Zwischen Bühne und Familie – Jörg Hartmanns Chronik „Der Lärm des Lebens“

Gibt es überhaupt noch Fernsehprominenz ohne Buchveröffentlichung? Schwerlich. Jetzt ist endlich auch Jörg Hartmann (weithin bekannt als Dortmunds zur Depression neigender „Tatort“-Kommissar Faber) an der Reihe.

Bei seinem Buch „Der Lärm des Lebens“ handelt es sich um eine streckenweise sehr nachdenklich und zuweilen melancholisch, zwischendurch aber auch süffig erzählte Autobiographie. Eine lebensnahe Mixtur also, die vom etwas aufdringlichen Titel (Stichwort „Lärm“) gar nicht so recht erfasst wird.

Zungenschlag des östlichen Ruhrgebiets

Der 1969 im westfälischen Hagen geborene Hartmann ist im eher beschaulichen Herdecke bei Dortmund aufgewachsen. Wann immer er auf diese Vergangenheit zurückblickt oder spätere Besuche bei den Eltern schildert, gibt er die Dialoge in der charakteristischen Mundart des östlichen Ruhrgebiets wieder. Dabei stimmt nicht nur der Zungenschlag, auch die „Seele“ des Gesprochenen und der Sprechenden kommt glaubhaft hervor. Als in Dortmund aufgewachsener Mensch kann ich’s bezeugen. Stellenweise erzählt Hartmann auch hinreißende Dönekes mit Revier-Anklang: Wer hat denn nur einst die „Eier“ am Pferd des Kaiserdenkmals auf Dortmunds Hohensyburg poliert? Hier erfährt man’s. Übrigens haben zeitweise auch Roy Black und – viel später – Jürgen Klopp in Herdecke gelebt. Hätten Sie’s gewusst?

Zur Sache: Die zeitlich hin und her pendelnde Handlung setzt mit einem großen Traum des jungen Mannes ein, der dringlich bei der großen Regisseurin Andrea Breth an der Berliner Schaubühne vorsprechen und möglichst engagiert werden will. Wie das abläuft, wird hier nicht verraten. Zu jener Zeit ist Stuttgart Hartmanns Lebensmittelpunkt, die Alternativen am Theater heißen Wuppertal und Meiningen. Als dann noch der Mauerfall hinzukommt, erscheint Berlin demgegenüber noch attraktiver. Man kann’s nachvollziehen, wenn auch die Berlin-Schwärmerei mitunter ein wenig nervt.

Theater-Laufbahn mit Umwegen

Ein Umweg der Laufbahn führt über die Münchner Kammerspiele, wo Hartmann die Bühnen-Granden Thomas Holtzmann und Rolf Boysen um Beihilfe, Zuspruch und Fürsprache bitten möchte. Holtzmann ist quasi unansprechbar, Boysen erteilt immerhin telefonisch knappen, aber weisen Rat. Derweil wittert der gleichfalls schon etablierte Ulrich Matthes in seinem vermeintlichen „Doppelgänger“ Hartmann (nanu?) offenbar unliebsame Konkurrenz. In Berlin wird ihm Hartmann abermals begegnen…

Bis Jörg Hartmann tatsächlich eines Tages an der Schaubühne (ab 1999 unter Leitung von Thomas Ostermeier) reüssiert, dauert es seine Zeit. All die vorherigen Fährnisse lassen ahnen, dass der Berufseinstieg junger Schauspieler(innen) wahrlich mühselig ist und nicht nur vom Talent, sondern auch von Glücksumständen abhängt. Ohnehin hadert Hartmann auch hernach immer mal wieder mit der Profession, die ihn geradezu aufzufressen droht. Heute Lyon oder Brüssel, morgen Prag, irgendwann auch ein Gastspiel in Shanghai. Da kann man sich durchaus verlieren. Und das Privatleben leidet auch erheblich.

