Die „Neuen Wilden“ von Familie Berg

Bochum. So umfangreich haben die Sammler ihre eigenen Schätze noch nie beisammen gesehen: Die Eheleute Christine und Hans Berg füllen mit Teilen ihrer beachtlichen Kunst-Kollektion jetzt alle Etagen des Bochumer Museums.

Die Bergs hatten früher in Herne ein Familien-Unternehmen, das Röhren für Pipelines fabrizierte. In diesem Betrieb stellten sie alsbald Kunst aus – was vor über 30 Jahren noch nicht gang und gäbe war. Als die Firma im Mannesmann-Konzern (bzw. „Europipe“) aufging, zogen sie sich allmählich aus den Tagesgeschäften zurück. Heute leben sie komfortabel in der Schweiz (Luzern) und Italien.

Nicht so sehr mit kunsthistorischer Beratung haben sie ihre Sammlung aufgebaut, sondern eher spontan, persönlichen Vorlieben folgend – und fast immer einvernehmlich. Spekulationen auf steigende Werte hätten dabei keine Rolle gespielt, versichert Hans Berg. Er nennt einen anderen Beweggrund: „Ich habe eine Gegenwelt zur Wirtschaft gesucht.“ Eine Sphäre jenseits der Sachzwänge also.

Und tatsächlich: Nach den ersten Erwerbungen fingen die Bergs bald Feuer und knüpften Kontakte zu Künstlern – vor allem zu jenen, die in den frühen 80er Jahren im Umkreis der so genannten „Neuen Wilden“ die Szene beherrschten. Man irrte irgendwo in zeitgeschichtlichen Untiefen zwischen dem bleiernen deutschen Terrorherbst und den Vorboten der deutschen Vereinigung umher. Die Atmosphäre: Etliche Nachtseiten mit dem einen oder anderen (Neon)-Licht-schein. Und viel Archaisches, das in die Gegenwart ragte.

Inzwischen ist es weitaus stiller um K. H. Hödicke, Helmut Middendorf oder den gebürtigen Dortmunder Norbert Tadeusz geworden, so dass die Bochumer Präsentation einer Wieder-Entdeckung gleichkommt. Besonders eine Raumfolge mit Großformaten beschert diesen Malern einen grandiosen Auftritt – mit so exquisiten Bildern wie etwa Hödickes „Schrott“ (1976), einem geisterhaften Trio verrosteter Automobile. Middendorf s Berliner „Großstadteingeborene“ (1980) sind geradezu vollgesogen mit dem Zeitgeist von damals. Tadeusz‘ wüste Fleischbeschauen (egal, ob beim Metzger oder als Frauenakt) rücken dem Betrachter immer noch verstörend zuleibe. Den Kontakt zu Tadeusz bekam das Sammlerehepaar übrigens nach dessen Werkschau im Dortmunder Ostwall-Museum.

Auch Einzelstücke der klassischen Moderne (Nolde, Macke) und der informellen Nachkriegskunst (Emil Schumacher, Bernard Schultze) finden sich in der Auswahl. Hans Berg: „Wir hätten gern noch viel mehr gezeigt.“ Doch Bochums Museumschef Hans Günter Golinski hat ihn davon überzeugt, dass die Ausstellungsräume nicht „überladen“ werden dürften. In der Tat: Auch so gibt es reichlich zu sehen. Und vielleicht ist das Ganze ja fürs Bochumer Museum eine Option auf die Zukunft? Wer weiß.

Man kann in dieser Schau farblichen oder energetischen „Grundklängen“ nachspüren, die sich mitunter quer durch die Sammlung ziehen. Nur ein Beispiel: Es ist, als werde das magische Leuchten auf Noldes Bildern von Gotthard Graubners subtilen Farbkissen beantwortet. Bestimmt kein bloßer Zufall, denn: Wo mit Leidenschaft gesammelt wird, ergeben sich solche Zusammenhänge.

Deutsche Malerei aus der Sammlung Berg. Museum Bochum, Kortumstraße. Bis 6. Januar 2008. Geöffnet Di-So 10-17, Mi 10-20 Uhr. Eintritt 3 Euro, Katalog 20 Euro.

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  • Die Sammlung Berg umfasst rund 300 künstlerische Arbeiten. In der Ausstellung im Museum Bochum sind davon rund 130 zu sehen.
  • Auch persönliche Erinnerungen verbinden sich mit den Werken. Bei vielen Bildern haben die Sammler den Entstehungsprozess beobachten können.
  • In einem zerklüfteten „Saurier“-Bild von Bernard Schultze versteckten die Kinder gar einst Ostereier – nahezu unauffindbar. Das robuste Werk nahm dabei keinen Schaden.
  • Der Maler Bernd Finkeldei hat 1995 gleich die ganze Familie Berg nach fotorealistischer Manier großformatig verewigt.
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(Der Artikel stand am 13. Dezember 2007 in der „Westfälischen Rundschau“)




„Sammlung Berg“: Osthaus-Museum zeigt seine kostbare Erbschaft

Von Bernd Berke

Wenn die in Hagen ansässige Industrie- und Handelskammer (IHK) Südwestfalen ihre Jahreshauptversammlung zwischen lauter Kunstwerken abhält, muß das eine besondere Bewandtnis haben. So wie letzten Donnerstag im Hagener Osthaus-Museum.

Die Wirtschafts-Experten der Region, sonst vorrangig mit nüchternen Bilanzen befaßt, gerieten ins Schwärmen über ein bemerkenswertes Kunst-Erbe der Stadt: Die „Sammlung Berg“, mit kostbaren Bildern aus Impressionismus und Expressionismus, hebt, so freut sich auch Osthaus-Chef Dr. Michael Fehr, „das Niveau des Museums noch einmal spürbar an“. Arbeiten so berühmter Künstler wie u. a. Lyonel Feininger, Erich Heckel, Alexej Jawlensky, Ernst Ludwig Kirchner, Emild Nolde, Max Pechstein und Auguste Renoir rechtfertigen diesen Stolz.

