Im 100. „Schreibheft“: Vergessene, verkannte, verschollene Autorinnen und Autoren

Kürzlich ist die einhundertste Ausgabe der Literaturzeitschrift Schreibheft erschienen. Zu diesem Anlass hat der Schriftsteller Frank Witzel einen umfangreichen Essay verfasst, mit dem Titel „Von aufgegebenen Autoren – 100 Vergessene, Verkannte, Verschollene“.

Mit einigen der darin auftauchenden Namen erinnert der Autor an die inzwischen 46-jährige Geschichte der Zeitschrift. An Ernst Müller beispielsweise, der nicht nur in der legendären Rowohlt-Reihe das neue buch, sondern auch in den Schreibheft-Ausgaben 18 und 19 (beide aus dem Jahr 1982) veröffentlicht wurde, oder auch an den in ganz frühen Heften mehrfach vertretenen Uli Becker. Ein Wiedersehen mit Emil Szittya gibt es, dessen Buch Das Kuriositäten-Kabinett von 1923 in einer schönen Ausgabe 1979 im Verlag Clemens Zerling neu aufgelegt wurde, von dem sonst aber wenig auf dem deutschen Markt zu haben ist.

Manche Nennungen fordern unser Gedächtnis heraus; an viele aber dürften auch die langjährig Lesenden sich nicht erinnern, soweit sie die Namen überhaupt jemals gehört haben. Das sind keineswegs solche Autorinnen und Autoren, die sich mit ihren Texten zeitlebens bei einer Vielzahl von Verlagen erfolglos beworben haben; keine dritte, vierte oder noch niedrigere Liga aus der Schar der kreativ Schreibenden. Frank Witzel nennt ausschließlich einzigartige Autorinnen und Autoren, die aus verschiedensten oder aber aus unersichtlichen Gründen nicht zum verdienten Erfolg gelangten, beziehungsweise nach einer kurzen Zeit relativer Bekanntheit wieder in Vergessenheit gerieten. Gleichwohl bleibt die Frage nach dem Warum beim Autor wie bei uns staunend Lesenden im Raum.

Größenwahn oder falsche Bescheidenheit

Einige der hier vorgestellten Autorinnen und Autoren dürften an den eigenen Ansprüchen gescheitert sein. Sei es, dass die gefühlte Größe nicht mit den sichtbaren literarischen Hervorbringungen korrespondierte; oder sei es, dass es schlicht an Durchsetzungswillen haperte, der für den erfolgreichen Kunstschaffenden ebenso wichtig ist wie sein schriftstellerisches Talent. Gigantomanie und falsche Bescheidenheit können gleichermaßen dem Erfolg im Wege stehen.

Manchen der im Dossier Genannten mochte das Realistische immer einige Nummern zu klein erschienen sein. Die bei Verlegern beliebte Ablehnungsbegründung – „genial, aber leider völlig unverkäuflich“ – könnten einige dieser Hundert als durchgehendes Thema in verschiedenen Variationen zu hören bekommen haben. Wenn ihnen nicht gar offenes Misstrauen entgegenschlug, wie im Fall von Jaron Kohler, dessen konzeptionell angewandtes Schreiben in den frühen 1990er Jahren in 25 „Selbstauskünften“ darin bestand, vermeintlich eigene Werke zu beschreiben und zu analysieren, die als solche nicht existierten. Mit Anschuldigungen konfrontiert, wollte er den Beweis der Echtheit seiner Werke nachreichen, was dann aber zu dauerhaftem Verstummen führte.

Selbstaussagen zur eigenen Erfolglosigkeit

„Die Dunkelziffer derer, die schreiben oder einmal geschrieben haben, ohne je etwas zu veröffentlichen, und von denen nie jemand etwas erfahren wird, weil sie ihre Werke niemandem zeigen und rechtzeitig für deren Vernichtung sorgen, ist groß“, vermutet Frank Witzel und weist auf den Versuch einer wissenschaftlichen Ursachenforschung hin. Der Herausgeber der Untersuchung Abfertigung – Was die Umsetzung von Ideen verhindert (2014), Jan Hettinger, gibt sich selbst als „gescheiterter Romancier“ zu erkennen und interviewt siebzehn Personen, bei denen er eine ähnliche Problematik annimmt. Zwei seiner Interviews aus dem Band werden im Schreibheft gekürzt wiedergegeben. Die 37-jährige Germanistin Carol Meyerhuth aus Düsseldorf sagt über sich aus, dass es ihr nicht an Arbeitseifer mangele, sie vermute vielmehr, „dass es dieser Arbeitseifer ist, der den Abschluss eines Werks verhindert.“ Dabei scheint sie es ohne Verbitterung ertragen zu können, wenn ihr größere öffentliche Anerkennung versagt bleibt.

