„Strukturwandel auch für die Kultur nutzen“ – Dortmunds Schauspielchef Guido Huonder im Rundschauhaus

Dortmunds Schauspielchef Guido Huonder (4. von links) im Kreise von Rundschau-Redakteuren. (WR-Bild: Franz Luthe)

Eigener Bericht

Dortmund. (bke) Der Strukturwandel im Revier habe auch ein Bewußtsein für die Wichtigkeit von Kultur geweckt: „Dieses neuerwachte Bewußtsein müssen wir nutzen, um den Politikern klarzumachen, daß Kultur kein freiwilliger Geschenkartikel, sondern eine Pflichtaufgabe ist.“ Das sagte Dortmunds Schauspielchef Guido Huonder bei einem Redaktionsbesuch im Dortmunder Rundschauhaus.

Huonder, dessen Ensemble bundesweit gefragt ist und bei mehreren renommierten Festivals die Stadt repräsentiert (heute, Samstag, 20 Uhr, gibt’s im Dritten TV-Programm die Dortmunder Fassung von Taboris „Mein Kampf“ beim NRW-Theatertreffen), erklärte sich im Kampf gegen Etatkürzungen „total solidarisch mit den anderen Revier-Theatern“, denn „im Ruhrgebiet gibt es kein einziges Theater zuviel“. Der gebürtige Schweizer ist da fürs: „Kantönlidenken“: „In der Schweiz ist jede Stadt stolz, daß sie alles hat.“

Früher 45 Ensemblemitglieder, heute nur noch 25

In Dortmund, so Huonder, habe man zuerst die bittere Erfahrung gemacht, die nun z. B. auf Essen zukomme. Die in Dortmund vor Jahren veranlaßten Einschnitte „werden jetzt erst eigentlich spürbar“. 1975 habe das DO-Ensemble noch aus rund 45 Schauspielern bestanden, heute seien es 25. Folge: So gerne man auf Festivals für die Stadt werbe, so schmerzlich sei es, daß man an den betreffenden Tagen daheim nicht mehr spielen könne. Die Personaldecke sei einfach zu kurz. Huonder: „Ich kann meine Leute nicht auswringen.“ Ohnehin müsse man „am Rande der Ausbeutung“ arbeiten: „Unsere Erfolge sind ein Ding von Arbeit und Maloche“.

Die oft als Spar-Chance erwogenen Kooperationen mit anderen Bühnen brächten erfahrungsgemäß gar keine Einsparungen, sondern sogar Mehraufwand. Eine zentralisierte Werkstatt für mehrere Revier-Theater könne hingegen sinnvoll sein. Weitere Konsequenz der Festival-Verpflichtungen sei ein höherer Erwartungsdruck. Es sei aber eine Qualitätsgrenze erreicht, die mit den jetzigen Mitteln nicht überschritten werden könnc.

Gerne mal einen Widerhall aus Politikermund hören

Der gute überregionale Ruf ist hochwillkommen, aber: „Ich bleibe gern auf dem Teppich“. Allerdings, so Huonder, würde er gerne öfter mal einen Widerhall der Erfolge aus Politikermund hören. „Das würde etwas in der Öffentlichkeit bewirken“. Viele Politiker hätten aber immer noch nicht gemerkt, daß „Kultur eine feste Größe ist, die man eigentlich gar nicht anrühren darf.“

Man müsse eben endlich weg von der Diskussion, ob Kultur nötig sei, und lieber darüber reden, welche Kultur man wolle. Denn: „Kultur ist der Humus einer Stadt“. In einer der reichsten Nationen der Welt müsse doch einfach das Geld dafür vorhanden sein. Vorsicht sei jedenfalls beim Anzapfen mäzenatischer Geldquellen geboten. Im Erfolgsfall könnten Politiker versucht sein, die Kulturschaffenden vollends auf private Geldgeber zu verweisen.

Theatermann vermißt ein übergreifendes Konzept

Huonders rhetorische, bislang noch zu verneinende Frage: „Gab’s einmal ein kulturpolitisches Konzept in Dortmund?“ Der Theatermann träumt jedenfalls von einem solchen Konzept, das – gleichsam eine große Inszenierung auf der „Bühne Stadt“ – die gesamte örtliche Kultur einbezieht und bündelt, aber dennoch das Einzelne, Individuelle „zum Blühen bringt“.

