Massenet im Focus (II): „Thaïs“ in Bonn als Studie zu Hysterie, Begierde und Religion

Bildgewaltig, aber nicht konsequent genug genutzt: Rifail Ajdarpasics Bühne für Jules Massenets "Thais" am Theater Bonn. Foto: Thilo Beu

Bildgewaltig, aber nicht konsequent genug genutzt: Rifail Ajdarpasics Bühne für Jules Massenets „Thaïs“ am Theater Bonn. Foto: Thilo Beu

Sexualität, Psychoanalyse, Religion: Die geistigen Strömungen des 19. Jahrhunderts konnten diesem Spannungsfeld nicht entkommen. Faszination und Erschauern begleiteten es. Die katholische Kirche in Europa formulierte ihr tiefes Misstrauen gegen die gerade aufbrechenden Strömungen der Psychoanalyse, verschanzte sich hinter der Bekräftigung moralischer Konzepte und Urteile, die Jahrhunderte lang gegolten hatten. Die Moderne glaubte dagegen an einen Weg aus einer drückend empfundenen intellektuellen Erstarrung hin zu neuen Ufern der Erkenntnis und der geistigen Entwicklung.

1894, als der gläubige Katholik Jules Massenet seine Oper „Thaїs“ in Paris zur Uraufführung brachte, waren Sigmund Freuds „Traumdeutung“ und seine Studien zur Sexualtheorie noch nicht erschienen. Doch das Thema seines ersten Werks („Studien über Hysterie“, 1895) war allgegenwärtig. Wenn man so will, ist das Libretto zu „Thaїs“ eine theatralische Studie zum Thema Hysterie: Auf dem Roman von Anatole France fußend, spaltet es nicht eine einzelne Person, sondern die Welt in Heiligkeit und Verderbnis, in Sumpf und Glorie, in Erlösung und Verdammnis.

Die Repräsentanten dieser „hysterischen“ Spaltung sind die Kurtisane Thaїs, die mittels Schönheit und sexueller Raffinesse eine Großstadt wie Alexandrien in ihrem Bann hält, und der Mönch Athanaël, der die Wüste mit dem Geist der Askese und der Frömmigkeit erfüllt. Der eine macht sich auf, die andere zu bekehren. Das gelingt, aber anders als vorgesehen: Am Ende repräsentiert Thaїs das Keusche und Heilige, während sich Athanaël in den Fängen der sexuellen Begierde windet.

Evez Abdulla als Athanael im ersten Bild von "Thais". Foto: Thilo Beu

Evez Abdulla als Athanael im ersten Bild von „Thais“. Foto: Thilo Beu

Die berüchtigte „Méditation“, das Zwischenspiel mit Solo-Violine, einst vielgehört in Wunschkonzerten und von Kurorchestern, steht in der Oper am Wendepunkt dieses inneren Geschehens. Massenets betörende Melodie symbolisiert religiöse Verzückung, nicht etwa die wollüstige Sinnlichkeit, die sie aufs erste Hören zu verströmen scheint. Sie wird zum Leitmotiv einer sich in Glaubens-Inbrunst reuevoll verzehrenden Thaїs.

Was für ein Stoff – und was für eine Vertonung! Massenet streift die ästhetischen Kunstwelten der Symbolisten, führt sie aber nicht – wie Claude Debussy oder Erich Wolfgang Korngold – weiter. „Thaїs“ erinnert eher an den französischen Exotismus – und Massenet bedient sich auch der musikalischen Kennzeichen dieses Stils, etwa der Melismatik oder einer harmonisch prickelnden Chromatik.

In Thaїs begegnen uns die Odalisken der schwülen Malereien ebenso wieder wie die von Süße durchdrungenen Heiligen in den Kirchen der Jahrhundertwende. Hingabe unter jeweils anderen Vorzeichen, Leben an der Borderline: das zeichnet diese Kunstgestalten aus.

