Mit Flummi im Spiegelzelt – Torsten Sträter beim Dortmunder Festival RuhrHochDeutsch

Soziale Netzwerke, insbesondere Twitter, werden ja oft als virtueller Marktplatz sich unreflektiert aufschaukelnder Erregungstumulte rund um einen griffigen Hashtag wahrgenommen. Im medial nicht so aufgeblasenen Bereich der Twittergemeinde ermöglicht es aber gerade diese Hashtag-Kultur, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen über das, was man mag; was man gerne liest, guckt, hört oder auch, worüber man lachen kann.

Zunehmender Beliebtheit bei den manchmal mit einem recht eigenwilligen Humor gesegneten Twitter-Nutzern erfreut sich seit einiger Zeit der Waltroper Torsten Sträter. Was also lag näher als ein Ruhrpott-Twittertreffen mit einem Abend im Dortmunder Spiegelzelt bei Sträters Auftritt im Rahmen des Festivals RuhrHochDeutsch zu kombinieren?

Torsten Sträter im Dortmunder Spiegelzelt

Begegnung nach seinem Auftritt: Torsten Sträter im Dortmunder Spiegelzelt. (Foto: Michael Reimann)

Nicht alle Besucher kamen wie wir mit einem großen Begeisterungs-Vorschuss. Man hörte im Biergarten durchaus Stimmen à la „Hoffentlich gibt datt watt, hoffentlich liest der nich nur stur ab“. Aber etwaige Bedenken dürften schnell hinweg gefegt gewesen sein. 10 Minuten nach Beginn seines neuen Programms „Es ist nie zu spät, unpünktlich zu sein“ war der auf’s Zeltdach trommelnde Regen nicht mehr zu hören. Gut, Heimspiel könnte man sagen. Aber bitte, wer ist kritischer als die eigene Nachbarschaft? Eben.

Schnell bestätigt sich der bisher nur am Bildschirm gewonnene Eindruck: Sträter funktioniert am besten als Gesamtkunstwerk. Um das „Hoffentlich liest der nicht stur ab“ des Bedenkenträgers aufzugreifen: Ja, stimmt. Sträters Texte sind für sich genommen nur mäßig witzig, liest man sie in gedruckter Form selbst, reißt es einen nicht unbedingt vom Hocker. Trägt Sträter sie aber mit seiner unnachahmlichen Intonation vor, bettet er sie gar ein in einen frei vorgetragenen Kontext, dann hebt sich dieses Gesamtkunstwerk sehr wohltuend ab von dem, was einem sonst gerne als Kabarett verkauft werden soll. Nicht nur in diesem Punkt fühlt man sich im Laufe des Abends des öfteren angenehm an Fritz Eckenga erinnert. Möglicherweise gibt es ja so etwas wie eine Dortmunder Schule des Humors. Weiß man da Näheres?

König der Abschweifungen

Rund um die vorgelesenen Texte ist Torsten Sträter der ungekrönte König der Abschweifungen, was aber gerade den besonderen Reiz ausmacht. Man weiß nie, wo er hin will oder auch nur im Ansatz, was als Nächstes kommt. Ist er jetzt noch in Torgau beim Probelauf oder verlobt er sich gerade mit seinem Urologen? Vom Hölzken auf Stöcksken zu kommen und dann nach fast 3 Stunden den Kreis geschmeidig mit einem Flummi zu schließen – das muss man erstmal können. Sträter kann das und zwar so, dass das Publikum gleichermaßen verblüfft und begeistert verharrt. Zaubern mit Worten oder wie Sträter es nicht ohne Stolz formulierte: „Hab ich schick zusammengehäkelt, ne?“

Politisches Kabarett ist seine Sache nach eigener Aussage nicht, dennoch haben viele seiner Texte eine zumindest gesellschaftspolitische Aussage. So wie der Text, in dem er einem mit ihm befreundeten syrischen Flüchtling erklärt, wie Deutschland funktioniert und dabei die unguten „das wird man ja wohl noch sagen dürfen Vorurteile“ ganz geschickt umadressiert. Möglich, dass die Subtilität dieses Textes mehr bewirkt als fromme Lippenbekenntnisse aus der Politik. (Hoffen kann man ja)

Nicht nur mit diesem Text hält Sträter seinem Publikum den Spiegel vor. Wiedererkennungswert seiner Programme: höher geht nicht. In beide Richtungen. Zum einen erkennt der Zuhörer sich selbst wieder, zum anderen aber ertappt er sich dauernd bei den alltäglichsten Dingen, dabei an Sträter zu denken. Es soll Leute geben, die nicht ein einziges Hemd mehr ohne die Beschwörungsformel KSRKBÄM bügeln, Und falls es jemand interessiert: Ich habe mir heute mehr als einmal ein „Ey, datt iss ein Fahrradweg“ verkniffen. Bitte gerne.

