Blitz aus heiterem Himmel: Der Papst tritt zurück

Zuerst lag es nahe, an einen Faschingsscherz zu denken, als gegen Mittag die Meldung verbreitet wurde: Der Papst tritt zurück!

Inzwischen sind die Quellen abgesichert, die Ansprache von Benedikt XVI. vor den Kardinälen heute, am Vormittag des Rosenmontags, liegt im Wortlaut vor: „Nachdem ich wiederholt mein Gewissen vor Gott geprüft habe, bin ich zur Gewissheit gelangt, dass meine Kräfte infolge des vorgerückten Alters nicht mehr geeignet sind, um in angemessener Weise den Petrusdienst auszuüben.“ Ab 28. Februar, 20 Uhr – so der Papst – sei der Bischofssitz von Rom, der Stuhl des heiligen Petrus, vakant.

Der Rücktritt kommt überraschend, wie ein „Blitz aus heiterem Himmel“, wie Kardinal Angelo Sodano kommentierte. Offenbar hat sich der Papst schon längere Zeit mit dem Gedanken an einen Rücktritt befasst, aber im Vatikan höchstens mit wenigen Vertrauten darüber gesprochen. In den vergangenen Monaten habe er gespürt, dass in ihm die Kraft des Körpers und des Geistes abgenommen habe, bekennt der Papst. Und zwar derart, dass „ich mein Unvermögen erkennen muss, den mir anvertrauten Dienst weiter gut auszuführen“.

Eine ernste Entscheidung. Ob sie auf eine fortschreitende Erkrankung des 85-jährigen oder auf das Gefühl zunehmender Schwäche im Alter hinweist, dürfte in den nächsten Tagen reichlich Stoff für Spekulationen geben. Bisher hat es in der Geschichte der Kirche nur wenige Rücktritte von Päpsten gegeben: Einer war Cölestin V., der 1294 – zerrieben vom Streit des römischen Adels – auf das Amt verzichtete. In den Wirren des Spätmittelalters mit seinen Gegenpäpsten gab es mehrere erzwungene Rücktritte. Benedikt dürfte der erste Papst sein, der tatsächlich in voller Freiheit auf das Amt des Bischofs von Rom verzichtet.

Lange Zeit war kirchenrechtlich umstritten, ob ein Papst überhaupt zurücktreten könne. Der neue „Codex Iuris Canonici“ von 1983 legt fest, der Rücktritt müsse lediglich frei geschehen und hinreichend kundgemacht werden. In diesem Fall beginnt – wie beim Tod eines Papstes – die sogenannte Sedisvakanz. In dieser Zeit trägt der „Camerlengo“ – der Kardinal-Kämmerer der Katholischen Kirche – die „Sorge um die zeitlichen Güter und Rechte des Heiligen Stuhls“. Die päpstlichen Vollmachten verwaltet das Kardinalskollegium. Der Papst selbst wird nach seinem Rücktritt den Status eines emeritierten Bischofs haben.

Die Wahl des neuen Papstes – wählbar ist theoretisch jeder getaufte, vernunftbegabte, rechtgläubige Katholik – geschieht durch das Konklave, die Wahlversammlung der derzeit 118 wahlberechtigten Kardinäle. Es beginnt frühestens am 15., spätestens am 20. Tag nach dem Rücktritt und muss in der Sixtinischen Kapelle abgehalten werden. Das Wort „Konklave“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie „verschlossener Raum“. Während der Wahl sind die Kardinäle von der Außenwelt abgeschirmt und zu strengster Geheimhaltung verpflichtet. Bis Ostern dürfte ein neuer Papst die Katholische Kirche leiten.

Papst Benedikt XVI. ist der 265. Papst der Kirche. Er wurde am 19. April 2005 in einem der kürzesten Konklaves der Kirchengeschichte gewählt. Seine erste Auslandsreise führte ihn im August 2005 zum Weltjugendtag nach Köln. In der Öffentlichkeit führte die erste Wahl eines Deutschen seit dem 1523 gestorbenen Hadrian VI. zu breiter Zustimmung („Wir sind Papst“), während in kirchlichen Kreisen die Meinungen geteilt waren: Die einen schätzten den Präfekten der Glaubenskongregation und engen Mitarbeiter Papst Johannes Pauls II. als hochkarätigen Theologen mit tiefer Spiritualität, die anderen sahen in ihm einen zu strengen, erzkonservativen Kirchenmann und unterstellten ihm die Tendenz, die Errungenschaften des Zweiten Vatikanischen Konzils zurücknehmen zu wollen.

