Fiktive Bedrohung – Kettenreaktion im Ruhrgebiet

Einmal angenommen, in Nordrhein-Westfalen stünde ein Kernkraftwerk, welches tatsächlich ans Netz gegangen wäre. Angenommen, dieses Kernkraftwerk würde besetzt und das ganze Ruhrgebiet wäre von der Auslöschung bedroht, weil ein Superschurke und ein von Greenpeace gemobbter ehemaliger Schichtleiter die Finger am Knopf haben? Angenommen, die Krefelder Polizei hätte zeitgleich einen Mordfall, von dem ihnen nur ihr Bauchgefühl sagt, dass es ein Mordfall ist. Denn das Opfer ist zwar tot, es gibt nur dummerweise keine ersichtliche Todesursache.

Dies alles mal angenommen, haben wir die „Kettenreaktion“, den neuen Krimi von Sebastian Stammsen. Stammsen reihte sich im vergangen Jahr mit dem Computerspiel-Krimi „Gegen jede Regel“ in die Riege der erfolgreichen Ruhrpott-Krimi-Autoren ein. Er ist studierter Psychologe und war einige Jahre im baden-württembergischen Exil in der Kernenergieaufsicht tätig. Eine Kombination, die es ihm nahe legte, einen Krimi aus dem Umfeld der so genannten „Atommafia“ zu schreiben. Stammsen begann mit seinem Krimi im letzten Jahr, war Anfang 2011 im Groben „durch“ und ganz besonders stolz auf die eigentlich absurde Idee, auch noch einen Tsunami mit einzubauen. Dann passierte Fukushima und die Wirklichkeit übertraf seinen Roman um einiges. Also setzte er sich hin, strich als erstes den Tsunami, baute die Handlung um – noch realitätsnaher als im ersten Entwurf – und bezog sich in seinen Ausführungen zur Gefährlichkeit und zum latent schwebenden Risiko der Kernenergie auf den japanischen GAU.

Dann gab  es noch die Demonstrationen, es gab die Ausstiegsdebatte und schließlich sogar den Beschluss zum Ausstieg – all dies nunmehr brandaktuell in seinem Roman verarbeitet. Dabei hebt Stammsen nicht den Zeigefinger. Im Gegenteil – er lässt seinen Kommissar Wegener den Fall aus der Ich-Perspektive erzählen und nimmt sich als Autor so alle Freiheiten, die Geschichte in zuweilen erfrischend schnoddrigem Ton zu erzählen. Der eigentliche Plot gerät dadurch manchmal in den Hintergrund, auch regiert bei der Auflösung sehr der Kommissar Zufall. Allerdings wird schon aus dem Klappentext ersichtlich, dass es nicht Stammsens erklärte Absicht war, nur ein Genre einzuhalten.  Die wenigsten Leser wird dies stören. Auch wenn der Blutfaktor gegen Null geht – ob der gezeichneten Bedrohungsszenarien ist dem Leser gruselig und beklommen genug zumute. Umso dankbarer ist man, wenn Stammsen schmerzfrei und ohne falschen Respekt die Gelegenheit zu satirischen Seitenhieben nutzt. Sei es zur Kernenergie, „die seiner Einschätzung nach im Landtag ungefähr so viele Freunde hat wie die Hauptschule – gar keine“ oder sei es zu den Imageproblemen der Kanzlerin. Auf den Punkt gebracht und wirklich gelungen böse. So gekonnt, dass etliche seiner Anmerkungen jede Satire-Sendung aufwerten würden. Seine Charaktere sind alle gut gezeichnet, man hat den Ministerialbeamten ebenso vor Augen wie den prolligen anfänglichen Hauptverdächtigen, der „allerdings kein richtiger Mann war, sondern eher ein gealterter Halbstarker mit zerrissener Hose, Muskelshirt, verbrannten, aber muskulösen Oberarmen, jedoch ohne Deo“.

Markus Wegener ist ein Kommissar, den man gerne begleitet. Einer, in dessen Gegenwart man sich genauso sicher fühlen würde wie er sich unsicher beim Besuch des (fiktiven) Kernkraftwerks Neustadt unweit von Dortmund. Auch seine Partnerin Nina, sein Chef Reinhold, wie das ganze Team allsamt Protagonisten, mit denen der Leser gerne weitere Fälle löst.