Unaufgeregter Ruhrpott-Pragmatismus

Sträter beherrscht die ganze Palette vom eher grobschlächtigem Humor mit und ohne Storno bis hin zu den leiseren Tönen. Wenn man genau hinhört, dann kann man zwischen den Zeilen den Poeten hören. Sträters Anfänge in der Wortkunst wurzeln ja auch dort: Im Poetry Slam. Damit wurde er erstmals vor Publikum bekannt, da kommt er her. So die Geschichte über seine Afrika-Reise: So witzig sie zwischenzeitlich daherkam, so kleidsam der Hut, so gelungen die Pointe auch war: Man war auch berührt von dem, was er erzählte, man merkte gut, wie sehr ihn das dort Gesehene bewegte. Die Balance zwischen Witz und leisen Zwischentönen hält er durch, auch für Sträter scheint Satire eine Möglichkeit zu sein, den Absurditäten des Lebens zu begegnen. Entweder man verbittert oder man lacht darüber.

Und selbst wenn Torsten Sträter sich geschmeidig in New York bewegen kann, ganz klar ist er ein Ruhrpottjunge. Seine Sprache ist die der Menschen hier, sein Humor ebenfalls. Umso schöner, dass es auch außerhalb des Reviers funktioniert. Humorvoller, unaufgeregter Ruhrpott-Pragmatismus kann der Republik nicht schaden. Auch im entspannten After-Show-Gespräch ist es ganz einfach, in ihm den gelernten Herrenschneider von „umme Ecke“ zu sehen. In diesem Sinne „Glückauf“ für seine Sendung „Männerhaushalt„, die – wie er uns noch verriet – ab November im WDR in Serie geht.

___________________________________________

Mehr über ihn auf seiner Webseite. Alle Termine finden sich hier.




Ein gar zu derber Gag von Bruno Knust

Der altgediente Comedian Bruno Knust (61) gilt nicht wenigen Leuten quasi als „Vorzeige-Dortmunder“.

Bruno Knust im Jahr 2007 bei einem Auftritt in seinem Dortmunder Theater Olpketal. (Foto: http://www.guenna.de - Wikipedia-Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

Bruno Knust im Jahr 2007 bei einem Auftritt in seinem Dortmunder Theater Olpketal. (Foto: http://www.guenna.de – Wikipedia-Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

So manche Stadtbewohner nehmen Besucher von außerhalb mit in Knusts Vorort-Theater Olpketal, um den staunenden Gästen vorzuführen, wie der Ruhri allgemein und speziell der Dortmunder so tickt. Meinetwegen. Aber ich und wahrscheinlich auch etliche andere möchten da nur sehr bedingt mitgemeint sein.

Wer sich in Dortmund dermaßen hervortut und zeitweise auch noch Stadionsprecher beim BVB gewesen ist, findet rasch Einlass beim lokalen Presse-Monopolisten Ruhrnachrichten (RN). So hat Bruno Knust alias „Günna“ dort seit geraumer Zeit eine eigene Samstags-Kolumne mit leidlich lustigen Witzeleien der westfälisch-ruhrigen Machart. Klar, dass Knusts Bühnenauftritte in dem Blatt auch besondere Beachtung finden. So beispielsweise heute wieder, wo sein gemeinsamer Auftritt mit Lioba Albus beim Humor-Festival Ruhrhochdeutsch gewürdigt wird – gerade mal zwei Lokalseiten nach seiner besagten Kolumne.

Wenn die Besprechung die Wahrheit wiedergibt (woran wir nicht zweifeln), so hat sich Bruno Knust, der eh gerne reihenweise derbe Gags `raushaut, eine üble Geschmacklosigkeit erlaubt.

