Historie in der Horizontale: „Was im Bett geschah“

Wenn man nur lange genug über ein Thema nachsinnt, scheint der Stoff schier uferlos zu werden. Beispielsweise das Bett und alles Drumherum. Was lässt sich da nicht alles erzählen! Es lassen sich damit zahllose Bücher füllen, beispielsweise das im Titel etwas anzüglich klingende „Was im Bett geschah“ (im Original noch eine Spur aktiver: „What We Did in Bed“), das als „Eine horizontale Geschichte der Menschheit“ firmiert.

Nadia Durrani und Brian Fagan kommen aus der Archäologie und fangen zwar nicht bei Adam und Eva, wohl aber bei unseren frühen Vorfahren vor einigen Tausend Jahren an, die verwertbare Funde hinterlassen haben. In der Vorzeit, so erfahren wir, haben Menschen wohl auf Bäumen geschlafen, andere wiederum in Hockstellung auf dem Erdboden. Wir lernen sodann sehr detailreich, wie es vor allem die alten Ägypter, Griechen, Römer und Chinesen mit dem Schlafe hielten und wann die Vorläufer der Betten gebaut worden sind.

Die vom Boden abgehobene Bettstatt mit Füßen entstand zunächst vor allem als Zeichen sozialer Hierarchie und Distanzierung. Die Höhergestellten waren sozusagen auch Höhergelegte, sie hoben sich somit buchstäblich von ihren Bediensteten und sonstigen Minderbegüterten ab. Im Laufe der Historie wurden daraus unvorstellbar reich ausgestattete Prunkbetten. Ihre Kostbarkeit zu schildern, ja darin verbal zu schwelgen, unternimmt das Autorenduo immer und immer wieder, in dieser Hinsicht wird es durchaus wiederholungsträchtig.

Staatsgeschäfte zwischen den Laken

Ansonsten werden praktisch alle Aspekte rund ums Bett durchgearbeitet: der Schlaf an und für sich, der Sex, das Bett als Ort der Geburt und des Sterbens, als geheimes Machtzentrum von Pharaonen, Königen und sonstigen Potentaten – mit den recht bizarren Gipfelpunkten zur Zeit des „Sonnenkönigs“ Ludwig XIV. und der englischen Königin Elizabeth I. Oft genug wurden gewichtige Staatsgeschäfte wesentlich vom Bett aus besorgt, so auch noch von Winston Churchill.

Eine der spannendsten Fragen betrifft die Privatsphäre, von der sich frühere Zeiten noch gar keinen Begriff machten. Daheim teilten ganze Großfamilien die Lagerstatt. Reisende, sofern nicht bestens betucht, hatten in den Herbergen keine Liegefläche für sich allein. Wann und wie aber ist die Vorstellung eines Rückzugsbereichs und folglich der Intimität entstanden? Sollte es etwa mit dem Heraufkommen der bürgerlichen Gesellschaft zu tun gehabt haben? Das christliche Sündenbekenntnis (Beichte) und die abgesonderte Buchlektüre haben jedenfalls bahnbrechend gewirkt. Insofern waren die 1969 im Bett abgehaltenen Presse-Empfänge von John Lennon und Yoko Ono als Manifestationen einer Gegenbewegung tatsächlich geschichtsträchtig.

In der Flut des Materials ertrinken

Zahllose Phänomene werden erwähnt. Man denke sich irgendein Stichwort zum Thema, es wird mit ziemlicher Sicherheit in diesem Buche vorkommen. Es ist, als hätte man bloß nichts auslassen wollen. Allerdings ertrinkt man auf diese Weise in der Flut des Materials. Nadia Durrani und Brian Fagan haben bienenfleißig Fundsachen zusammengetragen, sie lassen alles Mögliche und Unmögliche Revue passieren, finden aber nur selten zur Analyse von Strukturen. Ein tiegfründelndes Buch ist dies gewiss nicht, eher eine leidlich unterhaltsame Materialsammlung, deren verstreut umher liegende Elemente noch der weiteren Deutung harren.

