Manchmal dieser Hang zu Legenden – Streiflichter zur Hagener Stadtgeschichte im Osthaus-Museum

Popstars aus Hagen: die Gruppe „Grobschnitt“ im Jahr 1978. (© Fotografie: Ennow Strelow)

Wie bitte? Die Stadt Hagen ist erst jetzt 275 Jahre alt geworden? Stimmt. Ganz hochoffiziell: Am 3. September 1746 erhielt der westfälische Ort durch einen Verwaltungsakt im Namen des Preußenkönigs Friedrich II. die Stadtrechte. Zum Vergleich: Hagens Nachbarstadt Dortmund hat bereits 1982 das 1100-jährige Bestehen gefeiert.

Das Fehlen einer mittelalterlichen Geschichte hat die Hagener oftmals gewurmt. Darum haben sie manchmal eigene Legenden gestrickt. Auch davon zeugt nun die Jubiläumsausstellung im Osthaus-Museum; ein Gemeinschaftswerk mit dem Stadtmuseum, das künftig einen umgerüsteten Altbau gleich neben dem Osthaus-Museum und dem Emil-Schumacher-Museum beziehen wird – zusammen ergibt das ein kulturelles Quartier von überregionaler Bedeutung.

Doch zurück zur historischen Perspektive. Die im Osthaus-Museum gezeigten Bestände stammen hauptsächlich aus dem Stadtmuseum. Es beginnt mit einer Ahnengalerie, prall gefüllt mit Porträts prägender Persönlichkeiten der Stadtgeschichte – allen voran der frühindustrielle Unternehmer Friedrich Wilhelm Harkort (*1793 nah beim späteren Hagener Ortsteil Haspe), einer der Vorväter des Ruhrgebiets. Auf kulturellem Felde ebenso bedeutsam: der Kunstmäzen und Sammler Karl Ernst Osthaus (*1874 in Hagen). 1902 begründete er hier das Museum Folkwang, weltweit das erste Museum für zeitgenössische Kunst.

Ergänzt wird die Fülle der Honoratioren durch Fotografien „ganz normaler“ Hagener Bürger von heute. Der Blick richtet sich also nicht nur rückwärts. Überhaupt vergisst das Ausstellungsteam die Gegenwart nicht. Die Übersicht reicht bis hin zu Bildern und Berichten vom Hagener Hochwasser Mitte Juli.

Aus dem Fundus des Stadtmuseums ins Osthaus-Museum: die Schreibmaschine des Hagener Dichters Ernst Meister (1911-1979). (Foto: Bernd Berke)

Ein großer Ausstellungssaal, scherzhaft „Hagener Wohnzimmer“ genannt, versammelt Stücke aus der Stadthistorie, darunter die Schreibmaschine, auf der der Hagener Dichter Ernst Meister einen Großteil seines weithin hochgeschätzten Werks verfasst hat. Als Pendant aus der bildenden Kunst findet sich eine von Farbspritzern übersäte Original-Staffelei des gleichfalls ruhmreichen Hagener Malers Emil Schumacher. Zu Ernst Meister gibt es weitere Exponate. Der Lyriker war auch ein begabter Künstler. Zu sehen sind rund 60 seiner Bilder, die das Osthaus-Museum jüngst als Schenkung erhalten hat. Außerdem hat sich der Hagener Maler Horst Becking mit 13 Gedichten Ernst Meisters auseinandergesetzt. Hier greift eins ins andere.

Original-Staffelei des Hagener Malers Emil Schumacher (1912-1999). (Foto: Bernd Berke)

Im „Wohnzimmer“ wecken auch Objekte wie z. B. ein alter Kinderwagen, ein Stadtplan von 1930, Relikte aus Hagener Firmengeschichten (Varta, Brandt, Villosa, Sinn) oder eine Ansammlung örtlicher Kulturplakate die Aufmerksamkeit. Sollte bei dieser Auswahl etwa auch ein Zufallsprinzip gewaltet haben?