Der Augenmerk Massenets liegt dabei auf Thaїs: Ihre innere Wandlung ist ein dem Wort entzogener, allein der Musik anvertrauter Vorgang. Vorbereitet wird die Transformation allerdings in einer ausgedehnten Szene, in der die Venuspriesterin Thaїs – der religiöse Aspekt der Sexualität wird nicht ausgeblendet – ihre Maximen von Schönheit und Ewigkeit befragt. Athanaël liefert ihr das Stichwort: „vie éternelle“. Das ewige Leben, ist es, das die suchende Frau fasziniert, die „Glückseligkeit, die niemals enden wird“. Der Mönch zeigt sich gleichzeitig als wortgewaltiger, überzeugender Prediger, aber auch als moralischer Fundamentalist: Am liebsten würde er ganz Alexandrien vernichten. Und sein Begriff der Liebe ist ein idealistisch verbrämtes, supranaturalistisches Konstrukt: Nie habe er jemanden geliebt, erklärt er. Er liebe nur „die Liebe“.

Gestalten des Dämonischen: Vier Schakale bedrängen Athanael (Evez Abdulla). Foto: Thilo Beu

Gestalten des Dämonischen: Vier Schakale bedrängen Athanael (Evez Abdulla). Foto: Thilo Beu

So eine Vorlage müsste eigentlich jeden Regisseur Blut lecken lassen. Doch Francisco Negrin ist an der Oper Bonn, die Massenets Werk – nach dem Theater Lübeck – endlich einmal in Deutschland auf den Spielplan gesetzt hat, nicht in geistige Tiefenschichten vorgedrungen. Rifail Ajdarpasic hat ihm eine räumlich aufwändige Bühne gebaut, deren symbolische Anlagen nicht konsequent genutzt werden und im Lauf des Abends in die Schauplatz-Bebilderung abgleiten. Dabei wäre mit den geometrischen Formen von Kreis und Rechteck, mit der Wirkung des opulent eingesetzten Lichts (Thomas Roscher), auch mit den stilvollen Kostümen Ariane Isabell Unfrieds ein Potenzial visueller Deutung zu aktivieren gewesen. Aber wenn der auf Stelzen stehende Rechteck-Kasten im zweiten Bild – Kontrast zur runden Höhle des Eremiten Athanaël im ersten Bild – beliebig zurechtgerückt wird, wenn die runde Scheibe, in der Thaїs erscheint, zwar als Konkurrenz zur religiösen Sphäre der Mönche verstanden werden könnte, dann aber nicht ausgespielt wird, bleiben die Bilder inhaltlich unerfüllt.

Mit der Personenregie geht es ähnlich: Negrin lässt den Athanaël in der athletischen Gestalt von Evez Abdulla sich auf einem Kreuz winden, gibt ihm auch später heftige Gesten der Emotion. Wirklich glaubwürdig wird die Figur in ihrer Faszination und ihrem Furor damit nicht. Auch Thaїs soll mal mit statuenhaften Haltungen, mal mit dem üblichen schwülstigen Bewegungsrepertoire der exotischen Kurtisane ein Profil gewinnen, das der Figur versagt bleibt. Hat Negrin ein szenisch-gestisches Element – wie die kreuzförmig ausgebreiteten Arme des Athanaël –, dann fehlt ihm die szenische Konsequenz, die es zu einer über den Moment hinausgehenden Chiffre machen würde. Diese „Thaїs“ wirkt wie das schüchtern die Moderne antastende Bildertheater der siebziger Jahre.

Stefan Blunier am Pult des Beethoven Orchesters Bonn setzt gegen die zagende Szene eine höchst klangbewusste, atmosphärisch mutig ausgeleuchtete musikalische Interpretation: Wie schillerndes Öl verlaufen Töne ineinander, wie duftender Rauch ziehen exotische Farben durch tragende Säulen des Klangs. Und Konzertmeister Mikhail Ovrutsky gibt dem Violinsolo die verzückte Süße des Moments, ohne seinen feinen Ton an Kitsch zu verraten. Im Orchester stehen subtil ausgekostete Momente neben wenigen plump unkonzentrierten Holzbläserstellen, sanfter Streicherbrokat neben ein paar Webfehlern etwa in den Celli: Ein paar Kanten wären also noch abzuschleifen.

