Christian Wulff als Talk-Gast: Einblicke ins Räderwerk zwischen Politik und Presse

Im Februar 2012 ist Christian Wulff von seinem Amt als Bundespräsident zurückgetreten. Jetzt begab er sich erstmals wieder in eine TV-Talkshow: Maybrit Illner (ZDF) hatte also eine kleine Sensation zu bieten, für die sie auch ihre Sommerpause verschob und die Sendezeit überzog.

Man bekam immerhin ein paar kleine Einblicke ins ratternde Räderwerk zwischen Politik, Presse und Justiz.

Feldzug gegen Kampagne

Wulff, inzwischen gerichtlich von allen Vorwürfen der Vorteilsnahme und Korruption freigesprochen, zieht seit einigen Wochen mit einem Buch („Ganz oben, ganz unten“) gegen die Pressekampagne zu Felde, die ihn damals in den Rücktritt getrieben habe. Es scheint so, als sei auf allen Seiten Selbstgerechtigkeit im Spiele.

Lag’s daran, dass er als Präsident gesagt hat „Der Islam gehört zu Deutschland“? War das eine Provokation? Jedenfalls schien er alsbald für weite Teile der Medien „zum Abschuss freigegeben“ und es war, als wollten manche Journalisten einmal zeigen, dass sie auch ein Statsoberhaupt aus dem Amt schreiben können. Ihre Recherchen reichten zuweilen bis tief in die Privatsphäre und unter die Gürtellinie. Jeder minimale Vorwurf war willkommen – und auch die Staatsanwaltschaft bekleckerte sich im Ermittlungsverfahren nicht gerade mit Ruhm.

Fehler auf allen Seiten

Presse und Justiz müssen sich also einige selbstkritische Fragen stellen. Doch auch Christian Wulff hat etliche Fehler gemacht. Er war, wie sich bei Maybrit Illner abermals zeigte, zu naiv und zu wenig souverän. Er offenbarte, als es auf offensive Ehrlichkeit angekommen wäre, die Wahrheit nur verdruckst in Salamitaktik und sagt noch jetzt, er sei ja seinerzeit nach bestimmten Dingen gar nicht gefragt worden…

Wie überempfindlich der Mann geworden ist, wurde auch im Umgang mit der Talkmasterin Illner klar, der er vorhielt, sie werfe alles durcheinander. Freilich stichelte Frau Illner hin und wieder auch ein wenig. Und die Rolle des Fernsehens kam bei aller Presseschelte so gut wie gar nicht zur Sprache. Warum eigentlich nicht?

Naiv und wenig souverän

Recht behutsam, differenziert und sachlich gingen hingegen die weiteren Talkgäste, Ex-Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Grüne) und Heribert Prantl (Chefredaktion Süddeutsche Zeitung), mit dem Fall Wulff um. Sie machten deutlich, dass in dieser Sache die eine oder andere Grenze überschritten worden ist.

Doch so mancher andere, der damals mit den Wölfen geheult hat, ruft heute auch nach Bedachtsamkeit. Also ist mitunter Heuchelei nicht fern.

Geradezu tragisch oder auch tragikomisch ist das Verhältnis Christian Wulffs zur „Bild“-Zeitung und deren Chefredakteur Kai Diekmann. Wulff hat offenbar geglaubt, mit dem Boulevard-Blatt einen Pakt auf gegenseitige Freundlichkeit schließen zu können. Welch ein Irrtum! Spät, doch entschieden und mit dubiosen Mitteln wendete sich die Zeitung mit den großen Buchstaben gegen Wulff. Da auch Spiegel und FAZ ihm nicht wohlgesonnen waren, hatte er den Kampf um die öffentliche Meinung schon früh verloren.

Da fragt man sich schon, ob Gewaltenteilung und Kräftebalance in unserem Gemeinwesen wirklich funktionieren.