Tatsächlich kam es im Pontifikat Benedikts XVI. immer wieder zu Entscheidungen, die von konservativen Kreisen in der Katholischen Kirche bejubelt, von den Skeptikern aber als Bestätigung ihrer Bedenken aufgefasst wurden. Dazu gehört etwa sein versöhnlicher Kurs gegenüber den Traditionalisten der Bewegung „Priesterbruderschaft Pius X.“, während er andererseits Thesen des lateinamerikanischen Befreiungstheologen Jon Sobrino verurteilen ließ. Dazu zählt auch die Aufwertung des vorkonziliaren Ritus der Messfeier. Und obwohl der Papst jeder Form des Antisemitismus eine scharfe Absage erteilte, verstörte 2008 die Reform der Karfreitagsbitte für die Juden.

In der internationalen Öffentlichkeit genießt Benedikt XVI. großes Ansehen wegen seines kompromisslosen Eintretens für Frieden, Menschenrechte und Religionsfreiheit. Dass er als Papst sein theologisches Werk – parallel zu seinem Amt und seinen offiziellen Erklärungen und Enzykliken – fortgesetzt hat, ist einzigartig: 2007 erschien der erste Band eines umfassenden Werks zu „Jesus von Nazareth“; der dritte, abschließende, folgte im Advent 2012. Wegweisende päpstliche Rundschreiben wie die Sozialenzyklika „Caritas in veritate“ (2009) erzielten nicht die verdiente Beachtung. Das lag wohl auch an den Missbrauchsskandalen, die seit 2009 die Kirche erschütterten und in vielen Ländern ein bis dahin nicht für möglich gehaltenes Ausmaß erreichten. Immer wieder äußerte sich Benedikt XVI. auch missverständlich, so etwa in Regensburg in einer viel kritisierten Redepassage zu den Muslimen oder bei seinem letzten Deutschlandbesuch im September 2011 mit dem Begriff der „Entweltlichung“ der Kirche.

Benedikt XVI. hat in den knapp acht Jahren seines Pontifikats – seiner Linie treu – versucht, die wesentlichen Positionen des christlichen Glaubens vernunftgemäß zu erklären und zu begründen. Dass er damit ausgerechnet in der Katholischen Kirche seines Heimatlands viele Gläubige nicht erreicht hat; dass sich seit 2005 der Graben zwischen Kirche und moderner Welt eher noch weiter geöffnet hat; dass die kritische Haltung gegen bestimmte kirchliche Lehren inzwischen auch den inneren Kern der Kirchenmitglieder erreicht hat, gehört zur persönlichen Tragik dieses intellektuell und theologisch hochstehenden, persönlich integren Papstes. Dass er in klarer Einsicht in seine persönliche Situation auf sein Amt verzichtet, ist ein entschlossener Schritt, der bewundernswerten Mut zeigt. Schließlich ist der Rücktritt auch ein Zeichen der Demut, mit dem der Papst sein Amt verwaltet hat. Denn Machtgelüste waren Joseph Ratzinger fremd – da waren sich Insider bis auf wenige Ausnahmen immer einig.

Inzwischen wurde bekannt, der Papst werde nach Ende seiner Amtszeit zunächst in Castel Gandolfo wohnen und dann in das bisherige Karmel-Kloster innerhalb der Mauern des Vatikan ziehen, um dort ein „Leben in Gebet und Meditation“ zu führen. Die ersten Reaktionen auf den Rücktritt sind geprägt von Überraschung und von Respekt für die Lebensleistung Benedikts XVI.




Der bleiche Abschied des Christian Wulff

Abgang durch die Flügeltür: Wulff und Ehefrau, abfotografiert vom ARD-Fernsehbild

Abgang durch die Flügeltür: Wulff und Ehefrau, abfotografiert vom ARD-Fernsehbild.