Die Besetzung hält das beachtliche Niveau des Abends: Nathalie Manfrino in der Titelpartie überzeugt durch präsenten, brillant gebildeten Ton und mit ihrer Kunst, die Facetten der Figur zwischen glamouröser Oberfläche, existenzieller Verunsicherung und verwandelnder Erfahrung der göttlichen Liebe stimmlich zu beglaubigen. Priit Volmer als mahnender alter Mönch Palémon und Mirko Roschkowski als junger Alexandriner Nicias zeigen ebenso wie Susanne Blattert als Wüstenkloster-Äbtissin Albine Stimmkultur und sichere Technik. Für die umfangreiche, herausfordernde Partie des Athanaël – eine Paraderolle für jeden Bariton mit dramatischer Anlage – bringt Evez Abdulla die kraftvolle Substanz und die souveräne Reserve mit. Stilistisch bleibt er der Sprache des Verismo verhaftet: Geschmeidiger Glanz ist seine Sache nicht, zumal ein kehligen Beiton und besonders zu Beginn ein gurgelndes Vibrato den freien Glanz des Tons beeinträchtigen.

Das Theater Bonn hat wieder einmal auf ein vernachlässigtes Werk aufmerksam gemacht. Die lange Reihe bemerkenswerter Aufführungen (erinnert sei an Eugen d’Alberts „Der Golem“, Franz Schrekers „Irrelohe“ und „Der ferne Klang“, ein Paul-Hindemith-Triptychon und jüngst Walter Braunfels‘ „Der Traum ein Leben“) setzt sich mit „Thaїs“ erfreulich fort. 2014/15 wird dieser konzeptionelle Faden mit Richard Strauss‘ „Salome“ mit einem Stück des eisernen Repertoires fortgesponnen; doch mit Verdis „Giovanna d’Arco“ und der deutschen Erstaufführung von Julian Andersons „Thebans“ – einer Nacherzählung von Sophokles‘ thebanischen Tragödien – dürfte der Oper Bonn wieder überregionales Interesse sicher sein. Bleibt zu hoffen, dass die Bonner Lokalpolitik auch nach den Kommunalwahlen des 25. Mai erkennt, welchen Schatz sie mit einem solch kreativen Opernhaus in ihren Mauern hütet.




Todeskuss im Treibhaus: Richard Wagners „Tristan und Isolde“ an der Oper Bonn

Dass Vera Nemirova eine faszinierende Erzählerin ist, wissen wir spätestens, seit sie mit dem Frankfurter „Ring des Nibelungen“ einen der bedeutenden Beiträge zum Wagner-Jahr 2013 leistete.

Robert Gambill (Tristan), Dara Hobbs (Isolde). Foto: Thilo Beu

Robert Gambill (Tristan), Dara Hobbs (Isolde). Foto: Thilo Beu

Die Regisseurin braucht keinen dekonstruktiven Überbau, keine umständliche Symbolik, keine privatmythologische Verrätselung, um einem Stück Belang zu geben. Sie erzählt intensiv und klug eine Geschichte. So hat sie es auch in ihrem – 2007 sehr umstrittenen – Frankfurter „Tannhäuser“ gehalten: Das virtuos herausgearbeitete Ergebnis ihrer ersten Regiearbeit mit Wagner wird ab 19. Oktober 2013 wieder zu erleben sein.

Jetzt hat sich Vera Nemirova dem Schlüsselwerk des Wagner’schen Theaterkosmos zugewandt: Mit Spannung erwartet, ging jetzt „Tristan und Isolde“ über die Bühne der Oper Bonn. Und wieder ist ein Triumph der Erzählerin zu vermelden: Selten in den letzten Jahren wurde Wagners Bekenntnis zur transzendierenden Liebes- und Todesmystik so unverstellt und eindringlich in Bild und Aktion gebracht wie in dieser Premiere. Sicher auch ein Verdienst der Raumgestaltung von Klaus W. Noack und des Lichts von Max Karbe – aber eben auch das Ergebnis der passionierten Regiekunst der Nemirova.

