Zwei Brüder in wachsender Wut – Sam Shepards „Goldener Westen“ bei den Ruhrfestspielen

Recklinghausen. Sam Shepards Stück „Goldener Westen“ verpflanzt sozusagen die verfeindeten biblischen Brüder Kain und Abel in den „Wilden Westen“. Das passt schon recht gut zum Amerika-Schwerpunkt der Ruhrfestspiele. Also Hat sich Intendant Frank Hoffmann den Text vorgeknöpft.

Eigentlich könnten die Geschwister Austin (Drehbuchautor) und Lee (wildes Leben als kleinkrimineller Tramp) ihre Talente vereinen und gemeinsam Geschichten aushecken. Womöglich war’s ja großes Kino!

Statt dessen wächst ihre Wut und staut sich gefährlich. Sie versuchen einander zu übertrumpfen, doch ihre konkurrierenden Lebenslinien führen gleichermaßen ins leere Chaos. Auch ein allmählicher Rollentausch (Austin säuft und klaut, Lee lernt mühsam schreiben) ist nur betrüblich. Und der alte amerikanische Traum von Freiheit in grenzenloser Weite erweist sich bei all dem als was? Natürlich als brüchig. Über die Küche im Haus ihrer (nach Alaska verreisten) Mutter kommen die beiden traurigen Gestalten im Stück nicht hinaus.

Das Drama ist 1979 entstanden. Regisseur Hoffmann will es jedoch auf die neuere Stimmung im Westen trimmen, die seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 herrscht. Wohl deshalb hört man es anfangs im Dunkeln apokalyptisch rumoren. Auch werden einige Requisiten zu vagen Vorzeichen der inzwischen längst eingetretenen Zukunft umgemodelt. Ein Fernsehgerät erweist sich beispielsweise als Computerbildschirm. Aha.

Aber sonst? Ist fast alles beim alten geblieben. In braver Texttreue lässt Hoffmann die Handlung abschnurren, ohne ihr gegenwärtige Dringlichkeit abzugewinnen. Happen fürs Publikum: hie und da etwas Slapstick als Beigabe.

Dennoch brodelt es in der Inszenierung, denn der Deutsch-Türke Oktay Özdemir (Filmerfolg „Knallhart“) gibt den rüden Lee sturzvital: mal ruhelos, mal betont lässig, aber stets auf dem Sprung. Er verkörpert die Rolle, als wolle er nicht so bald wieder etwas anderes spielen. Seine heiseren Ausbrüche klingen zuweilen nach deutschen Problemvierteln, sie könnten sofort in rhythmischen Rap-Gesang münden. Da wähnt man sich unversehens doch näher an heutigen Zuständen. Austin-Darsteller Eralp Uzun hat jedenfalls seine liebe Not, da mitzuhalten.

Termine: 29., 30., 31. Mai. Kleines Theater im Festspielhaus Recklinghausen. Karten: 02361/9218-0.

(Der Beitrag stand am 29. Mai 2008 in der „Westfälischen Rundschau“, Dortmund)




Untertauchen in der Weite – Wim Wenders‘ Meisterwerk „Don’t Come Knocking“

Von Bernd Berke

Die grandiosen Landschaften von Utah, Nevada und Montana. Das helle klare Licht mit harten Schlagschatten, wie einst auf Gemälden des famosen Edward Hopper. Das alles ruft nach Breitwandkino. Und also geschah es: Wim Wenders hat das Rufen erhört und den Film „Don’t Come Knocking“ gedreht.

Die Szenen sind vollgesogen mit dem Geist der jeweiligen Orte, mehr „Herzland‘ von Amerika war im deutschen Kino nie. In den beredten Bildern kann man sich umschauen wie in einer wirklichen Gegend. Ein visuelles Meisterwerk, ganz groß gesehen. Wenn dazu noch die erdige Musik von T-Bone Burnett erklingt, so ist man bereits hin und weg.

Doch der Film entfaltet auch noch starke Charaktere – allen voran jener verwitterte Western-Star Howard Spence (von echtem Schrot und Korn, sein Gesicht eine Landschaft für sich: Sam Shepard), der eines Tages mit unbekanntem Ziel den Drehort verlässt. Schluss mit ,Jesse James“ und allen Cowboys, denn die Zeit solcher Mythen ist wohl leider vorbei.

„Don’t Come Knocking!“ (Wagt es nicht anzuklopfen) hatte am Filmset schon das Schild auf Howards Wohnwagen gedroht. Der Mann ist den ganzen Rummel leid, er will allein sein, ziellos unterwegs. Nun zerstört er seine Kreditkarten, tauscht seine Kleidung und taucht in den endlosen Weiten des Landes unter. Produzenten und Versicherer des teuren Films schicken den „Kopfgeldjäger“ Sutter (cooler feiner Pinkel: Tim Roth) hinterher, der Spence wieder einfangen soll.

