In Bochumer Theater regt sich stets ein guter Geist – seit dem Neubeginn vor 50 Jahren

Von Bernd Berke

Wenn denn ein guter Geist herrschen soll, so muss er auch begünstigt werden, und da bedarf es wohl einer Vorgeschichte: So haben die ersten beiden Intendanten die Grundsteine der großen Bochumer Tradition gelegt – schon lange vor dem Neubeginn von 1953: Saladin Schmitt (Intendanz 1919 bis 1949) und Hans Schalla (1949-1972) amtierten jeweils mehrere Jahrzehnte lang. Die Ensembles hatten Zeit, in aller Ruhe zu wachsen. Das Bochumer Intendanten-Leben schien, vom branchenüblichen täglichen Chaos abgesehen, ein langer ruhiger Fluss zu sein – angesichts heutiger Wechselgelüste auch im Theaterbetrieb fast unvorstellbar.

So reifte denn auch der oftmals gerühmte „Bochumer Stil“ heran – bei Schmitt vor allem in Gestalt prachtvoll dekorierter Klassiker-Aufführungen, die in eher gemächlicher Würde um den Text kreisten. Schalla hingegen brachte ungleich mehr Bewegung auf die Bühne; ganz gleich, ob in klassischen Dramen oder bei all jenen Texten, die in der NS-Zeit nicht hatten aufgeführt werden dürfen und die er nun „nachholte“.

Damit waren zwei Grundtöne angeschlagen, die auch später immer wieder nachklingen sollten. Statisches, eher düster grundiertes Theater sah man auch in der Ära Frank Patrick Steckel (1986-1995), höchst bewegte Zeiten mit Revue und manchmal herrlichem KIamauk gab’s zuvor bei Peter Zadek (1972-1979), eine gewisse Synthese beider Strömungen gelang in den allerbesten Phasen Claus Peymann (1979-1986), vorwiegend Theater für die Spaßgesellschaft erlebte man bei Leander Haußmann (1995-2000).

Seligste Zeiten: Bei Zadek spielten u. a. Hannelore Hoger, Ulrich Wildgruber, Eva Mattes und Rosel Zech, bei Peymann schwelgte man in Aufführungen etwa mit Kirsten Dene, Gert Voss, Therese Affolter und Branko Samarovski. Wer bietet mehr?

Allen Bochumer Spielleitern gemeinsam war eine Vorliebe fürs ungeheure Werk des William Shakespeare, der so etwas wie ein Hausheiliger an der Königsallee geworden und geblieben ist. Wer weiß, vielleicht ist am Ende er der gute, der waltende Geist von Bochum. Noch so eine langlebige Tradition jedenfalls, auf die auch die ansonsten so verschiedenen Bühnenchefs gern zurückkamen.

Der jetzige, beim Publikum so erfolgreiche Intendant Matthias Hartmann (seit 2000), der auch Entertainer wie Harald Schmidt und Helge Schneider ans Haus holte und 2005 nach Zürich wechseln wird, sollte also möglichst höchstselbst noch ein oder zwei große Dramen des Engländers auf dieBühne bringen, will er sich in die Überlieferung einreihen.

Damit nicht genug des ehern Bleibenden: Auch eine Darstellerin steht für schier unglaubliche, höchst erdverbundene Kontinuität. Damit kann natürlich nur Tana Schanzara gemeint sein. Bereits 1953, als am 23. September alles wieder neu begann, stieß die von manchen als heimlichen Regentin der (Revier)-Herzen angesehene Schauspielerin als Gast zum Bochumer Ensemble, seit 1954 gehört sie fest dazu. Intendanten und Mimen-Kollegen kamen und gingen, sie blieb – und kann gewiss so manche Theater-Anekdoten aus all diesen Jahren erzählen. Das wäre ein Buch wert.

Wäre aber nichts als Beharren in Bochum, so hieße das irgendwann Erstarrung. Immer wieder erwies sich diese Bühne auch als rechter Ort für weithin beachtete Uraufführungen. Nur scheinbar paradox: Auch das jeweils Brandneue ist somit schon gute Bochumer Tradition.

