Feine Töne, dicke Mauern – Klangkunst in Haus Kemnade

Kemnade_klingt! Wenigstens hier und da. Und ein Logo hat die Klangschau auch. (Foto: Kunstverein Bochum)

Kemnade_klingt! Wenigstens hier und da. Und ein Logo hat die Klangschau auch. (Foto: Kunstverein Bochum)

Wenn sich das batteriebetriebene Motörchen in Gang setzt, dann lässt es an federndem Stab eine kleine Holzkugel über die Stahlsaiten des alten Klaviers tanzen, und einige unbeholfene Töne entstehen. Der Motor wird elektronisch ein- und ausgeschaltet, entsprechend schwingen oder schweigen die Saiten. Fünf historische Klaviere im Raum sind mit einer solchen technischen Installation ausgestattet, so dass, wenn im Wechsel sie erklingen, der Eindruck von Kommunikation entsteht.

Stephan Froleyks, Jahrgang 1962, der am Niederrhein und in Münster lebt, hat sich diese Klanginstallation ausgedacht, die die Besucher ins Grübeln bringen kann über Klang, Geräusch, Musik, über Signale jenseits der Stille. Zu sehen und zu hören ist sie bis zum 18. Oktober in Haus Kemnade in Hattingen. Acht Künstlerinnen und Künstler präsentieren in Museumsräumen, in denen Musikinstrumente der Sammlung Grumbt ausgestellt sind. Arbeiten unter dem Titel „Kemnade klingt!“.

In den Siebzigern war Kemnade bekennend multikulti

Für den Bochumer Kunstverein als Ausrichter ist dieses Projekt fast schon eine Nummer zu groß. Deshalb preist sein künstlerischer Leiter Reinhard Buskies voller Dankbarkeit die beiden privaten Hauptsponsoren, die Beckumer Marianne-Blumenbecker-Stiftung und die Herdecker Richard-Dörken-Stiftung. Und man erinnert sich, dass es in dem alten Wasserschloss schon oft „geklungen“ hat – seit den frühen 70er-Jahren nämlich, als hier das „Ausländer-Festival“ unvergeßliche multikulturelle Musikmarken setzte.

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Der Ruhrsandstein klingt – jedenfalls vor dieser Mauer, für die Denise Ritter einen speziellen Soundtrack geschaffen hat. Der O-Ton dafür kam aus dem Steinbruch Grandi in Herdecke. (Foto: Stadt Hattingen)

Zurück zum Kemnade-Sound von heute, der nun aus dem Museum kommt und entschieden minimalistischer ist als das vielfältige Festivalgeschrammel von einst. Sparsamkeit prägt das Bild, was weniger einem Arte-povera-Konzept als der ökonomischen Notwendigkeit geschuldet zu sein scheint. So müssen in Simone Zauggs Installation „Luegit vo Bärg u Tal“ Aluleitern die Alpen geben. Oben auf ihnen sind Lautsprecher mit Bewegungsmeldern installiert, und wenn diese Bewegung melden, weil ein Ausstellungsbesucher, was ausdrücklich erlaubt ist, eine Leiter erklommen hat, dann erklingt nämliches Volkslied aus der Konserve, gesungen von der Berner Künstlerin (Jahrgang 1968) persönlich. Der Titel, man ahnte es, ist Schweizerdeutsch und lautet übersetzt in etwa „Blick vom Berg ins Tal“. Wenn zeitnah mehrere Leitern erklommen werden, wird der Gesang polyphon. Dann grüßen sich gleichsam die Alpengipfel, und das klingt schön und seidig durch den Raum und ist leider schnell wieder vorbei. Bis der Bewegungsmelder wieder anschlägt.

Vielstimmiges produziert auch Mathilde ter Heijnes Anordnung von Transistorradios. Leise beginnend ballen historische Brandreden verschiedener Politiker sich schließlich zu einem aufwühlenden Crescendo. Man erkennt die Absicht, doch die Optik des Werks enttäuscht, bietet nicht mehr als kümmerliche Gerätschaften und Strippengewirr auf einigen Quadratmetern Museumsboden. Auch wenn dies fraglos eher eine Veranstaltung für die Ohren ist, wäre etwas visuelle Sinnlichkeit nicht zu verachten.

