Operetten-Passagen (8): Emmerich Kálmáns Rarität „Die Faschingsfee“ in Mönchengladbach

"Die Faschingsfee" am Theater in Rheydt: Szene aus dem ersten Akt. Foto: Matthias Stutte

„Die Faschingsfee“ am Theater in Rheydt: Szene aus dem ersten Akt. Foto: Matthias Stutte

Das Theater Krefeld-Mönchengladbach besinnt sich auf eine gute Tradition und greift wieder einmal in die stillen, dunklen Räume, in denen abseits des bis zum Überdruss ausgeleuchteten Mainstreams vergessene Werke einer Wiedergeburt auf der Bühne entgegenschlummern.

Während allein in Deutschland in dieser Spielzeit fünf Theater eine neue „Csardasfürstin“ herausbringen, wagen sich nur zwei an Unbekanntes aus der Feder von Emmerich Kálmán. Das Stadttheater Gießen spielt seine frühe Operette „Ein Herbstmanöver“ von 1909. Und in Mönchengladbach widmet sich der Regisseur und Sänger Carsten Süss im Theater Rheydt einer Operette, die vor genau 100 Jahren entstand, als der Erste Weltkrieg schon absehbar zum Zusammenbruch Europas führen sollte: „Die Faschingsfee“.

Seit der Nazizeit – Kálmán musste 1938 emigrieren – aus den Spielplänen verschwunden, feierte die flotte Reminiszenz an die Fünfte Jahreszeit in der letzten Spielzeit ein Comeback, für das Münchner Gärtnerplatztheater bearbeitet von dessen Intendant Josef E. Köpplinger. Mönchengladbach hielt sich enger an das Original von Alfred Maria Willner und Rudolf Österreicher. Süss schrieb neue Dialoge und bereinigte das personalreiche Stück um einige Nebenfiguren. Dennoch wurde der Abend, auch wegen der zwei Pausen, mit drei Stunden ziemlich lang.

Ohne flotte Wendigkeit und Selbstironie

Der Grund liegt auch im Werk selbst: Köpplinger hatte in München ein hohes Tempo vorgelegt und sein Ensemble auf rasche Reaktionen und geschliffene Pointen trainiert. Süss hat Darsteller, denen die flotte, wendige Art der Komödie, das Arbeiten auf einen zündenden Punkt hin nicht geläufig ist.

Der Regisseur und Sänger Carsten Süss. Foto: Theater Mönchengladbach/privat

Der Regisseur und Sänger Carsten Süss. Foto: Theater Mönchengladbach/privat

Wenn die unbekannte Schöne, die sich später als eine hochadelige Dame entpuppt, in der verlotterten Souterrain-Kneipe (atmosphärisch stimmige Bühne: Siegfried E. Mayer) auftaucht, zeigt Debra Hays weder die leicht genervte Arroganz gegen eine Welt, die sie sonst nie betreten würde, noch die zögerliche Verlegenheit angesichts fremder Menschen einer kaum vertrauten sozialen Schicht. Sie tritt vielmehr, nicht einmal besonders spektakulär oder gar selbstironisch, als Operettendiva auf.

Zudem konzentriert sich die Regie auf das (künftige) Liebespaar. Der Maler Victor Ronai (Mark Adler, alternierend mit Michael Siemon) hat soeben einen Preis gewonnen, der mit einem Haufen Geld dotiert ist, und freut sich in einem flotten Song („Heut flieg ich aus“) auf eine zünftige Faschingsfeier, zu der ihm die attraktive fremde Frau gerade recht kommt. Ein romantisches Auftrittslied, ein Duett im Walzertakt – und schon ist man sich sicher: „Seh’n sich zwei nur einmal, ist’s beinahe kein Mal …“. Doch das Milieu der Künstler-Bohème konkretisiert sich nicht. Chor und Statisterie liefern ihre Szenen wacker ab, aber das Bild einer Zeit von Mangel und Depression will sich nicht einstellen.

Rüde sexuelle Belästigung fegt den harmlosen Spaß beiseite

So bleiben wir in szenischen Abläufen, wie sie aus standardisierten Operetten-Arrangements bekannt sind und längst Inszenierungs-Geschichte sein sollten. Aber Halt: Wenn sich plötzlich ein öliger Schnösel unter die feiernde Gesellschaft mischt und die unbekannte Dame auf rüde Weise sexuell belästigt, verlassen wir den (stets scheinbar) harmlosen Spaß. Juan Carlos Petruzziello zeigt mit dem nötigen, auch schneidend stimmlichen Nachdruck, dass die Übergriffe nicht als Galanterie oder frivole Anspielung gemeint sind, sondern einen Mann charakterisieren, der sich wie selbstverständlich anmaßt, über andere Menschen zu verfügen.