Auch die Zukunft des Schlafens wird erwogen – vor allem in Form eines schnellen Streifzugs durch die globalen Möbelmärkte. Stehen uns Kapselbetten ins Haus, die die Schlafenden als Vereinzelte völlig umschließen und vielfach (virtuell) verwöhnen? Werden unsere Wohnungen auf Knopfdruck tagtäglich wandelbar sein? Werden wir uns völlig schwerelos auf magnetisch schwebenden Kissen zur Ruhe legen? Fragen über Fragen. Lasst uns mal ein paar Nächte drüber schlafen.

Nadia Durrani & Brian Fagan: „Was im Bett geschah. Eine horizontale Geschichte der Menschheit“. Aus dem Englischen übersetzt von Holger Hanowell. Reclam Verlag, 270 Seiten (mit Bibliographie und Registern), 24 Euro.

 




Geistig angereicherte „Stellensuche“ – André Comte-Sponvilles kleine Sex-Philosophie

978-3-257-06924-2Was macht ein Philosoph, wenn er mal ordentlich abverkaufen will? Richtig, er schreibt ein Buch, das beispielsweise so heißt: „Sex. Eine kleine Philosophie“.

Andererseits hat man in lüsterner Laune relativ wenig mit Philosophie im Sinn. Egal. Der Franzose André Comte-Sponville, ehemals Philosophie-Professor an der Sorbonne, hat ein Buch herausgebracht, das auf Deutsch just so heißt wie oben erwähnt.

Und was steht drin?

Nun, zunächst der Versuch einer Definition von Sexualität an und für sich. Beim Menschen ist sie bekanntlich von der bloßen Fortpflanzung entkoppelt, sie speist sich zudem aus dem Trieb, weniger aus Instinkt. Obwohl wir immer auch Tiere bleiben. Auch behalte der Sex – aller rüden Pornographie zum Trotz – stets einen Rest an Geheimnis.

Na, und so weiter.

Sodann gibt’s einen flotten Streifzug durch ein paar Gefilde der Philosophie-Geschichte, entlang der großen Namen wie etwa Platon, Epikur, Augustinus, Spinoza, Montaigne (dem besondere Aufmerksamkeit zuteil wird), Kant, Schopenhauer, Nietzsche, Sartre und Bataille. Wer hat was zur Sexualität gesagt, welche Passagen lassen sich herauspicken und dingfest machen? Jaja, die gute alte „Stellensuche“.

Nur ein paar Beispiele. Kant sieht in der Sexualität vorwiegend Erniedrigung am Werk, da hierbei das Geschlechtliche im Vordergrund und das Menschliche hintan stehe. Laut Schopenhauer ist der Sex der Brennpunkt des Willens, und natürlich hat der Erzpessimist in der Fortpflanzung vorwiegend die Fortsetzung des Leids der menschlichen Gattung kommen sehen.

Bei Nietzsche, der sich immerhin gegen die christliche Sex-Verteufelung ausspricht, heißt es dann kurz und bündig: „Des Mannes Art ist Wille, des Weibes Art Willigkeit…“ Noch aphoristischer zugespitzt im „Zarathustra“: „Das Glück des Mannes heißt: ich will. Das Glück des Weibes heißt: er will.“ Bei Bataille stehen Überschreitung und Gewalt im Zentrum. Wo immer ein Gesetz walten will, da wird es umso lieber gebrochen. Im deutschen Text fällt hierbei häufig das Wort „aufwühlend“. Wer wollte da widersprechen?

Genug. Das alles ergibt eine hübsche kleine Sammlung, die allerdings nicht immer vielsagend und vielfach ziemlich unzeitgemäß erscheint. Was ja auch unser Fehler sein könnte. André Comte-Sponville müht sich nach Kräften, noch halbwegs brauchbare Äußerungen der Philosophen den heutigen (Geschlechter)-Verhältnissen und also dem jetzigen Zeitgeist anzubequemen.

Geistig angereicherte Erotik grenzt Comte-Sponville sorgsam von der Pornographie ab. Fortdauerndes Begehren stellt er über schnöde Befriedigung, wobei das Begehren als Mangel und als Vermögen betrachtet werden könne. Gut, dass wir darüber geredet haben. Auch über Phänomene wie Burka und Nudismus. Und immer wieder über das Animalische in uns.

