Peter Handke, Serbien und das schiere Nichts – über sein Buch „Unter Tränen fragend“

Von Bernd Berke

Es ist schon ein eigenartiger Perspektiven-Wechsel, wenn man den Kosovo-Krieg einmal aus umgekehrter Sicht bilanziert findet: Hie die teuflisch vernichtende NATO, dort die heldenhaften Serben; hie kriegslüsterne „Kettenhunde“ der westlichen Presse, da die jugoslawische Propaganda, angeblich aus Notwehr geboren und daher zu bejahen…

So jedenfalls will es uns Peter Handke in seinem Buch „Unter Tränen fragend“ beibiegen. Es tut weh, derart Monströses von einem Schriftsteiler zu lesen, den man sonst aufs Höchste schätzt.

Zweimal hat sich Handke 1999 – mitten im Kriege – auf Reisen durch Rest-Jugoslawien begeben, aus Mitgefühl mit dem serbischen Volk. Schon die landesübliche Gastfreundschaft schildert er als Labsal. Setzte man ihm ein gutes Frühstück vor, so trübte sich die Wahrnehmung – und schon war der Dichter geneigt, beispielsweise die Vertreibungen im Kosovo im milderen Licht zu betrachten. Hier scheint seine sonst so wache Bereitschaft zum Mitleid zu schwinden.

Menschlich eingenommen von persönlichen Begegnungen (was man im Grunde gut verstehen kann), gerät Handke auch über die Landschaft ins Schwärmen: Die Donau erscheint ihm gar wie ein zweiter Ganges, eine entsprechende Würde uralten Herkommens und der Vergeistigung muss man sich wohl hinzu denken.

Belgrad kommt Handke zunächst „leuchtend unversehrt“ vor, später dann als Opfer der westlichen Vernichtungs-Maschinerie, die bei Handke wahrhaft apokalyptische Ausmaße annimmt, für alle Zeiten jedes Weltvertrauen zerfresse und sämtliche Gerechtigkeits-Utopien von 1968 als Heuchelei enthülle. Handke, sonst nie als Besinger der Fabriken aufgefallen, rhapsodiert gar vom „stolzen“ Automobilwerk, das von NATO-Bomben getroffen wurde.

Das wahrhaftige Erzählen vergiftet

Zumal Politiker und Zeitungen des Westens haben sich, glaubt Handke, ein für allemal moralisch selbst erledigt. Für den Dichter fast noch schlimmer: Sie haben zugleich die Möglichkeiten wahrhaftigen Erzählens vergiftet. Zwischendurch zurück in Frankreich, mag er die vermeintlich von Lügen verseuchte Sprache dort gar nicht mehr ertragen und sehnt sich nach serbischem Zungenschlag. Selbst am Bankautomaten erfasst ihn das Weh: In welcher Sprache soll er nun sein Konto abfragen?

Und das serbische Militär? Besteht offenbar nur aus ein paar harmlosen, versprengtenSoldaten. Umso größer der geradezu alttestamentarische Zorn, den Handke angesichts der NATO-Bombeneinschläge in sich anschwellen fühlt.

Sicher: Der Kosovo-Einsatz wird samt seinen diffusen Folgen inzwischen auch im Westen kritischer eingeschätzt. Doch Handke lässt sich derart hinreißen zur serbischen Sicht, dass sein Buch zwangsläufig ungerecht wird und Differenzierungen gar nicht mehr in Betracht kommen. Selbst der noble Stil dieses Autors scheint manchmal darunter zu leiden. Die zahllosen Einschübe in Klammem wirken verzweifelt hilflos.

Bemerkenswert ein poetisches Bild auf Seite 73: „Einem Kind wurde einst von dem Leiden eines anderen erzählt. Darauf ging das Kind abseits und umarmte die Luft.“

Auch Handke steht mit diesem Buch beklagenswert für sich allein. Und er umarmt wohl nicht einmal die Serben, sondern das schiere Nichts.

Peter Handke: „Unter Tränen fragend“. Suhrkamp-Verlag. 158 Seiten. 36 DM.