Konfrontatin im Atelier: Fürstin Alexandra (Debra Hays) und ihr Bräutigam, Rittmeister von Grevelingen (Michael Grosse). Foto: Matthias Stutte

Konfrontation im Atelier: Fürstin Alexandra (Debra Hays) und ihr Bräutigam, Rittmeister von Grevelingen (Michael Grosse). Foto: Matthias Stutte

Leider bricht diese Exposition im zweiten Akt wieder zum – ob der vielen Dialoge – langwierigen Operettenspaß zusammen. Inzwischen wissen wir, dass die Dame der höheren Gesellschaft angehört und einen älteren Rittmeister ehelichen soll. Ihr Chauffeur nämlich ist mit einer der Bohème-Künstlerinnen liiert und weckt durch seine verzweifelten Bemühungen, das Abenteuer seiner Herrschaft nicht ausarten zu lassen, das Misstrauen seiner Lori: Gabriela Kuhn als eifersüchtiges Fräulein Aschenbrenner und Markus Heinrich als ihr der Untreue verdächtiger Favorit ziehen alle Register, um ihre turbulenten Szenen mit Charme und Schmiss über die Bühne zu bringen. Aber um die beiden herum fehlen das Tempo und der messerscharfe Schliff der Pointen. Das Fest zieht sich bis zum Finale, in dem das „hohe Paar“ nach einer Liebesnacht im Atelier, den Konventionen der Operette entsprechend, getrennt wird.

Den dritten Akt spitzt Regisseur Süss entschieden deutlicher zu: In einem muffigen Ambiente der Fünfziger Jahre – die einfallsreichen Kostüme von Dietlind Konold verorten das Werk in der Nachkriegszeit – soll die Hochzeit zwischen Fürstin Alexandra und dem Rittmeister (mit sonorer Würde: Intendant Michael Grosse höchstselbst) gefeiert werden. Unter röhrenden Hirschen taucht im Hintergrund – eine makabre Prophetie künftigen Ehelebens – ein Zitat an „Dinner for one“ auf, die Stolperfalle Eisbärfell eingeschlossen. Blond bezopfte Mädels in Höschen im SS-Schwarz tanzen auf der Tafel zu Kálmáns Schlager „Wenn die Garde schneidig durch die Stadt marschiert“ aus der „Herzogin von Chicago“.

Braune Schatten hinter konservativ-bürgerlicher Fassade

Der schmierige Typ aus dem ersten Akt, inzwischen bekannt als Staatssekretär Dr. Lothar Mereditt, schwadroniert in konservativ-grauem Cutaway von Leitkultur, Vorsehung und tausendjähriger Zukunft. Am Ende rutscht ein Wagner-Gemälde von der Wand und legt für Sekunden ein Hitlerbild frei. Süss hebt den Spiel-Realismus auf, um die Tiefenschichten einer Mentalität offen zu legen, die heute wieder alles andere als ein historisches Phänomen der Adenauerzeit ist. Hinter Wagner als Inbegriff einer bürgerlichen Kunstreligion verbirgt sich der braune Schatten; in den erstarrten Konventionen gesellschaftlichen Lebens tarnt sich ein Ungeist, der Menschen, Menschlichkeit und Moral verachtet.

Auch wer die Symbolik für zu dick aufgetragen hält, wird zugestehen müssen, dass der Versuch, die Operette aus belangloser Seligkeit zu befreien, mit konzeptionellem Ernst unternommen wurde. Die ideensprühenden Melodien Kálmáns, die das Orchester unter Diego Martín-Etxebarría sängerfreundlich und flexibel, aber manchmal auch konturenarm spielt, bekommen so einen zwiespältigen, melancholischen, sogar leise resignierten Unterton. Mit Sicherheit nicht der schlechteste Beitrag, den Krefeld mit der „Faschingsfee“ zur ausgedünnten Operetten-Landschaft der Rhein-Ruhr-Region leistet.

Vorstellungen: 21. und 31. Dezember, 4. und 16. Februar in Mönchengladbach-Rheydt; in der Spielzeit 2018/19 dann im Theater Krefeld. Info: http://theater-kr-mg.de/spielplan/inszenierung/die-faschingsfee/




Frech und weltläufig: „Ball im Savoy“ von Paul Abraham am Theater Hagen

Eleganter Bohemièn: Johannes Wollrab als Aristide in "Ball im Savoy" in Hagen. Foto: Klaus Lefebvre

Eleganter Bohemièn: Johannes Wollrab als Aristide in „Ball im Savoy“ in Hagen. Foto: Klaus Lefebvre

Nein, einen besonders guten Ruf genossen die Operetten von Paul Abraham nach dem Zweiten Weltkrieg nicht: Am ehesten tauchte noch „Viktoria und ihr Husar“ auf den Spielplänen auf, weil sie mit dem Schlager „Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände“ dem Zeitgeschmack entsprechend recht gut zu sentimentalisieren war.

