Der Drang zum Mittelpunkt der Welt – Kölner Museum Ludwig lässt den Mythos Dalí wieder aufleben

Von Bernd Berke

Köln. Nicht nur als Künstler, sondern auch mit Behauptungen war Salvador Dalí ziemlich verwegen. So hat er den Bahnhof im südfranzösischen Provinzort Perpignan zum „Mittelpunkt der Welt“ erklärt. Wie kam er zu der tollkühnen These?

Nun, vor allem, weil einst (in den späten 1940er Jahren) seine eigenen Gemälde hier verladen werden mussten, um etwa nach Paris und in die USA zu gelangen. Überdies recherchierte der dem produktiven Wahn zugeneigte Spanier. dass in der Antike Hannibal hier gewesen sein musste (nicht am Bahnhof, wohlgemerkt, aber in der Nähe des späteren Perpignan). Und die afrikanische Erdplatte stoße just in dieser Weltkante auf die europäische. Wenn das keine Gründe sind!

„Der Bahnhof von Perpignan“ als Kristallisationspunkt

Jetzt kreist eine ganze Ausstellung im Kölner Museum Ludwig um Dalís monumentales Werk „La Gare de Perpignan“ („Der Bahnhof von Perpignan“, 1965). Während seine Frau Gala die Bilder dort zum Zug brachte, saß er im Empfangsgebäude und halluzinierte. Anfang der 60er Jahre, als er ein einschlägiges Manuskript unverhofft wiedergefunden hatte, überflutete die Erinnerung den Künstler und trieb ihn zur Leinwand. Es entstand das kreuzförmig strahlende, quasi-religiösen Anspruch erhebende Gemälde.

Die Motive sind ein Gemisch seines Lebens. Der Bahnhof selbst ist gar nicht zu sehen, wohl aber einige Phantasien, die Dali dort ausbrütete: Gala als geheimnisvolle Rückenfigur, er selbst als Gekreuzigter, ein rasender Güterwaggon mit Heimatbahnhof Perpignan. Hinzu kommen die Gestalten aus Jean-François Millets Gemälde „Angelus / Das Abendläuten“ (1858). Dieses Bildnis eines frommen Bauernpaares, das nach getaner Arbeit am Ackersrande betet, galt als christliche „Ikone“ des 19. Jahrhunderts und war in Reproduktionen millionenfach verbreitet. Mit seinem Bahnhofs-Bild legte es Dalí darauf an, die Wirkung Millets erotisch aufzuladen und noch zu übertrumpfen. Man muss solche imperatorischen Gesten nicht mögen. Aber sie sorgen für Dynamik in der Kunst.

Bombastische Selbstinszenierungen

All diese Aspekte fächert die Kölner Schau auf, sie geht Einflusslinien und biographischen Hintergründen nach. Deshalb umfasst sie neben 34 Ölgemälden und rund 30 Zeichnungen auch zahlreiche Dokumente und Fotografien. Sie bezeugen, wie bombastisch sich Dalí selbst inszeniert hat. So zelebrierte er 1965 eine triumphale Reise just nach Perpignan, begleitet von einem geradezu königlichen Hofstaat aus Bewunderern und versehen mit Insignien (operettenhafter) Macht. Man erfährt nichts grundlegend Neues über Dali, aber man spürt seinen Mythos noch einmal in konzentrierter Form.

Im Schaffensrausch zwischen seinem Geburtsort Figueres und Cadaqués erscheint er auch als „Heimatmaler“, wie der Kunstkritiker Laszlo Glozer einprägsam bemerkt hat. Auf allen Bildern, und seien sie noch so surreal, leuchtet das Licht dieser spanischen Gegend. Auch schroffe Felsen und endlos weite Ebenen hat Dali der wirklichen Landschaft abgeschaut. Dass sich dort übernatürliche Phänomene ausbreiten, ist in der offenkundig flirrenden Hitze gar nicht mal so verwunderlich. Das Obszöne und der Tod sind gleichfalls stets in Reichweite.