Klar, auch diese Regisseurin hat ihre Stilmittel, ihre immer wiederkehrenden Codes: Das Brautkleid etwa, von dem Isolde im ersten Aufzug die aufgenähten Blüten abfetzt. Im zweiten schreiben die Protagonisten Schlüsselworte des Dramas auf die halbblinden, teils zerbrochenen Scheiben eines Glashauses: Du, Ich, Licht, Tod, Tag. Später beschriften sie gegenseitig nackte Haut. Aber solche Chiffren werden nie als billige Ersatzeffekte für fehlende Personenführung verwendet.

Nemirova inszeniert auch nicht naturalistisch: Es gibt kein Liebespaar, das aufeinander zufliegt, sich schmusend und küssend in der „Nacht der Liebe“ ergeht. Was so mancher Wagnerianer aus scheinbarer „Werktreue“ der Bayreuther Inszenierung Christoph Marthalers bitter ankreidete, zieht auch Nemirova konsequent durch. Tristan und Isolde singen zusammen für sich, sehen sich selten an. Sie bewegt sich innerhalb des gläsernen Baus, der offensichtlich auf „Im Treibhaus“ aus den Wesendonck-Liedern anspielt; er tastet sich außen an den Scheiben entlang. Erst bei „Nie-Wieder-Erwachens wahnlos hold bewusster Wunsch“ finden sich beide im Glashaus, dem Ort der jenseitigen Liebesvision.

Held aus Cornwall, Maid aus Irland

Der Kuss ereignet sich schon im ersten Aufzug: Endlos lang besiegelt er statt des äußerlichen Hilfsmittels des „Trankes“ die Wandlung. Ein mythischer Todeskuss, gegeben von einer rothaarigen Rätselfrau, die aus dem symbolistischen Bildkanon eines Dante Gabriel Rosetti oder Edward Burne-Jones stammen könnte. Wie Nemirova und ihr Bühnen- und Kostümbildner Klaus W. Noack überhaupt die angelsächsische Sphäre des Stoffes – es geht ja um einen Helden aus Cornwall, um eine Maid aus Irland – in die Bildwelt integrieren: Das Glashaus, das die Drehbühne füllt, ist den viktorianischen Gewächshäusern der Wagner-Zeit abgeschaut; der Baum, auf dessen Zweige Isolde enthusiastisch Zettel steckt, könnte ein Wünschebaum aus dem Feen-Aberglauben sein, wie man ihn heute noch auf dem irischen Lande entdecken kann.

Robert Gambill (Tristan) und Mark Morouse (Kurwenal). Foto: Thilo Beu

Robert Gambill (Tristan) und Mark Morouse (Kurwenal). Foto: Thilo Beu

Im dritten Akt steht die verfallende Glas-Villa dann voll exotischer Gewächse: ein direktes Bildzitat aus Mathilde Wesendoncks Gedicht „Im Treibhaus“, das Wagner als Vorstudie zum „Tristan“ vertont hatte. Wie die Heimat der Pflanzen, so ist auch die Heimat Tristans – der zwischen den Blättern und Stämmen im Bett liegt – „nicht hier“. Für die romantische Sehnsucht nach dem ganz Anderen sind die klagenden „Kinder aus fernen Zonen“ eine berührende Chiffre. Für den „Liebestod“ findet Nemirova ein unspektakuläres, konzentriertes Bild: Isolde steht in einem Regen von Papierblättern – Briefe, literarische Ergüsse, Tagebuchnotizen? –, bevor sie sich wendet und dem Glashaus zuschreitet: Erfüllung im „Nicht Hier“.

Mit ihren Protagonisten arbeitet Nemirova stets sehr intensiv. Umso schmerzliches muss es für die Regisseurin gewesen sein, dass ihre Isolde Dara Hobbs wegen eines Heuschnupfens nicht singen konnte und von Sabine Hogrefe am Bühnenrand eine „Leihstimme“ bekommen musste. Hobbs agiert mit intensiver Körpersprache und theatralischer Leidenschaft; man merkt der Sängerin an, wie schwer ihr der Verzicht auf die vokale Expression fällt.

Sabine Hogrefe, die 1989 am Aalto-Theater in Essen in Siegfried Matthus‘ „Graf Mirabeau“ als Zeitungsjunge debütierte, hat die Isolde bisher in Bremen, Hamburg, Nantes und Angers gesungen und 2008 bis 2012 in Bayreuth gecovert. Ab 26. Mai ist sie als Brünnhilde in der „Walküre“ in Duisburg zu hören. Ungeachtet aller Probleme aus einem kurzfristigen Einspringen hört man von ihr einen durch Erfahrung gereiften, auch des Lyrischen und der leisen Töne mächtigen, souveränen Sopran.