Unterwegs entstehen zahlreiche Klammer-Sätze (immer gilt es einzuschränken), die von einer gewissen Hilflosigkeit künden. Wollten wir manches komplett zitieren (etwa den ungelenken letzten Absatz auf Seite 157), so würden Leser(innen) dieser Rezension zu schlummern beginnen. Hallo?!

Ob das Ganze auf Französisch anders wirkt? Mag sein. Sie haben ja fürs Leibliche die schöner klingenden Worte. Aber auch der schiere Wohlklang dürfte die Sache nicht retten. Wobei man der Gerechtigkeit halber sagen muss, dass dies Buch aus einem Essay besteht, der einer umfangreicheren Originalausgabe („Le sexe ni la mort“) entnommen wurde. Immer diese Häppchen.

Auf Deutsch ist’s jedenfalls keine prickelnde oder lustvolle Lektüre, sondern es sind Gedankenspiele, die recht fruchtlos um sich selbst kreisen. Mal wieder ein Buch, in dem die Sexualität zerredet wird.

André Comte-Sponville: „Sex. Eine kleine Philosophie“. Aus dem Französischen von Hainer Kober. Diogenes Verlag, Zürich. 169 Seiten. 19,90 Euro.




„Porno“ in der Tiefkühltruhe

Vor einigen Tagen war im geschätzten Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein länglicher Essay zu lesen, der die pornographische Sichtweise als die prägende Perspektive unserer Tage dingfest zu machen suchte. Die Herangehensweise der harten Pornographie, so war zu lesen, bestimme längst auch weite Teile der Hochkultur. Und das nicht nur insgeheim.

"Nackt" in der Tiefkühltruhe (Foto: Bernd Berke)

„Nackt“ in der Tiefkühltruhe (Foto: Bernd Berke)

Es mag etwas Wahres daran sein: Besonders Kino und Theater, doch auch die bildenden Künste müssen sich offenbar notgedrungen irgendwie zur globalen pornographischen Dominanz verhalten, sei’s harsch ablehnend, krampfhaft ignorierend, hintersinnig konterkarierend oder gleich hingebungsvoll affirmativ.

Bevor die Debatte ausufert, werde ich lieber konkret: Heute stand ich vor einer Kühltruhe im Supermarkt und wurde abermals gewahr, dass natürlich auch die Warenwelt sich pornographische Anspielungen zu eigen macht. Nicht nur, dass allüberall Plakate prangen, die bis in die 1970er Jahre nur unter der Ladentheke gehandelt worden wären; nein, auch vermeintlich harmlose Nahrungsmittel werden einem erotisch bis pornös schmackhaft gemacht. Da geht es manchmal nur noch um Sääääxxxx.

Und was heißt hier überhaupt harmlos! Der Hummer (um niemand anderen geht es) hat ja eh schon einen gewissen Ruch als Luxusnahrung der Begüterten und als Bestandteil jenes zynischen Wortspiels „Welthummerhilfe“. Jetzt habe ich eine Packung entdeckt, die sich mit der lockenden Überschrift „Der ,nackte‘ Hummer“ schmückte. Vergesst die neckischen Gänsefüßchen. Oh, Schweinskram über Schweinskram! Man denke nur: ein nacktes Tier! Da fällt einem doch Robert Gernhardts Reimklassiker ein: „Der Wal vollzieht den Liebesakt / zumeist im Wasser. Und stets nackt.“

Aber mal halbwegs im Ernst. Wahrscheinlich sollen wir glauben, dass nach dem Genuss dieses Schalentiers lustvolles Flachlegen angesagt ist. Oder etwa nicht?

Am den Wein- und Sektregalen bin ich dann nur noch abgewendeten Blickes vorüber gewankt. Wer weiß, was sich die Ferkel dazu wieder haben einfallen lassen…




Wenn uns die Gier beim Kragen packt – über ein menschliches Grundgefühl

Von Bernd Berke

Ja, darüber kann man sich von Herzen moralisch empören: Wie schrecklich gierig sind doch jene Menschen, die viele Millionen auf dem Konto haben und dann auch noch Steuern hinterziehen! Oder Leute, die an der Börse zocken, bis nichts mehr geht. Anlässe zur Entrüstung gab’s jüngst genug. Aber ist man selbst frei von solchen Regungen?