Gar erschröcklich wirkt jene bizarr erstarrte, vollkommen verkohlte „Schwarze Hand“ aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, die erstmals das Schloss im 1975 zu Hagen eingemeindeten Hohenlimburg verlassen hat. Eine Legende besagt, dass die Hand einem Knaben gehörte, der sie gewaltsam gegen seine Mutter erhoben hatte. Sie sei daraufhin scharfrichterlich abgeschlagen und zur ewigen Mahnung verwahrt worden. Tatsächlich handelt es sich um das durch Blitzschlag versengte Beweisstück in einem Mordfall.

Hagener haben eben einen Hang zu Legenden, vor allem, wenn sich damit heimische Traditionslinien verlängern lassen. So hat man sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein neues Stadtwappen erkoren – mit stilisiertem Eichenlaub statt der damals verpönten französischen Lilie. 1897 verfügte Kaiser Wilhelm II. den Wechsel. Die Hagener glaubten Belege für die örtliche Verwendung des Eichenblatts im 14. Jahrhundert gefunden zu haben, aber das war ein Trugschluss. Das Dokument bezog sich auf eine andere Gemeinde namens Hagen. Und noch so eine Inszenierung, nicht irrtümlich, sondern vollends willkürlich: Ein Hagener Maler, der den NS-Machthabern zu Diensten war, produzierte reihenweise romantisierende Stadtansichten, die es in Wahrheit so nie gegeben hat.

In solche Ausstellungen werden gern die Bürger einbezogen, so auch diesmal. Nach entsprechenden Aufrufen reichten sie etliche Objekte mit Hagener „Stallgeruch“ ein – von lokal gestalteten Schneekugeln bis zum Brettspiel mit Ortsbezug. Da schlägt das lokalptriotische Herz höher.

Humorig-historische Postkarte: „In Hagen angekommen“. (© Stadtarchiv Hagen)

Da war doch noch was mit Hagen? Richtig, wir erinnern uns an die oft und gern zitierte Schlagzeile „Komm nach Hagen, werde Popstar“, die am 3. Januar 1982 im „Spiegel“ erschienen ist. Die Überschrift entstand im Zuge der Neuen Deutschen Welle, die in Hagen sozusagen ihren Scheitelpunkt hatte. Nicht nur wurden Nena und die Sängerin Inga Humpe hier geboren, in Hagen gründeten sich auch einflussreiche Bands wie „Extrabreit“ (1978) und zuvor „Grobschnitt“ (1971). Letztere besteht – in wechselnden Formationen – nunmehr seit 50 Jahren. Deshalb ist ihrer Story im Untergeschoss eine üppige Extra-Abteilung gewidmet. Mit Dokumenten, Fotos und Objekten (darunter ein kompletter Bühnenaufbau) geht es so sehr ins Detail, dass wohl selbst Spezialisten noch Neues erfahren.

Etwas für eingefleischte Hagener sind auch die Schwarzweiß-Fotografien von Ennow Strelow, der in den 70er und 80er Jahren einige kernige Typen der Hagener Szene porträtiert hat. Ältere Bewohner kennen vielleicht noch den einen oder die andere, Auswärtige werden zumindest die fotografische Qualität zu schätzen wissen. Doch je mehr biographische Verbindungen jemand zu Hagen hat, umso mehr Genuss verspricht diese Schau.

„Hagen – Die Stadt. Geschichte – Kultur – Musik“. Noch bis zum 21. November 2021. Hagen, Osthaus-Museum, Museumsplatz. www.osthausmuseum.de

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Der Text ist zuerst im „Westfalenspiegel“ erschienen:

www.westfalenspiegel.de

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Weiterer Beitrag zur Ausstellung, mit einem Schwerpunkt auf Rockmusik:

Nena, Grobschnitt, Extrabeit – Ausstellung zum 275. Stadtjubiläum erinnert an Hagens Rock-Vergangenheit




Der Irrsinn, die Stadt und der Krieg: Zur Ausstellung „Weltenbrand – Hagen 1914“

Um das Jahr 1900 war das westfälische Hagen – ganz anders als heute – eine prosperierende, aufstrebende Stadt. Mochten auch Nachbarorte wie Dortmund (Freie Reichsstadt im Mittelalter, Hansestadt) eine weitaus längere Geschichte haben, so entwickelte sich doch jetzt auch in Hagen ein bürgerliches Selbstbewusstsein.

