„Freundschaftsanfrage“: Künstlerische Stellungnahmen zur Wuppertaler Sammlung

Die Spur der Sonne, erfasst mit exakter Zeit und Koordinaten: Hans-Christian Schinks Fotografie „2/20/2010, 6:53 am – 7:53 am, S 37°40,831`E 178°32.635″ – aus der Serie „1h“, 2003-2010. (© Hans-Christian Schink)

Wuppertals Von der Heydt-Museum legt eine neue Ausstellungsreihe auf. Als wären wir im sozialen Netzwerk, heißt die Serie „Freundschaftsanfrage“. Der erste Künstler, der sie angenommen hat, ist Hans-Christian Schink, er wurde 1961 in Erfurt geboren und betont – vor, neben und nach aller Weltoffenheit – seine ostdeutsche Identität.

Konzept der „Freundschaftsanfrage“: Gegenwartskünstler (Frauen inbegriffen) sollen auf Einladung gezielt Stellung zu ausgewählten Stücken der reichhaltigen Wuppertaler Sammlung beziehen. Der Fotograf Schink reagiert auf gemalte Landschaften, insbesondere aus dem 19. Jahrhundert. In der Zeit, als er „sehen gelernt“ habe, so Schink, existierte noch die DDR. Also kannte er aus eigener Anschauung zunächst vor allem das klassisch-romantische „Erbe“ und nicht die Ausprägungen neuerer Westkunst. Obwohl er inzwischen weltweit gereist ist, hat diese Vorgabe seine Auswahl in Wuppertal geprägt. Die hiesigen Bestände kamen seiner Neigung entgegen. Und die langwierige Suche führte auch kreuz und quer durchs Museumsdepot.

Hans-Christian Schink: „Büro“ (4), 1998 (© Hans-Christian Schink)

Der Rundgang umfasst sieben Räume und beginnt mit „Bürobildern“, bei denen die deutsch-deutsche „Wende“ Pate gestanden hat. Schink erläutert den Hintergrund: Bedingt durch Steuerabschreibungs-Modelle, wurden damals in der früheren DDR viele überflüssige Bürobauten hochgezogen, die danach leerstanden. Just solche Räumlichkeiten hat Schink auf nahezu abstrakte Weise fotografiert. Derlei pure Flächigkeit wiederum finden wir, wenn wir sie nur länger wirken lassen, z. B. auf Gemälden wie Ferdinand Hodlers „Thuner See mit Stockhornkette“ oder Edvard Munchs „Schneeschmelze bei Elgersburg (Tauwetter)“ wieder. Auch da kommt es weit weniger auf die unmittelbar sichtbare Realität an, sondern auf Eigenwerte von Fläche, Farbe und Struktur. Nicht die Motive sind zentral, sondern die durch sie erzeugte Atmosphäre.

Ferdinand Hodler: „Thuner See mit Stockhornkette“, 1910/11, Öl auf Leinwand, 65,5x88cm (Von der Heydt Museum, Wuppertal)

Raum zwei führt zu italienischen Landschaften, die im 19. Jahrhundert Scharen von Künstlern angelockt haben. Hans-Christian Schink nutzte anno 2014 ein Stipendium in der römischen Villa Massimo, um in seiner Serie „Aqua Claudia“ Wechselwirkungen zwischen moderner Urbanität und einem antiken Aquädukt nachzuspüren. Das Spannungs- und Näherungs-Verhältnis zwischen Altertum und Jetztzeit ergibt einen ganz eigentümlichen Kommentar zu romantischen Gemälden wie etwa Heinrich Bürkels „Italienische Landschaft“ von 1830/32.

Nun geht es nach Japan. Dort hat Schink 2009 ein dreiwöchiges Projekt absolviert, in dessen Rahmen alljährlich europäische Künstler Blicke auf das fernöstliche Land werfen. Unversehens hat ihn in der Fremde eine Gegend fasziniert, die ihn an Thüringen erinnerte. Die verschneite Hügellandschaft, die er dort entdeckte, begegnet hier Alfred Sisleys „Winterlandschaft“ oder auch einer Zeichnung von Paul Cézanne. Der wiederum habe, so die Kuratorin Beate Eickhoff, die Malerei – im Gefolge der damals noch jungen Fotografie – mit der Belichtung einer empfindlichen Platte verglichen.