Auch zum Bochumer Musical-Unternehmen „Starlight Express“ äußerte sich Huonder. Er glaubt – „wenn wir gutes Theater machen“ – nicht an Besucherschwund in Dortmund, fürchtet aber eine „Amerikanisierung“, die als Vorbild in Politiker-Köpfen spuken könnte. „Starlight“ das sei bloße Importware ohne rechte Ecken und Kanten – „und ohne Revier-Power“.




Bochums „fliegende Untertasse“

Von Bernd Berke

Das Theater, sinniert Bochums Schauspielchef Frank-Patrick Steckel, sei vielleicht einer „fliegenden Untertasse“ vergleichbar. Es komme nicht aus unserer Alltagswelt, sondern „von woanders her“. Ob die Insassen feindliche oder freundliche Absichten hätten, sei so schnell nicht auszumachen.

Mit diesem galaktischen Denkbild gab Steckel den Filmemachern Axel Bornkessel und Claus-Ferdinand Siegfried ein Stichwort, auf das diese offenbar nur gewartet hatten. Hartnäckig vertretene These ihres WDF-Beitrags „Schaupielhaus Bochum – eine Stadt und ihr Theater“: Die Bühne der Revierstadt sei weit entfernt von der täglichen Realität und besonders von den Problemen der arbeitenden Bevölkerung. Man kann so etwas behaupten, doch hier fehlte der schlüssige Nachweis.

Steckel bestätigte immerhin: Peter Zadek und Claus Peymann seien mit ihren Produktionen aufs Publikum zugegangen. Bei ihm, Steckel, möge hingegen das Publikum sich den Produktionen nähern. Steckel vertrat – zumindest in den gezeigten Statements – seine Sache nicht allzu offensiv. Er sagte vor allem, was das Theater nicht sei, nämlich weder Realitätsknecht noch Utopie-Produzent. Was aber dann?

So war es denn ein Leichtes, mit Hauruck-Montagen den offenbar vorgefaßten Befund bildkräftig zu untermauern. Muster: Ausgesucht „abgehobene“ Szenen aus Bochumer Aufführungen, dann Bilder von Krupp und Opel hart und direkt dahintergesetzt. Oder: erst „Nibelungen“, dann City-Kaufhaus. Da sollte man als Zuschauer wohl schaudernd spüren, wie sich zwischen der Stadt und ihrem Theater eine meilenweite Kluft auftut.

Nebelhaft wurde die (ansonsten recht durchsichtige) „Beweis“-Strategie, als Szenen aus Pirandellos „Die Riesen vom Berge“ dafür herhalten mußten, Bochumer Arbeiter mit eben jenen „Riesen“ gleichzusetzen, vor denen das Theater große Angst habe und sich einigele.




Dortmunds neuer Intendant Horst Fechner: Publikum fordern, aber nicht überfordern

Von Bernd Berke

Dortmund. Mit einer entschiedenen Verjüngung des Schauspielensembles und behutsamen Korrekturen im Musiktheaterbereich will Dortmunds künftiger Generalintendant Horst Fechner in die Theaterspielzeit 1985/86 gehen.

Wie Fechner, derzeit noch Intendant in Kiel, gestem in Dortmund mitteilte, kann er die wohl spektakulärsten Neubesetzungen im Ballettbereich vorweisen. Mit Youri Vamos (als Leiter des Ballettensembles) und Joyce Cuoco (bisher: Staatsoper München) kämen Spitzenkräfte des Metiers. Fechner über das Engagement von Joyce Cuoco als Primaballerina: „Das ist ungefähr so, als wenn Borussia-Trainer Ribbeck Karl Heinz Rummenigge präsentieren könnte“.

In puncto Spielplan (dessen Entwurf vor öffentlicher Bekanntgabe dem Kulturausschuß vorgelegt werden muß) bekundet Fechner, das Publikum „zwar fordern, aber nicht überfordern“ zu wollen. Sowohl die gängige „Fledermaus“ als auch eine anspruchsvollere Produktion wie etwa „Elektra“ seien „notwendig und in Dortmund machbar“. Ausgehend von der gewachsenen Spielplan-Tradition Dortmunds, müßten auch Publikumsminderheiten bedient werden. Dies sei geradezu die Pflicht einer Bühne, die am Ort ein „Theater-Monopol“ halte.

