Aus legendären Zeiten beim Suhrkamp-Verlag: Briefwechsel zwischen Handke und Unseld

Welch ein Autor! Welch ein Verleger! Welch ein schwieriges Wechselspiel.

Mit solchen Ausrufen, zuweilen auch Seufzern, könnte man diese umfängliche Lektüre begleiten und beschließen: Peter Handkes Briefwechsel mit dem einstigen Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld hat zwar hin und wieder überraschend kleinliche, oft aber auch erhebende oder sogar monumentale Momente. Hier begegnen sich zwei Menschen, die einander bestärkt und die je auf ihre Weise Literaturgeschichte geschrieben haben.

Wer Handke nur für einen Bewohner des Elfenbeinturms hält, wird sich vielleicht wundern, wie penibel und argwöhnisch er – wenn es um seine Werke geht – Auflagenhöhen, Werbeaufwand und vor allem Honorare überwacht. Ohne Vorschüsse und Darlehen wäre es ja zu Beginn auch schwerlich gegangen. Doch hernach hat er den Ruhm des Verlages wahrlich gemehrt. Es war ein Nehmen und Geben. Und manchmal war es ein Fest.

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Unseld jedenfalls muss ihm häufig Rechenschaft ablegen und ihn von Zeit zu Zeit mit solchen Versicherungen beschwichtigen: „Für mich bist du der wichtigste Autor des Verlages.“ Nur gut, dass die Suhrkamp-Autoren in aller Regel nicht gewusst haben, was Unseld jeweils den anderen geschrieben hat. In Stunden der wunden Empfindung konnte Handke aber selbst auf Lob und Preis so trübselig antworten: „Und möchte nichts hören von ,großem Erfolg’ und ,wichtigstem Autor’. Das tut mir NUR WEH.“

Geistvoller Geschäftsmann mit Hang zu großzügigen Gesten

Diesen Siegfried Unseld muss man einfach bewundern. Es ist phänomenal, wie einlässlich und genau er sich mit Handkes Schriften befasst, auch wenn der Sensibilissimus manchmal meint, man behandle ihn lieblos und nachlässig. Wie Unseld trotz aller literarischen Begeisterungsfähigkeit und trotz aller Neigung zur großzügigen Gesten immer noch genug Geschäftsmann bleibt, um den Verlag in Schwung zu halten! Wie behutsam er lavieren muss, um einen schwierigen, oft divenhaft sich gebenden Charakter wie Handke nicht zu verprellen. Wenn man sich vorstellt, mit wie vielen ähnlich eigensinnigen Autoren er teilweise zur gleichen Zeit zu tun hatte (man denke allein an Martin Walser, Max Frisch, Uwe Johnson oder Thomas Bernhard), so ist des Staunens kein Ende. Er war ein Verleger-Genie. Und sein damals noch traditionell in Frankfurt angesiedelter Verlag war der beste im Lande und darüber hinaus. Das waren Zeiten.

Zwischendurch fragt man sich unwillkürlich, was Unseld wohl zur heutigen, durchaus misslichen Situation des Suhrkamp-Verlages (der bekanntlich im Streit zwischen den Eigentümern zerrieben zu werden droht) gesagt und vor allem, was er dagegen unternommen hätte. Doch derlei Gedanken sind müßig. Die Lebenden müssen es ausfechten, ohne dass alles zerbricht. In diesem Sinne kann man auch den beteiligten Juristen nur eine glückliche Hand wünschen.

Ein junger Dichter ohne Konto und Telefon

Zurück zum Buch. Der bis zum April 2002 reichende Briefwechsel Handke/Unseld setzt 1965 ein, als die später so innige und fruchtbringende Verlagsbeziehung angebahnt wird. Zu jener Zeit verfügt der junge Dichter weder über ein Konto noch über ein eigenes Telefon…

Alsbald entfaltet sich mit dem rasch wachsenden Oeuvre eine (manchmal gefährdet erscheinende) Freundschaft zwischen Autor und Verleger, Handke selbst spricht in der Rückschau lieber von Brüderlichkeit.