Pommesbude nach Feierabend

Ein zweiter Handlungsstrang ist Hartmanns Familie gewidmet, besonders seinen Eltern und hier wiederum vornehmlich dem Vater, der mit fortschreitendem Alter an Demenz leidet und vor der Zeit stirbt. In Herdecke und darüber hinaus war der Vater (Handwerksmeister im Stromwerk, phasenweise nach Feierabend Betreiber einer Pommesbude, außerdem bestens vernetzter Handball-Freak) bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund, was Jörg Hartmann mit einigen Anekdoten zu unterfüttern weiß.

Zunehmend rücken auch Hartmanns Frau und die drei Kinder in den Blickpunkt, womit die Handlung (seine Großeltern inbegriffen) vier Generationen umfasst, was wiederum zeitgeschichtliche Bezüge mit sich bringt – bis hin zur Gehörlosigkeit der Großeltern, die schon allein wegen dieses Leidens unter bedrohlicher Beobachtung der Nazis standen.

Es mag keine große, wortmächtige Literatur sein, die Jörg Hartmann verfasst hat, doch ist es eine durchaus achtbare Chronik der laufenden Ereignisse aus dem Bühnen- und Familienleben. Ein Gipfelpunkt wird, wie es sich wohl gehört, gegen Ende erreicht, als Hartmann eine blasierte Kita-Party bei stinkreichen Eltern in Berlin beschreibt. Da freut man sich inständig, dass man nicht dabei sein musste.

Jörg Hartmann: „Der Lärm des Lebens“. Rowohlt Berlin. 300 Seiten. 24 Euro.

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Lesungen (Auswahl – Einzelheiten bitte per Suchmaschine o. ä. ermitteln)

12. März Berlin (20 Uhr)
14. März Dortmund (19.30 Uhr / ausverkauft)
21. März Leipzig (10, 11, 15, 17 und 20.30 Uhr – Buchmesse)
6. April Münster (20 Uhr)
7. April Unna (18 Uhr)
11. April Gladbeck (19.30 Uhr)
13. April Menden (19 Uhr)
9. Juni Herdecke (18 Uhr)
29. Juni Essen (20 Uhr)




Unterm Baum ist alles möglich: Tschechows „Möwe“ an der Berliner Schaubühne

„Die Möwe“: Szene aus Thomas Ostermeiers Inszenierung mit Stephanie Eidt und Joachim Meyerhoff. (Foto: Gianmarco Bresadola / Schaubühne)

Welch grandioser Anblick! Eine gigantischer Baum steht wuchtig auf der Spielfläche und ragt in den Bühnenhimmel. Die Äste schwingen weit in den Raum hinein, die raschelnden Blätter schweben über den Köpfen des Publikums. Tribünen umzingeln den romantisch-verwunschenen Ort, an dem alles möglich scheint: Liebe und Hass, Neid und Eifersucht und natürlich der ewige Streit zwischen den Geschlechtern, der Kampf zwischen alt und jung, konventioneller Kunst und revolutionärem Aufbruch.

Hier, wo die Vögel fröhlich zwitschern, lässt es sich wunderbar verweilen und träumen, hier, wo die Sonne alles in mildes Licht tauscht, kann man sich verlieben und trennen, beleidigen und wieder versöhnen. Plötzlich zerreisst das grollende Donnern eines Kampfjets den weltflüchtigen Scheinfrieden, lässt das ritualisierte Gerede über neue Formen in der Kunst verstummen, die Gefühlswallungen der Liebenden erstarren. Ein kurzer, irritierender Moment. Dann geht alles wieder seinen gewohnten Gang. Würde nicht der unter emotionalem und intellektuellem Dauerdruck stehende Dichter Konstantin sich eine Kugel in den Kopf schießen, könnte das Leben sogar gut und schön sein.

