Das große „Irgendwie“ – zum wolkigen Stand der Dinge beim Berliner Humboldtforum

Plötzlich schrillen sie wieder, die Alarmglocken in Berlin. Eine zeitlang hatte man geglaubt, in der Stadt der gigantischen Fehlplanungen sei man doch noch in der Lage, die ganz großen Aufgaben ohne krisenhafte Begleiterscheinungen zu stemmen.

Nachdem sich beim neuen Flughafen und bei der Sanierung der Staatsoper milliardenschwere Finanz-Löcher und unbegrenzte Bau-Verzögerungen aufgetan haben, schien es, als sei bei dem in Berlins Mitte emporwachsenden Humboldtforum alles im Lot. Die vom italienischen Architekten Franco Stella entworfene Replik des ehemaligen Hohenzollern-Schlosses wächst und gedeiht, die Kosten liegen im Plan. Der für Herbst 2019 anvisierten feierlichen Eröffnung des Forums steht wohl nichts mehr im Wege.

Berliner Schloss - künftige Ansicht von der Nordwestseite her (© Stiftung Berliner Schloss - Humboldtforum / Architekt Franco Stella mit FS HUF PG)

Berliner Schloss – künftige Ansicht von der Nordwestseite her (© Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum / Architekt Franco Stella mit FS HUF PG)

Eigentlich. Denn seit Mitte Januar plötzlich der oberste Manager der Großbaustelle, Manfred Rettig, das Handtuch warf und sich in den vorzeitigen Ruhestand verabschiedete, ist klar, dass es hinter den Kulissen der pseudo-barocken Schloss-Fassade gehörig kracht. Der Zeit- und Kostenplan, das wird jetzt klar, kann nur eingehalten werden, wenn sich die Begehrlichkeiten der vom britischen Museums-Impresario Neil MacGregor geführten Gründungsintendanz und die Änderungsvorschläge der zukünftigen Ausstellungsmacher in Grenzen halten.

Diffuses Sammelsurium

Bis heute weiß niemand genau, wie das Humboldtforum eigentlich bespielt werden soll und welche innenarchitektonischem Umbauten dafür noch nötig sind. Paul Spies, seit einigen Tagen Direktor des Berliner Stadtmuseums, soll im Forum eine Dependance errichten und auf einer Etage zeigen, was Berlin der Welt zu verdanken und zu geben hat. Die nur ein paar Steinwürfe entfernte Humboldt-Universität wird einige Sammlungen und Fachbibliotheken ins Forum verlagern.

Einstweilen noch eine Vision: Blick ins Foyer des Humboldtforums. (© Stiftung Berliner Schloss - Humboldtforum / Architekt Franco Stella mit FS HUF PG)

Einstweilen noch eine Vision: Blick ins Foyer des Humboldtforums. (© Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum / Architekt Franco Stella mit FS HUF PG)

In einem Veranstaltungszentrum, der „Agora“, soll ein Dialog der Weltkulturen stattfinden. Im Zentrum des Forums aber sollen die über 500.000 Artefakte stehen, die auf ihren Umzug von Berlin-Dahlem nach Mitte warten und jahrzehntelang im Ethnologische Museum und im Museum für Asiatische Kunst lagerten. Wie das alles konserviert und aufbereitet, mit welchen ästhetischen und politischen Schwerpunkten das Material dem Publikum präsentiert werden könnte, und was ein solch diffuses, vom wilhelminischen Erbe kontaminiertes Kunst-Sammelsurium im Herzen der neuen deutschen Republik zu suchen hat, darüber schweigt sich die Gründungsintendanz bisher beharrlich aus.

„Irgendwie“ soll das Ganze auch mit dem interdisziplinären Denken und abenteuerlichen Leben von Alexander und Wilhelm von Humboldt zu tun haben, und schön wäre es auch, so Neil MacGregor, wenn der Islam eine Rolle spielen könnte. Mit hämischem Blick auf das schwammige Museums-Konzept sprach „Die Zeit“ bereits vom „Palast der Verlogenheit“, und die „Frankfurter Allgemeine“ fragte entrüstet: „Baut sich hier ein Monstrum sein eigenes Labyrinth?“

Lauter unbeantwortete Fragen

Neil MacGregor, Wunschkandidat von Kanzlerin Angelika Merkel, freut sich auf einen „Container, der ein Ort sein kann für eine vollkommen neue Beziehung zwischen Deutschland und der Welt“, und schwärmt von einem neuen „Dialog der Berliner Sammlungen, der Stadt Berlin und der Weltöffentlichkeit.“ Geht´s noch ein bisschen wolkiger?

Warum all die mexikanischen Masken und indonesischen Boote, die schon in Dahlem nicht gerade ein Publikumsrenner waren, und warum all die aus dem märkischen Sand geborgenen Gegenstände, die in den Berliner Landesmuseen einstauben und vor sich hin dümpeln, im Humboldtforum plötzlich das Interesse der Kunst-Touristen wecken sollen; wie viel Geld man in die Hand nehmen muss, um die Ausstellungen vorzubereiten; welche Umbauarbeiten im doch schon fast fertigen Schloss noch anstehen, um das Forum zu einem attraktiven Kultur-Treffpunkt im Zeitalter der Unübersichtlichkeit zu machen: Auf all diese Fragen geben bisher weder Neil MacGregor noch seine beiden Kollegen aus der Gründungsintendanz (der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, sowie Kulturhistoriker Horst Bredekamp) verwertbare Hinweise.