Peter Handke wird, so gut es eben geht, sehr früh auch an Details der Buchherstellung beteiligt. Er legt größten Wert auf minimale Änderungen in Textdarbietung oder Umschlaggestaltung und kann über Druckfehler äußerst zornig werden. Lektoren und andere Suhrkamp-Mitarbeiter hatten es gewiss nicht leicht („Es ist klar, dass die Korrektoren und Setzer da eine schmähliche Arbeit geleistet haben…“).

Diese kostspieligen Korrekturen

Handkes nachträgliche Korrekturen auch inhaltlicher Art sind mitunter so ausufernd und treffen zeitlich so knapp ein, dass ein kompletter Neusatz der Texte erforderlich wird und Produktionsabläufe ins Schlingern geraten. Da erinnert Unseld auch schon mal an die immensen Extrakosten solcher Maßnahmen – freilich mit Engelszungen. Verstimmt ist Unseld allerdings, wenn der Österreicher Handke einzelne Texte an den Salzburger Residenz Verlag gibt. Das wertet er als eine Art Treuebruch.

Die insgesamt 611 Briefe drehen sich über weite Strecken fast ausschließlich um Werkprozesse, Verlags- und Buchmarkt-Angelegenheiten. Sofern Handke für Theater und Film arbeitet, werden natürlich auch diese Bereiche berührt.

Politische Zeitläufte gleiten fast spurlos vorüber

Bereits am 27. Januar 1967 schreibt Peter Handke: „Die Zeit der engagierten Literatur ist vorbei, es kommt eine Zeit der Reflexion, hoffe ich…“ Zeitgeschichtliche Vorgänge (wie etwa 1968 und die Folgen oder die „bleierne Zeit“ der späten 1970er) gleiten denn auch in diesem Briefwechsel beinahe spurlos vorüber, auch sucht man später Äußerungen über die Fährnisse der deutschen Vereinigung vergebens. Handkes sehr eigenwillige Position zu Serbien und Jugoslawien spiegelt sich jedoch auch in einigen Briefen. Unseld nahm ihn hierbei vor Angriffen in Schutz und übte keinerlei Zensur, erlaubte sich allerdings, in der Sache wesentlich anderer Meinung zu sein.

Bei so manchen literarischen Gipfeltreffen, die am Rande vorkommen, hätte man liebend gern am Nebentisch gesessen: Was hat Handke in Paris im Beisein Unselds mit Samuel Beckett und Paul Celan beredet? Worüber hat er sich mit dem anfangs noch geschätzten Thomas Bernhard unterhalten, dessen Schöpfungen („Es ist so eine schamlose Schein-Literatur“) er später in Bausch und Bogen verworfen hat? Doch was soll die unsinnige Neugier? Was bleibt, sind ohnehin die Bücher, die quer durch die Zeiten miteinander sprechen.

Man erfährt hier einiges über die Höhenkämme des Literaturbetriebs. Liest man auch all die Anmerkungen und Auszüge aus Unselds Notizen mit, die manches erst richtig erschließen, so hat man einige Zeit gründlich mit dem Buch zu schaffen. Es ist schon interessant zu verfolgen, wer sich wann mit welchen Mitteln für oder gegen wen einsetzt und wie beispielsweise Preisträger gekürt werden.

Die Wut auf Rezensenten

Beinahe schon alttestamentarisch ist bisweilen Handkes Furor, vor allem, wenn er sich gegen Kritiker (speziell Marcel Reich-Ranicki) richtet. Einmal verlangt er, die Rezensenten gar nicht mehr vorab zu bemustern: „Und ich bitte noch einmal, zu beachten, daß es keine Besprechungsexemplare geben soll, für niemanden.“

Unmittelbar nach Abschluss seiner Manuskripte, in deren Wortgefüge er sich zutiefst hineinbegeben hat, ist Handke verständlicherweise ungemein empfindlich und reizbar. Einige Male trifft der Bannstrahl eben auch Unseld („Unsere Wege trennen sich hiermit, unwiderruflich“), der ein fertiges Opus nach Handkes Ansicht mal zu langsam liest oder mal zu beliebig und gleichgültig lobt. Doch letzten Endes ist Handke dann doch immer dankbar gewesen, einen so geist- und kraftvollen Tatmenschen neben sich zu wissen. Einen wie ihn wird es nicht mehr geben.

