Moden und Marotten im Journalismus (5): Themen verstecken – So gehen (manche) Schlagzeilen heute

Da fragt man „Was?“, da ruft man „Hä?“ – typische Titelschlagzeile auf Seite 1 der Ruhrnachrichten vom 2. Dezember 2020. Und ja: Das ist schon die ganze Überschrift.

Habe sehr lange nichts mehr über Moden und Marotten im Journalismus verlauten lassen. Und ich will’s auch kurz machen.

Marotte Nummer eins sind die kryptischen Schlagzeilen, wie sie in den hiesigen Breiten vor allem die Ruhrnachrichten (RN) pflegen oder besser: ‘raushauen; übrigens besonders gern beim Aufmacher der Titelseite. Da erschien kürzlich zum Beispiel die begnadete, im Grunde fast an jedem Tag mit wechselnden Inhalten wiederverwendbare Überschrift: „Skandal ungeheuren Ausmaßes“. Worum es da eigentlich ging, wurde auch nicht in einer Dach- oder Unterzeile erläutert. Man musste schon in den Text einsteigen, um zu erfahren, dass rechtsradikale Umtriebe bei der Polizei gemeint waren.

Tage später kam am selben prominenten Platz der Zeitung diese Zeile heraus, die gleichfalls auf ein Themenraten hinauslief: „Zuschlag für das Aus“. Hä? Wie bitte? Nun, diesmal ging es um den Kohleausstieg. Verdächtig genug, wenn sich derlei nichtssagende Zeilen schadlos umkehren lassen: „Aus für den Zuschlag“. Auch nicht völlig verkehrt.

Die im Ruhrgebiet nach entschiedener Gebietsaufteilung kaum noch direkt mit den RN konkurrierende Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) schmiedet derweil in aller Regel ungleich präzisere Überschriften. Dass es möglichst spezifisch sein soll, hat man ja als Journalist irgendwann auch mal gelernt. Bei den Ruhrnachrichten scheinen sie hingegen in der Chefetage beschlossen zu haben, dass rätselhafte Zeilen Anreize bieten. Aber auch das wird sich geben. Spätestens beim nächsten Relaunch des Blattes.

Mindestens ebenso sehr nervt eine aus dem Internet herrührende Gewohnheit, mit der dort möglichst viele Klicks erzeugt werden sollen. Auch hierbei wird das eigentliche Thema zunächst versteckt. Man verrät in der Überschrift / im „Anreißer“ überhaupt nicht mehr das Eigentliche, sondern verbirgt einen Kern der Nachricht ganz bewusst. Ein Musterbeispiel von endlos vielen, heute willkürlich herausgegriffen: „Das wird der Standort des Impfzentrums“. Ehedem, in den besseren Print-Zeiten, wäre der konkrete Ort (eine Dortmunder Musikhalle) auf jeden Fall sogleich genannt worden.

Seit einiger Zeit wird das Produkt jedoch vom Online-Auftritt her geplant und gedacht, die gedruckte Ausgabe ist quasi nur noch ein Anhängsel. Also soll dieser Reflex ausgelöst werden: „Das wird der Standort des Impfzentrums“ – „Ja, welcher wird es denn? Da muss ich doch gleich mal draufklicken.“ Und schon hat man wieder einen Zugriff generiert. Am besten wär’s gewesen, im Vorfeld der Entscheidung noch eine Bilderstrecke platziert zu haben, die sich zehnteilig auf zehn mögliche Standorte bezieht. Oder auch fünfzehn. Egal. Hauptsache, ihr klickt wie die Teufel.




Alles muss wohl immer lustig sein

Kürzlich wurde das Modell für das zukünftige Fußballmuseum am Dortmunder Hauptbahnhof veröffentlicht. Mir hat das gläserne Stück gut gefallen – immerhin konnte man sich in der Regionalpresse ein Bild machen oder besser ansehen.

Eine typische Titelseite der FAZ


In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung fand sich dazu ebenfalls etwas: Eine Acht-Zeilen-Meldung im Feuilleton mit der Überschrift „Ein Klotz am Bahnhof“.

Da sollte wohl eine lustige Assoziation an den Volksmund geschaffen werden, von wegen „Klotz am Bein“, aber im Text findet sich keinerlei Bezug in diese Richtung. Das Museum wird ja auch kein Klotz, wie man sah. Auch ist nicht abzusehen, dass das Museum eine Belastung für den Bahnhof darstellen könnte, wie eine Analogie zu dem Idiom nahe legen könnte.

Vielmehr folgt die FAZ einem Trend, in Überschriften krampfhaft Anlehnungen an Sprichwörter, Gedichte, Roman- oder Filmtitel zu produzieren. Alles soll immer lustig sein, und in der Süddeutschen Zeitung ist dieser Trend noch stärker zu sehen. Wenn es passt, ist dagegen ja nichts einzuwenden, aber meist wird die Assoziation nur geschaffen um der guten Idee willen. Der folgende Text gibt den Zusammenhang dann gar nicht mehr her, wie eben bei jenem „Klotz am Bahnhof“.

Die Leser sind doch überhaupt nicht so doof, die können auch mit ernsthaften Überschriften leben.