Unermüdliche Suche nach Benachteiligung – „Cherchez la FemMe“ im Dortmunder Studio

Von links: Linda Elsner, Sarah Yawa Quarshie und Iman Tekle (Bild: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Angekündigt wird die Begegnung mit drei sehr unterschiedlichen Frauen, mit Claude Cahun, Josephine Baker und Eartha Kitt. Doch wenn das Spiel beginnt, läuft es ganz anders als geplant. Offenbar ist das Publikum zu früh gekommen, die auf der Bühne sind noch nicht fertig. Und das Licht ist auch noch nicht an.

Witzig? In Grenzen schon. „Cherchez la FemMe“ heißt das 75-minütige Spektakel im Studio des Dortmunder Theaters, das nach seinem verstolperten Anfang bald an Fahrt gewinnt. Und natürlich ist die orthographisch fragwürdige, selbstverständlich vieldeutige Schreibung des Titels absichtsvoll erfolgt.

„Kochshow“ mit (von links): Linda Elsner, Iman Tekle, Sarah Yawa Quarshie und Christopher Heisler (Bild: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Weibliche Identität

Recht offenkundig geht es, wie mittlerweile oft im Dortmunder Theater, um die geschlechtliche Identität, vor allem jedoch um vorgebliche Unterdrückung, Vermeidung, Diffamierung der weiblichen Anteile eines jeden Menschen. In einer „Kochshow“ ist zu sehen, wie weibliche Identität „seit 800 Jahren“ aus diskriminierenden, minderwertigen Zutaten entsteht, zusammengebraut (vermutlich) von weißen alten Männern. In Wirklichkeit aber soll es eine solche weibliche Identität gar nicht geben, ihre Definition sei lediglich ein Unterdrückungsmechanismus, behauptet diese Szene. Na gut.

Hier dreht es sich um Hannah Arendt. Szene mit (von links) Linda Elsner, Iman Tekle, Christopher Heisler und Sarah Yawa Quarshie (Bild: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Hannah Arendt

Es irritiert, dass wir nun jedoch Hannah Arendt begegnen, von der man zumindest weiß, dass sie eine bedeutende Geisteswissenschaft-lerin war, dass sie ein Verhältnis mit Martin Heidegger hatte, dass sie den Eichmann-Prozess verfolgte, ein Buch darüber schrieb und ihr Satz von der „Banalität des Bösen“ geradezu populär wurde. Auf der Bühne, wo eine Darstellerin Hannah Arendt spielt, während die anderen ohne Rollenzuweisungen bleiben, geht es aber offenbar vor allem um ihr weibliches Selbstverständnis im männlich dominierten Wissenschaftsbetrieb. Sie soll sich wohl nicht benachteiligt gefühlt haben, kann das denn stimmen? Letztlich bleibt die Antwort aus, sie wäre von der Anlage der Szenen her auch kaum möglich. Denn Schauspiel – mit der Betonung auf Spiel – findet an diesem Abend nicht statt. Statt dessen wird in Richtung Publikum deklamiert und monologisiert, meistens solistisch, gelegentlich aber auch im Chor, anklagend und vorwurfsvoll.

Zeigt komisches Talent: Christopher Heisler (Bild: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Zum Glück mit Spaßfaktor

Glücklicherweise haben die Autorinnen vom Kollektiv „Operation Memory“ (Julienne De Muirier, Alexandra Glanc und Maria Babusch, alle auch Regie) einen kräftigen Spaßfaktor in ihren Theaterabend eingebaut. „Cherchez la FemMe“ ist auch eine Bühnenshow, in der die Darsteller, drei Frauen und ein Mann, zu Titeln wie „New York, New York“ erheiternde Tanzeinlagen liefern. Bei Josephine Baker ginge es ja gar nicht ohne. Auch Eartha Kitt, von der man Titel wie „Santa Baby“ oder „C’est si bon“ im Ohr hat und die als gleichermaßen erotische wie wehrhafte Cat Woman Karriere machte, vollzieht ihren Bühneneinsatz höchst körperbetont. Von Leonard Cohen hört man dazu „I’m Your Man“ vom Band.

Eine Produktion mit erheblicher Flüchtigkeit

Textpassagen gelangen zum Vortrag, die die Frauen von „Operation Memory“ den beschriebenen Künstlerinnen biographisch zuordnen, mehr oder weniger jedenfalls, Texte voller Verlusterfahrung und Zorn. Ob das alles so stimmt, und ob das passt, wer weiß? Vielleicht ist der eine oder andere Satz durchaus bedenkenswert. Doch wohnt dieser Produktion erhebliche Flüchtigkeit inne, die ein gründlicheres Nachschmecken schwer macht.