Grillen im Lautsprecher machen Geräusche

In der Arbeit des Wahlberliners Nik Nowak (Jahrgang 1981) sieht man die Klangerzeuger gleich gar nicht. Dabei sind sie zugegen, und originell sind sie zudem. Nowak nämlich fängt – in zugesichert artgerechter Haltung! – typische Geräusche von Grillen ein, die er verstärkt und durch Frequenzbearbeitung für das menschliche Ohr hörbar macht. Die Grillen sitzen derweil unsichtbar in ihrem Terrarium – in einem zackigen, feindselig wirkenden Lautsprecher-Kubus aus schwarzem Schaumstoff.

Torsten Bruch (Jahrgang 1973) zeigt zwei Videoarbeiten, in denen zum einen vier Chinesen „Die Gedanken sind frei“, zum anderen eine Strophe für Strophe wachsende Kombo das Kinderlied „Laurentia“ singen. Das ist lustig und auch hintersinnig, aber nicht unbedingt eine Kunst, die größere Aha-Erlebnisse zeitigt.

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Haus Kemnade beherbergt unter anderem die Musikinstrumentensammlung Grumbt. Einige dieser Instrumente erklangen für Tommy Finkes Musikstück. (Foto. Stadt Hattingen)

Schließlich trifft man im Inneren des alten Wasserschlosses auf die Klanginstallation von T.D. Finck von Finkenstein. Er hat, ist zu erfahren, im Haus Klänge alter Instrumente gesammelt, diese im Studio überarbeitet und zu einem recht süffigen Soundtrack mit lockerer Rhythmusunterlage verrührt. Wir erleben also das Werk eines Musikers, und da kann es nicht mehr erstaunen, dass sich hinter dem barocken Namensungetüm der in Bochum recht bekannte Musiker Tommy Finke verbirgt, der ab der kommenden Spielzeit im Dortmunder Schauspielhaus als musikalischer Leiter die Nachfolge Paul Wallfischs antreten wird.

Draußen vor der Burg hat Dodo Schielein, 1968 in München geboren, eine Art Akustik-Parcours geschaffen; „music for ears/Musik für zwei Ohren“ hat er ihn genannt, eine „Handlungsanweisung“ (Untertitel). Die real existierenden Handlungsanweisungen finden sich auf wetterfesten Informationstafeln am Wegesrand, und mit Kemnade hat das nur wenig zu tun. Schielein lehrt die Menschen, sich der akustischen Wahrnehmung ihrer Umwelt bewusst zu werden oder auch sie zu beeinflussen, indem sie beispielsweise die Hände zu Ohrmuscheln formen.

Der Ruhrsandstein klingt

Und schließlich ist da noch Denise Ritter (Jahrgang 1971), die von langen Pausen unterbrochen das alte Kemnader Gemäuer mit einem speziellen Soundtrack beschallt. Ihr geht es um eine intensivere Wahrnehmung von Stein, Gebäude, Naturraum und Umgebung in ihrer engen Bezüglichkeit – und ein wenig auch im Unterschied zu dem, was heutzutage in dem alten Gemäuer geschieht. Der Mix aus Museum, Naherholungsziel, Standesamt, Baudenkmal und Gaststätte scheint ihr eine „kuriose Nutzung“ zu sein, wiewohl alternativlos. Der Sound – im Studio nachbearbeitet – kommt aus dem Steinbruch „Grandi“ in Herdecke, der als einer der letzten noch Ruhrsandstein abbaut – das lokale Material, aus dem auch Kemnade einst errichtet wurde. Wie immer man dies findet: Indem sie den Ausstellungsort akustisch reinszeniert, ist Denise Ritters Arbeit die einzige, die sich dezidiert mit ihm befasst.