Fechner denkt zum Beispiel an neue Formen des Musiktheaters für jugendliche Zielgruppen. Um eine „Wegwerfkultur“ zu vermeiden, will Fechner dafür sorgen, daß sich ein Repertoire von Aufführungen herauskristallisiert, die lange auf den Spielplänen bleiben.

Absurde Sparzwänge in Kiel: Zertanzte Ballettschuhe nicht ersetzt

Mit Sparzwängen in vielerlei Gestalt wird sich der neue „General“ auf jeden Fall herumschlagen müssen. Eine Einsparungsmöglichkeit, die bereits vertraglich unter Dach und Fach gebracht wurde: Der Austausch kompletter Opernausstattungen mit der Staatsoper Warschau, die für ihre hervorragenden Dekorationen und Kostüme bekannt sei. Außerdem werde man nicht umhin können, zumindest eine Opernproduktion ohne Inszenierungsaufwand, also konzertant anzubieten.

Generell gelte aber, daß Einsparungen in Sachen Ausstattungsetat enge Grenzen gesetzt seien. Übertriebener Sparwille in diesem Bereich könne nachgerade absurde Konsequenzen haben. So sei es in Kiel passiert, daß die Ballettschuhe, die die Primaballerina bei „Schwanensee“ zertanzt hatte, aus Etatgründen nicht ersetzt werden konnten.

Fechner will zunächst kaum selbst inszenieren. Er konnte aber bereits namhafte Gastregisseure für die ersten Produktionen gewinnen. So steht fest. daß Heinz-Lukas Kindermann, der jüngst in Berlin für die „Traumspiel“-Opernuraufführung sorgte, die Eröffnungspremiere der kommenden Saison gestalten wird. Roland Veite, beispielsweise schon am Musiktheater Gelsenkirchen und beim Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz tätig, sowie John Dew („Ring“-Inszenierung in Krefeld) werden ebenfalls in Dortmund arbeiten.




Auch Dortmunder Theater erwägt verbilligte Karten für Arbeitslose – Umfrage nach Krefelder Initiative

Von Bernd Berke

Im Westen. Sehr unterschiedliche Reaktionen hat die Nachricht ausgelöst, daß das Krefelder Theater als angeblich erste deutsche Bühne Karten für Arbeitslose um die Hälfte billiger abgeben will.

Während es beim Wuppertaler Theater auf WR-Anfrage hieß, dies könne beispielgebend sein, meinte Bochums BühnenVerwaltungsdirektor Dr. Rolf Paulin: „Verbilligte Theaterkarten für Arbeitslose sind ein uralter Hut. Die gibt’s in Bochum schon seit langem“.

Während in Bochum der Eintrittspreis für Erwerbslose um 50 Prozent reduziert ist, gibt es beim Westfälischen Landestheater (WLT) in Castrop-Rauxel 40 Prozent Ermäßigung. WLT-Rendent Günter Dammeier: „Was die Krefelder jetzt machen wollen, praktizieren wir schon seit Jahren“. Das Angebot werde freilich nicht sehr intensiv genutzt. Eine möglich Erklärung dafür hat Bochums Verwaltungsdirektor Paulin parat: „Kaum ein Arbeitsloser nimmt die Vergünstigung in Anspruch. Die meisten wollen sich lieber nicht zu erkennen geben auch nicht an der Theaterkasse“. Deshalb hätten Bochums Kassierer auch strikte Anweisung, sich nur kurz die übliche Arbeitslosen-Bescheinigung zeigen zu lassen. In Münster wird’s schon komplizierter: Dort müssen Arbeitslose vor verbilligtem Kunstgenuß ein Extra-Papier vorlegen.

In Dortmund gibt es noch keine entsprechenden Ermäßigungen. Wie der stellvertretende Theater-Verwaltungsdirektor Friedrich Gidde der WR sagte, wird eine solche Regelung jedoch seit einigen Wochen ernsthaft erwogen. Gidde: „Das Thema wird den Rat mit Sicherheit in Kürze beschäftigen“. Wenn es eine neue Preisgestaltung geben sollte , so werde sie frühestens zum Beginn der nächsten Saison wirksam. Auch in Dortmund hätten die Betroffenen sich bislang nicht geregt. Friedrich Gidde: „Kein einziger Arbeitsloser hat sich bei uns nach eventuellen Preissenkungen erkundigt.“

Überhaupt keine Chancen gibt man einer Kartenermäßigung in Hagen. Wie aus der Theaterverwaltung zu erfahren war, glaubt man dort, angesichts der Sparzwänge keine Mindereinnahmen verkraften zu können. Wuppertals Verwaltungsdirektor Erich Neumann hingegen hat sich das Krefelder Beispiel zu Herzen genommen. Er will „seinem“ Kulturdezernenten demnächst entsprechende Überlegungen vortragen.