Peter Handke / Siegfried Unseld. Der Briefwechsel. Herausgegeben von Raimund Fellinger und Katharina Pektor. Suhrkamp Verlag. 798 Seiten mit Anhang, Registern sowie einigen Schwarzweiß-Fotos. 39,95 Euro.




„Herrgott“ auf dem Verlegersessel – TV-Porträt des Siegfried Unseld

Von Bernd Berke

Der Schriftsteller Martin Walser schüttelt den Kopf. Wieder einmal mattgesetzt! Gegen seinen Freund und Verleger Siegfried Unseld, den Chef des Frankfurter Nobelhauses Suhrkamp, kann er im Schach fast nie gewinnen. Walser: „Nur nach Mitternacht, da ist er schlagbar.“

So war denn Unseld in dem Porträt „Der Verleger und die Lust am Buch“ (ARD) gleich als Gewinnertyp eingeführt. In diesem Stile ging es in dem Film von Hilde Bechert und Klaus Dexel weiter: Unseld, „ins Gelingen verliebt“; Unseld, der Mann auf der Sonnenseite des Lebens; Unseld, der kraftvoll „Ja“ sagt zu Dasein und Erfolg. Ein typischer Vertreter der „Wende-Zeit“, könnte man argwöhnen, wäre da nicht sein Buchprogramm, einst zu großen Teilen Pflichtlektüre der „APO“ – und auch heute noch eins der besten und profiliertesten im Lande.

Unseld ließ sich und seinen „Riecher“ gebührend bewundem, aber nicht in die Karten blicken. Mit gepreßter Stimme gab er abgewogene Auskunft, als halte er immer noch etwas Entscheidendes zurück. Welch ein Gegensatz zum „Kritikerpapst“ Marcel Reich-Ranicki, der hier als „Zeuge“ angerufen wurde: Mit ein, zwei Sätzen gab Reich-Ranicki mehr preis als Unseld in einer Stunde. Was etwa Reich-Ranicki offen als Macht des Verlegers bezeichnete, nannte Unseld vornehm eine gewisse „Entscheidungsbefugnis“. In Unselds Augen blitzte es am hellsten auf, als er sich ausmalte, wie der spanische Markt für Brecht geöffnet werden könne. Mit Geist Geld zu machen, das ist seine Leidenschaft.

Die Aussagen der Suhrkamp-Autoren (Martin Walser, Max Frisch, Thomas Bernhard) ließen ein durchaus zwiespältiges Verhältnis zum Literatur-Markt und seinen Machern erkennen. Zwar kamen höflicherweise keine Schriftsteller zu Wort, die Unseld abgelehnt hatte, doch greinte Thomas Bernhard: Er hänge vom Verleger ab „wie a Bauer von d’r Ernte“; der Verleger sei halt ein „Herrgott“.




Neue Suhrkamp-Titel nur noch als Paperback – Verlag bestreitet Hardcover-Programm aus dem Archiv

Von Bernd Berke

Frankfurt. „Tragisch und unerfreulich“ findet Franz Xaver Kroetz die ganze Angelegenheit, doch er resigniert: „Ich muß mich wohl fügen.“ Grund für das Stimmungstief des bekannten Dramatikers („Stallerhof, „Wildwechsel“) ist eine Hiobsbotschaft aus dem Frankfurter Suhrkamp-Verlag. Erstmals in seiner 33jährigen Geschichte will das renommierte Haus im Frühjahr 1983 keine Neuerscheinungen in Hardcover-Ausstattung (fester Einband) herausbringen.