Sebastian Stammsen, Kettenreaktion, Grafit-Verlag Dortmund 2011, 345 Seiten, 9,99 Euro.

 

 

 

 




Serientäter in Bochum – der neue Krimi von Theo Pointner

Vier Jahre haben treue Leser warten müssen, bis Kommissarin Katharina Thalbach und ihre Kollegen von der Bochumer Kripo zum zehnten Mal ermitteln. Band 9 „Highscore“ endete mit einem Cliffhanger erster Güte. Die Frage, ob Ex-Mann und Sohn der smarten Kommissarin ein Attentat überlebt haben, blieb offen.

Autor Theo Pointner hatte ob dieser langen Wartezeit ein Einsehen und spannt seine Leser in Band 10  „Abgesang“ nicht allzu lange auf die Folter. Schon auf den ersten Seiten wird die drängende offene Frage aufgelöst. Doch viel Zeit haben Katharina Thalbach, ihr – zur Überraschung aller – neuer Chef Berthold Hofmann und das Team nicht, sich um ihr Privatleben zu kümmern. Eine widerwärtige Mordserie hält Bochum in Atem. Ein Psychopath von äußerst brutalen Ausmaßen mordet erst das Kind und dann die Mutter. Ein 15jähriges Mädchen wird erstochen, bei der Mutter fand eine fast schon rituelle Tötung statt.

Ausgerechnet die Thalbach, sonst bei jeder Ermittlung ruhe- und rastlos getrieben, engagiert sich diesmal nur halbherzig. Zu sehr nehmen drängende Fragen ihres Privatlebens sie in Beschlag und lassen sie fast schon verzweifeln an der von ihr gewählten Art der Lebensführung. Als dann ein fünfjähriger Junge verschwindet, muss alles Private zurückstehen, denn nun ist klar: Die Bochumer Kripo hat es mit einem Serientäter zu tun und ihr läuft die Zeit davon.

„Abgesang“ ist ein handwerklich gut gemachter Krimi. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Es steht Krimi drauf, es ist Krimi drin und keine Mogelpackung. Solide und ehrlich, so wie man es auch den Menschen im Ruhrgebiet nachsagt. Glücklicherweise gehört „Abgesang“ jedoch nicht zu den Ruhrpott-Krimis, die nur vom Lokalkolorit leben. Für den heimischen Leser ist es sicher schön,  ihm wohlbekannte Schauplätze liebevoll gezeichnet im Roman beschrieben zu bekommen. Die Handlung könnte jedoch auch überall sonst in Deutschland angesiedelt sein, was Pointner und den Krimiprofis vom Dortmunder Grafit Verlag wünschenswerterweise eine Leserschaft über die Grenzen des Reviers hinaus erschließen könnte.

Pointner hält im Roman die Spannung und ein gutes sprachliches Niveau. Gelegentlich fällt ihm das Umgangssprachliche schwer, aber in der Regel schaut er sehr genau hin. Seine Figuren – ob Bildungsbürger oder angelernte Hilfskraft – überzeugen. Die privaten Probleme, mit denen die sympathische Kommissarin hadert, sind stets nachvollziehbar und mit ihrem drohendem Burnout auch auf der Höhe der Zeit.  Dem Aufbau des Plots tut es gut, den Mörder selbst zwischendurch immer wieder als Ich-Erzähler zu Wort kommen zu lassen, ohne überflüssige Hinweise auf seine Identität zu geben.. Die verquere Gedankenwelt des Täters wird dadurch ein wenig nachvollziehbarer für den Leser. Dessen Identität kommt die Thalbach noch vor dem ausgesprochen blutigen Finale – welches die Meßlatte von Slaughters Belladonna locker überspringt – auf die Schliche. Nach der Entlarvung ist die Versuchung groß, zurückzublättern, um nachzusehen, an welcher Stelle genau er sich schon verraten hat.