Situationen von biblischer Prägnanz

In seinem Roadmovie mit starken Western-Anklängen beschwört Wenders fortan archaische Situationen von nahezu biblischer Prägnanz; ganz so, als wolle er das Mythische gegen eine verdorbene Zivilisation aufbieten.

Bei seiner alten Mutter findet Howard, der seit fast 30 Jahren nichts mehr von sich hat hören lassen, ersten Unterschlupf. Doch dieses Elko/Nevada ist eine trostlose Stadt. In einer langen, fulminanten Sequenz taumelt Howard durch die irrsinnig glitzernde Kommerzhölle des örtlichen Spielcasinos – bis zum alkoholischen Absturz. eine grundlegende Verzweiflung hat diesen einst wohl so stolzen Mann befallen.

Die Mutter (Eva Marie Saint) bringt ihn auf eine Spur: Vor etwa 25 Jahren habe eine Frau für Howard angerufen und behauptet, sie habe ein Kind von ihm. Jetzt erst erfährt er es. Anfangs reagiert er ungläubig, dann dämmert ihm etwas. Und er wird von brennender Hoffnung auf Wiederkehr ergriffen. Er ahnt, dass er damals alles verfehlt hat: die Liebe seines Lebens, Familie, Heimat und Bleibe. All die verlorene Zeit seither, das ganze verfluchte Dasein mit Drogen, wahllosem Sex und Suff – das tut weh.

Noch 52 Meilen bis zur Weisheit

Also auf in die seltsam leeren Straßen von Butte/Montana. Doch, ach! Howard spürt zwar die alte Liebe Doreen (Jessica Lange) wieder auf, doch die duldet seine Anwesenheit eher spöttisch. Als er gar wieder anknüpfen will, liest sie ihm die Leviten: Sich für Jahrzehnte aus dem Staub machen und dann so tun, als sei nichts gewesen…

Hinzu kommt die Geschichte vom „Verlorenen Sohn“: Earl, den Howard damals gezeugt hat, verdingt sich als Rockmusiker, droht ebenso haltlos zu werden wie sein Erzeuger. Berserkerhaft wehrt er sich gegen die späte Rückkehr des Vaters. Gegenfigur mit sprechendem Namen: die ätherische, scheue Sky („Himmel“ also, gespielt von der zarten Sarah Polley). Howard hat einst auch sie in die Weltgesetzt und im Stich gelassen. Doch sie hat ihm zutiefst verziehen. Eine jener engelhaften Gestalten, wie sie sonst nur noch bei Lars von Trier vorkommen.

Besagter Detektiv findet Howard, der zurück an den Drehort muss. Keine dauerhafte Ankunft also, er bleibt ein Verlierer. Und doch hat sich manches gewandelt. Allen, die von seiner traurigen Geschichte berührt worden sind, scheint am Ende ein bewussteres Leben zu leuchten.

Schlussbild: Der Ortsname „Wisdom“ steht auf einem Straßenschild. Nur noch 52 Meilen bis zur Weisheit…

 

 

 

 

 

schichte vom „Verlorenen ward durch die irrsinnig glit- Sohn//: Earl, den Howard dazemde Kommerzhölle des mals gezeugt hat, verdingt örtlichen Spielcasinos – bis sich als Rockmusiker, droht zum alkoholischen Absturz, ebenso haltlos zu werden wie Eine gmndlegende Verzweif- sein Erzeuger. Berserkerhaft lung hat diesen einst wohl so wehrt er sich gegen die späte stolzen Mann befallen. Rückkehr des Vaters. GegenfiDie Mutter (Eva Marie gur mit sprechendem Namen:

Saint) bringt ihn auf eine die ätherische, scheue Sky Spur: Vor etwa 25 Jahren habe („ Himmelft also, gespielt von eüae Frau für Howard angeru- der zarten Sarah Polley). Hofen und behauptet, sie habe ward hat einst auch sie in die ein Kind von ihm. Jetzt erst Welt gesetzt und im 5SOr^-‚ erfaßt er es. Anfangs reagiert lassen. Doch sie hat ihm zuer ungläubig, dann dämmert tiefst verziehen. Eine jener enihm etwas. Und er wird von gelhaften Gestalten, wie sie brennender Hoffnung auf sonst nur noch bei Lars von Wiederkehr ergriffen. Er ahnt, Trier vorkommen. dass er damals alles verfehlt hat: die Liebe seines Lebens, ,, , ^.^ .« .,

Familie, Heimat und Bleibe.