Christian Wulff ist um 11 Uhr als Bundespräsident zurückgetreten. Die Beweggründe sind hinlänglich bekannt, man mag eigentlich schon gar nichts mehr darüber hören. Jetzt hat wenigstens diese Quälerei ein Ende. Freilich: Hinter den Kulissen wird gewiss schon um die Nachfolge gestritten. Es darf munter bis haltlos spekuliert werden. Durchaus denkbar, dass sich manche Politiker dieses Amt nicht mehr antun wollen.

Vor Wulffs Erklärung richteten sich die TV-Kameras immer und immer wieder auf die geschlossene Flügeltür, durch die Wulff den Saal betreten sollte. Es war das Nicht-Bild, gleichsam die weiße Leinwand dieses Vormittags. Durch Spalt unter der Tür sah man schließlich schon, wie jemand (nervös?) hin und her ging. Und ach, an solchen Tagen nehmen sich manche Fernsehleute unendlich wichtig.

Wulffs erste Worte rührten noch einmal an die Integrationsdebatte, die er nach eigenem Beteuern hatte befördern wollen. Für solche Zukunftsfragen, so seine Einlassung, werde ein Bundespräsident gebraucht, der uneingeschränktes Vertrauen genieße… Nach wie vor sei er überzeugt, von allen Verdächtigungen vollständig entlastet zu werden. Die Berichterstattung mancher Medien habe ihn und seine Frau „verletzt“.

Das war’s schon. Banal genug, ein bleichblasser Abschied. Grotesk das Missverhältnis zur mühsam gewahrten gravitätischen Form. Doch wie will man’s anders machen?

Für Sekunden habe ich es für möglich gehalten (für möglich halten wollen), dass Wulff – mitten im Satz – bitterlich weinend zusammenbricht und sich bebend an seine Frau klammert. Doch so etwas geschieht nicht im Staatstheater.

Angela Merkel erhob Wulff in ihrer schmallippigen Erklärung kurzerhand zum Integrations-Präsidenten, der wichtige Impulse gegeben habe. Beschönigung muss in solchen Fällen wohl sein. Über die Gegangenen nur Gutes. Man wird sehen, was die Ermittlungsbehörden noch herausfinden.

Doch von tragischer Fallhöhe kann man hier wahrlich nicht mehr sprechen. Allzu gewöhnlich waren die Umstände, die zum Rücktritt geführt haben.




Plötzlicher Sinneswandel: Wuppertals Intendant Fabritius gibt auf

Von Bernd Berke

Wuppertal. Kehrtwende um 180 Grad: Während noch bei der Spielplan-Pressekonferenz am Mittwoch beim Wuppertaler Theater alles in schönster und stabilster Ordnung zu sein schien (WR berichtete), brach gestern unverhofftes Chaos aus. Generalintendant Jürgen Fabrilius, der am Mittwoch noch in „voller Gewißheit“ (Fabritius) seine Bereitschaft zur Vertragsverlängerung um fünf Jahre angekündigt hatte, warf wenige Stunden später das Handtuch.

In einem gestern bekannt gewordenen Brief an den Kulturdezernenten Heinz Theo Jüchter schrieb Fabritius: „Ich möchte Ihnen mitteilen, daß ich für eine weitere Abstimmung über meine Vertragsverlängerung nicht mehr zur Verfügung stehe.“ Er sehe keine Basis für eine weitere Zusammenarbeit, weil der Kulturausschuß eine bereits empfohlene Vertragsverlängerung abgelehnt habe.

Anlaß für den urplötzlichen Sinneswandel war eine offenbar turbulente Sitzung des Wuppertaler Kulturausschusses am Mittwoch abend, bei der harte Kritik an Fabritius laut wurde. Die Schelte bezog sich auf die Qualität einzelner Schauspiel-Inszenierungen (vor allem: „Dreigroschenoper“), auf die Stagnation der Besucherzahlen im Schauspiel und auch schon auf den frisch veröffentlichten Spielplan ’87/’88. Der Ausschuß mochte dem Rat nicht empfehlen, Fabritius‘ Vertrag über 1988 hinaus zu verlängern.