Thomas Ostermeier inszeniert Tschechows „Die Möwe“ an der Berliner Schaubühne als luftig-verspielten, manchmal sogar komischen Sommernachtstraum. Zwar orientieren sich Handlung und Text weitergehend an Tschechows Text. Doch die Schauspieler dürfen sich ihren eigenen Reim machen und sich ihre Rollen nach Gusto zurechtbiegen. Vor allem Joachim Meyerhoff nutzt die Freiheit und zeichnet mit feiner Ironie und fahrigen Gesten einen schnoddrigen und zynischen, mit sich selbst und der Welt hadernden Großdichter Trigorin. Meyerhoff, im Nebenbenberuf selbst erfolgreicher Schriftsteller, kennt die Nöte eines Autors, den es an den Schreibtisch drängt und der vor Schreibdruck kaum je zum eigenen Erleben kommt, nur zu gut. Ständig fummelt er mit losen Zetteln herum, auf denen er alles, was er sieht und hört, notiert. Seine unterwürfige Liebe zur überdrehten Schauspiel-Diva Arkadina (Stephanie Eidt) oder seine romantisch verklärte Affäre mit Nina (Alina Vimbai Strähler), die gern so frei wäre wie die Möwe im esoterischen Text des frustrierten Bühnen-Brausekopfs Konstantin (Laurenz Laufenberg): Alles ist für Trigorin nur Material für mögliche neue Erzählungen und Theaterstücke.

Ob Meyerhoff in hautenger Unterhose halbnackt zum See watschelt, um zu angeln, oder ob er sich literweise Bier in die vom rhetorischen Firlefanz ausgetrocknete Kehle schüttet: Alles gerät ihm zur urkomischen und zugleich tragischen Slapsticknummer der Vergeblichkeit. Neben seiner raumgreifenden Präsenz und sprachlichen Raffinesse wirken alle anderen wie Statisten, unfertige Figuren, die um ihre Daseinsberechtigung kämpfen und sich in zu kurz gesprungene Klischees flüchten.

Landhausbesitzer Sorin (Thomas Bading) ist ein zittrig-zeternder, lächerlicher Greis, der den verpassten Chancen seines langweiligen Lebens nachtrauert. Gutsverwalter Schamrajew (David Ruland) poltert mit Berliner Schnauze und blutbeschmiertem Schlachtermesser durchs kunstsinnige Getriebe. Die immer ganz in schwarz gekleidete Mascha (Hevin Tekin) ist ein trauriger Punk mit Null-Bock-Allüren. Warum auch nicht. Unter dem schützenden Dach des riesigen Baumes und seines üppig wuchernden Blätterwaldes ist alles möglich.

„Die Möwe“, die nächsten Vorstellungen am 18., 19., 20. und 21. Mai, Berlin, Schaubühne. Tickets unter 030/89 00 23, ticket@schaubuehne.de




Dieses ausweglose Leben – „Beyond Caring“: Schaubühne zeigt krasse Sozialstudie über Putzkräfte

Ensemble-Szene aus „Beyond Caring“ mit (v. li.) Kay Bartholomäus Schulze, Hevin Tekin, Jule Böwe, Damir Avdic, Julia Schubert. (Foto: © Gianmarco Bresadola / Schaubühne Berlin)

„Mich interessiert nicht die Repräsentation von Leben, mich interessiert das Leben.“ Mit „Love“ porträtierte der britische Autor und Regisseur Alexander Zeldin Menschen, die Weihnachten in einer Notunterkunft des Sozialamtes zubringen müssen. Jetzt inszeniert er an der Berliner Schaubühne sein Stück „Beyond Caring“, das die prekäre Arbeit und schwierige Lebenssituation von Reinigungskräften thematisiert.

Mit krassem Realismus will er uns eine soziale Klasse, die für die bürgerlichen Schichten der Theaterbesucher sonst ziemlich unsichtbar ist, näherbringen, sie aber nicht als Aussätzige vorführen, sondern als Menschen, die unsere Aufmerksamkeit verdienen, die uns daran erinnern, wie schnell es bergab gehen und unser schönes Leben im Mahlstrom des Turbo-Kapitalismus unter die Räder kommen kann. „Beyond Caring“ ist fundamentale Sozialstudie und Aufruf zur Mitmenschlichkeit, ohne die unsere gespaltene Gesellschaft vollends zerfallen würde.