Stattdessen grub man vergriffene Bande aus der Zeit seit Verlagsgründung aus, um sie dem Leservolk wieder zugänglich zu machen. Dazu äußerte sich Siegfried Unseld, Leiter des Verlags, in wohltönender Beschönigung schon schriftlich: „Der Suhrkamp-Verlag hat sich mit diesem ,Weißen Programm‘ zu einem Experiment entschlossen. Es soll… Autoren wie Lesern dienen.“

Ob sich freilich die Autoren, die gerade an neuen Werken arbeiten, mit dem Nostalgie-Programm anfreunden können, darf bezweifelt werden. Immerhin ist Suhrkamp einer der ganz wenigen Verlage in der Bundesrepublik, die den Mut aufbrachten, auch neuere, experimentelle Literatur zu verlegen. Zu den Autoren des Frankfurter Unternehmens zählen Peter Handke, Thomas Bernhard, Franz Xaver Kroetz, Thomas Brasch, Martin Walser und Herbert Achternbusch – mithin ein Großteil der bundesdeutschen Schriftsteller-Elite.

Beispiel Franz Xaver Kroetz, der soeben den zweiten Teil einer Romantrilogie abgeschlossen hat. Kroetz, quasi beim Leser „im Wort“, dem ersten Teil („Der Mondscheinknecht“) eine Fortführung folgen zu lassen, zur WR: „Ich hatte mich schon so darauf gefreut, daß der Band im nächsten Frühjahr bei Suhrkamp erscheint. Daraus wird jetzt wohl nichts.“ Kroetz denkt trotzdem, nicht daran, sein Buch einem anderen Verleger anzubieten, denn bislang habe er mit der Verlagspolitik von Suhrkamp gute Erfahrungen gemacht: „Meine Bücher sind ständig im Buchhandel vorrätig und werden oft neu aufgelegt.“ Auch die Auflagenhöhen könnten sich sehen lassen.

Nachfragen bei Franz Xaver Kroetz und Karin Struck

Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld, der seinen Rückgriff auf ältere Werke von Oskar Loerke, Hermann Hesse und Wolfgang Koeppen schon vorab werbewirksam darzustellen versuchte, war nicht zu sprechen. Er befinde sich auf einer USA-Reise, hieß es. Auch sein Stellvertreter war nicht erreichbar. In „unteren“ Verlagsetagen gab man sich äußerst wortkarg. Immerhin; Der bereits von der „Frankfurter Rundschau“ erhobene Vorwurf des „künstlerischen Offenbarungseides“ sei „Quatsch“, im übrigen seien die Autoren vorher informiert worden und einverstanden gewesen. Nachfragen der WR ergaben: Franz Xaver Kroetz und Karin Struck („Klassenliebe“, „Die Mutter“) waren zum Beispiel nicht unterrichtet. Kroetz wußte nur vom Hörensagen von den Verlagsplänen, Karin Struck erfuhr es erst durch die WR („Da muß ich gleich mal meinen Lektor anrufen.“) Kroetz und Struck sind seit Jahren Suhrkamp-Autoren.

Ein Suhrkamp-Verlagsmitarbeiter salopp: „Wenn uns jetzt das ,Werk des Jahrhunderts‘ auf den Tisch flattert, werden wir es wohl doch als Hardcover veröffentlichen.“ Schließlich hoffe man, mit dem „Weißen Programm“ einen höheren Umsatz zu erzielen, als mit ehrgeizigen Neuerscheinungen. KeinWunder: Schließlich lassen sich auf diese Weise erkleckliche Autoren-Honorare einsparen.

Franz Xaver Kroetz, dessen Romanteil dem harten Kalkül zum Opfer fallen wird: „In meinern Fall hält sich aber der finanzielle Verlust in Grenzen, weil ich am meisten durch Aufführungen meiner Theaterstücke verdiene.“ Mit Galgenhumor kann Kroetz der farbloseren Neuerscheinungspalette gar noch positive Seiten abgewinnen: „Vielleicht bin ich selbst mal froh, wenn meine Bücher 20 Jahre nach Erscheinen plötzliche Neuauflagen erleben.“ Härtere Worte fallen derweil bei der Bundesgeschäftsstelle des Schriftstellerverbands (VS) in Stuttgart: „Da bekommt der Suhrkamp-Verlag wieder unverdiente Publizität.“