Wut auf die westliche Welt – Peter Handkes Serbien-Drama „Die Fahrt im Einbaum oder Das Stück zum Film vom Krieg“ in Düsseldorf

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Wenn sie nicht mehr aus noch ein wissen, flüchten sich viele gern in die Medienschelte – so leider auch Peter Handke, der uns doch schon so überaus feinfühlige Texte beschert hat. Ihm missfiel es zutiefst, wie Presse und Fernsehen des Westens den Kosovo-Krieg geschildert haben. Vehement forderte er „Gerechtigkeit für Serbien“. Seinen bebenden Zorn hat er sich im Drama von der Seele geredet: „Die Fahrt im Einbaum oder Das Stück zum Film vom Krieg“ führt jetzt im Düsseldorfer Schauspiel flussab.

Irgendwo in Rest-Jugoslawien. Regisseur Klaus Emmerich (auch Bühnenbild) führt uns in eine schäbige Hotelhalle; eine Randzone, hinter der die mysteriöse, von allen politischen Tagesfragen ferne „Zwischenzeit“ beginnen soll, in dje Handke immerzu strebt.

Aufbruch in die Geschichtslosigkeit

Am Ende lässt der Autor einige Menschen im „Einbaum“ dorthin aufbrechen: ein neuer Gründungsmythos samt burschikoser Urmutter (Anke Hartwig). Ob’s den Serben hilft?

In die Hotelhalle, an diesen unwirklichen (Nicht)-Ort, geraten ein amerikanischer und ein spanischer Regisseur (Marcus Kiepe, Jörg Pose), um Darsteller für jenen Film zum Krieg auszusuchen. Ein „Ansager“ (Thomas Schendel) ruft die Kandidaten herein – allesamt Kriegsbetroffene. Es handelt sich also um ein „Casting“ und damit um „Theater im Theater“. Aber vor allem ist es ein wortlastiges Tribunal mit unerfindlichen Freisprüchen und ungeahnten Schuldigen.

Erstaunlich, wo Handke die Genese der Greueltaten an Zivilisten aufspürt: Da. tritt einer auf, der anderen anfangs nur hat helfen wollen, dies jedoch nicht vermochte und danach eben Amok lief. Ein anderer erklärt seine Morde damit, dass er die Gesichter der Nachbarn nicht mehr wahrgenommen hat und sie dann (als sozusagen anonyme Phantome) leichthin umbringen konnte. Schuld? Ach was! Die Gewalt beginnt also im Kopf, mit Bild-Verlust, wie denn auch ungut yorgeprägte Erzählweisen das Übel in der Welt zeugen. Hierin steckt Wahrheit, doch wehe, wenn man sie so anwendet wie Handke.

Tiraden gegen die „Fertigsatz-Pisser“

Vollends infam, so lässt der Autor seine Figuren in langen Tiraden darlegen, haben die westlichen Medien vom Kriege erzählt. In einer gottlosen Welt blicken nur ihre Satelliten vom Himmel herab, und alle Korrespondenten, diese „Fertigsatz-Pisser“, berichten den „Humanitäts-Hyänen“ daheim nur Lügen aus Serbien. Karl Kraus hat die Journaille einst geistreicher verunglimpft.

Zentralfigur ist ein vom Irrweg seiner Branche abgekommener Ex-Journalist, genannt der „Grieche“ (Andreas Ebert). Viele, viele Minuten lang, brüllend, nach Luft japsend, Schaum vor dem Mund und geradezu tollwütig, schleudert er uns die seherischen Erleuchtungen des Autors entgegen, der vor genau 33 Jahren mit seiner „Publikumsbeschimpfung“ erstes Aufsehen erregte. Will Regisseur Emmerich die Aussagen Handkes allzu dick unterstreichen oder sie heimtückisch denunzieren? Egal. Eine Zumutung ist’s allemal.

Handkes wütende Sprechmaschine rast rücksichtslos. Sicher: Gelegentlich holt sie unverhofft schöne Bilder hervor, Visionen von Sanftmut und Achtsamkeit. Doch im nächsten Moment stürzt sie wieder alles um. Und ein Lob des Beerensammelns im mörderischen Kontext hat ja auch etwas Treuherzig-Groteskes.

Nur noch diese „Endzeit-Horden“

In Düsseldorf hat man das Ganze auf die gerade noch erträgliche Länge von 2 Stunden (ohne Pause) gebracht, Claus Peymanns Wiener Uraufführung hatte 60 Minuten länger gedauert. Die Schauspieler, die sich auf Handkes Wortkaskaden einlassen, nötigen Respekt ab. Hier und da verfallen sie ins „Leiern“, doch sie entwinden dem Text immer mal wieder spannende Momente. Irgendwie gebannt hört man dem weltentrückten Furor zu.