Kunst und Gesellschaft

„Vielleicht hat Kunst nie etwas mit Gesellschaft zu tun gehabt; vielleicht war sie immer nur Ausdruck der Panik, daß man es immer nur mit sich selber zu tun hat“, notierte Wilhelm Genazino am 8. September 1985 (nachzulesen in: Wilhelm Genazino „Der Traum des Beobachters. Aufzeichnungen 1972–2018“; Hanser München 2023). Unter den in Frank Witzels Essay mit ausführlichen Leseproben wiedergegeben Autorinnen und Autoren sind einige, die weder den Hallraum eines großen Publikums suchen noch sich in Konkurrenzsituation begeben möchten. „Der Geist entwickelt sich nur allein, nur dort, wo er sich nicht ständig messen muss“, schreibt der 1927 in Hannover geborene Friedrich Ellmenbeck, einer der 100 ausgewählten Autoren.

Manche ziehen sich bewusst und willentlich zurück, denn die Aussicht auf Erfolg kann auch Ängste hervorrufen. So mutmaßt Frank Witzel etwa im Zusammenhang mit dem ihm aus frühen Jahren bekannten „genialischen Dichter“ Erwin Kliffa, mit dem er ein gemeinsames Projekt begonnen und der sich trotz einer realen Publikationsmöglichkeit daraus zurückgezogen hat, dass dieser den letzten Schritt der Veröffentlichung scheute – „Nicht allein aus der Angst heraus, dass nun die eigene Arbeit bewertet wird, sondern im Bewusstsein, dass die Unschuld des Für-sich-Schreibens und damit auch des Vor-sich-Hinschreibens ein für alle Mal verloren ist.“

Vertraue Innen- und kritische Außenwelt

Unter den im 100. Schreibheft auftauchenden Unbekannten sind einige, denen die Notwendigkeit täglichen Schreibens vertrauter gewesen sein dürfte als das Bedürfnis, etwas davon vorzuzeigen. Was nicht bedeutet, dass sie ihr Schreiben als ein bloßes Steckenpferd ansahen. Es sind Autorinnen und Autoren, die eher in eine Literaturgeschichte gehören als auf den Markt. Damit sind sie im Schreibheft an einem guten Platz, fügen sich doch die bisher erschienenen hundert Hefte zu einer besonderen Geschichte der Gegenwartsliteratur zusammen.

In guter Gesellschaft

Große Namen, die keineswegs vergessen sind, blinken – nicht unter den Hundert, aber in den Erklärungsversuchen – als Leuchtfeuer auf: Wolfgang Koeppen, der mit seinem über vierzig Jahre hinweg immer wieder angekündigten letzten Werk nicht fertig wurde, Wolfgang Hildesheimer, der mit dem Schreiben aufhörte (ergänzt werden könnte auch Reinhard Jirgl), der lange Zeit unterschätzte Ludwig Hohl, und nicht zuletzt Samuel Beckett, der so gekonnt zu scheitern verstand, dass er dafür die höchste Auszeichnung erhielt, die für Literatur vergeben wird, den Nobelpreis, was aus seiner subjektiven Sicht wiederum die schlimmstmögliche Katastrophe war.

In einem Interview sagte Wolfgang Koeppen: „Das Schreiben, um das es hier geht, ist keine Frage der Erwägung, der Marktanalyse, der Berechnung, der Erfolgsaussicht. Dieser Schriftsteller kann nur sein, was er ist, er selbst, er kann nur schreiben, wie er schreibt, das ist ein Zustand, keine Wahl…“ (nach: Wolfgang Koeppen – Gespräche und Interviews. Werke, Band 16; hrsg. Von Hans-Ulrich Treichel; Suhrkamp Verlag; vgl. auch Revierpassagen am 12.04.2019).

Der Zufall möglicherweise

Frank Witzel weist darauf hin, wie subjektiv seine Zusammenstellung geraten ist und dass es zu anderen Zeiten auch andere Namen hätten sein können. Jedem fallen wohl Schriftstellerinnen und Schriftsteller ein, die man selbst gern zu den Vergessenen rechnen würde. Keine „Gegengeschichte“ der Literatur strebt Witzel mit seinem fast 130-seitigen Essay an: „Mit meiner rein subjektiven Sammlung möchte ich meinem Erstaunen Ausdruck geben, von wie vielen Zufällen, seien sie persönlich oder zeithistorisch, es abhängig ist, ob ein Werk bekannt und rezipiert wird.“ Sein Essay „will deshalb auch nichts anderes sein als ein mit einhundert Beispielen unterstützter Hinweis auf eine literarische Welt, von der wir wenig wissen und manchmal noch nicht einmal etwas ahnen.“

So gerät das Schreibheft-Dossier vielleicht zu einer Art Trost-Büchlein für die weit mehr als hundert Vergessenen, Verkannten und Verschollenen, die auch in diesem verdienstvollen Beitrag nicht auftauchen und die gegenüber den Anerkannten und hinreichend Gewürdigten in der Überzahl sein dürften. Doch Vorsicht: Es gilt zu unterscheiden zwischen denen, die verkannt oder vergessen wurden, und denen, die literarisch wirklich schlecht sind. Aber solche findet man schon sehr, sehr lange nicht mehr im Schreibheft.