All die verlorene Zeit seither, hie 7l ir Wpi<:hpi-i das ~ganze~verfluchte Dasein mit Drogen, wahllosem Sex und Suff – das tut weh. Besagter Detektiv findet Also auf in die seltsam lee- Howard. der zurück an den ren Straßen von Butte/Mon- Drehort muss. Keine dauertana. Doch, ach! Howard hafte Ankunft also, er bleibt spürt zwar die alte Liebe Do- ein Verlierer. Und doch hat reen (Jessica Lange) wieder sich manches gewandelt. Alauf, doch die duldet seine An- len, die von seiner traurigen Wesenheit eher spöttisch. Als Geschichte berührt worden er gar wieder anknüpfen will, sind, scheint am EAc^än beliest sie ihm die Leviten: Sich wussteres Leben zu’i^tf^hteft. für Jahrzehnte aus dem Staub Schlussbild: Der -Ortsname machen und dann so tun, als „Wisdom“ steht aüf^ein^m sei nichts gewesen … Straßenschild. Nur’^ioth-52 Hinzu kommt die Ge- Meilen bis zur Weisheit.‘?;




Ein Traum beim Rauschen des Meeres – Jürgen Kruse inszeniert „True Dylan“ von Sam Shepard

Von Bernd Berke

Bochum. Wer in seinem Seelenhaushalt die musikalische Populärkultur der 60er Jahre hegt, sollte gespannt sein auf dieses Stück: „True Dylan“ von Sam Shepard handelt von den unvergänglichen Mythen jener Jahre.

Der US-Dramatiker Shepard, auch als Schauspieler („Homo Faber“) und Drehbuchautor („Paris, Texas“) geadelt, hat 1975 Bob Dylans „Rolling Thunder“-Tournee eingehend begleitet – für ein Filmprojekt, das nie realisiert wurde. Doch Dylans Aura ließ Shepard nicht ruhen: 1987 erschien sein Text „True Dylan“ (Der wahre Dylan) als vermeintliches Interview in der Zeitschrift „Esquire“. Doch der Dialog war eine fürs Theater zugerichtete Zwiesprachen-Phantasie mitsamt Regieanweisungen.

Klar, dass Jürgen Kruse bei der deutschsprachigen Erstaufführung im Bochumer „Theater unter Tage“ Regie führen musste. So viele Stücke hat er schon mit seinem erlesenen Rockmusik-Geschmack durchsetzt, dass er als bester Plattenaufleger der Bühnenwelt gelten kann. Von den Zeiten, als Rundfunk-DJs die Scheiben noch nach Gusto statt nach öder Hitparaden-Vorgabe spielten, schwärmen im Stück Sam und Bob, unschwer als theatralische Wiedergänger von Shepard und Dylan zu erkennen.

Am Strand von Kalifornien rückt Sam (Patrick Heyn), grotesk gerüstet mit allerlei Schreibstiften, Recorder und Mikro, zum Interview an. Bob (auch als Gitarrist okay: Lucas Gregorowicz) antwortet meist wortkarg und mit sanftmütiger Coolness. Natürlich geht’s vorderhand um Musik, doch auch um Engel, Frauen, Träume, das allzu kurze Leben des tödlich verunglückten James Dean. Mithin geht’s – in schöner Beiläufigkeit und Lässigkeit – um alles.

Mythen der Popmusik werden umkreist, bejaht, bezweifelt, angehäuft

Doch warum viele Worte machen, das Nennenswerte ist in gewissen Liedern gültig aufbewahrt: Am liebsten greift sich Bochums Bob also eine der zahlreichen Gitarren auf der Bühne und sucht die hinter den Mythen-Masken verborgenen wahren Empfindungen mit Songs auszudrücken. Bereitwillig macht sich die Inszenierung ein Shepard-Zitat zu eigen, das besagte, eine einzige Tonfolge wecke schneller die Emotionen als etliche Theaterszenen. Dementiert und demontiert sich hier die Bühnenkunst selbst?

Und was geschieht hier eigentlich: Werden die Mythen umkreist, bejaht, gerettet, bezweifelt oder in splitterhaften Reminiszenzen angehäuft? Von allem etwas. Und das Ganze wirkt wie ein Traum beim Rauschen des Meeres. Tief verstricken sich Kruse und die Darsteller ins etwas selbstgenügsame „name dropping“ aus der Folk- und Rockszene – ganz so, als gebe es keinen Ausgang mehr aus diesem mythensatten Pop-Universum.