Obwohl Matthias Sammer auch mal als Spieler und Trainer beim BVB aktiv war, bin ich wahrhaftig kein Anhänger des vormaligen Sportdirektors von Bayern München. Doch einen brunzdämlichen, menschenverachtenden Brüller wie diesen „Scherz“ über Sammer sollte man keinesfalls in die Welt setzen: „Als Kind war er so hässlich, dass man ihn in die Babyklappe hätte werfen müssen – von innen!“ So zitieren die RN den naturgemäß bildschönen Bruno Knust – ohne jeden kritischen Unterton.

Wenn man nun noch weiß, dass Sammer seinen Bayern-Posten kürzlich wegen einer ernsthaften Krankheit (Durchblutungsstörung des Gehirns) aufgeben musste, dann wird Knusts Invektive vollends abgründig. Der Dortmunder Spässkenmacher sollte künftig unbedingt darauf verzichten.




Von Wattestäbchen und anderen Tücken – Frank Goosen beim Festival Ruhrhochdeutsch

„Richtig erwachsen bisse erss, wenn de en ganzet Paket Wattestäbchen brauchss, um die Kotze Deiner Blagen aussem Kindersitz zu pulen“. Ein Freund klarer Ansagen und plastisch-drastischer Geschichten, die so krass wie wahr sind, sollte man schon sein, wenn man zum Festival Ruhrhochdeutsch geht. Seit Ende Juni steht wieder das schöne historische Spiegelzelt vor den Dortmunder Westfalenhallen.

IMG_20150808_184904Schon zum sechsten Mal bietet das Dortmunder Theater Fletch Bizzel dort einen umfassenden Querschnitt, vor allem durch die ruhrische Kabarettszene. Wiederkehrende Ensembleauftritte wechseln sich ab mit Gastauftritten lokaler Helden. Am vergangenen Wochenende philosophierte Frank Goosen über Durst und Heimweh, wobei der Durst wohl bei Temperaturen gefühlt wie kurz vorm dritten Aufguss überwogen hat. Für Goosen war es trotz fußballerischer Differenzen ein Heimspiel.

„Durst und Heimweh“ heißt sein neues Kabarett-Programm. Durst soll ja schlimmer sein als Heimweh, aber am schlimmsten ist für Goosen beides zusammen. Und zusammen kommt beides gerade für Ruhrgebietsmenschen meist, wenn man(n) sich auf Reisen begibt. Nun ist man ja gerade im Ruhrgebiet ständig unterwegs, Stillstand gibbet bekanntermaßen nur auffe 40. Müsste Herrn Goosen eigentlich sehr entgegen kommen, denn wie er gleich zu Beginn erklärte, fühlt er sich eh am wohlsten auf den Autobahnen des Reviers. „Flüsse und Berge trennen doch nur, Autobahnen verbinden“. Natur an sich ist ja eh völlig überbewertet, die ist ja nicht mal von Hand gemacht wie so eine ordentliche ruhrische Autobahn.

Zum Glück für den Zuschauer spielen Goosens Geschichten aber nicht nur auf der Autobahn. Aber vom Reisen erzählen sie. Seine Geschichten spielen überall und jederzeit, durch alle Lebensabschnitte. Los geht es mit den ersten Ferien, die bei Goosens vor allem mit „de Omma anne See“ führten. Nach Helgoland zum Beispiel, wo er die Grundregeln des Goosenschens Universums lernte: „Watt der Junge will, datt kriechta auch“. Logischerweise nicht ganz einfach für nachfolgende Reisebegleitungen. Bei den Klassenfahrten mit den üblichen weithin bekannten, über alle Generationen hinweg ähnlichen Nebenwirkungen ging es noch so halbwegs, aber der erste Urlaub mit Freunden und unterschiedlichen Vorstellungen war da schon schwieriger. Dies im übrigen ein Interrail-Urlaub, die nicht immer subtilen Erinnerungen teilt er wohl mit vielen seiner Generation.