Eine Typologie bedeutender Unbekannter

Subtil zeichnet sich in Frank Witzels kluger Zusammenstellung so etwas wie eine Typologie verschiedener großer Unbekannter ab. Manche der Topoi tauchen bei ganz unterschiedlichen Schriftsteller-Persönlichkeiten auf: Das stille Wirken abseits des Marktes etwa, oder die Vermeidung von Rivalität; die Einsicht, dass das Schreiben nie an ein Ende gelangt, verbunden mit einem Hang zum offenen, sich stets verändernden und prinzipiell nicht abschließbaren Lebenswerk.

Viele der Selbstaussagen und Charakteristiken der 100 im Dossier vorgestellten Autorinnen und Autoren passen perfekt zum Schreibheft. „Kommerzielles bitte an einen Publikumserfolgsverlag einsenden!!!“, stand bereits in der ersten Ausgabe, die im März 1977 erschienen ist. Über die Jahrzehnte hinweg widmete sich die Zeitschrift solcher im Grunde unverkäuflichen Literatur. Was nicht heißen soll, dass sich nicht auch das Schreibheft erfolgreich in der deutschsprachigen Literaturlandschaft behauptet hätte. Selbstverständlich kann man die einzelnen Ausgaben kaufen und besser noch das Schreibheft als Ganzes abonnieren. Etwa ab dem Heft 18 mit Norbert Wehr als alleinigem Herausgeber nähert sich das Periodikum der Form an, die es spätestens mit Heft 22 (1983) gefunden hat (die Hefte 22–50 sind 1998 auch im Reprint bei Zweitausendeins erschienen). Ein Kosmos für sich, mit einem stets sich erweiternden Kreis von Autorinnen und Autoren, stellt die Zeitschrift in ihrer Gesamtheit gleichsam ein Kompendium der anspruchsvollen und innovativen Gegenwartsliteratur dar, ihre frühen Wegbereiter eingeschlossen.

Singuläre Autorin: Marianne Fritz

Traditionell stellt jedes Schreibheft eine sorgfältig ausgetüftelte Komposition aus zwei oder drei Themenschwerpunkten und einigen weiteren passenden Texten dar. So auch das 100. Heft. Frank Witzels langer Essay stimmt uns gut auf das in derselben Ausgabe folgende Dossier zu der österreichischen Extremautorin Marianne Fritz (1948–2007) ein. Nach literarischen Großprojekten, wie das mit dem Arbeitstitel Die Festung, oder der zwölfbändige Roman Dessen Sprache du nicht verstehst (1985), mit dem sie, ausgehend vom Jahre 1914, hunderten ausschließlich dem Proletariat zugeordneten Haupt- und Nebenfiguren eine eigene Sprache gibt und sich von der „offiziellen“ Geschichtsschreibung absetzt – und erst recht durch ihre in den folgenden Jahren entstandenen Arbeiten „Naturgemäß I, II und III“ ließe sich die Autorin gut in die im vorausgegangen Dossier beschriebenen Schriftstellerbiographien einreihen.

Schon die Einzeltitel des 1996 in fünf Bänden erschienenen Werkes Naturgemäß I: Entweder Angstschweiß / Ohnend / Oder Pluralhaft lassen eine Lektüre fernab der Bestsellerlisten erwarten. Doch Marianne Fritz, deren Bücher ab 1978 im Verlag S. Fischer und ab 1985 bis zu ihrem Tod bei Suhrkamp erschienen sind, kann man schwerlich als eine vom Literaturbetrieb Verkannte bezeichnen; gleichwohl droht ihr das Vergessenwerden, würde nicht eine Zeitschrift wie das Schreibheft – nun über einen längeren Zeitraum bereits zum dritten Male – an sie erinnern. In den 1990er-Jahren wurden die ersten beiden Teile der auf drei Abteilungen angelegten Riesenarbeit „Naturgemäß I, II und III“ als Faksimile des Typoskripts veröffentlicht, das die wechselnden Schriftbilder, Karten, Formeln und Randnotate wiedergibt, sodass der dem Satiremagazin Titanic nahestehende Schriftsteller Gerhard Henschel urteilte: „Wer ‚Naturgemäß II‘ lesen möchte, muß die Bände drehen wie ein Lenkrad.“

Erstaunliche Materialfülle

Naturgemäß III, ein Werk, das Marianne Fritz nicht mehr beenden konnte, gibt es seit 2011 auf der Seite www.mariannefritz.at in einer Online-Fassung. Im zweiten Dossier des 100. Schreibheft setzen sich Kennerinnen und Kenner ihres Werkes mit der singulären Wiener Autorin auseinander. Lesenswert! Ebenso wie zwei Beiträge am Ende des Heftes, die angesichts der Materialfülle fast unterzugehen drohen: Esther Kinskys Rede zum Kleist-Preis und Hervé Le Telliers Text zu drei „Begegnungen“ mit Italo Calvino, dem zum Autorenkreis Oulipo (Ouvroir de littérature potentielle) gehörenden Klassiker der Postmoderne. Vielleicht enthält jedes Schreibheft einfach zu viel des Guten.