Hier wirkte damals der umtriebige Mäzen Karl Ernst Osthaus (1874-1921) mit seinem später so genannten „Hagener Impuls“, der 1902 zum seinerzeit weltweit ersten Museum der Gegenwartskunst führte. Die Blüte zeigte sich auch im Stadtbild: Damals entstanden in Hagen ein neues Rathaus (1903) und ein neuer, repräsentativer Bahnhof (1910), beide in historisierenden Stilformen, dazu das schmucke Stadttheater (1911). Auch eine machtvolle Stadthalle war beinahe fertiggestellt, als im August 1914 der Erste Weltkrieg begann. Damit endete auch Hagens Aufstieg jäh – mit ungemein weit reichenden Folgen, deren Ausläufer teilweise noch heute nachwirken.

"Wir müssen siegen!" (Bildpostkarte, um 1915 - Stadtarchiv Hagen)

„Wir müssen siegen!“ (Bildpostkarte, um 1915 – Stadtarchiv Hagen)

In diesem vielfach tragischen Spannungsfeld bewegt sich nun die Ausstellung „Weltenbrand – Hagen 1914“ im Osthaus Museum, die vorwiegend die Perspektive der „Heimatfront“ einnimmt. 100 Jahre nach der „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts sind an der Bilanz auch das Stadtmuseum und das Stadtarchiv beteiligt. Mit dermaßen vereinten Kräften hat man es geschafft, dass rund 90 Prozent der Exponate in dieser kulturhistorischen Schau aus eigenen Hagener Beständen stammen.

Rund 120 Kunstwerke sowie zahllose Archivalien und Abschauungsobjekte lassen in den besten Sequenzen der Ausstellung einen (lokal und regional zentrierten) Dialog zwischen Kunst und Alltagszeugnissen entstehen.

Hohenlimburger Kinder zur Zeit des Ersten Weltkriegs (1914/15) (Stadtarchiv Hagen)

Hohenlimburger Kinder zur Zeit des Ersten Weltkriegs (1914/15) (Stadtarchiv Hagen)

Wo Stücke wie etwa Mobilmachungsbefehle und Sterberegister, alte Schreibmaschinen, Ladenkassen, Soldatenhelme oder (kriegerisches) Spielzeug für sich genommen nicht beredt genug sein sollten, tritt die Kunst in ihr Recht. Bilder der Expressionisten (Schmidt-Rottluff, Kirchner, Heckel) oder von George Grosz, Otto Dix und Max Beckmann – um nur wenige zu nennen – geben so manche Ahnung von den Schrecken des Krieges, der Not, des Hungers und des Irrsinns, den der Weltenbrand mit sich brachte. Bewegend auch die Blätter eines Walther Bötticher, der 1916 im Weltkrieg gefallen ist. Und überhaupt einige Unscheinbarkeiten am Wegesrand des Rundgangs.

Christian Rohlfs: "Tod als Sargträger" (um 1917), Holzschnitt. (Osthaus Museum, Hagen)

Christian Rohlfs: „Tod als Sargträger“ (um 1917), Holzschnitt. (Osthaus Museum, Hagen)

Neben Bildern mit verzweifelter Gebärde oder deutlich kritischem Sinn finden sich auch Beispiele für einen seelenlos oberflächlich registrierenden Zugriff oder gar nationalistisch und martialisch dröhnende Schöpfungen, wie beispielsweise das 1915 am Hagener Rathaus aufgestellte Standbild „Der Eiserne Schmied“ des „völkisch“ gesinnten Dortmunder Bildhauers Friedrich Bagdons.

Natürlich sieht man hier nicht das Original, sondern eine Dokumentation zur Entstehung. Der Schmied selbst ist – annähernd so groß wie die echte Statue – nur als „Pappkamerad“ gegenwärtig. Karl Ernst Osthaus wollte damals übrigens das Schlimmste verhindern und ermunterte Ernst Ludwig Kirchner zu einem Gegenentwurf, welcher jedoch keine Chance bei den kriegsbegeisterten Stadträten hatte…

Ein aufschlussreiches Kapitel ist der Rüstungsproduktion in gewidmet. Hier tat sich besonders die Accumulatoren Fabrik AG (AFA, Vorläuferin von Varta) hervor, die u. a. damals neuartige Spezialbatterien für U-Boote fertigte.

