Aus kleinen Punkten entsteht die Welt – Kölner Wallraf-Richartz-Museum zeigt Werke der Pointillisten

Von Bernd Berke

Köln. Augenflimmern garantiert: Um unendlich viele kleine Punkte dreht sich jetzt alles im Wallraf-Richartz-Museum. Denn die Künstler des Pointillismus (von französisch „Le Point“ – der Punkt) haben ihre Bilderwelten just aus lauter Farb-Fleckchen erzeugt. Anreger dieses Stils war Georges Seurat. Er hatte sich im langweiligen Militärdienst Anfang der 1880er Jahre mit Physik-Büchern eingedeckt und aus der Lektüre weitreichende Schlüsse für die Malerei gezogen.

Die Farben, so befand Seurat, dürften nicht flächig und vermischt aufs Bild gelangen, sondern müßten – ewigen optischen Gesetzen folgend – in ihre Bestandteile zerlegt werden, in Punkte aus „reinen“ Farbwerten. Der sinnliche Gesamteindruck werde sich dann in der Wahrnehmung des Betrachters ergeben.

„Auf den Spuren von Georges Seurat“ heißt die Kölner Schau. Mal ehrlich: Von Seurat selbst findet man hier weit weniger als von seinen Spuren. Am eigentlichen Seurat-Eckchen ist man vorüber, ehe man sich’s versieht. Zehn Kleinstformate, flirrende Landschaften vor allem – das war’s auch schon. Vier weitere Bilder werden nach Abschluß der Londoner Seurat-Retrospektive hinzukommen. doch auch das ist nicht die Welt. Seine Gemälde, so heißt es in Köln, seien schwerer zu leihen als die von Rembrandt oder Van Gogh, manche Museen hätten die Meisterwerke regelrecht an ihren Wänden „festgenagelt“.

Günstige Orte und Wetterlagen

Gleichwohl hat die Präsentation respektablen Umfang. 174 Bilder sind zu sehen, vorwiegend aus den Jahren 1887 bis 1895. Manche Werke lassen sich nur entfernt mit dem Pointillismus in Verbindung bringen, sie wirken wie willkommene oder auch überflüssige Zugaben – je nachdem. 47 Künstler sind vertreten, einige dürften nicht einmal Experten ein Begriff sein. Entdeckungen sind also möglich. Eines der schönsten Bilder – zärtliche Rückenansicht einer jungen blonden Frau – stammt gar von einem gänzlich „unbekannten Künstler“.

Doch auch Berühmtheiten haben sich zumindest zeitweise mit dem Pointillismus befaßt: Maurice Denis zeigte seine friedsame Familie in feinstens gepunkteter Kleidung, Vincent van Gogh fing einen Augenblick nervösen Aufflammens der Natur ein („Aprikosenbäume in Blüte“), Henri Matisse wendete die Punkte-Technik aufs Genre des Stillebens an, und sogar Paul Gauguin, dem dieser kleinteilige Stil eigentlich wesensfremd war, bediente sich seiner in einer kurzen Phase.

Es gibt ersichtlich besonders günstige Orte, Jahreszeiten und Wetterlagen für den Pointillismus, der sich aus der Freilichtmalerei der Impressionisten entwickelt hat: Das Frühlingsblühen gehört allemal dazu, aber auch Nebelschwaden über Meeren und Flüssen, Lichtspiegelungen auf Wogen und Wellen – Momente also, in denen sich die Farben sowieso aufzulösen scheinen. Baumblätter und Wasser werden zuweilen von ein und demselben Flimmern erfaßt – ein Schritt zum Abschied vom konkreten Gegenstand. Hier hat dieser Stil neue Horizonte des Sehens erschlossen. Für Stadt- und Arbeitswelten war er hingegen einfach nicht „zuständig“.

In Deutschland blieb der Stil Nebensache

Von Paul Signac, der nach Seurats Tod den Pointillisten als Großmeister galt, sind etliche Spitzenstücke zu sehen. In der Münsteraner Werkschau war Signac allerdings unlängst noch umfassender vorgestellt worden. Raumbeherrschend in Köln sein Idyll „In der Zeit der Harmonie“ (1894/95), ein Vorläufer des Jugendstils: Girlanden spielender und tanzender Menschen winden sich durch eine utopisch-ideale Landschaft, Mensch und Natur sind aufs Schönste vereint.

In Deutschland blieb der Pointillismus Episode. Der Hagener Mäzen Karl-Ernst Ostbaus war einer der wenigen, die die Bedeutung erkannten. Seine Empfehlung regte Christian Rohlfs an, die Lichtstreuung rund um die „Türme von Soest“ im Ansatz pointillistisch darzustellen; aber nicht nach der reinen Lehre, sondern mit strichförmig gerichteten Farbpartikeln, die schon auf den Expressionismus vorausweisen.