_________________

Veranstaltungshinweis:

SCHREIBHEFT, ZEITSCHRIFT FÜR LITERATUR – DIE 100. AUSGABE. Ingo Schulze im Gespräch mit Frank Witzel und Norbert Wehr über 100 vergessene, verkannte und verschollene Autoren; Donnerstag, 16. März 2023, 19.30 Uhr, im LeseRaum in der Akazienallee, Essen (gegenüber Akazienallee 8-10).




Literarische Verlage und der Literaturbetrieb im Ruhrgebiet: Förderung nur noch für Glamour?

Bücher: verlegt, aber nicht verlegen. Foto: Gerd Herholz

Seitdem der Klartext Verlag sein karges literarisches Programm nahezu ganz einstellte und der Dortmunder Grafit-Verlag nach Köln umzog, existieren nur noch inhabergeführte Klein- und Selbstverlage längs der Ruhr. Von einer Kultur- als Verlagsmetropole kann an deren Ufern wahrlich keine Rede sein. Zudem wird ein jährlich mit 500.000 Euro gesponserter  Show-Platz wie die lit.RUHR von Köln aus bespielt.

Ruhr-Stiftungen, das Land NRW und der Regionalverband Ruhr stecken Millionen an Fördergeldern in Hochglanzbroschüren, Festivals, Galas oder Blenderprojekte der Creative Economy wie das Kreativwirtschaftsorakel „ecce“. Zur Belebung des Literaturmarktes führte das aber hierzulande nirgends.

Auch weil bundesweit stärker ausstrahlende Verlage fehlen (von TV- oder Radiosendern ganz zu schweigen), vermisst man im Revier ein lebendiges literarisches Leben mit Autoren, Literaturkritikern, Lektoren oder Illustratoren. Und der „Kultur & Freizeit“-Teil der zum Verwechseln ähnlichen Funke-Zeitungen ersetzt mit täglich anderthalb Seiten auch zu „Kinder – Wetter – Leute – Panorama“ kein Feuilleton von Rang – an solch eingeschränkten Arbeitsbedingungen in den Redaktionen ändern selbst engagierte Journalisten wenig.

Für 2,95 € im Klartext-Online-Shop: Magnet „Merkse noch wat?“

Nachdem Dr. Ludger Claßen 2016 nach gut drei Jahrzehnten den Klartext Verlag Essen verlassen hatte und der neue Geschäftsführer (auch zuständig für die „Koordination Marken und Events“ der Funke Mediengruppe) das literarische wie das wissenschaftliche Programm des Verlages fast auf null stellte, wird es für junge Autorinnen und Autoren aus dem Ruhrgebiet nahezu unmöglich, ihr literarisches Debüt mit einem regionalen Verlag zu wagen. Klartext verkauft lieber Ratgeber, Reiseführer und Folkloreartikel wie die Brotdose „Kniften“, oder austauschbare Non-Book-Souvenirs wie das Glaslicht „Osnabrück“ (auch in den Varianten „Hamburg“, „Bremen“, „Köln“ …). Und für nur 2,95 € gibt’s einen Magneten mit der Aufschrift „Merkse noch wat?“

Überhaupt Köln: ein starkes Stück Ruhrgebiet

Der Grafit Verlag, einst von Dortmund aus tonangebend im bundesweiten Konzert der Lokal- und Regionalkrimiszenen, ist nach Köln verkauft worden. Mit ihm verließ der letzte halbwegs größere literarische Verlag das Ruhrgebiet. Jetzt gehört Grafit dem kölschen Emons Verlag. Auch vieles andere im Literaturbetrieb Ruhr wird heutzutage von Kölnern gedeichselt. Rainer Osnowski und andere bringen nicht nur die lit.COLOGNE, sondern im Oktober gleich nach der lit.RUHR auch die lit.COLOGNE Spezial auf die Bühnen; manches im Programm überschneidet sich da, nur Stars wie Rusdie oder Colson Whitehead behält man lieber exklusiv Köln vor. Aus der dortigen Maria-Hilf-Straße inszenieren die Festival-Macher all das über die lit.Cologne GmbH oder die „litissimo gGmbH zur Förderung der Literatur und Philosophie“. Und selbst vom Stadtschreiber Ruhr hieß es: „Die Lit.RUHR (also Köln, G.H.) unterstützt die Brost-Stiftung beim Projekt ,Stadtschreiber(in) Ruhr’“.

„Bücher vonne Ruhr“: Bücher von (dieser) Welt

Nur gut, dass es in Bottrop immer noch und zunehmend deutlicher sichtbar den Verlag Henselowsky Boschmann gibt. Verleger (und Autor) Werner Boschmann versucht mit Reihen („Ruhrgebiet de luxe“), Anthologien und starken Einzeltiteln mehr zu bieten als nur einen Kessel Buntes rund ums Ruhrgebiet. Selbstironisch nennt er seinen Verlag „Regionaler Literaturversorger Ruhrgebiet“, doch viele Leser  und Autoren kommen längst nicht mehr nur aus dem Ruhrgebiet, wie man etwa aus den Bio-Bibliografien der Autoren des „Vorbilderbuch. Kleine Galerie der Menschlichkeit“ erfahren kann.