Am Ende wollen die Regisseure ihren Film nicht mehr drehen, denn: Es gebe keine Gesellschaft mehr, nur noch „Endzeit-Horden“. Wahrscheinlich hocken die auch wieder in den Redaktionen…

Termine: 26. Okt, 12., 19. Nov. Karten: 0211/36 99 11.




Wo gar nichts harmlos ist – Essen: „Belgrader Trilogie“ / Biljana Srbljanovićs bittere Emigranten-Komödie

Von Bernd Berke

Essen. Sie hassen die geistige Enge und die materielle Dürftigkeit ihrer Heimatstadt – und verzehren sich doch vor Sehnsucht, diese einmal (in besseren Zeiten) wiederzusehen. Biljana Srbljanović zeigt in ihrer „Belgrader Trilogie“ Menschen, die vor Milosevic und dem entfesselten serbischen Nationalismus in alle Welt geflüchtet sind. Aufgebrochen sind sie, doch nirgendwo angekommen.

Die drei Episoden des Stückes, jetzt als deutsche Erstaufführung im Essener Grillo-Theater zu sehen, spielen jeweils zu Silvester (oft Prüftag menschlicher Beziehungen) in Prag, Sydney und Los Angeles.

Rasch wird der Schmerz betäubt

Die serbischen Emigranten führen ein eher bescheidenes Leben. Die Brüder Kica und Mica schlagen sich in Prag mit einer unfreiwillig grotesken Eintänzer-Nummer durch, die sie in ihrer kläglichen Behausung proben. Schlimme Nachricht per Telefon: Micas Geliebte Ana hat daheim anderweitig geheiratet. Zur raschen Betäubung des Schmerzes kommt ein leichtes Prager Mädchen gerade recht.

In Sydney treffen sich zwei Ehepaare, die einander in Belgrad nie leiden mochten. Nun fechten sie die Animositäten zwischen Suff und schnellem Sex am Eßtisch so quälend aus, als kämen sie geradewegs aus dem „Virginia Woolf“-Stück von Edward Albee. In Los Angeles schließlich, also im Dunstkreis Hollywoods und seiner Verheißungen, werden eine Pianistin, die hier als Barfrau arbeitet, und ein Schauspieler, der sich als Möbelpacker verdingt, Opfer einer absurden Gewaltorgie.

Die Autorin, die in Jugoslawien mit einer Fernseh-Comedyreihe debütierte, filtert aus ihren im Grunde bitterernsten Szenen kein düsteres Lamento, sondern entwirft verblüffend theaterwirksame Szenen von zuweilen grauslicher Komik. Und siehe da: Es berührt einen starker als ein Klagelied.

Der Text ist schnell hart und rüde wie eines jener neueren britischen Stücke. 1995 geschrieben, drängt er ganz von selbst zur jetzigen Aktualität. Kein Wunder, daß Regïsseur Jürgen Bosse das Silvesterfeuerwerk am Schluß ins Getöse eines kriegerischen Infernos münden läßt. Man kann das Wort „Belgrad“ derzeit (und auf längere Sicht) nicht harmlos denken.

Auch sonst verleiht die Inszenierung, als stünde sie unter Dampf, den Dingen heftig Nachdruck. Überdeutlich agieren die Zicken, Schlampen, Memmen und Brutalos. Grell werden die Figuren herausgestellt, der Abend gerät fast zur Typenkomödie.

Völlig aus der Zeit gefallen

Doch das Leid der Gestalten wird nicht etwa verkleistert. Das starke Ensemble arbeitet zwei Grundmotive der Verzweiflung heraus: Ständig wollen diese Menschen die Uhrzeit wissen, als seien sie aus der Zeit gefallen. Und so elend gierig stürzen sie sich aufeinander, als spürten sie sonst ihre Existenz nicht. All ihre Beziehungen bleiben freilich schal.

Man lacht also viel, aber man leidet auch mit. Und irgendwann fühlt man das Selbstverständliche: Serben sind keine Monster, sie werden höchstens ins Finstere getrieben. Wie wundervoll wäre es, könnte dieses Volk einmal heimkehren nach Europa!

Die 29jährige Biljana Srbljanović, entschiedene Gegnerin des Milosevic-Regimes (aber auch der NATO-Strategie), kam nicht zur Essener Premiere. Sie harrt am Ort des Schreckens aus/ denn sie fürchtet, daß sie hernach nicht mehr nach Belgrad einreisen darf und ihren Gefährten nicht mehr wiedersieht.