Im nächsten Raum empfangen uns Werke von John Constable, aus der „Schule von Barbizon“ und des Realisten Gustave Courbet – im Kontrast und Zusammenklang mit Schinks Serie „Hinterland“ (2012-2019): Zunächst von Berlin aus und dann selbst auf dem Lande wohnend, hat sich Schink in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg umgetan, wo er vollkommen leere Landschaften vorgefunden hat. Nach etlichen Fernreisen war es eine Wiederentdeckung heimatlicher Gefilde. Was eine Wasserspiegelung in Mecklenburg mit einem Wasserbild Claude Monets zu tun haben könnte, ist nicht zuletzt eine Frage des Verweilens und Entdeckens.

Folgt das sogenannte „Einstunden-Projekt“. Schink hat keinen Auwand gescheut und nach zweijähriger Vorbereitung versucht, weltweit Eindrücke von Zeit und Licht fotografisch einzufangen. Vor-Bilder waren Überbelichtungen von Analog-Fotografien, nach denen die Sonne schwarz erschien. Diesen chemisch-physikalischen Umkehreffekt hat Schink ganz bewusst eingesetzt und den jeweils einstündigen Sonnenlauf per Langzeitbelichtung festgehalten. Dies ergibt schwarze Spuren am Himmel, und zwar in wechselnden Formen: anders in Algerien, anders in der Mojave-Wüste, wieder anders in Neuseeland und so weiter – an 15 Stationen rund um den Erdball. Aus der Sammlung steht dem in erhabener Vereinzelung Edvard Munchs grandioses Bild „Sternennacht“ gegenüber.

Hans-Christian Schink: „Unter Wasser (17)“, 2020 (© Hans-Christian Schink)

Eine neue Unterwasser-Serie hat Schink jüngst bei Boots-Streifzügen auf der mecklenburgischen Seenplatte aufgenommen. Nicht tauchend, sondern auf einem Board liegend, die Unterwasser-Kamera auf Armlänge benutzend und die (diesmal digitalen) Zufallsbilder später mit Tintenstrahldruck aufbereitend. Eine ungeahnte, ganz andere Welt tut sich da auf, die doch schon so dicht unter der Oberfläche beginnt. Ein zur Abstraktion drängendes Meeresbild von Claude Monet vergegenwärtigt demgegenüber einen ganz anderen Wasserzustand.

Claude Monet: „Blick auf das Meer“ (1888), Leinwand, 65×82 cm (Von der Heydt Museum, Wuppertal)

Markante Schlussakzente setzen Baumbilder aus dem vietnamesischen Nationalpark Bach Ma, wiederum mit (dem heimlichen Wegweiser) Edvard Munch und mit Otto Modersohns „Mondaufgang, im Moor“ in Beziehung gebracht.

Mit anderer Auswahl und anderer Hängung könnte man zahllose Varianten einer solchen Ausstellung bestreiten, es gibt natürlich nicht die „einzige wahre“ Version. Erklärtes Ziel von Künstler und Kuratorin war es, sozusagen eine strömende Ruhe herzustellen, in die man sich versenken kann. Ob dies gelungen ist, lässt sich wohl nur bei einem längeren Aufenthalt feststellen. In diesem Sinne wäre beinahe zu hoffen, dass der Besucherandrang sich in Grenzen halten möge.

Museumsdirektor Roland Mönig sieht in der neuen Ausstellungsreihe einen „Augenöffner“, der (Neu)-Bewertungen der Sammlung einleiten könne. Für die jeweiligen Künstler dürfte es eine Standortbestimmung sein, inwiefern sie an Traditionen anknüpfen – oder auch nicht. Es wären ja auch Formen der entschiedenen Abwehr denkbar. Auf weitere „Positionen“ (etwa eine pro Jahr) darf man gespannt sein. Jedenfalls soll es nicht bei bloßen „Freundschaftsanfragen“ bleiben, es dürfen laut Mönig auch gern „feste Beziehungen“ daraus entstehen, sprich: Ankäufe sind durchaus möglich.