Wohl kaum. Die Gier ist zwar mit einiger Mühe halbwegs beherrschbar, doch gehört sie zur menschlichen Grundausstattung. Erst wenn wir Lust- und Glückshormone wie das Dopamin abgeschafft hätten, wäre vielleicht auch die Gier verschwunden. Bei allem furchtsamen Respekt vor der Gentechnik: Damit ist auf mittlere Sicht denn doch nicht zu rechnen.

Geiz und Neid sind nur die Spiegelbilder

Unsere Wirtschaft und das Profitstreben, auf dem sie basiert. sind nicht allein rational zu erklären. In Banken- und Börsenkrisen ahnen wir, wie sehr das ganze Metier von Stimmungen, Mutmaßungen (eben: Spekulationen) und schwankenden Gefühlen abhängt. Wahrlich keine, verlässliche, logische Mechanik.

Wenn uns die Gier beim Kragen packt, so tritt noch ein Effekt ein, der an die sprichwörtlichen Lemminge erinnert. Viele tun irgendwann mit, wenn eine anschwellende Masse etwas vormacht; schon aus Angst, eine Gewinnchance zu verpassen. Auch da ist’s wie im Sprichwort: Den Letzten beißen die Hunde. Doch der hat dann hoffentlich wenigstens etwas fürs weitere Leben gelernt.

Ohne Habgier würde ja der ganze Kapitalismus nicht funktionieren. Wenn keiner mehr (und immer noch mehr) haben wollte als die anderen, so würde der Antrieb zu Geschäften aller Art fehlen. Die Gier besiegt auch die Angst vor etwaigen Risiken.

Maßlosigkeit gehört wesentlich dazu. Man kriegt den Hals nicht voll. Es ist wie beim steinreichen Enterich Dagobert Duck, der bekanntlich in Geld und Gold badet. Die Schatzkammern können nie groß genug sein. Und wehe, es fehlt ein einziger Taler.

Wer ängstlich seinen Besitz hortet, verhält sich nur spiegelbildlich. Beim Geiz ist gleichfalls Habgier der Antrieb – wenn auch in defensiver Spielart. Doch die „Geiz-ist-geil“-Phase, so hämmert man uns weiblich ein, sei sowieso vorüber. Im Zeichen des (schon brüchigen?) Aufschwungs darf und soll wieder gescheffelt und geprasst werden. Keine Zeit für Askese oder fürs „Maßhalten“, wie es einst der Altkanzler Ludwig Erhard empfahl. Statt dessen heißt es wieder: „Ich will alles – und zwar jetzt.“

Die katholische Kirch rechnet die Habgier (Lateinisch: avaritia) zu den berühmten „Sieben Todsünden“ – ebenso wie den Neid. Ein beliebtes, weil schauriges Thema in der Kunst. Nicht nur Hieronymus Bosch und Otto Dix haben sich drastisch und orgiastisch ausgemalt, wie der teuflische Sündenpfuhl wohl ausschauen mag.

Die Gier kann sich, weil sie zu Sucht und Exzess tendiert, wahl- und zügellos auf schier alles richten. Gier nach Geld ist beileibe nicht die einzige Form. Man denke nur an die rauschhafte Gier nach Sex oder Drogen. Eine solche Aufzählung könnte schier endlos geraten. Auch hier ist wohl die Biochemie der Hormone am Werk. Sie gibt keine Ruhe. Gier ist ein großes Lebensthema, das alle betrifft. Und Natürlich hat sie auch zutiefst mit unserer Sterblichkeit zu tun. Lebten wir ewig, müssten uns nicht ständig einbilden, etwas Unwiederholbares zu yersäumen und ein für allemal „zu kurz“ zu kommen.