Auch der religiöse Drang, der Dalí nach dem Zweiten antrieb und sich aus katholischem Mystizismus speiste, wird sichtbar. Da erscheint die geliebte Gala 1950 als schwebende Madonnenfigur. Besonders inniger Glaube oder Blasphemie? Mit der Zeit geriet jedenfalls der ursprünglich so vitale Wahnwitz (Dalí nannte es seine „paranoisch-kritische Methode“) zum beruhigten »Klassizismus“ mit glatten, polierten Oberflächen und Koketterien an der Kitschgrenze. Daran konnte die Pop-Art anknüpfen.

Museum Ludwig. Köln (am Hauptbahnhof). Bis25. Juni. Di-So 10-18. jeden 1. Freitag im Monat 10-22 Uhr. Eintritt 7,50, Katalog 37 Euro.

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ZUR PERSON

Professoren beleidigt

  • 1904 Dalí wird am 11. Mai in Figueres (Katalonien) geboren.
  • 1923/24 Haftstrafe als „Rädelsführer“ eines Studenten-Protestes.
  • 1926 Wegen Beleidigung der Professoren muss Dalí die Kunstakademie verlassen.
  • 1929 Erste Begegnung mit seiner späteren „Muse“ und Ehefrau Gala, die damals noch mit dem Dichter Paul Eluard verheiratet ist.
  • 1934 Polit-Konflikt mit dem kommunistisch orientierten Surrealisten André Breton.
  • 1938 Treffen mit Sigmund Freud in London.
  • 1940-48 Exil in USA.
  • 1956 Privataudienz beim Diktator Franco.
  • 1989 Am 23. Januar stirbt Dalí in Figueres.



Malen am Abgrund der Seele – Zum Tod von Salvador Dalí

Ich selbst weiß nicht, was meine Bilder bedeuten“, soll er einmal bekannt haben. Und in Anspielung auf seine exzentrischen Eskapaden:„Gäbe es 200 Dalís, wäre das Leben auf der Erde unmöglich.“ Salvador Dali, am 11. Mai 1904 in Figueras bei Barcelona geboren, eine der Leitfiguren des Surrealismus, ist tot.

Er war so bekannt wie unter den Malern dieses Jahrhunderts allenfalls noch sein Landsmann Pablo Picasso. Das Inventar seiner Bilder – brennende Giraffen, zerfließende Uhren, endlos weite Sandflächen, Menschen mit bizarren Krücken und Schubladen im Körper – ist visuelles Allgemeingut geworden; genau wie sein Erkennungszeichen, die „Antennen zum Außerirdischen“ (Dalí), also die hochgezwirbelten Schnurrbartspitzen.

Seine Person beschäftigte Befürworter und Gegner meist mehr als seine Kunst. Ob der Mann nicht eher ins „Irrenhaus“ als in die Kunstgeschichtegehöre, darüber haben Generationen von Dalí-Deutern gerätselt. Dalí selbst, alles andere als von Bescheidenheit angekränkelt, bezeichnete sich selbst als genialen Schöpfer der „kritisch-paranoiden“ Methode, die – sei es Simulation, sei es durch echte Veranlagung – ihre Bildwelten aus dem krankhaft verformten Unbewußten zutage fördere. Natürlich griff auch er auf Vorbilder zurück: Die Lektüre der „Traumdeutung“ von Sigmund Freud gab entscheidende Impulse, Gemälde von Velazquez und Vermeer legten Motive nahe, Böcklins „Toteninsel“ oder das Werk de Chiricos wiesenWege zur optischen Umsetzung der Wahn- und Traumgebilde.

Dalí fand, nach futuristischen und kubistischen „Tastversuchen“, in den späten 1920er Jahren zu einer bis dahin unbekannten, bewußt schockierenden Bildsprache der Halluzinationen. Kernstück der mit bemerkenswert „akademischer“, an Klassikern orientierter Meisterschaft gemalten Bilder: Abgründe zwischen Erotik und Verwesung.