Nachts in der Fleischfabrik

Wir begegnen den Putzkräften nachts in einer Fleischfabrik, es sind drei Frauen und zwei Männer. Jan ist ihr Vorarbeiter, Michael angestellte Teilzeitkraft, Sonja und Becky sind über eine Fremdfirma als „Sub-Unternehmerinnen“ angestellt, Ava kommt über eine Maßnahme des Arbeitsamtes: Die klassische Arbeitsgesellschaft mit gemeinsamen Interessen und gewerkschaftlicher Vertretung ist längst Schnee von gestern.

Kurze Pause von der Schufterei: Szene mit Kay Bartholomäus Schulze, Hevin Tekin, Jule Böwe. (Foto: © Gianmarco Bresadola / Schaubühne Berlin)

Ab und zu gibt es eine kleine Pause, dann blättern sie in Zeitschriften, essen, trinken, hören Musik, spielen mit dem Handy, reden nur das Nötigste. So geht das tagein, tagaus, immer reinigen sie die blutbesudelten Fleischmaschinen und verschmierten Wände, sammeln Müll ein, führen die gleichen Pausen-Gespräche. Immer hoffen wir vergeblich, dass sich etwas ändern möge, dass sie den Weg aus der sozialen Sackgasse finden, der Tristesse ihres Alttags entfliehen können.

Nur ein Moment der Anarchie

Einmal fallen in purer sexueller Not zwei Putzkräfte übereinander her, reißen sich die Kleider vom Leib, erleben einen kurzen Moment der Anarchie, bevor sie peinlich berührt auseinander driften. Aus dem Jammertal ihrer kaputten Existenz werden sie sich nicht befreien: Kein Ausweg, nirgends.

Spielfläche und Zuschauerraum sind von grellem Neon-Licht permanent ausgeleuchtet, alles ist jederzeit sichtbar, alles starrt vor Dreck und Blut, überall Fett- und Fleischreste, Plastik-Behälter mit Fleischkadavern, Reinigungsmitteln und Putzlappen. Manchmal rennt jemand hinaus auf die Straße, um sich Luft zu verschaffen oder eine Zigarette zu rauchen.

Der Fiesling, gegen den niemand ankommt

Der Vorarbeiter ist ein Wichtigtuer und Schwätzer, der allen das Leben zur Hölle macht. Gegen diesen Fiesling, der, wenn er nicht gerade sein Team mitleidlos zur Sau macht, sich auf seinem Handy an Pornos aufgeilt, kommt niemand an – weder die dünnhäutige Becky, die ihre Tochter so vermisst, noch die duldsame Ava, die sich vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen halten kann, und schon gar nicht die still leidende Sonja, die Vorräte hortet und sich zum Schlafen in die Fleischfabrik schleicht, weil sie keine Wohnung hat und eigentlich auch kein richtiges Leben.

Ein niederschmetternder Abend. Nirgendwo ein Funken Hoffnung. Was die fünf Akteure (Damir Avdic, Jule Böwe, Julia Schubert, Kay Bartholomäus Schulze und Hevin Tekin) leisten, verdient großen Respekt. Doch als Zuschauer dieser fast zwei Stunden währenden Tortur hilflos ausgesetzt zu sein, kann man auch, gerade in den emotional ohnehin schwierigen Zeiten von Krise und Krieg, als Bühnen-Qual empfinden.

Schaubühne: „Beyond Caring“, nächste Vorstellungen täglich vom 2. bis 5. Mai und vom 25. bis 29. Mai.

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Heilsbringer in der Waschmaschine – Michael Thalheimer inszeniert „Tartuffe“ an der Schaubühne

Endlich haben alle begriffen, dass der als Heilsbringer verehrte Herr Tartuffe nur ein Heuchler ist. Ein Scharlatan, der sich in religiöser Verzückung kurios verbiegen kann und sich in leidender Jesus-Pose gefällt.

All die auf die Haut tätowierten Bibelverse und das Gerede von Schuld und Erlösung können irgendwann nicht mehr vertuschen, dass Tartuffe nur ein geldgieriger Raffzahn und notgeiler Lüstling ist, der die Familie Orgon in den Ruin treiben und es mit der Frau des Hauses treiben möchte. Plötzlich beginnt die kleine Welt der Orgons ins Rutschen zu kommen. Und die Bühne, eben noch eine mit Blattgold verzierte Mönchszelle, rotiert wie eine enthemmte Waschmaschine.