Sehr unglücklich

Ein wenig anders verhält es sich lediglich bei der Fotografin und Schriftstellerin Claude Cahun (1894 – 1954), der sich dieser Abend mit etwas mehr Ernsthaftigkeit widmet und zu der es auch eine projizierte Bilderfolge zu sehen gibt. Sie soll, so legt das Stück uns nahe, mit ihrem Geschlecht, mit Geschlechtlichkeit schlechthin, sehr unglücklich gewesen sein. Und damit wäre man bei der zentralen Frage, nämlich, wie glücklich oder unglücklich Menschen in ihrer konkreten Existenz waren, sind oder sein könnten. Doch dieser Frage stellt sich dieser Abend, na sagen wir mal: kaum.

Fleißiges Bühnenpersonal

Die Schauspielerinnen heißen Sarah Yawa Quarshie, Linda Elsner und Iman Tekle. Einsatzfreude kann allen Darstellern attestiert werden, bei Christopher Heisler, dem einzigen Mann auf der Bühne, blitzt zudem immer wieder dezentes komödiantisches Talent hervor.

Gelangweilt hat man sich nicht, schlauer geworden ist man aber auch nicht. Anhaltender, naturgemäß begeisterter Uraufführungsbeifall.




Wie sag ich’s meinem Publikum? – Dortmunder Annäherungsversuche an Bernhards „Theatermacher“

Theatermacher Bruscon (Andreas Beck, links) und Wirt (Uwe Rohbeck) (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Kay Voges, Dortmunder Schauspielchef, hat Thomas Bernhards grandioses Stück „Der Theatermacher“ wohl nicht gänzlich ironiefrei ausgesucht, um sich mit einer Inszenierung im renovierten Dortmunder Schauspielhaus zurückzumelden.

Der schwergewichtige Andreas Beck spielt die Titelrolle, Uwe Rohbeck ist sein quirliger Widerpart, im Textbuch nur „der Wirt“ geheißen. Und natürlich nicht brav von Anfang bis Ende nach Vorlage auf die Bretter gestellt, sondern, nun ja, bearbeitet.

Andreas Beck als Theaterdespot

Doch hält diese Produktion dem Sprachberserker Bernhard bemerkenswert lange Zeit die Treue. Mit Verve und Besessenheit wütet Beck sich durch die redundanten Obsessionen des Theatermachers Bruscon, schwadroniert das Blaue vom Himmel herunter, verletzt und entwertet Frau und Kinder (sein einziges Ensemble), verlangt nach Frittatensuppe, erregt sich über die nicht vorhandene Genehmigung des örtlichen Feuerwehrchefs zum Lichtabschalten, und so fort. Sein Stück „Das Rad der Geschichte“ ist monströs, seine Wahnvorstellungen von der Inszenierung sind es, und daß die ganze Welt monströs ist, wer wollte daran zweifeln.

Der unverwechselbare Stil Thomas Bernhards, der oft durch Verflechtung und vielfache Wiederholung thematischer Stränge gekennzeichnet ist, durch ein zorniges Anrennen gegen die Widernisse dieser Welt, das außer Erschöpfung keinerlei Resultate zeitigt, findet im „Theatermacher“ eine seiner schönsten Ausprägungen, und vielleicht, das aber ist Spekulation, darf Andreas Beck auch deshalb so lange den „altbekannten“ Bruscon geben. So lange, bis ihm – in Bernhards Text, in einer Anwandlung ungeschminkter Erkenntnis – Zweifel an sich selbst und seinem Tun kommen. Nun aber donnert’s, und das Spiel bricht ab.

Nach Rollentausch und Kleiderwechsel gibt Uwe Rohbeck den Theatermacher Buscon. (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Wo bleibt der Zeitbezug?

Und wieder stürmt Bruscon aus dem Zuschauerraum auf die Bühne, und das Spiel beginnt von vorne. Doch alles geht schneller; von nun an scheint die Frage im Mittelpunkt zu stehen, was man heutzutage aus diesem Stück machen sollte, 34 Jahre nach der Uraufführung. Es sind dies offenbar Fragen, die um Konflikt, Gewichtung, Moral, Ästhetik, Deutung, Vermittlung usw., aber auch um Ausstattung, Kurzweil und Spaßfaktor kreisen und die in der Tat gerade bei einem Autor wie Thomas Bernhard, der mit starkem Zeitbezug schrieb, unausweichlich sind. Aus diesem Grund ist es wohl auch, wenngleich mit Bedauern, hinzunehmen, daß in der Dortmunder Einrichtung Österreich gegen Westfalen getauscht wurde und Bernhards ätzende Heimatkritik harmlosen Westfalen-Späßen weichen mußte. Doch das Publikum lacht, wenn es von Bruscons Gastspiel in Hörde hört.

