Bücher, die man nicht vermissen würde

Es schüttet aus Eimern, meine Laune tapst gleichen Schrittes mit dem tristen Oktobertag, ins Ohr schallt mir meine alte Kollegin Sabine Brandi, deren Thema im morgendlichen Hörertalk auf WDR5 Bücher sind, die unbedingt zu empfehlen seien. Die sollten doch Anrufer benennen, beschreiben, bejubeln. Weil das Wetter so mies, meine Laune so gleichschreitend und meine aktuelle Weltsicht so wenig sonnig, fällt mir sofort die Frage ein: Welche Bücher hätten nicht geschrieben werden müssen oder sollten demnächst auf keinen Fall geschrieben werden?

Fix antwortet meine innere Stimme: Allen voran eine Biographie des naseweisen liberalen Leisetreters Philipp Rösler, die hat aber schon mindestens eine Leserin, eine bundesweit bekannte Kanzlerin, die sich für nichts zu schade ist.

Ebenso wenig schreit die Welt danach, demnächst eigenhändig verfasste Innenansichten eines freiherrlichen Clowns, der einst reformistischer Verteidigungsminister und Shooting Star am Polithimmel war, lesen zu müssen.

Oder wurde die jugendlich geprägte Rückschau eines Fußballers mit Namen Philipp Lahm für unverzichtbar gehalten, um mit bebender Erwartung Enthüllendes aus Jogis Löwenkäfig zu erfahren?
War es unvermeidlich, dass Dieter Bohlen zweimal bestsellernd die Buchhandelsregale füllte oder Thilo Sarrazin (ist nicht zufällig gemeint, dass die beiden in einem Absatz auftauchen) seine pseudowissenschaftliche Gülle in Millionenauflage unters Volk brachte?

Hätte ein möchtegernegroßes Männlein mit lächerlichem Bart in viel zu kurzer Kerkerhaft ein kurzes Buch verfassen müssen, das zwar miserabel verfasst, dennoch bestverkauft aber meist ungelesen blieb. Einschub: Hätte es nicht, aber lesen hätten es mehr Menschen sollen, dann wäre so manches dem Lande und der Welt vielleicht erspart geblieben.

Nun, ich habe da auch noch etwas Versöhnliches: Als ich Konfirmation feierte, kam ein Geschenkpäckchen im Vierfamilienhaus an der Dortmunder Kuithanstraße an. Als ich es auspackte, sah ich auf einen ziemlich erschreckenden Titel: „Der SS-Staat“, Autor Eugen Kogon. Ich habe es noch irgendwo, habe es mehrfach gelesen und nicht so recht verstanden, dass es im Laufe der Jahrzehnte ziemlich in Vergessenheit geriet. Dieses Buch eines Zeitzeugen, diese deutsche Frühausgabe eines „Archipel Gulag“ ließ in meinen damaligen Kindskopf das Grauen krauchen und lenkte meine Haltung zu Menschen, Staat, Demokratie, Autorität in meine Richtung. Ein Buch, das geschrieben und möglichst gelesen werden musste.




Die unselige Rückkehr eines Bestsellers

Meine mit mir stumm geschlossene Wette habe ich gewonnen. Am Tag, als die allgemeine Nachrichtenlage von ihm beherrscht wurde und der Name von Anders Behring Breivik in alle Sinne geriet, weil seine Taten unzählige Menschen fassungslos machten, an diesem Tag wettete ich mit mir, dass alsbald ein Buch, das nach vielen Wochen des Bestsellerseins völlig aus dem Interessenfokus geraten war, wieder auferstehen werde. Dass Thilo Sarrazins mobswissenschaftliches Epos darüber, dass Deutschland sich abschaffe, wieder zurückkehrt in die Bestseller-Liste des SPIEGEL. Eine Woche nach der grauenhaften Tat war es so weit: Der Sarrazin-Schwachsinn platzierte sich wieder an Nummer 13, derzeit rangiert er auf Platz 14.

Es gab schon einmal einen Wiederaufstieg, als die SPD ihn aus der Partei entfernen wollte. Das freute den Thilo, weil die Verkaufszahlen unvermittelt wieder anschwollen.

Dass Thilo dieses Mal ein freudiges Lächeln übers ansonsten humorfreie Gesicht huschen wird, unterstelle ich ihm nicht. Aber er sollte in ein tiefes, nachhaltiges Sinnieren darüber verfallen, was seine Wirrungen, die er da zu Papier brachte, anrichten. Dass die Wahnsinnstat eines islamophoben Mustergermanen die Verkaufsziffern eines Sarrazin-Buches anschieben, gibt einen Hinweis darauf, was auch bei uns in den Köpfen schnell beirrbarer Menschen angerichtet werden kann, wenn sie sich derartige Literatur ungeprüft und unkritisch reinziehen.

Ich will diesem gewinnsüchtigen Selbstdarsteller nicht unterstellen, dass er dumpfgeistige Gewaltbereite noch befeuern will. Aber ich kann ihm unterstellen, dass er es billigend in Kauf nimmt, dass sein Buch missinterpretiert wird. Und das ist schlimm genug. Wie ahnte Bert Brecht im „Arturo Ui“: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“