Und dann der erste Beziehungsurlaub…. – nirgendwo zeigt sich mehr Konfliktpotential. Über all diese Stationen geht es im Programm zurück zu dem einzigen Urlaub, den man zweimal im Leben macht: dem Familienurlaub. In fortgeschrittenem Alter dann am anderen Ende der Befehlskette und vor der schwierigen Aufgabe stehend, einen Kompromiss zu finden zwischen Kinder-Bespaßung und Massentourismus-Allergie. Nicht nur Familie Goosen findet diesen Kompromiß zuverlässig im Staate Dänemark und deswegen war mir die Exkursion ins Dänenland, mitsamt den Tücken seiner ausgefeilten Mini- und Fußballgolfplätze auch eine ganz besondere Freude. Wirklich außerordentlich bedauerlich, dass wir nicht mehr in den Schulferien in den Urlaub müssen. Die Goosensche Performance im fliederfarbenen Strandstuhl des Grauens würde ich nur zu gerne einmal sehen.

Für uns traf es sich bei diesem Programm, dass wir an diesem Abend Urlaubsziel waren. Wir hatten Besuch von Freunden aus Bayern, die Herrn Goosen bisher „nur“ anhand seiner Bücher kannten und mehr als einverstanden damit waren, mit einem Live-Auftritt des Revier-Chronisten gleich mal die volle Dosis Ruhrpott verabreicht zu bekommen. Es passte gut, dass Frank Goosen zwischendurch immer wieder den „Jungen vonne Bochumer Alleestrasse“ durchschimmern ließ: „Da kommt mein wahres Niveau wieder durch“. Unsere Gäste waren begeistert, selbst an der Stelle, als es gegen bayrisches Klosterbräu-Bier ging, denn „Menschen, die keinen Geschlechtsverkehr haben, kann man ja prinzipiell nicht trauen.“ (Zugegeben, Herr Goosen hat es ein klein wenig weniger vornehm formuliert).

Dafür kann man den Programmen des Frank Goosen sicherlich immer trauen. Dem Buchautor sowieso, aber auch den Kabarettisten mit direktem Draht zum Publikum, den hat der gelernte Tresenleser einfach drauf. Für ihn braucht es nur ein wohlgesinntes Gegenüber, eine Bühne ohne störendes Gedöns und der Bochumer nimmt den ganzen Saal gestenreich, oft genug freihändig ausse Lameng realitätsnah erzählend mit, diesmal eben auf die Reisen seines Lebens.

Frank Goosens Termine und anderes auf seiner Homepage
Das Festival Ruhrhochdeutsch geht noch bis in den Oktober, weitere Infos auf Ruhrhochdeutsch.de

P.S. @ Herrn Goosen: Falls Sie den Gag mit dem Komasaufen doch nicht aufgeschrieben haben – ich glaub, ich krieg das noch hintereinander…




Kaputtlachen in Dortmund

Dortmund hat sich als Metropole des Humors entwickelt, zumindest innerhalb der Metropole Ruhr.

Da können die Essener noch so scherzen, die Herner noch so fröhlich sein oder die Gelsenkirchener den schwarzen Humor noch so hervorfördern, in Dortmund wird das ganze Jahr gelacht, und zwar überwiegend gegen  Bezahlung. Da geben sich die Humorfestivals die Klinke in die bereitwillig winkende Hand.

Von Juni bis Oktober kann man sich alle schlechten Wetter weglachen, wenn man ins Spiegelzelt lustwandert, um das „RuhrHochDeutsch“-Programm zu besuchen. Da wird sich gefreut, dass sich die Balken biegen und die Spiegelbilder verzerren.

Eines von mehreren Dortmunder Comedy-Ereignissen: "Geierabend"-Plakat von 2012 auf einer Tür des Lokals "Tante Amanda". (© Geierabend/Ablichtung Bernd Berke)

Eines von mehreren Dortmunder Comedy-Ereignissen: „Geierabend“-Plakat von 2012 auf einer Tür des Lokals „Tante Amanda“. (© Geierabend/Ablichtung Bernd Berke)

Sind wir so – wie wir es von der Bühne hören? Ist die Comedy nicht der wahre Spiegel der Gesellschaft? Muss wohl so sein, denn der Dortmunder und die Besucher aus dem landwirtschaftlichen Umfeld freuen sich über jeden Spaß, selbst, wenn sie ihn schon zigmal gehört haben. Das muss doch auch die Stimmung in der Stadt spiegeln.