Rollentausch zum Donnerwetter

Der zweite Durchgang arbeitet sich – bei gleicher Rollenverteilung – anscheinend etwas stärker an Textmarken wie „Blutwursttag“, „Erna kommt“ oder „Gastronomie“ voran. Dann – Donnergewitter wiederum – tauschen Beck und Rohbeck Rollen, Oberbekleidung und Lockenperücke (Kostüme: Mona Ulrich). Der kleine Alerte ist nun wütender Theatermacher und der Massige in sich ruhende Wurstigkeit, erstaunlicherweise mit norddeutschem Akzent. Der erschließt sich ebenso wenig wie Rohbecks tuntige Attitüde, wenn er doch in längeren Passagen die gänzliche Unzulänglichkeit der Gattin (Janine Kreß) beklagt. Ist aber egal, einige im Publikum haben auch an so etwas ihren Spaß.

Familienaufstellung mit (von links) Xenia Snagowski, Andreas Beck, Uwe Rohbeck, Christian Freund und Janine Kreß. (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Von Webber bis Hitler

In weiteren Durchgängen werden sozusagen die Gewichtungen der Rollen im Stück getauscht, werden mal die Kinder (Christian Freund und Xenia Snagowski) zu Theatertyrannen, mal die beiden Frauen. Mal nimmt das Bühnengeschehen die Gestalt eines Andrew Lloyd-Webber- Musicals an, mal die eines sehr lauten Punk-Acts.

Schließlich geben die Damen mit typischem Lippenbärtchen, Schirmmütze und schwarzem Tutu noch den Adolf Hitler, und ganz am Schluß darf Andreas Beck/Bruscon, arg derangiert auf einem Tische liegend, die Seinen flehentlich bitten, einmal lieb miteinander zu sein. Der Mann hat ja so recht. Aber Trost und Frieden sind bei Thomas Bernhard ausgeschlossen. Das Leben, das Theater und die ganze schreckliche Welt mit Krieg und Nazis und Katholizismus sind für ihn nur in endloser rhetorischer Wiederholungsschleife zu ertragen, wenn überhaupt. So gesehen offenbaren Becks flehentliche Schlußworte tiefes Textverständnis.

„Der Theatermacher“ in der Punk/Hitler-Version mit (von links und kaum zu erkennen) Uwe Rohbeck, Xenia Snagowski, Andreas Beck, Janina Kreß und Christian Freund. Die Video-Art ist von Mario Simon und Tobias Hoeft. (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Kunstfeindliche Orte

Die musikalischen Anreicherungen dieses Theaterabends stammen wieder einmal von T. D. Finck von Finckenstein und fügen sich gut in ein Konzept der unterschiedlichen Annäherungen ein.

Das Bühnenbild von Daniel Roskamp zeigt in Dortmund nicht den abgeranzten Festsaal eines glanzlosen österreichischen Landgasthofes mit Hitler-Portrait an der Wand, sondern eher einen Rohbau mit vielen roten Feuerlöschern, der an die temporäre Ausweichspielstätte „Megastore“ im Industriegebiet denken läßt. Kunstfeindliche Orte sind sie alle beide, könnte man vielleicht deuten, vielleicht auch einfach erschauerndes Erinnern nach den Zumutungen des langen Theaterumbaus herauslesen.

Das „Rad der Geschichte“ übrigens wird tatsächlich einmal hereinrollt. Es ist ein Stück Kulisse und hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Logo der „alten“ Berliner Volksbühne, die nach der Verrentung des Intendanten Frank Castorf gnadenlos und radikal abgewickelt wurde. Spekulationen über die Bedeutung der Räder, über Vermessenheiten auf der einen oder anderen Seite erspare ich mir an dieser Stelle.

Eindruck von Unentschlossenheit

Man verläßt das Theater mit gemischten Gefühlen. Die Sinnhaftigkeit dieser Reihung verschiedener Annäherungen an den „Theatermacher“ will sich letztlich nicht recht erschließen. Es bleibt ein Eindruck von Unentschlossenheit. Doch dem Publikum gefiel es, im restlos ausverkauften Großen Haus. Nicht erst am Ende, sondern in einigen Szenen schon spendete es der tadellos und mit großem Körpereinsatz aufspielenden fünfköpfigen Darstellerriege reichen Applaus.

  • Termine: 11., 14., 15. April, 6. Mai, 7., 24. Juni, 6., 13. Juli
  • www.theaterdo.de