Auch die Bücher der international ausgezeichneten Kinder- und Jugendbuchautorin Inge Meyer-Dietrich oder die des Filmemachers Adolf Winkelmann verhandeln zwar das Ruhrgebiet und seine Geschichte(n), sind aber frei von jedem Provinzmief. Ein neuer Autor wie Ruhrbarone-Blogger Stefan Laurin hält in „Versemmelt. Das Ruhrgebiet ist am Ende“ Politik, Verwaltung und ihren taumelnden Satelliten drastisch den Spiegel vor: „Das Ruhrgebiet hatte viele Möglichkeiten; die meisten hat es nicht genutzt. Keine Region Deutschlands, ja Europas, von dieser Größe wird dilettantischer regiert. Verantwortlich hierfür waren und sind die Menschen, die all das mitgetragen haben.“

Man kann nur hoffen, dass Henselowsky Boschmann sein freches Programm inhaltlich weiterentwickelt, also die Balance zwischen regionaler Verwurzelung und weltoffenem Horizont immer wieder neu und besser auspendelt. Auf Unterstützung oder kleine Subventionen aus dem kunstfernen Regionalverband Ruhr wird der Verlag dabei erst gar nicht hoffen dürfen.

Jürgen Brôcan: Lyriker, Verleger, Übersetzer, Kritiker. Foto: Jörg Briese

edition offenes feld

Sehen lassen kann sich auch das rein literarische Programm des Dortmunder Verlegers, Übersetzers und Kulturjournalisten Jürgen Brôcan. 2016 erhielt er für sein lyrisches Gesamtwerk den Literaturpreis Ruhr. Über seinen Verlag, der mindestens drei Titel pro Jahr herausbringt, schreibt er:

„Das Programm der „edition offenes feld“ (eof) ist auf Vielfalt der Gattungen und Stile ausgerichtet. Klassiker in Übersetzung, arrivierte Autoren aus verschiedenen Ländern und Entdeckungen in Lyrik und Prosa sollen zum Facettenreichtum der Literatur beitragen.“
Und dass dies Brôcan auch gelingt, dafür bürgen Autoren wie Ranjit Hoskoté, Spoon Jackson oder die Lieder des chinesischen Poeten Zhou Bangyan aus Zeiten der Song-Dynastie.

Last but not least: Rigodon Verlag und andere Solitäre

Ich bin sicher: Einige wenige Special-Interest-, Klein-, Kleinst- und Selbstverleger habe ich aufzuzählen vergessen. Nicht vergessen werden aber darf das aus all dem hervorrragende „Schreibheft“ Norbert Wehrs, das vom Rigodon Verlag in Essen herausgegeben wird und es zu internationaler Geltung gebracht hat. Vergessen sollte man auch nicht die Edition Wort und Bild des Bochumer Dichters und Grafikers H.D. Gölzenleuchter. Seit 1979 gibt Gölzenleuchter Lyrik, Prosa und Mappen mit literarischen Texten und Originalgrafiken heraus. In der Zusammenarbeit von Autoren und Grafiker sind feinste bibliophile Drucksachen entstanden.

Ob nun Norbert Wehr, H.D. Gölzenleuchter, Klauspeter Sachau und sein  ‚vorsatzverlag‘ in Dortmund, ob nun Werner Boschmann oder Jürgen Brôcan: Das finanzielle Risiko der Herausgabe eigener und fremder Texte tragen sie immer ganz persönlich. Glücklich, wer nach Jahrzehnten freier Verlagstätigkeit irgendwo irgendwann einen Preis erhält, an dem auch ein Scheck hängt.

Beim RVR verleiht man gern preiswert Literaturpreise – je mehr, desto besser. Foto: Jörg Briese

Statt Muse: Almosen

Norbert Wehr erhielt 2010 angesichts seiner Lebensleistung fürs „Schreibheft“ den Hauptpreis zum Literaturpreis Ruhr, immerhin mit 10.000 Euro dotiert. Das war damals möglich, weil nicht nur Schriftsteller mit dem Hauptpreis ausgezeichnet werden konnten, sondern gelegentlich auch hochverdiente Verleger, Kritiker, Wissenschaftler und Archivare.

Der Regionalverband Ruhr will auch das nun ändern und hat für Verleger ab 2020 voraussichtlich nur noch einen Talmi- Ehrenpreis übrig. In einer Beschlussvorlage des Ausschusses für Kultur und Sport beim RVR hieß es kürzlich so bürokratisch wie genderkorrekt:
„,Mit dem Ehrenpreis des Literaturpreises Ruhr werden eine oder mehrere Personen oder eine Institution für herausragende Verdienste um die Literatur im Ruhrgebiet oder für das literarische, literaturwissenschaftliche, literaturkritische, organisatorische oder verlegerische Gesamtwerk ausgezeichnet.‘ Dieser Preis ist kein Jurypreis, sondern der RVR bestimmt gemeinsam mit dem Literaturbüro Ruhr den bzw. die Preisträger*in. Der Preis wird nach Bedarf und nicht jährlich vergeben. Der bzw. die Gewinner*in erhält einen Preis in einer noch zu bestimmenden Form. Dieser kann z.B. eine von einem bzw. einer Künstler*in gestaltete Skulptur/Statue sein.“

Ehrloser Ehrenpreis

Ich sehe es schon vor mir und würde mitleiden, falls etwa der virtuose Holzschneider H.D. Gölzenleuchter von einem linkischen Ausschuss-Vorsitzenden eine gemäß Parteien-Proporz gestaltete Stilmix-Statuette in die Hand gedrückt bekäme, die nun wiederum dem HAP Grieshaber-Bewunderer Gölzenleuchter Tränen des Entsetzens in die Augen treiben dürfte.

