargeboten vom Landestheater Tübingen. Das steife Stück spielt in einer endzeitlichen Stadt, in der offenbar diverse Terrorgruppen einander bekämpfen. Letztlich muss jeder jedem misstrauen, weil jeder jeden betrügen könnte. Ein schmaler Befund, der sodann endlos wiedergekäut wird.

Bis man überhaupt auseinander halten kann, wer wann mit wem oder gegen wen paktiert, ist die Aufmerksamkeit längst erstickt. Großmäulige Zeitgeist-Phrasen wie „Grammatik der Ödnis“ fallen wie faules Obst. Die nie nachvollziehbare „Räuberpistole“, die die Apokalypse stemmen will und sich in puren Behauptungen erschöpft, findet zu keiner eigenen Sprache, hat keinerlei konturierte Figuren – eine theatralische Wüstenei, die sozusagen lebhaftes Desinteresse weckt.

Eine gut geölte Sprach-Maschinerie

Ungleich anregender der vorletzte Beitrag im Wettbewerb, Martin Heckmanns Collage „Schieß doch, Kaufhaus!“ (Koproduktion Jena/Dresden, Regie: Simone Blattner). Fürchtet man zunächst, hier gebe es nur hektischen Sprach-Kampfsport und Turnmatten-Theater, so schälen sich aus dem Gruppenauftritt alsbald gliedernde Rhythmen heraus, als sei da eine bestens geölte Wort-Maschinerie am Werk. Die Tonlage oszilliert irgendwo zwischen Agitprop und Rap. Doch Heckmanns lauscht dabei auch kleinen, alltagsnahen Sehnsüchten und Nöten nach. Keine geringe Sache!

Wie kann man unter dem Bann der Globalisierung („Tenor der Ökonomie“) eine widerständige Sprache behaupten, und wie bringt man das Private darin unter? Mit solchen Fragen jongliert dieses pointierte Stück, das denn auch die allerbeste Publi- kumsnote erhielt.

 




Das Leben ist schlimm – und man lacht sich kaputt: Texte von René Pollesch, Sibylle Berg und Roland Schimmelpfennig bei „stücke 2001″

Von Bernd Berke

Mülheim. Der Mülheimer Dramatikerwettbewerb „stücke 2001″ bietet diesmal eher Bruchstückchen. Zeit und Welt werden als Scherbenhaufen besichtigt – und das geht meist unter zwei Stunden ab.

Drei weitere Texte, allesamt kurz, knapp und vorwiegend knackig, sind diese Woche ins Rennen um den Dramatikerpreis (Entscheidung am Sonntag) gegangen. Sieben von acht Bewerbungen sind damit „über die Bühne“, und es drängt sich ein Favorit auf.

Doch der Reihe nach: René Polleschs kunterbunt illustriertes Cyberspace-Drämchen „world wide web-slums“ eröffnete die zweite Halbzeit der Stücketage. Es gastierte die Hamburger Inszenierung, Regie führte der Autor.

Zwischen Schaumgummi-Schaukeln, Jukebox und Kletterwand turnen vier seelisch verwahrloste Internet-Freaks beiderlei Geschlechts munter umher. Im ratternden Techno-Tempo schnatternd, beklagen sie den Verlust ihrer Körperlichkeit in der Computerwelt.

Sie fühlen sich immerzu deplatziert („Es gibt keine coole Firma“), fürchten, dass man ihnen Computer-Chips unter die Haut gepflanzt habe und dass ihre Gesichter zu „Displays“ geworden sind. Technisch verquere Folge: Wenn’s diese Figuren miteinander treiben, kommt doch nur ein Kaufakt via Internet dabei heraus.

Mit solchen Angst-Visionen hechelt der Text dem rasenden Zeitenlauf hinterher. Er kleidet sich ins Gewand einer TV-Seifenoper und lädt famosen Wortmüll ab. So witzelt man sich durchs Elend. Endzeit in der Spaßgesellschaft. Man lacht sich kaputt übers ach so schlimme Leben. Es reicht aber nur für quicke Comedy.

Auch im Hochhaus kann ein poetisches Märchen beginnen

Auch Sibylle Bergs Beitrag „Helges Leben“, dargeboten vom Bochumer Schauspiel (Regie Niklaus Helbling), bewegt sich in lachlustigen Sphären, dem finalen Anlass zum Trotze.  Denn hier ist die Menschheit längst vollends „erledigt“. Jahre oder Jahrhunderte später: Putzige Tierchen (Tapir, Rehlein, Schnapphamster) gönnen sich ein Pläsierchen. Sie lassen sich von „Frau Gott“ und dem Tod (starke Rockmusik-Nummem: Erika Stucky und „Sina“) in einen Film über das rundum misslungene menschliche Leben jenes Helge versetzen.

Solch ein Negativ-Abzug zwischen Geburts- und Sterbe-Schmerzen ist flugs fertig. Glaube, Liebe, Hoffnung lassen sich wohlfeil denunzieren. Immerhin blitzt hier dann und wann die vage Ahnung eines besseren Daseins auf, zudem ist das Ganze sprachlich gefeilt. Ein Wechselbad: Über dem allzu flott festgestellten Elend der Gattung werden Spaße ausgegossen, dahinter flackert Verzweiflung. Manche halten’s für „Kult“, das Stück hat gar einen Fanclub.

Schließlich doch noch ein inniger Theatertraum: Roland Schimmelpfennigs „Die arabische Nacht“, vielerorts nachgespielt, war in der Leipziger Fassung zu besichtigen (Regie Franziska-Theresa Schütz). Weit spannt sich die Phantasie dieses Stückes zwischen einem zehnstöckigen Mietshaus und orientalischen Basaren aus. Hier ist die Welt nicht gleich fraglos verendet, sondern wundersam verwunschen. Selbst das Missliche, Brutale wird poetisch aufgehoben in diesem Märchen. Alles ist da: Liebeswünsche, Verlorenheit, Eifersucht, Mord. Doch die Vorfälle werden in ein anderes, dem Theater gemäßes Fluidum getaucht.

Ein solcher Text steht inmitten der gängigen Blut- und Samen-Dramatik (mitsamt ihren grotesken Varianten) ziemlich einzig da. Preiswürdig!