„Maria Stuart“ und die Lust an der Buße

Von Bernd Berke

Wuppertal. Aus dunklem, augenscheinlich königlich teuren Holz sind die Wände in Maria Stuarts Gefängnis und in den Räumen ihrer Widersacherin, der Königin Elisabeth. Der Vorhang: kostbares violettes Tuch. Die Musik: Streichquartett von Franz Schubert. Durchweg edel eingefaßt wie ein Kleinod, wie ein sorgsam verwahrtes Text-Geschmeide, sieht man in Wuppertal Schillers „Maria Stuart“ – im wahrsten Wortsinn ein Schmuck-Stück.

Adelheid Müthers Inszenierung behandelt die Vorlage äußerst schonend, fast scheu. Rena Liebenow spielt die Elisabeth. Würde oder Herrscherstolz sind bei ihr nur in Ansätzen zu spüren. Auch wird sie gar nicht so sehr von erotischer Frustration umgetrieben, wie dies Text und Aufführungskonvention nahelegen könnten. Nein, eigentlich ist sie – man kann es kaum anders ausdrücken – eine „ganz patente Frau“. Wenn nur die hohe Politik nicht wäre! Auf diesem Felde wird sie zum Opfer ihrer kleinen Unsicherheiten und derer, die diese Schwächen ausnutzen: ihrer Ratgeber bei Hofe.

Elisabeths Gefangene, Maria Stuart (Sabine Schwanz), Konkurrentin in politischer, erotischer und religiöser Hinsicht, wird in dieser Aufführung weitaus mehr stilisiert. Eine religiös Verzückte ist sie, gleich zu Beginn filigrane Fingerbewegungen vollführend wie eine entrückte Prophetin oder Heilsbringerin. Sie wirkt, als sei sie einem alten Gemälde entstiegen, als sei sie längst nicht mehr von dieser Welt. Ihre sinnliche Kraft, ihre Vergangenheit als Verführerin – weit liegt das alles zurück.

Die zentrale Szene, Marias Begegnung mit Elisabeth, ist denn auch vorherbestimmt. Diese Maria hat sich längst innerlich vom Leben gelöst. Wenn sie um Gnade bittet, so fast nur der Form halber. Erst, als sie den Tod vor Augen hat, erglüht sie wieder in Liebe: Angetan mit einem tief dekolletierten roten Kleid schreitet sie in beinahe schon frivoler Büßerinnen-Lust zum Schafott.

Die Inszenierung ist über weite Strecken eher ein Geschehenlassen; weder tritt sie dem Text zu nahe, noch zwängt sie die Darsteller in ein Korsett. Die auf Aktualisierung hindeutende Anspielung im Programmheft, nach der Barschel-Pfeiffer-Affäre verdienten die klassischen Tragödien und Staatsaktionen wieder neues Interesse, ist nur Koketterie.

Grenzen und Beengungen setzt also weniger die Regie, sie liegen hier eher im schauspielerischen Vermögen. Streckenweise erlebt man Aufsagetheater nach altbekanntem Schema: Wer gerade Text hat, tritt vor, spricht, tritt zurück, verharrt still, als habe er/sie nun mit dem Stück nichts mehr zu tun. Die besseren, dichteren Szenen sind daher meist jene, in denen nur eine oder zwei Personen auf der Bühne stehen.

Die Nebenrollen sind in sehr unterschiedlicher Güte besetzt. Die Spannweite reicht von Holger Scharnberg, der mit dem Part des Sekretärs Davison höchst präsent ist, über Publikumsliebling Heinz Voss, der als Shrewsbury einfach bruch- und geheimnislos als der „Gute Mensch von Fotheringhay“ auftritt, bis hin zu Herbert Ecker („Graf von Kent“), der sehr blaß bleibt. Alles in allem war die Ensembleleistung aber passabel.




Konflikte aus der Ferne: Adelheid Müther inszeniert Hebbels „Maria Magdalena“

Von Bernd Berke

Wuppertal. Friedrich Hebbels „Maria Magdalena“ ist weniger ein Schau-Spiel als ein Sprach- und Denkstück, das in der stickigen Enge rigoroser Moral nicht theatralisch bildreich erblüht, sondern in oft doppeldeutigen, ja fast sphinxhaften Redefiguren befangen bleibt, die mehr Gefühle verbergen als erhellen.

Auch der Konflikt – eine „Affäre“ mit Schwangerschaftsfolge, aber ohne Ehe-Absicherung bedeutet unweigerlich den gesellschaftlichen Tod – liegt uns fern. Adelheid Müthers sehenswerte Wuppertaler Inszenierung des (klein)-bürgerlichen Trauerspiels läßt denn auch keine falsche Nähe aufkommen. Am Beginn und am Schluß erklingen kurze Opern-Ausschnitte – ein „Rahmen“, der das Stück wie ein museales Bild einfaßt und „wegrückt“. Auch vor dem Pathos tragischer Tode hütet man sich. Gestorben wird da ganz achtlos und beiläufig; ein oder zwei bewußt überkünstelte Gesten, dann ist es geschehen.

Gleich beim ersten Auftritt des strengen Familienvaters und Tischlermeisters Anton (Gerd Mayen) ist das Verhängnis für seine Tochter, die „Sünderin und Büßerin“ Klara (daher das biblische „Maria Magdalena“), absehbar. Mayen spielt einen alten Patriarchen, der sogleich die Stühle im Haus zu fürchterlich steriler Ordnung zurechtrückt. Mit jeder Bewegung schafft er einen Raum und eine Atmosphäre um sich, als befinde man sich schon im Totenreich. Verbliebene Gefühlsregungen (so, wenn er seine Frau und Tochter eigentlich streicheln möchte) verbietet er sich mit ruckhaftem Zurückweichen. Der kümmerliche Rest von Zärtlichkeit verbindet sich mit seiner Handwerksehre: Liebevoll streicht er über den Holztisch, den er selbst angefertigt hat.

Sabine Schwanz als Klara wirkt gerade nicht hinfällig, devot und bußfertig, sondern bis zum Schluß eher gesund, realistisch und entschlußkräftig. Sie geht in den Tod, weil sie sich das genau überlegt hat, nicht kopflos. Ihr Bruder Karl (herausragend: Holger Scharnberg), der aus dem muffigen Elternhaus ausbrechen will, tritt als Mischung aus frühem Aussteiger und „Penner“ mit Weinflasche und zerknittertem Mantel auf. Uns Zweckrationalisten von heute am nächsten steht jedoch der Verführer „Leonhard“ (Gregor D. Höppner), der sonst oft als ausgemachter Schurke die Bühne betrat, hier jedoch durchaus „vernünftig“ für sein Fortkommen sorgt. Nicht abgründig böse ist er, allenfalls angekränkelt von Karriere-Blässe. Nicht nur hier erreicht die Deutung eine zeitgerechte Dimension, und zwar ohne vordergründig-brachiale Aktualisierung.

Die zum Zuschauerraum hin abschüssige, sparsam möblierte Holzdielen-Bühne (Lilot Hegi), auf der der zeichenhaft angedeutete Hauseingang windschief steht, als sei er allen Elementen schutzlos ausgeliefert, ist die schiefe Ebene, auf der gleichsam das Schicksal sich beschleunigen kann.

Es gab verdienten Beifall für Regie und Ensemble.