Sehr viel lieber ist mir daher die Vorstellung, dass ab 2020 niemand diesen Dumping-„Ehrenpreis“ annehmen wird: Deutlicher als mit ihm hätten die hochbestallten Kulturverweser des RVR ihre Geringschätzung editorischer Leistungen in der Verlags-Diaspora des Reviers nicht ausdrücken können. Und wahrscheinlich bemerken sie wieder nicht, was sie da anrichten.




Am Bande, nicht am Gängelband: „Schreibheft“-Herausgeber Norbert Wehr erhält Verdienstkreuz und erinnert an Voltaire

SH_83_Cover_300_dpi_b2ffc1e545Jemand mag einen Orden bekommen und doch kann er ein verdienstvoller Mensch sein, heißt es. Ganz sicher trifft dies auf Schreibheft-Herausgeber Norbert Wehr zu, der gestern im Essener Rathaus das „Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“ erhielt.

Es ist eine Auszeichnung für fast 40 Jahre Entdeckungsreisen in die Literatur der Zeiten und Länder, für Literaturveranstaltungen in Serie, die seit Jahrzehnten das kulturelle Klima der Stadt Essen bereichern. „Literatur im Folkwang“ hießen die zuletzt, bis Folkwang-Chef Bezzola die renommierte Reihe vor die Tür setzte und lieber Kunst ankaufen wollte. Die Reihe aber, das war gestern zu hören, ist wohl gerettet, sie wird unter veränderter Trägerschaft an anderen Orten und unter neuem Namen fortgeführt.

Offenheit und Wagemut
Norbert Wehr, eher schüchtern als die Öffentlichkeit suchend, bedankte sich artig für all die Unterstützung durch Mitarbeiter, Freunde, Förderer und Familie. Wer die Literaturzeitschrift kennt oder vielleicht sogar liest, die da halbjährlich um die 200 Seiten stark erscheint, weiß oder ahnt zumindest, dass im Zentrum der Redaktionsarbeit, Recherche und Organisation vor allem Wehr selbst steht, ohne den es die Zeitschrift schlicht nicht gäbe – und vielleicht irgendwann auch nicht mehr geben wird. Er ist es letztlich, der trotz gelegentlicher finanzieller Förderung durch Stiftungen, Sponsoren, Geldpreise das finanzielle Risiko zu tragen hat.

Sprachräume ausloten
„Wer gute Lesekondition mitbringt, dem erschließt sich ein Kompendium zeitgenössischer Weltliteratur. Der Leser und Sammler Norbert Wehr überrascht sein Publikum immer wieder mit Neuem, Un-Erhörtem, nie Gesehenem. Literarische Debatten wurden im Schreibheft geführt. Sprachliche Grenzen wurden transzendiert und herkömmliche Gattungsrestriktionen“, schrieb Literaturwissenschaftler Hannes Krauss, als Norbert Wehr für seine Arbeit am Schreibheft den Literaturpreis Ruhr 2010 erhielt.

Foto: Elke Brochhagen/Stadt Essen

Preisträger Norbert Wehr (rechts) und Essens OB Reinhard Paß (Foto: Elke Brochhagen/Stadt Essen)

Standhalten und dichten, berichten
Gestern in Essen griff Wehr in seinen Dankesworten auch den Terroranschlag auf die Redaktion der Pariser Satirezeitschrift Charlie Hebdo und dessen mögliche Wirkungen auf. O-Ton Wehr: „Ich kann den Orden schwerlich annehmen, ohne zum Schluss mit dem allergrößten Respekt des Muts der Journalisten, Zeichner und Herausgeber von Charlie Hebdo zu gedenken, die in den letzten Jahren, und spätestens nach dem Brandanschlag auf ihre Redaktionsräume im Jahr 2011, unter Lebensgefahr auf der Ausübung ihres republikanischen Rechts bestanden haben – des Rechts auf Meinungs- und Pressefreiheit.

Sie schrieben und sie zeichneten in einer Tradition, die bis zu Voltaire zurückreicht, und vor allem zu dessen Mahomet, einer fanatismuskritischen Tragödie, die kein Geringerer als Goethe ins Deutsche übertragen hat. ‚Eure Majestät wissen‘ – schrieb Voltaire 1740 an Friedrich den Großen –, ‚Eure Majestät wissen, welcher Geist mich beseelte, als ich dieses Werk verfaßte. Die Liebe zum Menschengeschlecht und das Grauen vor Fanatismus haben meine Feder geführt.‘

Diese Liebe, gepaart mit dem Grauen – es sind immer noch edle Motive, auch heute, bald 300 Jahre später, für jeden der schreibt und publiziert.

