Der Abschied vom alten Plunder – „Wien um 1900″ im Wuppertaler Museum

Von Bernd Berke

Wuppertal. Auf kostbare Art wird man in dieser Ausstellung empfangen. Geht man die Treppe hinauf, schaut man schräg von unten auf ein Damenbildnis: In sattem Purpurrot leuchtet Hans Makarts Porträt der Dora Fournier-Gabillon. Ihr Kleid sieht sündhaft teuer aus. Wenn man genauer hinschaut, entdeckt man aber Risse im Gemälde. Der Künstler selbst hat wütend darauf eingedroschen, als ihn die Dargestellte nicht heiraten mochte.

Wie sich die Kunst. in „Wien um 1900″ (Ausstellungstitel) von solch opulenten Salonbildern zum ornamentalen Jugendstil und schließlich zum Expressionismus entwickelte, das kann man nun im Wuppertaler Von der Heydt-Museum studieren, in einer klug konzentrierten Schau mit Porträts und Interieurs, ergänzt durch kunstvoll gestaltete Möbelstücke und Gebrauchsgegenstände jener Epoche.

Einmal mehr kann Wuppertal (in Kooperation mit Museen in Wien und Amsterdam) erlesene Namen aufbieten: Klimt, Kokoschka und Schiele sind mit prägnanten Arbeiten vertreten.

Daß es besagter Malerfürst Makart mit praller Fülle hielt, beweist ein Blick in sein Atelier. Eduard Charlemont hat diesen mit allerlei Plunder vollgepfropften Raum um 1880 gemalt. Auch Makarts malerischer Dekorations-Entwurf fürs Schlafzimmer der Kaiserin Elisabeth („Sissi“) ist mit historisierender Prachtentfaltung überladen.

Doch gekrönte Häupter waren schon nicht mehr die einzigen Herrscher. Das bürgerliche Zeitalter hatte längst begönnen. Und so wirkt Gustav Klimts Bild der in hauchzarten Stoff gehüllten Unternehmergattin Sonja Knips (1898) kaum minder kostbar als Makarts monarchische Schwelgereien, wenngleich schon viel klarer im Aufbau.

Malerische Erforschung des Seelenlebens

Ein besonderes Stück ist Broncia Koller-Pinells „Sitzende“ (1907). Die Künstlerin hat diesen Frauenakt ganz ohne laszive Zwischentöne gestaltet, es geht um Körperlichkeit, wie sie eben ist. Eine Besinnung aufs „Eigentliche“.

Nun richtet sich der Blick zunehmend aufs Innenleben. Zunächst erkennt man diesen Perspektivenwechsel auf den Familienbildnissen: Des Künstlers kleine Welt und trautes Heim. Intime Interieurs, zumal die sanft bläulich gehaltenen eines Carl Moll, strömen Ruhe aus.

So friedlich bleibt es nicht. Denn es folgen Selbstbildnisse. Hier schaut man vollends nach innen, in die Untiefen der Seelen. Koloman Moser stellt sich 1916 als Märtyrer dar, was auch genereller Kommentar zur Lage der Künstler sein dürfte. Egon Schiele verleiht dem Verleger Eduard Kosmack (1910), der hypnotisch begabt gewesen sein soll, bereits durch die gepreßte Körperhaltung etwas Explosives, mühsam Gebändigtes.

Richard Gerstls Doppelporträt der „Schwestern Karoline und Pauline Frey“ hat sich weit vom bloßen Abbildungs-Realismus entfernt und wirkt gerade deshalb eindringlich. Mit subtilen Andeutungen hat der Maler die Charaktere der beiden Schwestern bloßgelegt. Erschütternd: Gerstls Selbstbildnis als lachender Mann. Bald darauf hat sich der Künstler das Leben genommen. Was er uns zeigt, ist das letzte Lachen eines Verzweifelten.

Wien um 1900 – Der Blick nach innen“. Von der Heydt-Museum, Wuppertal (Elberfeld, Turmhof 8). Bis 5. Oktober. Di-So 10-17 Uhr, Do 10-21 Uhr. Katalog 39 DM.

 




Gefährlich lockt das Weib – Frankfurt: Groß angelegte Kunstschau zur Erotik in der Wiener Moderne

Von Bernd Berke

Frankfurt. Wie haben sich diese Herren mit dem Bildnis der Frau abgeplagt! Sie war ihnen die gefährlich lockende Sirene, das animalische Wesen oder die rätselhafte Sphinx. „Sehnsucht nach Glück“ heißt eine großartige Frankfurter Ausstellung zur Wiener Moderne der letzten Jahrhundertwende. Wo aber ist das Glück?