Orgon (Ingo Hülsmann, li.) und Tartuffe (Lars Eidinger). (Bild: Katrin Ribbe/Schaubühne)

Orgon (Ingo Hülsmann, li.) und Tartuffe (Lars Eidinger). (Bild: Katrin Ribbe/Schaubühne)

Das Unterste wird nach oben gekehrt, die Menschen fliegen durcheinander. Nichts und niemand gibt ihnen mehr Halt. Schon gar nicht jener feist grinsende Herr Tartuffe, der – so will es Regisseur Michael Thalheimer – zum bitterbösen Ende hin nicht verhaftet wird, sondern die Familie Orgon einfach vor die Tür setzen lässt.

Michael Thalheimer, offenbar vom interneren Machtkampf mit Platzhirsch Andreas Kriegenburg am Deutschen Theater entnervt, ist als Hausregisseur an die Berliner Schaubühne gewechselt. Dort inszeniert er jetzt Molières „Tartuffe“ als, ja, als was eigentlich? Eine ausgelassene Komödie jedenfalls ist es nicht geworden. Eher eine streng formalisierte Groteske. Ein moralinsaurer Abgesang auf die Blindheit der Menschen, die sehenden Auges in ihr Unglück rennen.

Thalheimer bleibt sich, auch am neuen Theater, treu und macht das, was er immer macht: Er entkernt den Text, bis nur noch ein ein dürres Handlungsgerippe übrig bleibt, reduziert die Menschen auf stilisiert wirkende Macken und Marotten, sperrt die Figuren – mit Hilfe seines Bühnenbildners Olaf Altmann – in ein enges Gefängnis. Ob der von allen guten Geistern und jeder Vernunft verlassene Orgon (Ingo Hülsmann), ob seine um Haus und Hof fürchtende, aber einem Seitensprung nicht abgeneigte Frau Emire (Regine Zimmermann) oder der sich mit ausgeleierten Phrasen und billiger Anmache einschleimende Tartuffe (Lars Eidinger): Sie alle müssen sich durch einen kleinen Spalt in den karg möblierten Bühnen-Schrein zwängen.

Lustig ist das nicht. Genauso wenig wie die seltsamen Grimassen, Verrenkungen und Schreiattacken, von denen Tochter Marian (Luise Wolfram), ihr Verlobter Valère (Tilman Strauß) und der Gerichtsvollzieher (Urs Jucker) heimgesucht werden. Einzig Judith Engel als gelangweiltes Hausmädchen Dorine verbreitet als Unheil verkündende Kassandra eine Komik des Schreckens.

Längst bevor die falsche Fassade einstürzt, liegen alle Lügen und alle Wahrheiten offen zutage. Atmosphärische Verdichtung erzeugt allein noch die enervierende Musik: eine schauderhaft-schöne Collage aus schwer dröhnenden sakralen Orgelklängen und metallisch klirrenden Gitarrenriffs. Das bleibt noch lange im Ohr. So wie die zur rotierenden Waschmaschine werdende Bühne sich ins Theater-Gedächtnis einschreiben wird. Aber sonst? Viel Lärm um nichts.

Berlin, Schaubühne am Lehniner Platz, Kurfürstendamm 153. Nächste Aufführungen am 9. und 10. Januar 2014. Karten unter 030/890023 oder ticket@schaubuehne.de




Das schrille Krähen der Apokalypse – Thomas Ostermeiers Berliner „Nora“-Inszenierung gastiert bei den Ruhrfestpielen

Von Bernd Berke

Marl. Brütende Hitze herrscht in der Marler Eisenlagerhalle Victoria 1/2, dieser industriellen Stätte der Ruhrfestspiele. Doch was soll’s. Hier sieht man ein gepriesenes Hauptereignis der Theaterspielzeit: Henrik Ibsens „Nora“ in Thomas Ostermeiers Berliner Schaubühnen-lnszenierung lohnt manchen Schweiß.