Aber „Die Blume von Hawaii“ hielt man spätestens in den siebziger Jahren für grenzwertig bis unspielbar, und „Ball im Savoy“ war seit dieser Zeit so gut wie völlig verschwunden – trotz eines prominent besetzten Films von 1955 mit Nadja Tiller, Caterina Valente, Bully Buhlan und Bibi Jones und einer TV-Produktion von 1971 mit Gritt Boettcher, Christiane Schröder, Klaus Löwitsch und Theo Lingen.

Das scheint sich seit einigen Jahren zu ändern: Den Kolonial-Exotismus der „Blume von Hawaii“ sieht man heute aus einer anderen Perspektive. Die rekonstruierte Partitur, wie sie an der Wiener Volksoper erklang, erwies die genialen Fähigkeiten Abrahams als Instrumentator. „Viktoria und ihr Husar“ wurde durch Florian Ziemen in Gießen gründlich entstaubt. Und „Ball im Savoy“, dem noch Operetten-Spezialist Volker Klotz nicht viel gute Worte schenkte, weckte der WDR 2010 mit einer konzertanten Aufführung – ebenfalls in rekonstruierter Form – aus dem Dornröschenschlaf.

Rekonstruierten die Partitur von "Ball im Savoy": Matthias Grimminger und Henning Hagedorn. Foto: Werner Häußner

Rekonstruierten die Partitur von „Ball im Savoy“: Matthias Grimminger und Henning Hagedorn. Foto: Werner Häußner

Die phänomenale, opulente Premiere an der Berliner Komischen Oper im Juni 2013 markierte nicht nur die Rückkehr von Paul Abrahams Musik an den Ort ihrer Entstehung, sondern offenbar auch eine Trendwende in der Rezeption. „Ball im Savoy“ erschien in den letzten beiden Jahren in Plauen-Zwickau und Gera-Altenburg, kommt im Mai 2015 in Halle/Saale heraus und wird derzeit in Hagen gespielt. Nicht zu vergessen: In Dortmund steht mit „Roxy und ihr Wunderteam“ eine weitere Abraham-Operette auf dem Spielplan, die nicht zur Trias der Erfolge der Weimarer Zeit gehört, sondern erst 1936 entstand, als der aus Ungarn stammende, aus Deutschland vertriebene Jude Paul Abraham in seiner Heimat an seine Berliner Erfolge anzuknüpfen versuchte.

In Hagen führen Regisseur Roland Hüve und Ausstatter Siegfried E. Mayer einen Kampf gegen die Armut des Theaters, den sie nur zum Teil gewinnen. Das Bühnenbild mit seinen von Ulrich Schneiders Licht gnädig geschönten Vorhängen kann das mondäne Flair nicht beschwören, ist aber klug konzipiert. Denn es lässt Raum für die Choreografien und wirkt als unauffälliger Horizont für Mayers wirklich atemberaubende Kostüme. Sie lassen die verschwenderische Revue ahnen, die im Dezember 1932 die Berliner Theaterunternehmer Rotter im Großen Schauspielhaus (in DDR-Zeiten der alte Friedrichstadtpalast) ausstatteten, um den dringend benötigten finanziellen Erfolg zu erzielen.

Nur scheinbar ein Paar - oder doch nicht? Marilyn Bennett als mondäne Tangolita und Johannes Wollrab als Aristide in "Ball im Savoy" in Hagen. Foto: Klaus Lefebvre

Nur scheinbar ein Paar – oder doch nicht? Marilyn Bennett als mondäne Tangolita und Johannes Wollrab als Aristide in „Ball im Savoy“ in Hagen. Foto: Klaus Lefebvre

Mayer lässt es glitzern und funkeln, in Weiß und Rot, Gold und Violett. Ronald Bomius und seine Mitarbeiter in der Maske verwandeln das Ballett, den Chor und die Statisterie in bubiköpfige Damen und pomadig gescheitelte Herren – die ganze demí-monde des Berlin der zusammenbrechenden Weimarer Republik gibt sich tanzend und swingend ein Stelldichein.

Den Damen bleibt er nichts schuldig: Madeleine (Veronika Haller), die so gerne treu und häuslich wäre, hat in Weiß und Goldblond einen rauschenden Auftritt. Eine Affäre aus den Dandy-Zeiten ihres Ehemanns Aristide (Johannes Wollrab), die schöne Tangolita (Marilyn Bennett), tritt als rauchig-rote Versuchung in die Arena der Verwicklungen, an deren Ende die Unschuld der beinahe betrogenen Betrügerin Madeleine feststeht.