Hans-Christian Schink – und die Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts („Freundschaftsanfrage No. 1″). 27. Februar bis 10. Juli 2022. Von der Heydt-Museum, Wuppertal, Turmhof 8. Geöffnet Di-Fr, Sa und So 11-18 Uhr, Do 11-20 Uhr, Mo geschlossen. Eintritt 12 €, ermäßigt 10 €, Kinder bis 17 Jahre 2 €.

www.von-der-heydt-museum.de

 




Schon wieder so ein Coup: Jonathan Meese soll die Dortmunder Ostwall-Sammlung umgestalten

Und schon wieder ist von einem Dortmunder Coup zu reden, der dem Museum Ostwall im Dortmunder „U“ mindestens bundesweite, wenn nicht gar internationale Aufmerksamkeit sichern wird: Der – gelinde gesagt – nicht immer unumstrittene Künstler Jonathan Meese wird die Sammlung des Hauses neu kuratieren, die somit abermals in gehörige Bewegung geraten wird.

Im Museum Ostwall: Jonathan Meese salutiert vor ERnst Ludwig Kirchners "Stafelalp im Mondschein" (1919) (Foto: Tim van Laere)

Im Museum Ostwall: Jonathan Meese salutiert vor Ernst Ludwig Kirchners „Stafelalp im Mondschein“ (1919). (Foto: Tim van Laere)

Bis Herbst 2019 (geplante Eröffnung: 4. Oktober) soll Meese die Bestände um und um gewendet haben, so dass sich für ein Jahr wiederum andere Perspektiven darbieten. So paradox es klingen mag: Von Überraschungen ist dabei unter Garantie auszugehen. Mal schauen, welche womöglich ungeahnten Strukturen und Bezüge der Künstler dem Dortmunder Eigenbesitz abgewinnen wird.

Erst seit kurzem zeigt sich die vormals in Ehren ergraute Sammlung, kundig neu geordnet von Nicole Grothe, unter dem Titel „Fast wie im echten Leben“ auf erfrischend andere Weise. Umso gespannter darf man sein, was im Gefolge ein Mann wie Jonathan Meese daraus macht. Wenn’s richtig gut läuft, entsteht hier eine neue Pilgerstätte der Kunst im Ruhrgebiet – und weit darüber hinaus.

Der Direktor des „Dortmunder U“ (und damit auch des Museums Ostwall), der Niederländer Edwin Jacobs, hat damit bereits den zweiten Aufsehen erregenden Glücksgriff seiner immer noch jungen Amtszeit getan: Im September 2018 soll die erste museale Retrospektive der Kultband „Pink Floyd“ ins Museum Ostwall kommen, die zuvor nur in London und Rom zu erleben ist bzw. war.

Nun also Jonathan Meese, der in den nächsten Monaten immer mal wieder im Dortmunder „U“ auftauchen dürfte, um mit seinem Team und den Museumsleuten das Projekt voranzubringen. Wie es heißt, haben es ihm besonders die in Dortmund versammelten Expressionisten angetan.

Es ist wohl keine Frage, dass er die Sammlung auch von sehr subjektiven und radikalen Standpunkten aus aufrollen wird. Der Arbeitstitel in Dortmund lautet jedenfals „Sammlung ‚Keine Angst‘ (Dr. Nullzensur)“.

Auch Max Beckmanns "Selbstbildnis mit Zigarette" (1947) scheint Meese zu gefallen. (Foto: Tim van Laere)

Auch Max Beckmanns „Selbstbildnis mit Zigarette“ (1947) scheint Meese zu gefallen. (Foto: Tim van Laere)

Auf dem Weg über Mythen, Sagen und Ideologien, mit denen er sich (auch im Gefolge eines Anselm Kiefer) vorzugsweise und immer wieder befasst, wird er sicherlich eigene Arbeiten und/oder Performances ins Spiel bringen, zumindest als Seh- und Herangehensweise, wenn nicht ganz konkret. Das alles wird sich – auch im Zusammenwirken mit dem Ostwall-Team – nach und nach entwickeln.

Wir wollen es nicht verschweigen: Skandalträchtig und gerichtsnotorisch waren einige seiner Auftritte, in deren Rahmen Meese den verbotenen Hitlergruß gezeigt hat. In allen Fällen wurde er allerdings freigesprochen, und es wurde ihm Kunstfreiheit zugestanden.

Wenn ich mir noch eine unqualifizierte Bemerkung nebenher erlauben darf: Die städtische Pressestelle hat von einem Einstandsbesuch Meeses in Dortmund einige Fotos geschickt (siehe Beispiele). Und ich muss sagen: Vom Outfit her passt Jonathan Meese schon mal recht gut zu dieser Stadt. Ihr wisst schon, wie ich’s meine.