Der moderne Klassiker von 1879 ist ein heimliches Stück der Saison. Viele Bühnen, darunter Dortmund, haben das dramatische Prägemuster weiblichen Aufbegehrens ins Programm genommen. Doch die Berliner Fassung im kühlen Bauhaus-Ambiente, das vom vorläufig wachsenden (aber stets bedrohten) Wohlstand kündet, dürfte bei weitem unerreicht sein. Dem frisch ernannten Bankdirektor Helmer (Jörg Hartmann) geht die Karriere so sehr über alles eheliche Maß, dass er Nora jederzeit opfern würde.

Gewaltphantasien wie aus Horrorfilmen

Bei Ostermeier flackern allerlei jetzige, vorwiegend medial aufgepeitschte Krisen-Gespenster durchs Geschehen. Es ist wie ein schrilles Krähen der Apokalypse: Eingestreute Slapstick-Nummern beschwören krude Gewaltphantasien wie aus Video-Ballerspielen oder blutigen Horrorfilmen herauf. Die Machtfrage zwisehen den Geschlechtern wird zuweilen körperlich drastisch ausgetragen: Nicht nur ihr Besitz ergreifender Gatte, dieses Laptop- und Handy-Monster, sondern auch der erpresserische Krogstad und der todkranke Hausfreund Dr. Rank geben sich so unverfroren, als sei Noras Leib durchaus „verfügbar“ wie der eines sadomasochistischen Pornostars. Erschreckend: All das kommt einem ziemlich plausibel vor. Ostermeier webt das Stück vom Tod der Emotionen ins Heute hinein, er zerrt es nicht bloß herüber.

Die anfangs so sorglos-flatterhafte Nora (umwerfend präsent: Anne Tismer) wirkt zunächst wie ein Plappermäulchen vom Schlage einer Verona F.: atemlos konsumgierig, über alles hinweg trappelnd.

Der Weg führt nicht ins Freie

Unter steigendem Leidensdruck wirft sich Nora in (hilflose) Posen der Selbstbehauptung, als wolle sie wenigstens aufrecht durchs Martyrium staksen. Zugleich wachsen Hysterie und Selbstentfremdung: Entgeistert betrachtet sie ihre Hände, die ein seltsames Eigenleben führen. Bin ich das noch. die da handelt?

Schließlich handelt sie ungeheuer haltlos! Sie geht nicht einfach fort, sondern feuert kaltblütig ein Pistolenmagazin auf ihren Mann ab: ein grotesker, gurgelnder Tod im heimischen Aquarium. Als Nora die Haustür hinter sich schließt, führt der Weg nicht ins Freie, sondern in ein Niemandsland fortwährender Verzweiflung.

Termin: Heute, 31. Mai (19 Uhr). Karten: 02361/92 180.




Der Idiot auf der Klippe – Edith Clever inszeniert die Uraufführung von Botho Strauß‘ „Jeffers – Akt I und II“ in Berlin

Von Bernd Berke

Berlin. Botho Strauß, unser vielleicht empfindsamster, aber auch umstrittenster Theaterdichter. hat einen erlesenen Geistesverwandten gefunden – den amerikanischen Lyriker Robinson Jeffers (1887-1962). Ihm huldigt Strauß in seinem neuen Stück „Jeffers – Akt l und II“. Ebenso leichtgläubig wie schwerblütig hat Edith Clever die Uraufführung für die Berliner Schaubühne inszeniert.

Jeffers war – ganz wie Strauß – ein Eremit der Literatur. Aus der Abgeschiedenheit von Carmel an Kaliforniens Küste verdammte er die moderne Zivilisation und allen Gegenwarts-Plunder im Namen einer gleichsam überirdischen Schönheit der Steine, des Meeres und der Falken. Der Naturfriede gedeihe am besten ohne Menschen, befand Jeffers in langen Poemen. Ökologie radikal, sozusagen. Nur: Für wen denn eigentlich noch?