Fast alle Anekdoten über Dalí beziehen sich auf haarsträubende Exzesse. Daß er mit 20 Jahren achtkantig von der Kunstakademie Madrid „flog“, weil er seine Prüfer als Dummköpfe beschimpfte, ist ein vergleichsweise harmloser Schwank. Was Wunder, daß er im sensationsversessenen New York der 30er Jahre – noch mehr als zuvor in Paris – Furore machte.

Ein Kapitel für sich waren Dalís äußerst fragwürdige politische „Ansichten“. Die letzten Sympathien in der Gruppe der (mehrheitlich kommunistisch orientierten) Surrealisten um André Breton verscherzte sich der Aristokraten-Freund durch seine Begeisterung für einen Schlachtenmaler und Bemerkungen wie die, daß er Eisenbahnunglücke herrlich finde, sofern die 1. Klasse nicht betroffen sei. Später befürwortete er nachdrücklich die Franco-Diktatur. Auch langjährige Freunde, wie der 1983 gestorbene Filmregisseur Luis Buñuel, fanden derlei Zynismus unverzeihlich.

Sein Werk ist – nicht immer ohne Duldung oder Zutun des Meisters – beispiellos ausgeschlachtet worden. Fälscher und sonstige Nachahmer traten auf den Plan, und Dalí ließ es zu, daß in immensen Auflagen seine „Original“-Graphik verramscht wurde.

In den letzten Jahren war es stiller um ihn geworden. Seine vergötterte Frau „Gala“, die ihn nach eigenem Bekunden vor dem endgültigen Abgleiten in den Wahnsinn rettete, starb 1982. Der todkranke Dalí zog sich schon vor Jahren von aller Welt auf Schloß Pubol an der Costa Brava zurück.

                                                                                                                            Bernd Berke




Spaniens Klassische Moderne – Druckgraphik im Ostwall-Museum

Von Bernd Berke

Dortmund. Frauengestalten feiern frenetische Feste, eine Stierkampfszene wird zur grazilen Tanzfigur; Kröte, Hummer oder Ziegenschädel ergeben frappierend plastisch wirkende Stilleben-Kompositionen – kein Zweifel, das ist die Bildwelt Pablo Picassos. Sie steht jetzt im Mittelpunkt einer Ausstellung des Dortmunder Ostwall-Museums (bis l. August, kein Katalog), die sich der Druckgraphik aus Spaniens „Klassischer Moderne“ widmet und aus lang nicht mehr gezeigtem Eigenbesitz bestritten wird.

Die Blätter von Picasso, Dalí, Miró und Juan Gris wurden in den 50er und frühen 60er Jahren dem berühmten Kunsthandler Daniel Hanry Kahnweiler abgekauft. Seither ist ihr Marktwert schwindelerregend gestiegen.

In der Eingangshalle sieht man 23 Graphiken von Picasso – Demonstration der außerordeutlichen Vielfalt von Techniken, mit denen der Künstler in den 50er Jahren operierte. Dieser Vielfalt entspricht die Unterschiedlichkeit der Quellen, aus denen Picasso zitierend schöpft.

Im ersten Stock folgen eine Serie kubistischer Buchillustrationen von Juan Gris, sowie Arbeiten aus Salvador Dalís nachsurrealistischem Schaffen – fast „barock“ gestaltet, aber mit hintergründigen Einsprengseln von Traumgeheimnis. Beispiele für Joan Mirós scheinbar simple und naive Darstellungsart (darunter das in seiner archaischen Gewaltsamkeit erschütternde Pastellbild „Ehebruch“ von 1928) setzen den Schlußakzent.

Wiewohl in der Summe nicht eben üppig geraten, bietet die Ausstellung doch eine Reihe hinlänglich interessanter Anschauungsstücke abseits vom Hauptwerk der spanischen Meister.