Brillante Solistin, beirrtes Orchester: Sol Gabetta und die Sächsische Staatskapelle Dresden im Konzerthaus Dortmund

Sol Gabetta wurde als Tochter französisch-russischer Eltern 1981 im argentinischen Villa María geboren (Foto: Petra Coddington)

Die Maske eiserner Konzentration tragen manche Musiker, sobald sie die Konzertbühne betreten. Ganz auf den Augenblick fokussiert, wirken sie dabei wie Hohepriester ihrer Kunst: ernst, nach innen gekehrt, beinahe streng. Nicht so Sol Gabetta. Sobald die in Argentinien geborene Cellistin die Bühne betritt, erfasst ihre lebensbejahende Ausstrahlung den gesamten Saal. Ihr strahlendes Lächeln spricht, bei aller Professionalität, unverstellt von der Freude am Augenblick und an der Musik.

Mit dieser positiven Energie war sie nach neun Jahren endlich wieder im Konzerthaus Dortmund zu erleben, wo sie erstmals 2008 in der Nachwuchsreihe „Junge Wilde“ auftrat. Wie stark Sol Gabetta seither zu souveränem Format gereift ist, zeigte jetzt ihre Rückkehr mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden unter der Leitung von Daniele Gatti. Sie ist als Interpretin klug genug, das Cellokonzert Nr. 1 des Franzosen Camille Saint-Saëns nicht mit romantischer Emphase aufladen zu wollen, sondern einen objektiveren, mehr auf Geist und Feinheit zielenden Ton anzuschlagen.

Sol Gabetta spielt auf einem Cello von Matteo Goffriller aus dem Jahr 1730. (Foto: Petra Coddington)

Dieser Ansatz kommt dem oft nervös vorwärts drängenden, leuchtend lyrischen und zuweilen vertrackt virtuosen Cellokonzert von Saint-Saëns sehr entgegen. Sol Gabetta setzt ihr Vibrato sparsam ein, lässt Töne zuweilen gar ins Aschfahle erblassen. Aber sie zieht lange sangliche Bögen, ernst und innig, alles Süßliche streng meidend. Energisch packt sie in den kaskadenartig herabstürzenden Triolen des Hauptthemas zu. Aber sie kennt auch Traumverlorenheit, wenn sie das zart hingetupfte Menuett der Streicher mit langen Trillerketten begleitet. Die fingerbrecherischen Tücken im Finale bereiten ihr, der brillanten Virtuosin, offenkundiges Vergnügen. Ins Nachtdunkle lässt sie die „Elegie“ von Gabriel Fauré abgleiten, die sie dem begeisterten Publikum als Zugabe gönnt.

Daniele Gatti interpretierte mit der Staatskapelle die monumentale 5. Sinfonie von Gustav Mahler (Foto: Petra Coddington)

Zwiespältig fällt die Bilanz für die Sächsische Staatskapelle Dresden aus, die nach der Pause Gustav Mahlers 5. Sinfonie spielt. Unter der Leitung von Daniele Gatti nimmt der Edelklang des Orchesters zuweilen überraschend imperiale Züge an. Von Zerknirschung, gar von einem „glühend Messer“ ist im Kopfsatz wenig zu spüren: Gattis Mahler ist feierlich groß, oft schönheitstrunken, aber auch unter Dauerspannung, weil der Dirigent zuweilen eigenwillig mit den Tempi verfährt.

Natürlich bewährt sich die Staatskapelle als das tönende Wunderhorn, das Mahlers komplexe Welt – wie manche Karikatur es trefflich darstellt – eindrucksvoll heraus posaunt. Selbstredend ist an der hohen Qualität der Instrumentengruppen nicht zu zweifeln. Indessen lässt ein zu früh ertönender Beckenschlag im zweiten Satz aufhorchen. Er kündet von Irritationen zwischen Dirigent und Orchester, die sich im weiteren Verlauf dieser Monstremusik steigern.

Gatti nimmt das berühmte Adagietto, das leider viel zu oft verkitscht wurde, in so zügigem Tempo, dass niemand in Versuchung geraten kann, in Sentiment zu baden. Im Gestrüpp des gewaltigen Scherzo, vor allem aber im Finalsatz kommt es dann jedoch zu mancher Konfusion. In den polyphonen Verdichtungen nimmt das Chaos auf eine Weise überhand, die deutlich anzeigt, dass hier mehr schwankt als nur das Tempo. Dass etwas insgesamt nicht mehr rund läuft. Die traditionsreiche Staatskapelle hinterlässt, im doppelten Wortsinn, an diesem Abend keinen durchweg glücklichen Eindruck.

(Der Beitrag ist in ähnlicher Form zuerst im Westfälischen Anzeiger erschienen.)




Der Einzelne und die Gewalten: Gubaidulina und Bruckner unter Thielemann in Köln

Christian Thielemann am Pult der Dresdner Staatskapelle. Foto: Matthias Creutziger

Christian Thielemann am Pult der Dresdner Staatskapelle. Foto: Matthias Creutziger

Ein Orchester mit traditionsreichem, golden fülligem Klang, ein Dirigent mit einem Faible für die deutsche Romantik und ein Komponist, der wie kein zweiter für das Abendleuchten der ungebrochenen Tonalität und für einen Höhepunkt der Symphonik steht: Die Sächsische Staatskapelle Dresden, Christian Thielemann und Anton Bruckner – diese Verbindung muss einfach funktionieren. Und das tut sie auch: Das Konzert in der Kölner Philharmonie, das heute (10. September) zur Saisoneröffnung im Konzerthaus Dortmund wiederholt wird, ließ die drei vollendeten Sätze von Bruckners Neunter in vollendeter Meisterschaft erklingen.