Nicht wenige historische Fotografien zeigen die entsetzlich angefachte Kriegslust der Bevölkerung – bis hin zu Kindern beim Kriegsspiel. Am Ende der Ausstellung wird in einer Art Epilog deutlich, wie nach dem verlorenen Krieg schon die Drachensaat für den nächsten aufgegangen ist. Was aus Hagen noch hätte werden können ohne Kriege, diese Frage könnte einen in tiefe Depressionen stürzen. Doch das gilt ja für alle betroffenen Städte und Länder.

Einige Exponate vermitteln hingegen bloßes Kolorit und reichen in ihrer Harmlosigkeit nicht so recht an das Thema heran. Nicht sehr schlüssig, wenn nicht gar überflüssig erscheint es, in einem Saal Kriegsrelikte beiderseits eines angedeuteten „Schützengrabens“ anzuordnen.

Gleichsam das größte Exponat: der Altbau des Hagener  Osthaus Museums. (Foto: Bernd Berke)

Gleichsam das größte Exponat: der Altbau des Hagener Osthaus Museums. (Foto: Bernd Berke)

Wenn man so will, ist das größte „Ausstellungsstück“ der Altbau des Osthaus Museums (also das frühere Folkwang-Museum von 1902), in den die Schau schließlich überleitet. Sigrid Sigurdssons stetig anwachsendes und mäanderndes Archivwerk „Architektur der Erinnerung“ gibt auch einige Dokumente aus dem Umkreis des Jahres 1914 her. Und das Junge Museum steuert noch Fotos, Materialien und Installationen aus pazifistischem Geiste bei. Möge es fruchten.

„Weltenbrand – Hagen 1914“. Osthaus Museum, Hagen, Museumsplatz 1 (Navigation: Hochstraße 73). 20. Mai bis 10. August 2014 (Eröffnung So., 18. Mai, 15 Uhr). Geöffnet Di, Mi, Fr 10-17, Do 13-20, Sa/So 11-18 Uhr, Mo geschlossen. Eintritt 9 Euro, diverse Ermäßigungen. Tel.: 02331/207-2740. Internet: www.osthausmuseum.de

P.S.: Wenn man schon einmal in Hagen ist, sollte man einen Abstecher ins benachbarte Wuppertal machen, wo noch bis zum 27. Juli im Von der Heydt-Museum die Ausstellung „Menschenschlachthaus“ deutsche und französische Kunst zum Ersten Weltkrieg versammelt. Siehe auch hier: http://www.revierpassagen.de/24161/24161/20140404_1647




Zwischen Kassenbrille und „Schmetterling“ – Geschichte der Sehhilfen im Stadtmuseum Iserlohn

Von Bernd Berke

Iserlohn. Erst legte man Lupen („Sehsteine“) auf Bücher oder Schriften und beugte sich mühsam darüber. Später hielt man sich Sehhilfen als Lorgnons vor die Augen, was immer etwas hochmütig, indigniert und eitel wirkte. Dann drückte man zwei Bügel seitlich ans Gesicht. Da konnte „das Ding“ leicht herunterfallen. Doch endlich kam einer auf die grandiose Idee, diese Bügel umzubiegen und hinter die Ohren zu klemmen. Manche Erfindungen dauern eben etwas länger.

Auch vermeintlich simple Dinge wie Brillen haben ihre Vor- und Kultur-Geschichte. In einer Ausstellung unter dem sinnigen Motto „Gefaßten Blicks“ dokumentiert jetzt das Stadtmuseum Iserlohn das „Brillentragen und Brillendesign in der Nachkriegszeit“ (Untertitel). 177 Exponate markieren den Weg von der medizinischen Zweckmäßigkeit bis zur Mode von heute, wo die Brillenindustrie den Damen am liebsten je zehn Stück verpassen möchte – zu jedem Kleid eine.