 

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HINTERGRUND

Auch für Künstler ein Thema

  • Die sieben Todsünden nach dem Verständnis der katholischen Kirche:
  • Stolz, Neid, Zorn, Faulheit, Geiz, Gier und Wollust.
  • Das Thema hat immer wieder Künstler inspiriert. Das Spektrum reicht von Bert Brechts „Die sieben Todsünden der Kleinbürger“ bis zum Song der Simple Minds:„Seven Deadly Sins“.
  • „Gier“ ist ein häufiger Titel von Kunstwerken. Zu nennen sind etwa Erich von Stroheims monumentaler Film „Gier“ (Greed) von 1924, Gabriele Wohmanns Erzählsammlung „Habgier“ oder der Roman „Gier“ von Elfriede Jelinek.
  • Neueres Sachbuch: Hans Leyendecker „Die große Gier“ (Rowohlt, 299 S., 19,90 €).



Der Sex von damals ist nur noch ein fader Aufguss – Robert van Ackerens Nachlese „Deutschland privat 2 – Im Land der bunten Träume“

Von Bernd Berke

Ach, wie lang sind sie vorüber: die 60er und 70er Jahre – mitsamt den Super-8-Filmchen, die damals im familiären Kreise oder in zweisamer Verschwiegenheit gedreht wurden.

Als Robert van Ackeren („Die flambierte Frau“) 1980 solche Kostproben unter dem Titel „Deutschland privat“ ins Kino brachte, da hatte man noch den Nachgeschmack jener Jahre auf der Zunge. Es ging einen noch an. Auch deshalb waren die oft neckischen Blicke in Alltag und Intimsphäre der Nation ein Lacherfolg in den Programmkinos. Wer da lauthals geierte, dünkte sich meist weitaus weniger spießig als die Leute auf der Leinwand. Derlei billige Gewissheiten haben sich längst verflüchtigt.

Jetzt gibt’s – aus gehöriger Distanz – den wohl endgültigen Abgesang auf die Ära derSuper-8-Streifen (eine Weltfirma hat kürzlich die Produktion des Materials völlig eingestellt). Der passionierte Super-8-Sammler Van Ackeren zieht jetzt eine späte Fortsetzung ans Licht: „Deutschland privat 2 – Im Land der bunten Träume“.

Wiederum liegt ein Schwerpunkt auf den inzwischen so fern gerückten 70er Jahren. Der Rückgriff ähnelt fast archäologischer Feldforschung. Da schwappt noch die Sexwelle, und die DDR existiert bräsig vor sich hin.

All das Getue und Geschiebe auf Super-8-Filmchen

Gut die Hälfte der 25 Streifen befasst sich explizit mit Sex. Ganz ehrlich: All dies Getue und Geschiebe könnte einem die Freude an der Sache beinahe verleiden. Wir sehen „die“ Deutschen als Exhibitionisten, als heillos enthemmte Nackte. Sexuelle Leistung wird geliefert, gelegentlich bis zum Übersoll. Bloß nicht prüde sein. Von Erotik bleiben höchstens Spurenelemente. Nicht gerade schön, zuweilen trist oder gar abstoßend. Deutschland bizarr.

Das Ganze riecht wie fader Aufguss. Van Ackeren schwört weiterhin auf die Wahrhaftigkeit solcher Amateurfilme. Doch das ist naiv.

Die Auswahl schmort im eigenen Saft

Natürlich waren Formen und Inhalte vielfach anderweitig vorgeprägt – durch Fernsehen, Werbung, kommerzielle Pornos usw. Immerhin: In besseren Momenten werden alteingeführte filmische Mittel als Klischees bloßgestellt. Gleichsam nebenbei. Und rührend unbeholfen.

Zudem erschrickt man über ein paar veritable Fundstücke. Der wohl stärkste Beitrag zeigt, wie sich rebellische DDR-Jugendliche bei ihrem übermütigen Tun gefilmt haben. Vollends abgründig ist die Episode „Ich auf Brautschau“: Ein Mann, der noch bei Mutti wohnt, holt sich gegen Bares blutjunge Frauen aus dem Asien-Katalog ins traute Heim und filmt gierig drauflos. Verklemmt und unverfroren zugleich.

Aufschlussreich wären Vergleiche – mit ähnlichen Filmen etwa aus Frankreich, Italien und England. Oder mit heutigen privaten Hervorbringungen auf DVD und im Internet. Doch Van Ackerens Auswahl schmort im eigenen, schon lange vergorenen Saft.