Zentralfiguren der umfangreichen, mit Raritäten gespickten und aus allen Weltteilen zusammengetragenen Schau (rund 200 Exponate) sind Gustav Klimt und Egon Schiele. Zudem wird der Umkreis der 1897 gegründeten „Secession“ einbezogen, mit deren Wirken die (gleichfalls in Beispielen gezeigte) akademisch-bombastische Salonkunst von „Malerfürsten“ wie Hans Makart überwunden werden sollte. Spitzenwerke von internationalen Gästen der damaligen Gruppenausstellungen (z. B. Edvard Munch) runden das pralle Zeitbild ab.

Auf eigenen Pfaden unterwegs

Die Frankfurter Auswahl ist im Zusammenklang mit dem Österreich-Schwerpunkt der Buchmesse entstanden. Und siehe da, es verhält sich ähnlich wie auf dem Felde der Literatur: Auch die bildenden Künstler des Alpenlandes haben sich ihre speziellen Pfade zur Moderne gebahnt. Mit Schubladenbegriffen wie Symbolismus und Jugendstil ist dies schwerlich zu fassen.

In der Schirn-Kunsthalle hat man gut daran getan, die Beweisführung nicht ausufern zu lassen, sondern sich auf ein Thema zu konzentrieren – eben die Darstellung von Eros und Sexualität.

Obwohl die Grundformel eigentlich „Kunst plus Weib gleich Lebensglück“ lauten sollte, erbeben die meisten Werke in lasziven Angst-Lust-Phantasien vor der Frau. Das Weib erscheint fast immer im Rollenschema zwischen Hure und Madonna. Kein Zweifel allerdings, daß gerade aus derlei seelischen Verkantungen und Zerklüftungen mitreißende Kunst erwachsen ist.

Gustav Klimt läßt einige nackte Damen als stumme und gänzlich anonyme „Goldfische“ (1901/02) durchs erotische Bassin schwimmen. Nach historisierenden Anfängen mit plüschig wucherndem Dekor, erobert sich Klimt mit dem Bildnis der „Sonja Knips“ (1898) buchstäblich neuen Freiraum, denn er beläßt eine große leere Fläche neben der eleganten Frauenfigur. Alsbald wird er solche Felder mit Ornamenten füllen – ein Weg in die Abstraktion. Schlüsselbild für diese Entwicklung ist „Pallas Athene“ (1898), die damals mit ihrer in Goldflitter eingefaßten, unerbittlich fordernden Erotik für Skandale sorgte. Gipfelwerk einer zum Sprechen gebrachten Ornamentik ist „Die Jungfrau“ (1913), sogkräftige Zusammenschau der Stufen von Unschuld und „Sünde“.

Der Mann als Opfer seiner Triebe

Dem Manne bleibt in solchen Szenarien und (jeweils anders abgestuft) in denen etlicher Zeitgenossen (u. a. Oskar Kokoschka, Lovis Corinth, Fernand Khnopff) meist nur die Rolle eines an den Rand gedrängten Voyeurs, eines hilflosen Opfers der Triebe. Tödlicher Akt des Verderbens: Max Klingers nixenhafte „Sirene“ (1895) reißt ihren Partner ins wild wogende Meerwasser der Lüste. Es wirkt wie ein verzweifelter Gegenangriff, wenn Egon Schiele das Fleisch der Frauen zeigt, als sei es gegeißelt worden. Vollends auf die Nachtseite treibt der mit exquisiten Tuschfederzeichnungen vertretene Alfred Kubin das Thema. Er wirbelt den dunklen Bodensatz der sexuellen Alpträume auf.

Die Summe des Unglücks und der gescheiterten Ansprüche, Kunst und Leben zu versöhnen, verrät sich in den Selbstporträts. Besonders angesichts der hochmütig-verkrampften Abwehrposen, mit denen sich Egon Schiele selbst vergegenwärtigt hat, kann einen das Frösteln erfassen.

„Wiens Aufbruch in die Moderne“. Schirn Kunsthalle, Frankfurt/Main (Römerberg). Bis 3. Dezember, tägl. außer montags 10-19 Uhr. Mi/Do 10-22 Uhr. Katalog 49 DM.