Neue CD mit Henryk Góreckis 3. Sinfonie – Spekulieren auf den einstigen Kultstatus

Neu erschienen auf CD: Henryk Góreckis 3. Sinfonie. Foto: Sony

Der polnische Komponist Henryk Górecki ist außerhalb seines Heimatlandes nahezu ein Unbekannter. Seine Hoch-Zeit hatte der 1933 Geborene ohne Zweifel in den 50er und 60er Jahren, zunächst beim Musikfestival Warschauer Herbst, später in Paris. Hier lernte er die westeuropäischen Avantgardisten Boulez, Messiaen und Stockhausen kennen. Góreckis Orchesterstück „Scontri“ war bei der Uraufführung 1960 einem Aufruhr des entsetzten Publikums ausgeliefert, schon allein wegen der teils extremen Lautstärke des Stückes.

Mitte der 60er aber vollzog sich die langsame wie stetige Wandlung des Bilderstürmers Górecki. Geprägt vom starken Katholizismus seines Landes, auf der Spur volksmusikalischer Wurzeln, komponierte er zunehmend harmonisch, meditativ, klar strukturiert. Als wichtiges Werk dieser Entwicklung dürfte die 1976 geschriebene 3., die „Sinfonie der Klagelieder“ gelten. Der gut 50minütige Dreisätzer für Streicher, Klavier und Sopran ist ein ruhig fließendes Lamento, ein Totengesang in drei Varianten. Maria beweint ihren sterbenden, toten Sohn. Die Textquellen sind eine spätmittelalterliche Heiligkreuzklage, eine KZ-Inschrift, ein oberschlesisches Volkslied. Religiös Inbrünstiges trifft auf weltliche Verzweiflung.

Die historische Pointe dieser Werkgeschichte liefert indes erst das Jahr 1992. Als die zweite CD-Einspielung der 3. erschien, mit der Sopranistin Dawn Upshaw und der London Sinfonietta unter David Zinman. Als diese Platte gut eine Million Mal verkauft wurde. Als sie zeitweise Eingang in die Album-Charts fand, also sich auch unter Jugendlichen größter Beliebtheit erfreute. Offenbar traf die Sinfonie den Zeitgeist: schwankend zwischen dem Bedürfnis nach Kontemplation und dem tönenden Protest gegen das Laute in der Welt.

Nun ist, 20 Jahre nach diesem unverhofften Run auf eine „Klassik“-CD, eine neue Deutung auf den Markt gekommen. Mit der libanesischen Sopranistin Isabel Bayrakdarian und dem Danish National Symphony Orchestra, dirigiert vom Amerikaner John Axelrod. Eine Liveaufnahme aus dem Konzerthaus Kopenhagen, die bei allem dunklen Streicherraunen hinreichend transparent erklingt.

Doch so eindringlich das Orchester die an- und abschwellende Dynamik nachzeichnet, so enttäuschend wenig Farbschattierungen sind zu hören. Górecki lässt mit seinem weiträumigen Minimalismus die Zeit verharren, aber daraus formt Axelrod nur bedingt Spannungsvolles. Die Sängerin trägt zudem oft reichlich dick auf, die Stimme leuchtet klagend, aber bisweilen rau, kehlig und nicht ohne Schärfe. So bleiben viele Zweifel, ob diese Aufnahme erneut Chancen auf Kultstatus hat. Denn warum sonst wurde die CD produziert? Eine ernstzunehmende Beschäftigung mit dem Werk Góreckis geht davon jedenfalls nicht aus.

Erschienen bei Sony Music

www.klassik.sonymusic.de




Lisztiana I – Faustisches Ringen

Khatia BuniatishviliSie ist eine Pianistin, die keine Kompromisse kennt. Die genau weiß, was sie will. Sich hineingräbt ins Klavier, um sich mit allen gespielten Linien, Läufen oder Akkorden zu umhüllen. Wer sie auf der Bühne erlebt hat, weiß um ihre Präsenz, Kraft und Hingabe. Khatia Buniatishvili scheint introvertiert, doch die aufrauschenden oder zärtlich innigen Klänge, die sie hervorzaubert, lassen Distanz nicht zu.

Nun hat die junge Georgierin, gerade mit üppigstem Beifall bedacht zur Eröffnung des Klavier-Festivals Ruhr 2011, ihre erste Solo-CD (Sony) eingespielt. Mit Werken einzig von Liszt. Das mag den Anschein haben, die Solistin wolle stürmischen Schrittes den Gipfel des Virtuosentums erklimmen. Nichts jedoch ist falscher als das. Alles Flirren und Flittern um seiner selbst willen liegt ihr fern. Hier geht´s um die Kunst, nicht um schönen Schein.

„Das Klavier ist das schwärzeste Instrument, ein Symbol musikalischer Einsamkeit“, hat Buniatishvili einmal gesagt, und beim Hören dieser CD erweist sich der Satz als allzu wahr. Wie sich aus dunklem Fluss in größter Ruhe das Thema des 3. Lisztschen Liebestraums entfaltet, wie sich das expressive Thema zur Ekstase steigert bis zum Schmerz und am Ende alles erstarrt: Das hat viel von Leere, Melancholie.

Dahinter steckt zugleich faustisches Ringen. Die Pianistin versteht Liszt als Künstler, der nach Wahrheit strebte, in sich zerrissen war, die Liebe suchte, die er letzthin nur im Glauben finden konnte. Eindrucksvoll dokumentiert Buniatishvili dies im Booklet. Ihre Deutung etwa des 1. Mephisto-Walzers oder der weitgespannten h-moll-Sonate ist die Konsequenz dieses Denkens.

Dass sie mit großer Umsicht und unglaublicher technischer Reife zu Werke geht, sei nur am Rande bemerkt. Doch wie die Georgierin der Motorik die Sporen gibt, wie sie im Diskant messerscharf artikuliert, wie sie Phrasen, die vielleicht von Liebe zeugen, ins Leere laufen lässt, hat Seltenheitswert. Es ist, als spiele sie um ihr Leben, um uns Liszts Dasein als tragisches zu illustrieren.

Dieses Debüt ergreift, rüttelt auf, zwingt zum Nachdenken. Ein beachtlicher Einstand.

Das Programm des Klavier-Festivals, das sich ausführlich den Kompositionen Franz Liszts widmet, findet sich unter www.klavierfestival.de

(Der Text ist in ähnlicher Form in der WAZ erschienen).