Auf Schaubildern wird nicht nur die Brille in Karikatur und Werbung vorgeführt. Man verfolgt auch die Ur-Historie der „Nasenfahrräder“, die erst mit Einführung der Schulpflicht zum Massenartikel wurden, bis ins 13. Jahrhundert zurück. Am anderen Ende der Zeitachse geht die Schau bis zum Jahr 1991. Allein das Nachkriegsspektrum reicht von der gewöhnlichen Kassenbrille bis zum schrillen, von Hollywood-Stars inspirierten „Schmetterlings“-Design.

Direkt nach dem Krieg hatten die Deutschen natürlich erst einmal anderes zu besorgen als schicke Brillen. Hatten bis dato Metalle als Rahmenmaterial dominiert, war man nun schon froh, wenn man ein Gestell aus Zelluloid bekam. Der Haken an der Sache war nur: Zelluloid brannte verteufelt schnell. Manche Brillenträger, die mit Feuer in Berührung kamen, spürten es schmerzhaft und buchstäblich fassungslos. Eine kleine Revolution war es daher, als in den 50er Jahren das Material Optyl (Kunstharz) aufkam, das nicht mehr entflammte.

Jene 50er Jahre bilden den Schwerpunkt der Iserlohner Ausstellung. Optischer Blickfang im Treppenhaus ist ein herrlich „schräges“ Großfoto von den drei Siegerinnen im Wettstreit um die „Miß Brille“ (1961). Die drei Grazien sind nichts dagegen.

Die Vitrinen und vor allem ein genau rekonstruiertes Optiker-Schaufenster aus den 50ern bergen so manches schöne und beredte Original – von der über und über mit Edelsteinen besetzten Luxusbrille bis zum herzförmigen Exemplar, das zu ausgiebigen Augenflirts einlud.

Die Leute vom Westfälischen Museumsamt in Münster, die die Schau  zusammengestellt haben (mit Leihgaben von Firmen und Privatsammlern), können viele Geschichten zu ihrem Thema erzählen. So deuten etwa besonders dicke Fassungen meist auf Machtansprüche des Trägers hin. Da kann man sein Gegenüber bedrohlich wie ein alter Uhu angucken. Beispiel: Helmut Kohl, der auf dem Weg zur Macht mit einer breitrandigen Imponierbrille daherkam – bis Imageberater dem Kanzler, der das Gehabe nun nicht mehr nötig hatte, ein filigranes Modell verordneten.

„Gefaßten Blicks. Brillentragen und Brillendesign in der Nachkriegszeit“. Stadtmuseum Iserlohn (Fritz-Kühn-Platz 1). Ab sofort bis 29. November. Di-So 10-17 Uhr, Do 10-19 Uhr. Katalog: 140 Seiten/200 Abb. – Die Schau kommt später u. a. nach Schmallenberg, Unna und Bergkamen.




Zwischen der verordneten und der innigen Trauer – Arbeiten von Joseph Enseling im Stadtmuseum Düsseldorf

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Eine Brunnenfigur in der Essener Muster-Gartenstadt „Margarethenhöhe“ stammt von ihm, ein Ehrenmal für die Gefallenen des 1. Weltkrieges in Unna gleichfalls. Die Ruhrkohle AG besitzt mehrere seiner Skulpturen, und auch auf verschiedenen Revier-Zechen und Friedhöfen stehen oder standen solche Statuen.

Wer ist der „große Unbekannte“? Der Bildhauer Joseph Enseling (1886-1957), gebürtiger Coesfelder, der jedoch vor allem im Revier Spuren hinterließ. Aus Anlaß seines 100. Geburtstags zeigt Düsseldorfs Stadtmuseum (Bäckerstraße 7-9) die allererste Enseling-Einzelausstellung (bis 5. Oktober). Der Katalog (20 DM) enthält auch ein erstes Werkverzeichnis, das 150 Arbeiten umfaßt.

Enseling war wichtigen Kunstgruppierungen des beginnenden 20. Jahrhunderts verbunden, gehörte zum Umkreis des „Jungen Rheinland“, lehrte an der Kunstgewerbeschule Essen (spätere Folkwangschule). Wie viele andere Künstler, die damals entscheidende Impulse erhielten, legte auch der gelernte Schreiner Enseling vor allem Wert auf handwerkliche Grundlagen.