Und weil die Herbstabende dunkler werden, folgt „Watt‘n Hallas“, das nächste Festival , das uns bei der Stange hält, denn ansonsten gibt es ja kaum Lachenswertes im Leben, in der Politik, im Zoo oder zuhause auf der Couch.

Im Schauspielhaus gibt’s auch nicht viel zu lachen. Da wirft man mit Senf. Und die Oper ist nicht für laute Äußerungen aus dem Publikum gedacht. Das Lachen ist in Dortmund eine ernste Sache. Deshalb gibt es auch noch eine dritte Reihe, die uns durch den Winter führt: den „Geierabend“. Es wird also hier im Revier fast ganzjährig durchgegeiert.

In so einer Stadt will man doch wohnen und die Zahlen zeigen es. Es gibt Zuwanderung aus anderen Teilen der Republik, Menschen, die sich am Lachen beteiligen wollen. Aber es gibt auch Gelegenheit, das subtile Lächeln zu pflegen, wenn man durch die Stadt geht. Ich, zum Beispiel, habe auch meine Freude. Jedes Mal, wenn ich das Dortmunder „U“ betrete, kann ich ein Grinsen nicht verhindern, vor allem, wenn wieder so einiges geschlossen oder nicht betretbar ist.

Heute habe ich wieder lachen können, als ich sah, wie die gesamte Innenstadt zu einem Kirmesbetrieb umgestaltet wurde. Das ist doch komisch, wenn der traditonsreiche Fahrbetrieb „Raupe“ sich, zusammen mit dem Kettenkarussell und einem Gauklerwagen mit der Aufschrift „Charlatan“, in die Innenstadt schmiegt und gleichzeitig verschiedene Schlager zu hören sind, bevor der Weihnachtsmarkt die Schlagerbühne übernimmt.

Wenn ich Segelboote auf dem Phoenixsee sehe, muss ich auch lächeln. Allerdings gehöre ich nicht zu den Leuten, die bei Spielen des BVB den Gegner auslachen. Wer nun gar nichts findet, um die Griesgrämigkeit loszuwerden, der beschäftige sich mit kommunaler Bürokratie, wo immer er oder sie auch sein mag. Das ist die beste Quelle fürs Totlachen.




Der verzerrte Spiegel

Ich konnte es noch nie leiden, wenn zum Kabarett Sekt gereicht wird und dies ohne Ironie. Aber offenbar wird dies weiterhin an die kommenden Generationen weitergereicht. Man braucht eine Ausstellung, einige Redner und Sekt. Manchmal trägt noch ein Künstler was vor, vorzugsweise Musik. Ein Ritual. Wenn es dann noch kleine Schnittchen gibt, stimmt alles. Im Ruhrgebiet werden zahlreiche Ausstellungen und all das eröffnet, was eine Eröffnung braucht – wie anderswo in der Republik auch. In Polen gab es allerdings warmen Weißwein und Wodka, in der Slowakei süßen Likör und in Tallinn Orangensaft mit Keks. Aber ich schweife ab.

Vor dem Dortmunder „U“ steht wieder das Spiegelzelt, das beim Festival RuhrHOCHdeutsch fast alles im Programm hat, worüber in Deutschland gelacht wird. Vom Düsseldorfer Kom(m)ödchen über die Bullemänner, Frank Goosen und Dr. Stratmann, bis hin zur legendären Münchener Lach- und Schießgesellschaft, die ich als junger Mensch damals immer im Fernsehen verfolgen konnte. Schon damals war klar, dass Kabarett nur wirkt, wenn es etabliert ist, wenn unten im Publikum die sitzen, die auf der Bühne kritisiert oder veräppelt werden. Daran hat sich nichts geändert, ob lokal oder national. Dass heute Comedian und Kabarettist in einen Raum gesteckt werden, ist der Vielfalt geschuldet, die überall politisch korrekt ist. Und über die tatsächliche Haltung der Vortragenden kann sich der Zuschauer live ein Bild machen, wenn er dem Zuhören zuneigt.