Nicht erst seit einer Woche wissen wir jedoch, wie gefährdet, wie hoch gefährdet diese Haltung mittlerweile ist. Ich fürchte, der Kunsthistoriker Horst Bredekamp hat recht. Am Montag hat er im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung gesprächshalber geäußert, ich zitiere: ‚Wer sich die Freiheit nimmt, auf der unsere Kritikfähigkeit beruht, wird sich in Zukunft unter Todesdrohung sehen. Dies auszuhalten und Institutionen zu finden, die diese Freiheit weiterhin beschützen, ist von Stund an die Aufgabe.‘ – Und Bredekamp weiter: ‚Ein fundamentales Umdenken steht uns bevor: Meinungsfreiheit kann Leben kosten. Wir werden sehen, welche Konsequenzen das hat – wird es eine Bildpolitik der Konfliktvermeidung geben? Oder halten wir stand, in den Redaktionen, an den Universitäten, in der Kunst und in der Politik?‘“




Forum für mutige Freizeit-Autoren – Literaturzeitschriften im Ruhrgebiet

Titelseite der WR-Wochenendbeilage vom 2. Oktober 1982 mit Fotos von Bodo Goeke.

Von Bernd Berke (Text) und Bodo Goeke (Fotos)

Sie heißen „Spinatwachtel“, „Gießkanne“, „Schmankerl“ und „Galgenvogel“, nennen sich „Perlen vor die Säue“ oder auch „Geil & Fröhlich“. Die exotisch, versponnen, witzig oder provozierend titulierten Literaturzeitschriften – links ein Blick in die Redaktion des Essener Blattes „Schreibheft“ – sind Ausdruck einer Entwicklung, die in den letzten Jahren immer deutlicher zutage trat: Die Zahl der „Freizeitdichter“ nimmt stetig zu.

Auf dem Hamburger „Literatrubel“ beschwerten sich unlängst schon einige Berufs-Autoren über die unliebsame Konkurrenz und mahnten, man solle wieder mehr auf Qualität – was immer das heißen mag – achten. Etwa 200 kleine und kleinste Literaturzeitschriften teilen sich den höchst unübersichtlichen Markt des deutschsprachigen Raums. Viele dieser Druckwerke decken heute im weitesten Sinne das „alternative“ Themenspektrum ab, und ein Großteil stellt sich in den nächsten Tagen auf der Frankfurter „Gegenbuchmesse“ vor.

Die meisten Hefte vegetieren bei Auflagen von einigen hundert Stück dahin und sind Zuschußunternehmen. Daß in den jeweiligen Vorworten über die Finanzmisere geklagt wird, gehört schon zum Standard. Pleiten und Neugründungen sind an der Tagesordnung. Die wenigsten dieser Zeitschriften existieren über die ersten paar Nummern hinaus.

Selbst Josef Wintjes vom Literarischen Informationszentrum in Bottrop, seit 13 Jahren gewissenhafter Sammler aller Informationen aus der Szene, hat den Überblick verloren: Dennoch ist sein Büro (4250 Bottrop, Böckenhoffstraße 7, Tel.: 02041/ 20568, Anruf erwünscht‘) noch immer die wichtigste Anlaufstelle für alle, die mit Literaturzeitschriften zu tun haben (wollen).

Wie sieht die Lage im Ruhrrevier aus? „Wer sich länger als zwei Jahre halten kann, ist schon fast „etabliert'“, sagt einer, der sich bestens auskennt. Ulrich Homann gibt seit März 1977 in Essen das „Schreibheft“ (Auflage: ca. 1500, hauptsächlich Abonnements) heraus, dessen neunzehnte Ausgabe vor zwei Monaten erschien. Gemeinsam mit Norbert Wehr und Ulrich Bienek wollte er eigentlich ein Forum für alle Bevölkerungskreise schaffen, fiir jene zahllosen Zeitgenossen, die ansonsten nur für die berühmte „Schublade“ schreiben. Es brach eine wahre Flut von Texten über die Essener herein: Für eine Ausgabe schickten Freizeitautoren sage und schreibe 1500 Texte an das Herausgeberteam. Theoretisch hätte man schon mit diesem Schub für einige Jahre ausgesorgt. Höchstens 40 Beiträge finden in einer Ausgabe Platz. Zähneknirschend zog man die Konsequenz, legte seither strenge Maßstäbe an und verfiel dabei ins andere Extrem. Die letzten „Schreibhefte“ lesen sich wie hochkarätige Veröffentlichungen eines Spitzenverlags. Fast nur noch bundesweit bekannte Autoren, die bereits publiziert haben, sind vertreten, darunter etwa Eckhard Henscheid, Christoph Derschau, Walter Höllerer, Hans Christoph Buch.