„Pointillismus -Auf den Spuren von Georges Seurat“. Wallraf-Richartz-Museum, Köln (am Hauptbahnhof). Bis 30. November. Di 10.20 Uhr; Mi-Fr 10-18 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr. Eintritt 13 DM, Katalog 56 DM.




In der Zeichnung zeigt sich der wahre Meister – Ausstellung in Münster reicht von Dürer bis Beuys

Von Bernd Berke

Münster. Zeichnungen gelten oft als bloße Vorstufen zu großen Ölgemälden, ja als eigentlich unfertige Kunstwerke. In Münster ist man ganz anderer Meinung. Mit der Ausstellung „Zu Ende gezeichnet“ will das Landesmuseum beweisen, daß ästhetische Abrundung und Perfektion sehr wohl auch mit dem Stift erzielt werden können.

Von Dürer über Picasso bis hin zu Beuys wartet die Schau mit rund 200 Exponaten und etlichen großen Namen auf. Alle Stücke stammen aus dem offensichtlich hervorragend bestückten Kupferstichkabinett zu Basel.

Die historische Spannweite zwischen dem 16. und dem 20. Jahrhundert eröffnet reizvolle Vergleichsfelder. Die Geschichte schnurrt wie im Zeitraffer ab. Um 1500 war auch die Zeichenkunst ganz selbstverständlich in biblischen und mythischen Stoffen verankert, sie stand auf verläßlichem Grund. Somit war auch die Formensprache fest gefügt, denn sie spiegelte ja die weitgehend intakte kosmische Ordnung. Doch ein Bild wie Ludwig Schongauers „Vorbereitung zur Kreuzigung Christi“ muß für damalige Gemüter schockierend gewesen sein. Höchst sachlich werden hier die Instrumente zur biblischen Qual bereitet; fast so, als übe man ein ganz biederes Handwerk aus.

Kühne Ausschnitte kündigen die Moderne an

Über Berühmtheiten wie Albrecht Dürer (Bildnis des Salzburger Kardinals Matthäus Lang, um 1518), Hans Holbein den Älteren, Hans Baldung und Albrecht Altdorfer, gelangt man allmählich in die barocken Gefilde. Hier ragt natürlich ein Peter Paul Rubens (u. a.: „Die Kreuzigung Petri“, um 1638) heraus. Folgt man der chronologischen Hängung, so steht man später vor sanften romantischen Landschaften und dann – vielleicht der interessanteste Teil der Zusammenstellung – im Vorhof der Moderne.

Der Bruch kündigt sich zunächst in ganz leichten, aber schon befremdlichen Perspektiven-Verschiebungen an, in der Wahl kühner Ausschnitte. Wenn etwa der eines übertriebenen Fortschrittswahns eigentlich unverdächtige Adolph von Menzel anno 1880 den „Blick in einen besonnten Hof mit einer Frau an einer Wasserpumpe“ zeigt, so hat er die jahrhundertelang gewohnte Zentralsicht längst hinter sich gelassen. Es geht nicht mehr um Abbildung der Wirklichkeit, sondern um ihre Splitter und Essenzen. Georges Seurats „Spaziergängerin mit Sonnenschirm“ (um 1882) steht für den Übergang des festumrissenen Gegenstandes ins impressionistische Flimmern. Im Gefolge des Kubismus löst sich dann die Form vollends auf.

Spannend ist es nun zu beobachten, wie einfallsreich die Künstler seither auf den Formenschwund „geantwortet“ haben. Vielfältig und manchmal verzweifelt sind die Versuche, diesem Zustand wieder neue tragfähige Konzepte abzugewinnen. Die Skala der Möglichkeiten reicht von hauchzarten Entwürfen am Saum des Verschwindens (Wols, Cy Twombly) bis hin zu ungehobelter Kraftprotzerei („Neue Wilde“).

Die stilistische Vielfalt ist also mindestens ebenso breit wie in der Ölmalerei. Außerdem befindet man sich, indem man Zeichnungen anfertigt oder auch nur betrachtet, meist noch ein Stückchen näher am Ursprung, an der „Geburt“ der bildlichen Idee als bei geduldig ausgeführter Schönmalerei. Und: Wenn ein Künstler nicht auf der Höhe seiner Mittel wäre, so verriete sich das in der Zeichnung mitunter deutlicher, als wenn er mit Ölfarbe gar manche Schwäche überdeckt und vertuscht.

„Zu Ende gezeichnet“. Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster (Domplatz). Bis 5. November, tägl. außer montags 10-18 Uhr. Katalog 35 DM.