Auch das Strand-Bühnenbild (Volker Hintermeier) ist pures Zitat, es folgt exakt dem LP-Cover von Neil Youngs „On the Beach“. Dem Text hat Kruse Assoziationsketten beigegeben, die unbekümmert mit dem reichlichen Inventar der Popkultur jonglieren. Weitere Zutat: Stumm lächelnd umkreisen Mädchen-Gestalten die Szenerie. Es könnten Groupies sein, doch auch engelhafte Jungfrauen, vielleicht gar sanfte Todes-Botinnen.

Wie fühlt man sich nach all dem? Gleichermaßen ratlos und inspiriert. Man möchte die ganze Nacht Musik hören. Doch was bleibt, wenn man daraus erwacht?

(Termine: 3., 7„ 8. Dez. Karten: 0234/3333-111)




„Homo faber“ als Film – Postkarten-Idylle, jäh vergiftet

Von Bernd Berke

Max Frischs Roman „Homo faber“ (1957) handelt von einem Ingenieur, der fest an den Segen der Technik glaubt. Über deren angeblich verläßliche Rationalität hinaus sucht dieser Walter Faber nichts – keine Kunst, keine Mythen, keine Träume.

Doch dann packt ihn das Schicksal: Zunächst in Form technischer Pannen, dann mit Urgewalt wie in altgriechischen Drama zieht ihn der große Herrscher Zufall ins Chaos. Dieser Stoff hat Volker Schlöndorff gereizt, der schon einmal einen wichtigen Roman der 50er Jahre (Günter Grass‘ „Blechtrommel“) verfilmt hat.

Als solle man zeitlich vollends in die 50er Jahre zurückversetzt werden, beginnt der Film mit einer Schwarzweiß-Sequenz, die sich dann aber „einfärbt“; leider, möchte man seufzen, denn: In aller Welt, durch die der rastlose Faber jettet, entdeckt die Kamera jetzt Postkarten-Klischees und Folklore. Buntes Gewimmel in Mexiko, „typische Lokale“ in Italien und Griechenland sowie herrliche Geheimtip-Hotels am Wegesrand. In Paris ragt im Hintergrund der Eiffelturm auf, in Athen erhebt sich die Akropolis, damit wir bloß wissen, wo wir uns befinden. Dazu erklingen von der Tonspur meist melancholische, etwas abgegriffene Piano-Töne. Gebrochen wird diese stets leicht süßliche Perspektive aber einige Male durch bewußt unscharfe, verwackelte Handkamera-Aufnahmen.

Im weitläufigen Ambiente erzählt der Film zunächst eine geradezu paradiesische Liebesgeschichte, eine Idylle ohne jegliches Mißverständnis. Faber trifft auf einem Ozeandampfer zwischen New York und Paris die blutjunge, kunstversessene Elisabeth (Julie Delpy), die er liebe- und ahnungsvoll „Sabeth“ nennt und mit der er eine Reise durch Europas Süden bis nach Griechenland unternimmt. Es ist — ohne jede Ironie — wirklich wundervoll, diesem Idealpaar zuzusehen. Ein Traum, den man gern mitträumt.

Doch Sabeth – antike Tragik in Athen — ist in Wahrheit Fabers Tochter aus einer Verbindung mit einer Jüdin im Deutschland der 30er Jahre. Angesichts dieser Enthüllung scheint es nun nachträglich so, als habe Schlöndorff die ganze Idylle vorher nur aufgebaut, um sie desto nachhaltiger zu vergiften, und dies sogar buchstäblich: Am Umschlagpunkt der Geschichte sieht man einen Sonnenuntergang wie aus dem Bilderbuch: im selben Moment wird Sabeth von einer Giftschlange gebissen. Unschwer erkennt man das biblische Motiv: Schlange und Vertreibung aus dem Paradies.

Im Film wird auf die Stimme eines Ich-Erzählers verzichtet, die Reflexionen aus dem Roman wiedergeben könnte. Die Figuren denken hier also wenig nach, sie sind einfach da. Folglich überwiegt bei weitem die bloße Love-Story, der Konflikt zwischen Technik und Mythos kommt fast nur noch als Anekdote vor. In diesem Sinne ist Sam Shepard übrigens genau der richtige Hauptdarsteller. Sein Faber stammt nie und nimmer – wie in der Buchvorlage – aus der biederen Schweiz, sondern ist eben durch und durch Amerikaner. Er ist auch nicht nach europäischer Art kühl rational, sondern halt „cool“. All dies mag die internationale Kinoauswertung erleichtern. Aber Schlöndorff hat einen enttäuschenden Film gedreht.