P.S.: Seinen irritierenden Ausspruch, er wäre heute noch der Richtige fürs Bundespräsidentenamt, hat Christian Wulff in der Talkshow zurückgezogen: „Das hätte ich nicht sagen sollen.“




Spieglein

Spieglein, Spieglein an der Wand,
oh Schreck,
man hat sich selbst erkannt

 

 

 

 

 

 

Foto: by Stefan Dernbach




Wie die Medien unser Bild von Israel bestimmen – Ausstellung in der Alten Synagoge von Essen

Von Bernd Berke

Essen. Wir alle haben von Israel und den Juden lauter Zerrbilder aus den Medien im Kopf. So lautet jedenfalls die These einer Ausstellung der Alten Synagoge in Essen.

Vor allem zwei Magazine hat man zur Beweisführung ausgewertet, nämlich „Spiegel“ und „Stern“, die beide etliches zur Aufklärung über die Untaten der NS-Zeit beigetragen haben. Doch für diese Ausstellung hat man (nicht in Texten, sondern in der Bebilderung) ganz bewußt nach Defiziten und Fehlleistungen gesucht, die sich durch ihre Häufung seit den 50er Jahren zu Klischees verfestigt hätten. Tafeln mit vergrößerten Reproduktionen dienen als Beweisstücke.

In Deutschland lebende Juden kommen überhaupt selten in der Presse vor. Und wenn, dann nicht als „sie selbst“, wie die Ausstellungsmacher sagen, sondern fast nur in ihrer Rolle als Überlebende und (potentielle) Opfer, sozusagen als bloße Stellvertreter-Figuren historischer Erinnerung.

Anonyme und hilflose Menge

Bilder vom Holocaust zeigten Juden meist nur als anonyme und hilflose Masse, oder es würden Fotos von menschenleeren KZ-Anlagen, Zyklon-B-Behältern und ähnlich „abstrakten“ Gegenstände veröffentlicht. Indem sie dies tadelt, geht die Ausstellung vielleicht übers Ziel hinaus, denn man fragt sich natürlich, welche Alternative es bei der Bebilderung des Unbegreiflichen eigentlich geben könnte. Schließlich geht es ja um eine Massenvernichtung, bei der Einzelschicksale völlig mißachtet wurden. Trotzdem: Die Frage, ob wir womöglich unbewußt diese anonymisierende Sichtweise der Täter weiter mit uns herumschleppen, ist allemal eine Untersuchung wert.

Schlüssiger wird es in dem Teil der Ausstellung, der sich mit dem heutigen Israel befaßt. Da finden sich bedenkliche Verzerrungen, etwa wenn israelische Soldaten am liebsten mit der Waffe im Anschlag und vorzugsweise aus Froschperspektiven gezeigt werden. So wirken sie riesengroß und übermächtig. Naheliegender Gedanke: Israel sei ein militarisierter Staat, David längst ein Goliath. In Überschriften wird dazu oft und gern das biblische Rache-Klischee („Auge um Auge, Zahn um Zahn“) bemüht. Nur: Ein paar Körner Wahrheit enthalten solche (Sprach-)Bilder auch, sonst bekäme man die Fotomotive ja gar nicht.

Ferner soll die Ausstellung etwas zeigen, was wohl jedes Kind weiß: wie sehr nämlich eine Zeitung mit verschiedenen Bild-Unterschriften oder mit diversen Ausschnitten ein und dasselbe Foto ganz anders deuten kann. Zudem sind diese Möglichkeiten nicht spezifisch für das Thema Israel, man könnte sie anhand beliebiger anderer Probleme demonstrieren. Auch hier freilich der berechtigte Umwand: In Sachen Israel haben wir ganz besonderen Anlaß, auf menschenmöglich korrekte und angemessene Wiedergabe der Realitäten zu achten. Dafür schärft, ihren Schwächen zum Trotz, die Ausstellung den Sinn.

„Mit dem Gebetsmantel zum Gegenangriff – Juden im Bild der Bundesrepublik“. Alte Synagoge. Essen (Steeler Straße 29). Bis 11. Dezember 1994 (tägl. außer montags 10-18 Uhr). Katalog 19,80 DM.




Das millionenschwere Geschäft mit Klassik – ein hämisches Buch aus der „Spiegel“-Sprachwerkstatt

Von Bernd Berke

Man kennt das vom „Spiegel“. Manchmal gehen mit den Blattmachem des Hamburger Nachrichtenmagazins einfach die Pferde durch. Dann liegen unter Bergen von sprachlichem Brimborium grad mal ein paar Körnchen Informationsgehalt verborgen.