Um die richtigen und längst überfälligen konzeptionellen Entscheidungen zu treffen, könnte es nicht schaden, sich die kurze Geschichte der „Humboldt-Box“ vor Augen zu führen. Der eigens neben die Baustelle gestellte Event-Turm ist ein Publikumsmagnet, weil man auf der oberen Plattform kulinarisch verköstigt wird und einen tollen Blick über die Mitte Berlins, die Museumsinsel, den Dom und das Brandenburger Tor hat. Hingegen liegen die Ausstellungsräume, in denen über den Wiederaufbau des Schlosses und die möglichen Aufgaben des Humboldt-Forums informiert wird, in verwaister Stille. Statt im und mit dem Humboldtforum über Geschichte, Gegenwart und Zukunft der wiedervereinigten Republik in einer globalen Welt zu streiten, herrscht nur das große „Irgendwie“.




„Humboldt-Box“: Temporäres Raumschiff mitten in Berlin

Nach der Wende wurde Berlin nicht zur Hauptstadt der Deutschen, sondern auch zur Metropole des Temporären und Unfertigen.

Keine Kunst, kein Neubau ohne Infobox und Eventprogramm. Die Baustelle am Potsdamer Platz konnte man von einem auf Stahlstelzen stehenden riesigen roten Container aus verfolgen. Weil ein Haus für moderne Kunst fehlte, baute man einen „White Cube“ vors Rote Rathaus.

Jetzt ist in der historischen Mitte Berlins, in direkter Nachbarschaft zu Lustgarten, Museumsinsel und Dom, ein außerirdisch anmutender Würfel aus Glas und Beton gelandet. Wo einst das vom Krieg zerstörte und von Walter Ulbrichts Baubrigaden weggeräumte Hohenzollernschloss stand und nach dem Abriss des asbestverseuchten Palastes der Republik ein städtebauliches Loch gähnt, steht nun die „Humboldt-Box“: 28 Meter ist sie hoch, auf fünf Etagen und 3000 Quadratmetern gibt es Ausstellungsflächen und Erlebnisräume, Veranstaltungsbereiche und Museums-Shops. Und ganz oben wartet nicht nur nicht nur ein schickes Restaurant, sondern auch ein fantastischer Rundblick über Berlins Mitte.

Die „Humboldt-Box“ soll Appetit machen und einen Überblick ermöglichen über das, was auf der daneben liegenden architektonischen Wüste einmal entstehen soll: Das Humboldt-Forum, das im wieder aufgebauten Berliner Schloss zur Heimstatt für ein multikulturelles Projekt aus ethnologischen Sammlungen, Universitätsforschung, Bibliothek und Debattenforum werden soll.

Wenn es denn entsteht. Denn seit der Bundestag 2002 ein parteiübergreifendes Bekenntnis zum Wiederaufbau des Berliner Schlosses ablegte, ist viel architektonisches und politisches Porzellan zerschlagen worden. Der Wettbewerb, aus dem der italienische Architekt Franco Stella mit seinem Entwurf (drei barocke und eine postmoderne Fassade) als Sieger hervorging, hatte ein juristisches Nachspiel. Außerdem wurde der für 2011 geplante Baubeginn wegen der Finanzkrise auf 2013 verschoben. Ob die wieder aufgebaute Schlosshülle mit einer nach historischem Vorbild rekonstruierten Glaskuppel versehen wird, steht in den Sternen: Die dafür anfallenden 28 Millionen Euro will niemand berappen.

Überhaupt wird mehr um das liebe Geld als um das noch immer nebulöse museale und künstlerische Konzept des Humboldt-Forums gestritten. Bisher galt: 440 Millionen Euro kommen vom Bund, 32 Millionen vom Land Berlin, 80 Millionen aus Spenden, die ein von Wilhelm von Boddien gegründeter Förderverein auftreiben soll. Derzeit sind aber erst 15 Millionen in der Kasse, für 7 Millionen gibt es unverbindliche Zusagen. Boddien: „Ich hoffe, dass mit der Humboldt-Box der Spenden-Knoten platzt!“ Ob die vom Berliner Architekturbüro „Krüger Schuberth Vandreike“ und von der Firma Megaposter (Neuss) betriebene Box auch den Bund ermuntern wird, den wegen des späteren Baubeginns anfallenden Inflationszuschlag von 28 Millionen Euro auszugleichen, entscheidet sich in den kommenden Tagen.

Hermann Parzinger, als Leiter der Stiftung Preußischer Kulturbesitz oberster Schlossherr, freut sich über die mit Architekturmodellen, ethnologischer Kunst und interdisziplinären Büchern voll gestopfte Box. Kritikern, die über das futuristische Raumschiff die Nase rümpfen, tröstet er: „Je schneller das Schloss kommt, desto schneller ist die Box wieder weg!“ Wenn alles gut geht, der Bau termingerecht abgewickelt wird und die versprochenen Gelder tatsächlich fließen, könnte das im Jahr 2019 der Fall sein. Ernsthaft glaubt daran aber niemand.

Humboldt-Box, Schlossplatz 5, 10178 Berlin, täglich 10-18 Uhr, Do bis 22 Uhr, Eintritt 4 Euro, ermäßigt 2,50 Euro, Kinder bis 12 Jahren freier Eintritt, Humboldt-Terrassen: täglich bis 23 Uhr. http://www.humboldt-box.com

(Bild = Simulation: Megaposter GmbH, Neuss)