Den Trick zum Beweis hat sich Daisy Darlington alias Kristine Larissa Funkhauser ausgedacht. Diese Frau sprengt so ziemlich jede zeitgenössische Heimchen-am-Herd-Ideologie: Eine amerikanische Komponistin (!) von Jazz (!), die sich ein männlichen Pseudonym zulegt, um ihrem Vater zu beweisen, dass sie das Zeug zum Erfolg hat, um sich ihre Unabhängigkeit (!) zu sichern und der Heirat mit einem unterbelichteten Schokoladenfabrikanten zu entgehen.

Dass die Nazis mit diesem Prototyp einer selbstsicheren Frau nichts anfangen konnten, liegt auf der Hand. „Ball im Savoy“ verschwand schon im Frühjahr 1933: die jüdischen Gebrüder Rotter waren pleite, der Jude Abraham aus Deutschland geflohen. Für die saubere, deutsche Operette, wie sie sich die NS-Kulturpolitik wünschte, war das freche, weltläufige Werk Abrahams nicht geeignet.

Regisseur Roland Hüve – er hat unter anderem in Bielefeld Cole Porters „Anything goes“ in Szene gesetzt – kennt die Herausforderung der großen Szene, des präzisen Timing und des hohen Tempos auf personenreicher Bühne. Da spielen das Ballett und der Opernchor (musikalisch einstudiert von Wolfgang Müller-Salow) wacker mit. So ganz können sie die bräsigen Bewegungsmuster der üblichen Operettenroutine nicht überwinden; schuld daran sind auch Andrea Danae Kingstons mäßig originellen Choreografien. Der Augenweide fehlt manchmal das Augenzwinkern: Ironie ist eben schwer …

Von Damen umschwärmt: Bernhard Hirtreiter als "Salontürke" Mustafa Bei. Foto: Klaus Lefebvre

Von Damen umschwärmt: Bernhard Hirtreiter als „Salontürke“ Mustafa Bei. Foto: Klaus Lefebvre

Auf der anderen Seite lässt Hüve den Solisten Raum, sich zu entfalten: „Ich hab einen Mann, der mich liebt“ wird so zur ganz großen Nummer Veronika Hallers, und Bernhard Hirtreiter darf als ganz im Nachtclub-Milieu assimilierter türkischer Attaché Mustafa Bei mit Esprit erzählen, wie es ist, wenn „wir Türken küssen“.

Dass in Hagen mit Microport gesungen werden muss, ist nicht recht einzusehen, zumal die Stimmen durch die Verstärkung entstellt werden: Veronika Haller hat auf einmal ein grelles Vibrato und Marilyn Bennett klingt ältlich verzerrt. Mag sein, dass ihnen David Marlow nicht vertraute, über das Abraham-Orchester zu kommen.

Die üppige Instrumentierung ist von Matthias Grimminger und Henning Hagedorn rekonstruiert. Das Dortmunder Duo verwendete viel Sorgfalt bei der Sichtung der Quellen, geht aber – wie auch bei der Aufführung an der Komischen Oper Berlin zu registrieren – am Sound der frühen dreißiger Jahre vorbei. Mir scheint der Schlagzeugeinsatz zu aufdringlich, und die harte, grelle Intonation der Blechbläser erinnert eher an amerikanischen Bigband-Sound als an die schmeichelnd-lasziven Klänge der Tanzkapellen dieser Zeit, wie sie uns von Schellack-Platten entgegentönen.

Das Hagener Orchester macht sich den Tonfall, den Witz im Rhythmus, die Tanztempi und die instrumentalen Farben schnell zu eigen; in dem kleinen Haus hätte Zurückhaltung bei der Lautstärke der Finesse der Musik gut getan. Dafür gelingen intime Nummern wie „Ich hab einen Mann, der mich liebt“ expressiv und empfindsam.

Mit „Ball im Savoy“ hat Hagen zweierlei bewiesen: Entgegen allen Unkenrufen lebt die Operette, wenn sie mit Sorgfalt und Liebe reanimiert wird. Und wieder einmal ist eine Hagener Produktion ein erfolgreicher Nachweis, wie unverzichtbar die Stadttheater auf der kulturellen Landkarte sind. Daher: Hände weg von diesem Erbe! „Ball im Savoy“ ist zudem ein Argument für eine Idee, auf die man in Hagen sonst schwerlich kommt: „Es ist so schön, am Abend bummeln zu geh’n ….“.

Info: www.theater-hagen.de