„Spielgel“-Kulturredakteur Klaus Umbach hat ein Buch über die millionenschweren Machenschaften im Geschäft mit der klassischen Musik geschrieben. Er bedient sich dabei über weite Strecken dermaßen exzessiv des „Spiegel“-Stils, daß es zuweilen ärgerlich wird. Man liest und liest und erfährt dabei vor allem, daß der Autor sich selbstgefällig in den Formulierungen seiner Gag-Schreibe „spiegelt“. Beispiel für viele:

„Jahrhundertelang lag das flache Land unter hohem Himmel in tiefem Frieden. Als Diogenes schon in der Tonne hauste, Cäsar nach Cleopatra grabschte und Nero die Christen zerfleischen ließ, kurzum: als das Abendland langsam seine wahre Bestimmung erkannte, da war an der Waterkant nur der Bär und nichts als der Bär los. Galt schon die ganze zottelfellige Germania bei den alten Römern als Blinddarm des europäischen Kulturrumpfes, so lag Holsatia, dieses Holstein ganz da oben, geradezu am Arsch der Welt: finster und windig, ein Loch in der Landkarte“.

Eine tolle Flut von Adjektiven. Erraten, worum es da gehen könnte? Um den laut Umbach idyllischen, weil praktisch musikfreien Zustand, bevor Justus Frantz den Nordlichtern sein Schleswig-Holstein Musik-Festival bescherte. Mit dem zitierten Absatz leitet Umbach ein ätzend-bissiges Kapitel über Frantz ein. Der umtriebige Pianist und Intendant ist eines von Umbachs Lieblingsobjekten. Doch auch Karajan und Bernstein bekommen posthum jede Menge Häme ab, wenn es gilt, die Geldscheffler des Gewerbes anzuprangern. Nicht verschont bleiben auch die Geigerin Anne-Sophie Mutter (anzügliche Kapitelüberschrift: „Edelstrich der Nation“), die Pianisten Ivo Pogorelich, Friedrich Gulda und Wladimir Horowitz, der Cellist Mstislaw Rostropowitsch, die Sänger Luciano Pavarotti und Peter Hofmann, der Komponist Karl-Heinz Stockhausen sowie einige andere.

Natürlich bekommt man auch viele Einblicke, die wahrhaft erschaudern lassen. Besonders die Passagen über monopolistische Praktiken von Konzert-Agenturen oder Gigantenkämpfe zwischen Plattenkonzernen sind lesenswert. Doch in erster Linie bedient Umbach routiniert (und manchmal hundsgemein unter der Gürtellinie) das Tratschbedürfnis im Kultursektor.

Der Ordnung halber gesteht er seinen „Opfern“ jeweils in aller Kürze gewisse musikalische Qualitäten zu, um dann desto ausführlicher und erbarmungsloser ihre Geldgier anzuprangern. Da werden Könige reihenweise vom Thron gestoßen. Der Autor vergißt dabei nie, seine über allem schwebende Kennerschaft ins Licht zu rücken und so zu tun, als sei er bei jedem Finanzdeal live dabeigewesen. Jedenfalls: Der gewiß gleichfalls nicht übel bezahlte Umbach steht hernach immer als strahlender, moralischer Sieger da.

Überhaupt lebt dieses Buch zum einen von unser aller Neid und Schadenfreude, zum anderen von der moralischen Fallhöhe, sprich: der Kluft zwischen hochveredeltem Gestus der Klassik-Szene und der zuweilen wirklich schamlosen Gier ihrer Weltstars. Fazit: Da wird im Grunde abgezockt wie im Rock-Business, allerdings unter dem Mäntelchen von unantastbarer Hochkultur.

In die normalen Niederungen des Musiklebens hat sich Umbach freilich nicht begeben. Dort herrscht erheblich weniger Luxus. Dennoch erweckt das Buch manchmal den falschen Eindruck, als werde die gesamte Musik im Übermaß subventioniert.

Klaus Umbach: „Geldscheinsonate. Das Millionenspiel mit der Klassik“. Ullstein-Verlag, 296 S., 39,80 DM.