Übrigens: Die Agenturmeldung aus Krefeld hatte einen weiteren Haken. Nicht nur, daß Krefeld gar nicht als erstes Theater preiswerte Arbeitslosenkarten anbietet. Auch den Stadtrat hat der Vorschlag des Generalintendanten noch nicht passiert, sondern erst den Kulturausschuß. Da es dort ein einstimmiges Votum gab, rechnet man allerdings fest mit der Zustimmung des Rates.




Farce von Dario Fo in Dortmund: Unbequeme Fragen nach dem Tod eines Anarchisten – und scharfe Kritik am Intendanten

Von Bernd Berke

Dortmund. Mitten in der Premiere des Dario Fo-Stücks „Zufälliger Tod eines Anarchisten“ hielt Claus-Dieter Clausnitzer das Programmheft in die Höhe und rief, im ironischen Brustton der Überzeugung: „Wir haben hier doch keine Zensur!“

Die Zuschauer quittierten die Anspielung mit Beifall. Gemeint war die Entscheidung des Generalintendanten Paul Hager, eine erste Fassung des Programmhefts wegen einiger, nicht gerade polizeifreundlicher Karikaturen und wegen eines Aufsatzes aus der Feder von Peter-Paul Zahl nicht zu veröffentlichen. Schon vor der Aufführung, die sich übrigens auch Paul Hager nicht entgehen ließ, kursierten im Publikum achtseitige Sonderdrucke, herausgebracht von mehreren alternativen Stadtmagazinen, in denen (neben dem von Hager gestrichenen Zahl-Aufsatz) schärfste Angriffe gegen den Intendanten selbst zu lesen waren.

Neben all dem gab es auch noch Theater, und zwar nicht von der schlechtesten Sorte. Das vor elf Jahren entstandene Stück des Italieners Dario Fo rollt die höchst zwielichtigen „Zufälle“ auf, die sich bei polizeilichen Untersuchungen gegen einen Anarchisten häufen. Ihm wird ein Attentat zur Last gelegt, das in Wahrheit von Faschisten begangen wurde. Während eines Verhörs stürzt der fälschlicherweise Beschuldigte tödlich aus einem Fenster im vierten Stock des Polizeigebäudes: Selbstmord, Unfall, unterlassene Hilfeleistung? Diese unbequemen Fragen zu stellen, setzt Dario Fo die Figur des „Verrückten“ ein, der behende in jede Rolle schlüpfen kann, auch in die eines Untersuchungsrichters, der die Polizei aus einer Verwirrung in die andere stürzt.

Dario Fo hat eine Farce geschrieben, also kommt es nicht auf subtile Charakterzeichnung, sondem auf Situationskomik an. und die entfaltete sich vor dem überwiegend jungen Publikum im Studio der Dortmunder Bühnen bisweilen so turbulent, daß der Spielraum zu eng wurde. Aber dies ist eben der Preis für den Kontakt zwischen Darstellern und Zuschauern, wie er im Studio möglich ist.

Abgesehen von einigen Text-Unsicherheiten, die wohl dem Premierenfieber zuzuschreiben sind und in dem temporeichen Stück nicht sehr ins Gewicht fallen, präsentierte sich das Ensemble (Regie: Sebastian Bissmeier) in guter Spiellaune. Allen voran, stellenweise umwerfend komisch, Claus-Dieter Clausnitzer. Hervorzuheben auch Peter Loth als Polizeipräsident. Die weiteren Mitwirkenden (Barbara Blümel, Boris Burgstaller, Jürgen Mikol) spielten solide. Günter Hüttmann als Komissar Bertozzo fiel dagegen etwas ab. Freilich bot seine Rolle auch die geringsten Entfaltungsmöglichkeiten.

Die Meinung des Publikums: langanhaltender, herzlicher, für CIausnitzer sogar frenetischer Beifall mit vereinzelten Bravo-Rufen.