Der gebürtige Bochumer Theo Pointner ist studierter Betriebswissenschaftler und als solcher Leiter des Medizin-Controllings eines Krankenhauses im Ruhrgebiet. Als Autor ist auch er ein Serientäter. Mit nunmehr zehn Bänden um Katharina Thalbach hat er sich eine treue Fangemeinde erschrieben. So nett er allerdings eingangs zu seinen Lesern war, den offenen Plot aus dem Vorgänger-Buch aufzulösen, so sehr wird er die Fans von Katharina Thalbach mit dem wiederum offenen Ende von „Abgesang“ verstören. Es bleibt nur zu hoffen, dass der Titel des Buches nicht schon das Programm für die Zukunft ist.

Theo Pointner: „Abgesang“. Kriminalroman, Grafit-Verlag, Dortmund, 313 Seiten, 9,99 Euro.

 




Auf Beutezug im Revier – neue Kurzkrimis aus dem Ruhrgebiet

In der Reihe Mordlandschaften des KBV-Verlags ist der zweite Band mit Kurzkrimis aus dem Ruhrgebiet erschienen. Nach der erfolgreichen Anthologie „Hängen im Schacht“ hat Krimi-Experte H. P. Karr erneut ausgewiesene Krimi-Experten auf einen Streifzug durch das mörderische Ruhrgebiet geschickt. Betitelt ist das Buch mit dem leicht abgenutzten Ruhrgebiets-Kalauer  „Schicht im Schacht“.

24 Autoren haben das Revier von Dortmund bis Duisburg nach literarischen Verbrechen durchsucht und reichlichst Beute gemacht. Es gibt Krimis über Malocher und Macker, unter und über Tage. Das Verbrechen blüht im Landschaftspark Duisburg genau wie in der Hattinger Altstadt und selbstverständlich auch auf dem „Ruhrschleichweg“ A 40. Vielfach ausgezeichnete Autoren haben sich in den kriminellen Untergrund unseres Reviers begeben: Jörg Juretzka, Horst Bieber, Peter Schmidt und der Gründer des Krimi-Festivals „Mord am Hellweg“ Herbert Knorr, um nur einige der bekannteren zu nennen.

Der Leser bekommt, was er erwartet. Zwar soll das Ruhrgebiet zwischen gestern und heute gezeigt werden, doch man scheut sich auch nicht, Ruhrgebiets-Klischees zu bedienen. Vielfach wird immer noch ein düsteres und schmuddeliges Bild der Region gezeichnet.

Einige Geschichten sind durchaus spannend, unterhaltsam auch durch skurril-komische Überzeichung. Hervorzuheben wären da „ZEN in der Kunst des Absahnens“ von Gerd Herholz sowie mein persönlicher Favorit, die Rotlichtballade „On the Road to hell oder als Herr Simanjec einmal tot war“ von Nina George. Andere wiederum haben selbst in der Kürze erhebliche Längen oder kommen einem sehr bekannt vor.

Das Buch steht unter dem Motto „Wenn nix mehr geht, dann iss Schicht im Schacht“.  Es ist anzunehmen, dass es eine Fortsetzung über kurz oder lang geben wird. Eine Extraschicht Aktualität wäre wünschenswert. Für kurzweilige Unterhaltung – häppchenweise genossen – ist die Anthologie dennoch gut geeignet.

Zum Buch gibt es einen Blog, in welchem Hintergründe zur Entstehung, zu den Krimis und zu den Autoren sorgfältig zusammengestellt sind. Weniger gelungen fand ich jedoch die dortige Einleitung, man möchte mit dieser Anthologie nunmehr im Jahr eins nach der Kulturhauptstadt die kriminelle Bilanz ziehen. Vor dem Hintergrund der tragischen Ereignisse bei der Loveparade hinterlässt diese Formulierung ein mehr als ungutes Gefühl und ist sicher überdenkenswert.

Herausgegeben wurde die Anthologie im KBV Verlag vom Autor und WDR-Krimi-Experten H. P. Karr, der in den Neunzigern mit seiner Figur Gonzo Gonschorekt einige lokale Berühmtheit erlangte.

„Schicht im Schacht“ (Hrsg. H. P. Karr). KBV Verlags-und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim. 278 Seiten, € 9,90