Aus Kostengründen bekommt kein „Schreibheft“-Autor Honorar, weswegen es schon einigen Ärger mit erbosten Zulieferern gab. Ulrich Homann, mittlerweile sogar hauptberuflich als Zeitschriftenmacher tätig: „Wir sind leider ziemlich elitär geworden. Ich finde das nicht gut. Zur Zeit diskutieren wir, ob wir uns nicht wieder dem breiteren Publikum öffnen und auch Nicht-Profis schreiben lassen sollten“. Für Unverdrossene: Manuskripte können an den Verlag Homann & Wehr, Oberdorfstraße 53/55, 4300 Essen l (ab Dezember 1982: Stockenberger Straße 13-15, 4300 Essen 1), geschickt werden. Allerdings sollte man vorsichtshalber Rückporto beilegen.

Sind die Träume der späten 60er und frühen 70er Jahre, Zeitschriften zu machen, die die „Schwellenangst“ vor der Literatur senken, ausgeträumt? InBochum wurde 1979 ein Versuch gestartet, der diese Befürchtung widerlegen sollte. Die Leute, die dort den „Angler“ gründeten, kamen rein zufällig in einer Kneipe aufs Thema Literatur. Einer verriert schamhaft: „Ich schreibe in meiner Freizeit Gedichte“ und staunte nicht schlecht, als er vernahm, daß an der Theke noch andere standen, die ebenso verborgene  Dichterexistenzen führten.

Der Entschluß, sich mit Lyrik, Kurzgeschichten und Graphik gemeinsam an die Öffentlichkeit zu wagen, war schnell gefaßt. Doris Nickel: „Wir haben uns ganz heftig angagiert, haben Lesungen veranstaltet, haben Flugblätter verteilt, auf denen stand: ,Leute, schreibt!'“ Verblüffendes Ergebnis dieser Anstrengungen: Es kamen kaum Texte zusammen. Man hatte Mühe, die ersten Nummern (jeweils etwa 40 Seiten, Auflagen zwischen 500 und 1200 Stück, die vor allem im Handverkauf abgesetzt wurden) zu füllen.

Kaum zu glauben, wenn man die Manuskriptstapel sieht, die bei den Essener „Schreibheften“ eingingen. Doris Nickel: „Besonders Frauen waren kaum vertreten. Wahrscheinlich schreiben viele Frauen private Tagebücher, die sie nicht für veröffentlichungsreif halten, während Männer ihre eher politischen Texte gedruckt sehen wollen.“ Besonders gefreut hat sich Doris Nickel deshalb über die Texte einer 82-jährigen Frau, die nach Teilnahme an einem VHS-Schreibkurs dem „Angler“ literarische Betrachtungen über Alterseinsamkeit schickte. Gerade diese Blätter waren allerdings Anlaß für Streit in der „Angler“-Gruppe. Hie Vertreter einer politischen Linie, da jene, die auch „private“ Texte zulassen wollten, die ja keinesfalls unpolitisch sein müssen. Der Streit flackerte im Lauf der Zeit immer wieder auf – mit gleichen Fronten. Einige sprangen schließlich ab.

Der „Angler“ wird heute von einer Gruppe gemacht, die sich an jedem zweiten Montag eines Monats um 20 Uhr im Bochumer „Rotthaus“ trifft. Mit der angestrebten Volksnähe war es nicht so einfach. Die Verfasser der „Angler“-Beiträge sind fast ausnahmslos Studenten, oft auch noch solche der Germanistik. Lotte Ebers, die in der neuen Gruppe mitwirkt: „Wir haben immer noch Probleme, an gute Texte und Graphiken heranzukommen. Übrigens ist uns der Kontakt zu den Autoren sehr wichtig.“ Doris Nickel von der ehemaligen „Angler“-Gruppe plant unterdessen die Gründung einer neuen Zeitschrift und sucht ebenfalls Leute, die mitmachen. Kontakadresse: 463 Bochum, Karl-Friedrich-Straße 91.

Jürgen Kramer, Gelsenkirchener Maler, ließ am Anfang (1978) „wahllos jeden erreichbaren Text drucken“, wollte dann aber keine Kompromisse mehr eingehen. Seine Zeitschritt „Die 80er Jahre“ wendet sich jetzt – in dieser Ausschließlichkeit ein Unikum im Ruhrgebiet – bewußt nur an eierlesenen Kreis von Avantgarde-Künstlern. Die Tendenz – weg vom größeren Leserkreis, hin zum hohen Qualitätsanspruch – ist noch drastischer als bei den erwähnten Blättern aus Essen und Bochum. Ein Teil der etwa 1000 Exemplare (Startauflage vor vier Jahren: 200 Stück) kursiert in Frankreich, England, Italien und den USA. Kramer verabscheut Wiederholungen: „Jedes Heft sieht völlig anders aus, nur der Titel bleibt.“ Wer Schreibproben schicken wolle, könne das tun (Jürgen Kramer, Postfach 1142, 465 Gelsenkirchen). Jedoch: „Die Abdruckchancen halten sich in Grenzen“. Auch Jürgen Kramer muß einen Teil der Druckkosten aus eigener Tasche finanzieren.

Wenig ermutigendes Fazit: Zumindest im Ruhrgebiet sind die Möglichkeiten dafür, daß Geschriebenes aus der Schublade an die Öffentlichkeit gelangt, zur Zeit noch dünn gesät.

_________________________________________