Solch entschiedene Abkehr vom schnöden Menschenalltag hat es auch Strauß seit langem angetan. War es ihm in früheren Stücken gegeben, aus haarfeiner Beobachtung gängiger Bewußtseins- und Beziehungs-Formen unvermittelt ins Mythische abzuheben, so setzt er diesmal gleich ganz oben beim Mythos an.

Auf der Bühne kreisen die Steine

In „Akt I“ vernehmen wir zwei lange Monologe von Jeffers (Bruno Ganz) und seiner todkranken Frau Una (Edith Clever). Zwischen ihnen besteht keine mindere „Appartement-Liebe“, sondern eine unendliche Kraft der Sehnsucht. Wie zwei alte Rosensträuche wachsen diese beiden Menschen immer mehr zusammen, heißt es an einer Stelle.

Nach Unas Tod sinniert Jeffers über derlei Schönheit bewegungslosen Gleiçh-Bleibens auf einer „Insel hinter der Zeit“ – und schmäht alle Intellektuellen, denen er als reaktionärer „Idiot auf der Klippe“ gilt. Während er still dasitzt, kreisen auf der Bühne die Steine. Siehe, das finale „Heil“ einer menschenleeren Welt scheint nahe…

Mit Hilfe etlicher Jeffers-Originalzitate vermag es Strauß, aus den Lebensbilanzen des Paares einen hochpoetischen Gesang von einfachem Dasein und Dauer zu destillieren. Edith Clever und Bruno Ganz, die Größen der guten alten Schaubühnen-Zeit, sind – wie ihre Figuren – zwei, die nichts mehr forcieren oder beweisen müssen. Sie müssen nur reden, schon leuchtet etwas auf. Da schwebt, aus Jeffers und Strauß Elfenbeintürmen, tatsachlich ein hauchzarter Geist. Ein Mirakel des Theaters – und ein wundervoll milder Nachklang der vergehenden Schaubühnen-Ära.

Dem milden Nachklang folgen die Nachwehen

Doch dann heben die doppelt so langen Nachwehen an. Leider hat Strauß es nicht beim kostbaren Kleinod „Akt I“ bewenden lassen, es drängte ihn, Jeffers Gedicht „Mara“ in szenische Form zu pressen. Das Unglück beginnt mit dem Explosions-Blitz eines Zeppelinabsturzes, den einige Farmer und Töchter des Landes saufend begaffen. Nach diesem Menetekel der Zivilisation sehen wir sie später noch bei einem Hillbilly-Tanzvergnügen. Strauß hochmögende Worte in einer Saloon-Atmosphäre – das ist arg und sorgt des öfteren für unfreiwillige Komik.

Kern der Geschichte: Farmer Bruce (Bruno Ganz) muß argwöhnen, daß es seine jungeFrau Fawn (Karoline Eichhorn) mit seinem Bruder treibt; eine Leidenschaft, die sich in gurrenden Ausrufen wie „Oh, du Tier!“ artikuliert. Man schreibt zudem dasJahr 1939. Jenseits des Ozeans hat Hitler-Deutschland Polen überfallen. Schmutz also aus den Radio-Nachrichten, Lüge und Schmutz auch in den Seelen – dies treibt Bruce allmählich in einen Wahn, in dem „alle Zeit stillsteht“.

Hoher Ton und niederes Tun

Noch so einer an der Kante zur menschenleeren Welt, bis zu deren Grenze ihn die einstige Wasserleiche und jetzige Algenteppich-Hure „Mara“ (somnambul: Corinna Kirchhoff) geleitet. Hoher Ton und niederes Tun geraten wirr durcheinander. Mystisches Raunen, bedeutungsschwere Erstarrung und derber Mummenschanz ergeben ein unfrohes Gemenge, in dem selbst Bruno Ganz unterzugehen droht. Groteske1 Geisterstunden.

Großer Beifall für „Akt I“, Buhkonzert für Regie und Autor am Schluß von „Akt II“. Ein Abend, zwei Weiten.

Termine der Schaubühnen-Produktionen im Hebbel-Theater, Stresemannstraße 29: am  23., 24., 25. April, 6., 7.. 8. Mai (20 Uhr).