Die neue Kollektion paßt so „angegossen“ zum bisherigen Sammlungsbestand, als hätte man sie gezielt auf dem Markt erworben, was wegen horrender Preise heutzutage praktisch unmöglich ist. Nur genaue Kenner des Museums an der Hochstraße werden denn auch auf Anhieb alle neuen Bilder herausfinden können. Kleiner „Geheimtip“: Jene, die (noch) von Goldrahmen eingefaßt sind, gehören zur „Sammlung Berg“.

Bilder fügen sich bestens zum bisherigen Eigenbesitz

Die Hagener Erbschaft stammt von Fritz Berg (1901-1979), einem mittelständischen Industriellen (Drahtverarbeitung) aus Altena. Berg war von 1946 bis 1971 Präsident der IHK Südwestfalen und langjähriger Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Seine im Dezember 1988 verstorbene Witwe Hildegard Berg vermachte die Kunstsammlung, zu der auch Ostasiatika wie chinesiches Porzellan und historische Möbel gehören, völlig überraschend dem Osthaus-Museum. Ursprünglich hatte sich ein anderes Kunstinstitut Chancen ausgerechnet. Bedingung: Hagen muß 21 Gemälde in der ständigen Ausstellung präsentieren und darf sie nicht weiterverkaufen. Da sich die „Sammlung Berg“ so glückhaft in den angestammten Osthaus-Besitz einfügt, fällt beides leicht.

Mit der Übergabe des Nachlasses verheilt zum Teil eine alte Hagener „Wunde“. 1922, nach dem Tod von Karl Ernst Osthaus, wanderte dessen Kunstsammlung nach Essen, wo sie das Folkwang-Museum bis heute zur „feinen Adresse“ macht. Beispiel Lyond Feininger: Bisher besaß das Osthaus-Museum zwei seiner Arbeiten, ein Aquarell und das Ölbild „Gaberndorf I“ (1921), eine für diesen Künstler typische Überlagerung prismatischer Architektur-Formen.

Sinnvolle Ergänzungen bei Feininger und Heckel

Jetzt kann man mit „Am Quai“ (1908) auch die frühe Phase dokumentieren, in der sich Feininger gerade erst als freischaffender Künstler zu etablieren begann. Bis dahin hatte er vor allem als humoristischer Zeichner und Karikaturist gearbeitet. Das Hafengemälde zeigt nun den Übergang zum Tafelbild: Die Figuren sind karikaturhaft überzeichnet, und gleichzeitig deutet die Ausführung auf Feiningers späteren Stil voraus – besonders der Umstand, daß praktisch jedes Ding und jede Figur unter einer eigenen Perspektive dargestellt wird. Bei genauerem Hinsehen merkt man sogar, daß auf verschiedenen Bildteilen der Wind aus verschiedenen Richtungen weht. Der Hafen als Ort einer verwirrenden Gleichzeitigkeit, von vielerlei Abschied, Ankunft, Sehnsucht und Einsamkeit. Auch für eine spätere Feininger-Phase gibt es jetzt einen Beleg in Osthaus-Besitz: „Frau mit rotem Haar“ (1927) markiert den Übergang zu einer neuen Beschäftigung mit dem menschlichen Bildnis.

Genau so sinnvoll ist die Ergänzung bei Erich Heckel. Vom Maler der expressionistisehen Künstlergruppe „Brücke“ konnte man bisher „Frühling in Flandern“ (1915/16) zeigen – verzweifelter Seelenzustand in Form einer Landschaft, Bild der „verbrannten Erde“. Nun ist, als Kontrast, „Gehölz am Meer“ hinzugekommen, ein Vorkriegsidyll von 1913. Dieses Bild hat einen gar nicht idyllischen Irrweg hinter sich. Anfangs hing es in der Kunsthalle Bremen. Dann, von den Nazis als „entartet“ gebrandmarkt und vermutlich 1937 in Zürich für Devisen versteigert, befand es sich in den USA, bevor es in den 50er Jahren in einer Münchner Galerie auftauchte und von Fritz Berg erworben wurde.

Ein besonderes Stück ist auch Auguste Renoirs „Blick von Haute-Cagnes aufs Meer“ (nach 1903); es gibt nur ganz wenige „Renoirs“ in unserer Region, bislang mußte man mindestens nach Essen fahren, um einen zu sehen. Den materiellen Wert kann man nur schätzen, vergleichbare Bilder dieses Malers haben jedenfalls auf Versteigerungen – vorsichtig formuliert – höchst namhafte Preise erzielt.

Dies und die anderen Bilder der „Sammlung Berg“ bedeuten auch ein gehöriges „Pfund“, mit dem das Osthaus-Museum künftig bei seinen Wechselausstellungen „wuchern“ kann. Denn die Ausleihpraxis zwischen Museen funktioniert nun einmal nach dem Motto: Nur wer attraktive Leihstücke anbieten kann, bekommt auch welche.

Die „Sammlung Berg“ ist ab Sonntag im Zusammenhang mit bisherigen Beständen als Dauerausstellung zu sehen (Katalog 12 DM). Öffnungszeiten des Osthaus-Museums, Hagen, Hochstraße 73 (Tel.: 02331/207 576): So 11-16 Uhr, Di/Mi/Fr/Sa 11-18 Uhr. Do 11-22 Uhr, montags geschlossen.

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(erschienen in der Wochenend-Beilage der Westfälischen Rundschau)