Übrigens: Selbst u. a. bei Aristide Maillol „in die Schule gegangen“, war Enseling ab 1946 Lehrer an Düsseldorfs Kunstakademie. Auch ein gewisser Joseph Beuys lauschte dort seinen Vorträgen…

Von 1916-18, also noch mitten im Ersten Weltkrieg, war Enseling in Münster Gestaltungsberater in Sachen Ehrenmäler und verlegte sich selbst auf dieses Genre. Hinzu kamen Monumente der Arbeit im Ruhrgebiet, wie jener riesige „Eisenhüttenmann“ (1939), der heute in der Mannesmann-Zentrale in Düsseldorf steht und sich fürs Museum als zu schwergewichtig erwies.

Bei den rund 50 Exponaten in Düsseldorf fallt durchgehend die solide Gestaltung auf. Weniges, darunter eine Hindenburg-Porträtbüste, weckt ungute Assoziationen. Die Arbeiterdarstellungen vermitteln oft eine seltsame Spannung zwischen Heroismus und „klassischer“ Schlichtheit. Am gegenwärtigsten wirken jene Skulpturen, die nicht eine öffentlich ausgestellte oder verordnete Denkmals-Trauer, sondern innigere Formen des Gedenkens verkörpern. Beispiel: die „Trauernde Frau“, ein Essener Privatgrabmal.




Geschichte der türkisch-westfälischen Beziehungen – Ausstellung in Münster

Von Bernd Berke

Münster. Westfalen und Türken haben es nicht erst miteinander zu tun, seitdem die „Gastarbeiter“ gerufen wurden. Daß es vielmehr eine lange (und schlachtenreiche) Tradition solcher Wechselbeziehungen gibt, belegt die gestern eröffnete Ausstellung „Münster, Wien und die Türken“.

Vor 300 Jahren standen Heerscharen des „Osmanischen Reichs“ (heutige Türkei) als „Bedrohung der Christenheit“ vor den Toren Wiens. So sahen es wenigstens die mitteleuropäischen Herrscher, die im Geist der Kreuzzüge zur Verteidigungsschlacht und dann zum Eroberungskrieg bliesen. Die Ausstellung in Münster erinnert – als einzige in Deutschland – an das Jahr 1683, in dem auch münstersche Bäckerjungen an der Verteidigung Wiens mitgewirkt haben sollen.

In späteren Kriegen fochten Münstersche Söldner fürs „Abendland“. Das Jahr 1916 markiert einen weiteren Einschnitt: Damals wurde in Münster eine deutsch-türkische Gesellschaft ins Leben gerufen, zur Zeit der „Waffenbruderschaft“ im 1. Weltkrieg.

Die etwa 200 Exponate stammen nur aus deutschen Privatsammlungen. Türkischen Museen ist es verboten, Leihstücke außer Landes zu geben. Doch auch so hatte Hans Galen, Leiter des Stadtmuseums, die Qual der Wahl: „Wir können nur einen Bruchteil zeigen“.

Eins der wertvollsten Stücke ist das „Große Heeresbanner“ von 1810, aus einer sogenannten „Türkenbeute“. Ein Raum ist der streng hierarchisch bestimmten osmanischen Trachtenordnung gewidmet, im Münzkabinett kann man die Historie im Spiegel der Prägekunst Revue passieren lassen. Beutestücke, Original-Porträts der handelnden Personen sowie Schrift-Dokumente runden die Schau ab.

Zu kurz kommt der Ausblick auf das heutige Verhältnis von Türken und Deutschen. Lediglich ein paar Fotos zeigen Arbeits- und Wohnsituationen. Schier unmöglich ist es daher, die Verbindungslinie zu den anderen Exponaten zu ziehen, die übrigens ohne den (sehr preiswerten) Katalog auch nicht immer „für sich sprechen“. Im Katalog finden sich übrigens keine türkischsprachigen Erläuterungen…

Stadtmuseum Münster: „Münster, Wien und die Türken 1683-1983″, bis 21. August, täglich 10 bis 13 und 15 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr, montags geschlossen; Katalog 14DM.