Sex wie aus dem Supermarkt – Tom Wesselmann, eine Leitfigur der Pop-Art, ist mit 73 Jahren gestorben

Von Bernd Berke

Zu Beginn der 60er Jahre sind die Bilder des Tom Wesselmann grelle Schocks: Nackte, laszive Frauengestalten rekeln sich da – ohne Gesichter, ohne persönlichen Umriss. Als grellrotes Signal lockt zwischen großflächigen Fleischfarben oft nur ein sinnlich geöffneter Mund.

Die Kunstwelt trauert um den Mann, der mit solchen Visionen Zeiterscheinungen auf den bildlichen Begriff gebracht hat: Tom Wesselmann ist, wie jetzt bekannt wurde, am letzten Freitag mit 73 Jahren nach einer Herzoperation in einer New Yorker Klinik gestorben.

Die anonymen Leiber, die er malte, bleiben reduziert auf sexuelle Merkmale und sind zu jeder lüsternen Tat bereit. Diese „Great American Nudes“ verheißen Genuss ohne Reue. Ein offensiver Appell wie aus dem Supermarkt: Alles ist vorhanden, greif sofort zu. Längst erkennen wir darin typische Embleme der 1960er, die sich so freizügig gaben und verdünnt bis heute wirken.

Der Körper als Angebot in der Warenwelt

Solche Gemälde sind „Klassiker“ mit seherisch-diagnostischer Kraft. Der zunehmende Warencharakter der Sexualität leuchtet bereits auf, die allseitige Verfügbarkeit des Körpers als eines unter vielen „Angeboten“. Weibliche Brüste etwa, zumeist im sichtlich erregten Zustand, konkurrieren auf Wesselmanns collagierten, geradezu schaufensterhaften Bildern mit allerlei Botschaften der Reklamewelt.

Nicht so glamourös wie der Medienstar Andy Warhol und weniger auf ein Markenzeichen (Comic-Adaptionen) fixiert als Roy Lichtenstein, gilt Wesselmann als ein weiterer Pionier der Pop-Art. Er selbst mochte sich ungern einsortieren lassen. Welcher Künstler will schon einem „Verein“ angehören?

Anfangs auf Pollocks Spuren

In den 50er Jahren malt Wesselmann, wie damals in den USA üblich, auf Jackson Pollocks Spuren im heftig gestischen Geiste des abstrakten Expressionismus. Auf diesem Felde lassen sich allerdings bald kaum noch individuelle Besonderheiten schärfen. Schon deshalb ist es wohl folgerichtig, sich dem Gegenständlichen zuzuwenden. Vielleicht hilft Wesselmann dabei eine vorübergehende Tätigkeit als Cartoon-Zeichner.

Als treibende Kräfte kommen zudem eine neue, dauerhafte Liebesbeziehung (mit seiner späteren Frau Claire) und eine langwierige Psychoanalyse mit offenbar befreiender Wirkung in Betracht. Sie geben seinem Leben wohl neue Richtung und Halt. Und die ausgiebige Seelenschau schmälert durch „Heilung“ nicht etwa die kreativen Impulse. Trostreiche Erkenntnis gegen das Klischee: Er muss keine „Macken“ hegen und pflegen, um Gültiges auszudrücken.

Kunst soll in den Alltag ragen

Etwa seit 1959 verschreibt sich der allzeit diszipliniert arbeitende Wesselmann (keine Bohème-Attititüden, nahezu bürgerliches Familienleben, mindestens Achtstunden-Tag im Atelier) der europäischen Genre-Tradition, es entstehen zunächst vor allem Stillleben und Akte. Die flächig fragmentierte Sehweise steht in der Überlieferung von Matisse und Modigliani. Doch Wesselmann füllt die Kompositionen mit ausgesprochen amerikanischen Motiven aus Werbung und Warenwelt.

Später fügt er reale Objekte wie Radios, Uhren, Kühlschranktüren oder Handtuchhalter ein, er dringt somit vor in die dritte Dimension. Mit ganz banalen Dingen will seine Kunst ins alltägliche Leben hinein ragen und entschieden auf den Betrachter zukommen. Der wiederum ertappt sich selbst als Voyeur der verführerischen Oberflächen.