Als er von dieser Stimmungslage erfuhr, schrieb der konsternierte (seit 1983 in Wuppertal tätige) Generalintendant des Dreispartentheaters  seine zitierte Absage. Kulturdezernent Jüchter, dem das Schreiben gestern-zuging, trocken: „Ich nehme den Brief zur Kenntnis“. Man werde nicht versuchen, Fabritius zu halten.

Meinungsumschwung im Kulturausschuß „auf kaltem Wege“?

Während Jüchter betont, die Kritik an Fabritius sei quer durch alle Fraktionen (SPD, CDU, FDP, „Grüne“) gegangen, wittert man am Theater das Schlimmste. Fabritius zur WR: Der „erdrutschartige Meinungsumbruch“ im Kulturausschuß müsse „auf kaltem Wege“ zustande gekommen sein. Das Ensemble sei „maßlos überrascht und brüskiert“.

Bühnen-Pressesprecher Hanns-Peter Keßler vermutet gar einen „politischen Deal“, der erst in den letzten Tagen hinter den Kulissen stattgefunden haben könne und die bisherige Mehrheit im Kulturausschuß gekippt habe. Danach hätten nur noch die „Grünen“ hinter Fabritius gestanden.

In der Tat hatte es bis Mittwoch den Anschein gehabt, als sei alles „in trockenen Tüchern“. Die Bühnenkommission hatte dem Intendanten noch im Juli 1986 die Vertragsverlängerung nachdrücklich angetragen. Der hatte sich, um Verhandlungen über den Bühnenetat abzuwarten, Bedenkzeit erbeten. Als sich nun eine Etat-Steigerung abzeichnete, war Fabritius zur Annahme bereit und ging mit dieser Mitteilung am Mittwochmorgen auch an die Öffentlichkeit.

Allerdings: Schien er auch relativ sicher im Sattel zu sitzen, sowar Fabritius doch – wie auch Pressesprecher Keßler einräumen muß – ein durchaus umstrittener Intendant.

Fest steht, daß sich die Wuppertaler eilig auf Intendantesuche begeben. Kulturdezernent Jüchter: „Im Sommer ’87 wollen wir den ,Neuen‘ verpflichten.“ Fabritius schwant Böses: Hoffentlich, so der Noch-Intendant, werde man seinem Nachfolger keine Etat-Verschlankung oder eine Sparteneinschränkung aufnötigen.




Kommentar: Rücktritt in letzter Minute

Man darf aufatmen. Fürs erste wenigstens. Ins Gerede war der unglücklich operierende Bundesvorstand des Schriftstellerverbandes (VS) immer häufiger gekommen. Dauer-Querelen haben das Ansehen und letztlich auch die „Schlagkraft“ dieser Interessenvertretung der Autoren arg in Mitleidenschaft gezogen. Der Rücktritt des kompletten VS-Vorstands könnte den Weg zu einem Neubeginn freimachen.

Daß die Rücktrittsbegründung eher selbstgerecht ausfiel, war zu erwarten und spielt kaum noch eine Rolle. Zwar ist bis zur Delegiertenkonferenz im März ’84 noch manches Scharmützel zu erwarten, doch besteht Anlaß zu der Hoffnung, daß solche „Gewitter“ die geladene Atmosphäre bereinigen. Auch in einige – Engelmanns Linie zuneigende – Landesverbände dürfte nun Bewegung kommen. Vor allem, wenn im weitesten Sinne Fragen des Ost-West-Konflikts anstanden, haben Bernt Engelmann und seine Vorstandskollegen mehrfach fragwürdige Erklärungen abgegeben, für die sie nicht ohne weiteres ein „Mandat“ der Mehrheit alter 2300 VS-Mitglieder beanspruchen konnten.

Nicht nur ehemalige DDR-Autoren, von denen einige ins Fahrwasser der konservativen „Wende“ geraten waren, wurden vergrault. Spätestens nach der dubiosen „Polen-Erklärung“ und der Attacke auf Friedenspreisträger Manès Sperber drohte eine Austrittswelle, die an die Substanz des Verbandes gegangen wäre. Der Rücktritt hat wohl – in letzter Minute – eine Spaltung des Verbandes verhindert.                   Bernd Berke