Gleichzeitig mit der Eröffnung des atmosphärischen Spiegelzeltes wird eine Ausstellung eröffnet: 110 Jahre Kabarett. Gezeigt werden allerdings nur Tafeln aus dem Besitz des Kabarett-Archivs in Mainz aus dem Zeitraum 20er bis 40er Jahre des letzten Jahrhunderts, aus einer Zeit also, wo sich das Kabarett von Tingeltangel bis zum lebensbedrohlichen Bühnenvortrag ausbreitete. Das politische Kabarett war ein Ort des Widerstandes, der subtilen Wahrheitsvermittlung. Diese Zeiten sind Gott sei Dank vorbei – zumindest hier in Alemannia. Heute ist das Lachen kein befreiendes, sondern eher ein Mittel zur Gesundheitsförderung. Also schauen wir die Exponate an und warten auf Fröhlichkeit.

Die Betrachter halten ihr Sektglas zwischen den Fingern, auf der Bühne wird die Schönheit der Stadt Dortmund beschworen, der Veranstalter entpackt ein bei Ebay ersteigertes altes Kofferradio, was die Versammelten mit einem gemeinsamen „Oh“ quittieren. Und später wird mit dem Abendprogramm gewartet, bis die Ratssitzung zu Ende ist, damit die heimische Politik an der gemeinsamen Fröhlichkeit teilnehmen kann. Die Gags brauchen zur Bestätigung von Wirkung öffentlichen Raum und wenn gelacht wird, dann haut man sich vertraulich auf die Schultern.
Wie sagt noch der Vertreter der hiesigen Sparkasse über das Kabarett oder Cabaret (na ja): „Hier und da wird gar politisch argumentiert.“ Da muss man durch.

Zwischen Kabarett und Zeltminiaturen

Es gab schon immer Blödelbarden, überhaupt wunderbare Blödelei. Das braucht der Mensch, sonst verbittert er. Für die ernsteren lustigen Vorgänge war das Kabarett im Keller zuständig, in den alternativen Sälen der Städte. Heute ist die demokratische Gesellschaft lange schon im Konsens darüber, dass der Quatsch, die Comedy und auch das Kabarett zur Grundversorgung gehören und keinerlei ernsthafte Wirkung mehr haben, außer der, weitere Nachahmer zu finden, damit uns das Lachen nicht vergeht. Fast alles ist ja gut und man wird sehen, welche Nuancen die Programme bieten. Wie gesagt – mich stört nur der Sekt und das Gehabe. Aber das ist mein Problem, wenn ich mich den gängigen Ritualen entziehe. Der Kellerraum, in den ich zum Lachen verschwinde, ist mit Plüsch ausgelegt.

U am Zelt

Eine Eröffnung ganz anderer Art wird am Stadtgarten in Dortmund begangen: 100 Zelte – Kunst – unbehaust, eine Aktion u.a. zur Unterstützung von „Bodo“, der Dortmunder Obdachlosenzeitung. Kleine Zelte aller Art bilden unter Mitwirkung und Moderation des Schauspielchefs Kay Voges eine Minizeltstadt und wollen aufmerksam machen. Am Ende werden sie versteigert. Junge Menschen regen sich auf über die Welt, die Gesellschaft, Konsum und drücken dies aus, indem sie die Zelte entsprechend verzieren, bestücken, zerstückeln. Und man erhält Luftballons. Es hat was von Kindergeburtstag und naturgemäß spielt auch eine Band. Jede Aktion, die interveniert und auf Missstände aufmerksam macht, ist besser als keine. Ob man unbedingt von einer Kunstaktion sprechen will, ist Diskussionsstoff. Und auch hier gibt es Sekt, aber aus der Kiste in kleinen Flaschen. Prost. Hier stößt das Schauspielhaus mit seinem Slogan „Stadt ohne Geld“ wieder auf die, die Raum brauchen für Ausdruck und Werk, die jungen Naiven und Haltungssucher und -träger.

Kaputtes Zelt mit Griff

Aber diese Stadt – wie auch die meisten anderen – ist keine ohne Geld, so wie der Staat keiner ist ohne Geld. Ganz im Gegenteil. Zelt Nummer 26 hat mir gefallen. Aus dem Inneren drang eine Stimme in englischer Sprache von John Dunn. Es heißt auf der Hinweistafel: „Das ist ein komplett unorganiertes Daherreden. So mache ich keinen Fortschritt für die Gesellschaft. Ich bringe die Kunst nicht weiter. Ich bringe auch die Forschung nicht weiter. Im Grunde genommen verschwende ich meine Zeit…“

Zeltdorf

(Fotos: Dman)