__________________________________

• Die neue Bochumer Saison beginnt heute, 4. Oktober, mit zwei Premieren: Auf Lessings „Minna von Barnhelm“ (19 Uhr, Schauspielhaus) folgt die Uraufführung von Falk Richters Stück „EIectronic City“ (22 Uhr, Kammerspiele). Karten: 0234/3333 111.

• Das Jubiläum wird an diesem Sonntag, 5. Okt. (11-16 Uhr), mit einem Fest auf dem Theatervorptatz und in den Foyers gefeiert. Am Samstag/Sonntag (18. und 19. Oktober) gibt’s das Sonderprogramm „50 Jahre – 50 Stunden“.

 




In der Bundesliga des Theaters spielt das Ruhrgebiet nicht mit

Von Bernd Berke

Allherbstlich wird sie mit Spannung erwartet: die Jahresumfrage des Magazins „Theater heute“. Welche Sprechbühnen gehören in die „Bundesliga“, wer steigt ab, wer steigt auf? Geht es nach dem Urteil der befragten 40 Kritiker, so war es in der letzten Saison um die Theater des Ruhrgebiets so schlecht bestellt wie lange nicht mehr.

Zwar verteilt man bei „Theater heute“ noch keine symbolischen Masken wie Kochlöffel, doch man ist der Hitlisten-Manie immerhin so weit verfallen, daß man arglos „Die Sieger“ ausruft. Bester Schauspieler: Jürgen Holtz (keineswegs nur als „Motzki“); beste Schauspielerin: Kirsten Dene (an Peymanns Burgtheater); bester Regisseur: Luc Bondy. Frank Castorfs Berliner Volksbühne steht als „Theater des Jahres“ auf Platz eins. In dieser Rubrik (Gesamtleitung einer Bühne) mochte nur noch ein Unverdrossener überhaupt ein Revier-Theater nennen – ein einsames Stimmchen erhebt sich für Roberto Ciullis Mülheimer Theater an der Ruhr. Das war’s dann auch schon.

Ansonsten taucht die Region nur mit ganz wenigen Einzelleistungen auf. In der Sparte „Beste Inszenierungen“ wird, als revierweit einzige, immerhin viermal Jürgen Goschs Bochumer Handke-Einrichtung „Die Stunde da wir nichts voneinander wußten“ nominiert. Die Tat eines Gastregisseurs also, während man z.B. den Namen des Bochumer Noch-Schauspielchefs Frank-Patrick Steckel vergeblich sucht. In Sachen Bühnenbild/Kostüme werden immerhin Andrea Schmidt-Futterer, Dieter Hacker und Kazuko Watanabe für Bochumer Produktionen erwähnt.

Noch finsterer sieht es offenbar bei den Schauspielern aus. Nur ein Name aus dem gesamten Ruhrgebiet taucht überhaupt auf, und auch das nur einmal: Matthias Kniesbeck (als „Othello“ in Oberhausen).

Gnädigerweise hat man das Revier wenigstens in der Spalte „Beste/r Nachwuchskünstler/in“ nicht ganz vergessen. Und hier ist denn auch, neben der Bochumer Schauspielerin Judith Rosmair, endlich und erstmals Dortmund vertreten, freilich durch die Regisseurin Amelie Niermeyer (für ihre „Lysistrata“), die man leider längst nach München hat ziehen lassen.

Tja, warum ist Frau Niermeyer wohl an die Isar gegangen? Wohl auch, weil sie dort überregional eher wahrgenommen wird als in Dortmund. Denn die Nichtberücksichtigung im Jahrbuch von „Theater heute“ hat nicht immer mit Mangel an Qualität zu tun, sondern vielfach damit, daß die 40 Kunstrichter die Abstecher gescheut haben. Sprich: Was sie nicht kennen, können sie auch nicht nennen. Was bleibt? Immerhin zwei Zukunftshoffnungen: die kommende Ära Leander Haußmann in Bochum und Jürgen Bosse in Essen.