Neue Sicht auf König Marke

Mit der Besetzung des Tristan durch Robert Gambill stand kein ausgeprägter Tenor-Held auf der Bonner Bühne. Im zweiten Aufzug möchte man als Vorzug werten, wenn eine schlanke Artikulation auf eine tragfähige Mezzavoce trifft; im dritten allerdings fehlen Gambill dann Intensität, Schlagkraft und vokales Fieber. Auch die Brangäne Daniela Denschlags – von der Regie als besorgte ältliche Jungfer mit grauem Dutt gezeichnet – hat eine zu lyrische Stimme, überfordert im exaltierten Schrecken am Ende des ersten Aufzugs, zu sanft für die Rufe aus der Ferne im zweiten. Schade, wenn man eine solch kultivierte Stimme ins Wagner-Fach drängt – ihre Alt-Arien in einer Würzburger „Matthäus-Passion“ von 2005 blieben mit viel eindrücklicher in Erinnerung.

Trias des Leidens an der Welt: Tristan (Robert Gambill), König Marke (Martin Tzonev), Isolde (Dara Hobbs). Foto. Thilo Beu

Trias des Leidens an der Welt: Tristan (Robert Gambill), König Marke (Martin Tzonev), Isolde (Dara Hobbs). Foto. Thilo Beu

Für Martin Tzonev ist Marke eine Herausforderung, die er mit substanzvollem, aber nicht ausgeglichenem Bass bewältigt. Wieder ist es eher die szenische Umsetzung der Figur, die überzeugt. Nemirova bezieht den König ein in eine Trias des Leidens an der Welt: „Die kein Himmel erlöst, warum mir diese Hölle?“ hebt seinen Schmerz weit über eine beleidigte Beklagung seiner Situation hinaus. Für einige Augenblicke nehmen Tristan und Isolde den König in ihre Mitte, dann aber wird das Paar seinen Weg ohne ihn gehen: „Wohin nun Tristan scheidet, willst du, Isold‘, ihm folgen?“

Ansprechend besetzt sind in Bonn auch die weniger umfangreichen Rollen: Mark Morouse als prägnanter Kurwenal, Giorgos Kanaris als soldatisch korrekter Melot, Johannes Mertes als Hirt und Sven Bakin als Steuermann. Für eine musikalische Sternstunde sorgte Stefan Blunier am Pult des Beethoven Orchesters Bonn. Der Chefdirigent zerriss zwar den langsamen Beginn durch endlose Pausen, konnte dem Orchester aber den „schmachtenden“ Klang entlocken, den Wagner mit dieser Anweisung im Sinn gehabt haben mag. Allmähliches Steigern der Klangintensität, graduelle Verschiebungen in der Mischung der Klänge, flexible Artikulation: das sind die technischen Geheimnisse. Das Ergebnis ist eine für Bonner Verhältnisse außergewöhnliche Spielkultur, ein runder, warmer Gesamtklang, dem Blunier aber auch Feuer, Energie und Tempo mitgeben kann.

Intendant Klaus Weise kann aus Bonn mit einer Produktion scheiden, die der Leistungsfähigkeit des Hauses das schönste Zeugnis ausstellt. Wie sein Nachfolger Bernhard Helmich aus Chemnitz bei zurückgehenden Mitteln in der ehemaligen Bundeshauptstadt – immerhin einer Kommune mit über 325.000 Einwohnern – die Qualität des Angebots sichern will, ist noch sein Geheimnis: Der Spielplan 2013/14 wird im Mai veröffentlicht. Sicher ist schon, dass die Spielzeit mit Zeitgenössischem eröffnet wird: mit der Oper „Written On Skin“ (Auf Haut geschrieben) von George Benjamin. Erstmals in Deutschland wird sie schon am 23. Juli in der Uraufführungsinszenierung aus Aix en Provence von 2012 in der Bayerischen Staatsoper München gespielt.