Solche Höhepunkte sind selten – und dennoch entfachte nicht Bruckners monumentaler Abschied von der Welt das innere Brennen dieses Abends. Sondern Sofia Gubaidulinas tief bewegendes Zweites Violinkonzert „in tempus praesens“ („in der gegenwärtigen Zeit“), gespielt von Gidon Kremer, einem langjährigen Weggefährten der tatarischen Komponistin, die 1992 in die Bundesrepublik ausgewandert ist. Ein Werk, das Anne-Sophie Mutter gewidmet und auch von ihr 2007 uraufgeführt worden ist. Kremer hatte Gubaidulina stets ermuntert und auch ihr erstes Violinkonzert „Offertorium“ 1981 uraufgeführt – damals ein Paukenschlag, der die bescheidene, tiefreligiöse Frau aus dem Osten von jetzt auf nachher bekannt gemacht hat.

Sicher gibt es im Zweiten Violinkonzert, in dem Gubaidulina nach einem Verhältnis von Solist und Orchester jenseits der Tradition sucht, den Aspekt der Konfrontation des Einzelnen mit dem Gesamten. Mag sein, dass es um das Individuum und die Gesellschaft – oder, wie man bei Schostakowitsch interpretiert – um die Macht des Staates geht. Vor dem christlichen Hintergrund der Komponistin lässt sich dieses Verhältnis aber auch religiös deuten: Der Mensch sucht sein Verhältnis zu den „Mächten und Gewalten“, jenen göttlichen Kräften, die nicht mit Gott selbst zu identifizieren sind, die aber Weg und Schicksal des Einzelnen begleiten. So wirkt das Orchester: kommentierend, begleitend, dominierend, erschreckend gewaltig herausfordernd oder sanft tragend. Die Geige kommuniziert mit diesen klanglichen Manifestationen, gibt ihnen Themen vor, erschrickt vor ihren Reaktionen, flieht oder kämpft. Und entschwebt am Ende in einem einsamen Ton.

Christian Thielemann und Gidon Kremer in der Kölner Philharmonie. Foto: Matthias Creutziger

Christian Thielemann und Gidon Kremer in der Kölner Philharmonie. Foto: Matthias Creutziger

Gidon Kremer beschönigt nichts. Keine saftigen Klangergüsse, keine schmelzende Süße, keine melodramatischen Sonorität. Das steckt alles drin in Gubaidulinas Noten – Anne-Sophie Mutter hat es in ihrer Aufnahme prächtig ausgebreitet. Kremer geht einen anderen Weg: den des herben, ernst gesammelten Tons, den der expressiven Reduktion des Klangs, den einer spröden, endlos differenzierten Artikulation. Und die Dresdner reagieren unter dem zurückhaltend schlagenden Christian Thielemann mit einer wundervollen Aura ebenso differenzierter Klanggebilde: von der geräuschhaften, perkussiven Grelle zur gespenstisch anmutenden Verschleierung, vom runden, leuchtenden Tutti zur fragilen Balance miniaturisierter Gesten, von massiver Gewalt zu schillernder Transparenz. Am Ende: Ergriffenheit. Das Publikum ist nicht in der Stimmung für Jubel oder Enthusiasmus.

Die dynamische und klangliche Flexibilität der Dresdner, der souveräne Blick der Musiker auf die Noten und ihr Gehör füreinander garantieren einen Bruckner von außerordentlicher Klasse. Das Orchester ist mit der Sprache des frommen Mannes aus Ansfelden wohl vertraut; Christian Thielemann hat mit der Staatskapelle bereits einen Bruckner-Zyklus absolviert. Der Star so mancher Konservativer befleißigt sich jedoch nicht, Bruckner als orgelblockschichtenden Pathetiker zu präsentieren. Er hält die Zügel lange, lässt die Musiker frei agieren, sorgt so für einen gelösten Ton und lockere Metrik – manchmal freilich auch für nicht ganz passgenaue Einsätze, für die Thielemann dann doch die Hand heben sollte.

An den Stellen, die ihm wichtig sind, beschwört er seine Musiker mit gestrecktem Zeigefinger, mit Dynamik- und Phrasierungshinweisen der Hand. Vor allem lässt er nicht durchgehen, was einige Tage zuvor Christoph Eschenbach in Essen zu wenig beachtet hat: Thielemann baut die Dynamik der Entwicklung überlegt auf. Seine Violinen nehmen sich zurück, pflegen einen sanft leuchtenden, fast zerbrechlichen Ton mit leicht geführtem Bogen – und die Kontrabassgruppe zeigt sich homogen und intonationssicher wie in kaum einem anderen Orchester. Im richtigen Moment sind die Streicher dann mit ihrem goldleuchtenden Klang präsent. Wenn dann im ersten Satz das Thema im Blech apotheotisch auffährt, ist ein wirklicher Höhepunkt erreicht.

Thielemann entwickelt solche Gipfelpunkte mit Energie und Spannung, fängt aber das Abebben danach auf, führt die berüchtigten Bruckner’schen Neuansätze weiter, ohne den Faden zu kappen. So stellt er die Zusammenhänge her. Dass ihm, dem passionierten Wagner-Dirigenten, die erhabenen Momente wie der Beginn des Adagios besonders am Herzen liegen, ist hörbar. Aber Thielemann behandelt sie – anders etwa als früher bei Beethoven – nicht isoliert als wichtige „Stellen“, sondern sieht sie stets in ihrer Rolle im großen Ganzen. Ein Abend, der den Anspruch des Orchesters unterstreicht, unter die weltweit führenden Klangkörper zu zählen.