Politisch-kritische Valeurs sind bei den ausgestellten Arbeiten nicht sehr ausgeprägt, sieht man einmal von Bruchs „Die Gedanken sind frei“ singenden Chinesen oder Mathilde ter Heijnes gesammelten Reden ab. Eher beschleicht einen wiederholt das Gefühl, es mit etwas blutleeren Fingerübungen zu tun zu haben, mit fein hergebastelten Arbeitsproben. Allerdings haben sparsam ausgeführte, konzeptionelle Arbeiten wie diese es auch besonders schwer, zu bestehen, sind sie doch der Möglichkeit beraubt, Ideenarmut hinter bombastischer Inszenierung zu verstecken. Jedenfalls bleibt der Kemnader Schau das Verdienst, eine tonlose Sammlung von Musikinstrumenten um etliche Töne zu bereichern. Für einige Zeit jedenfalls.

  • Haus Kemnade, An der Kemnade 10, 45527 Hattingen
    Tel. 02324 – 30268
  • Anfahrt: A 43, Abfahrt Witten-Herbede, Richtung Hattingen
  • Bushaltestelle: Hattingen, Haus Kemnade [Linie CE31]
  • Öffnungszeiten:
    Do. – So., 11 – 17 Uhr (Nov. – April)
    Do. – So., 12 – 18 Uhr (Mai – Okt.)



Vorwärts Komponisten, wir blicken zurück: Neue Musik für Schlagzeug

Mitglieder der Gruppe "Splash" in Aktion. Foto: Philharmonie Essen

Als 1913 Igor Strawinskys Ballettmusik „Le Sacre du Printemps“ in Paris uraufgeführt wurde, kam es zu einem der berühmtesten Skandale der Musikgeschichte. Glaubt man Zeitzeugen, war die Randale im Publikum kaum geringer als das archaische Wüten, das sich im Orchester abspielte. Wer hier sinnliches Melos erwartete, bekam brutale Rhythmik serviert. „Bilder aus dem heidnischen Russland“ ist das Werk untertitelt – und verweist damit auf Rituale unserer Ahnen, derer sich die moderne Zivilisation längst entledigt zu haben glaubte. 

Strawinskys Musik greift also auf die alte Kraft des Rhythmus zurück, um sich im Sinne einer futuristischen Moderne der Emanzipation eben jener Rhythmen hinzugeben. Hinter ihnen tritt alles andere zurück: Nur das Klangfarbenspektrum erfuhr zusätzliche Bereicherung, vor allem durch den Einsatz eines reichhaltigen Schlag-Werk-Apparates. Insofern ist das „Sacre“ als Schlüsselwerk der Moderne zu betrachten.

Bis zu den Schlägen und Klängen von „Ionisation“ des Franzosen Edgard Varèse, der ersten Musik für reine Percussion, war es dann nicht mehr weit. Seither ist das Komponieren für diese Instrumentengruppe gewissermaßen en vogue. Und mit Martin Grubinger, dem jungen Tausendsassa am Schlagzeug, ist uns selbst der Sound der exotischsten Trommeln oder Rasseln nicht mehr fremd.

Wenn nun also das Neue-Musik-Festival „NOW!“, für das die Essener Philharmonie verantwortlich zeichnet, zurück blickt, um nach vorn zu schauen, wenn das zweite Konzert in diesem Rahmen Werke für Schlagzeug in den Fokus rückt, dann gewiss auch mit Blick auf die Revolutionen eines Igor Strawinsky und Edgard Varèse. Das Konzert im Salzlager der Kokerei Zollverein macht aber darüberhinaus deutlich, wie die komponierende Avantgarde sich an anderen Altvorderen abarbeitet. Insofern scheint die Frage, ob nicht inzwischen musikalisch alles gesagt sei, durchaus berechtigt. Der Fortschritt ist eine Schnecke, die sich indes gelegentlich im Kreise bewegt.

Nehmen wir nur Thomas Gaugers dreiteiliges „Gainsborough“ für Perkussion: Schritte zurück ins heute eher ungewohnt Harmonische, Melodische, mit Anklängen an den Jazz und die Minimal Music. Im Mittelpunkt zwei Marimbaphone, die bisweilen schön traurig-kitschig vor sich hin meditieren, sich ins Gehör schmeicheln wollen. Ein Werk, das selbst vor Trivialem nicht zurückschreckt. Ähnlich naiv wirken nur noch die Clapping-Stücke Dietmar Bonnens, die sich zwar auf Steve Reich berufen, doch an dessen rhythmische Komplexität bei weitem nicht heranreichen.

Andererseits ist „NOW!“ auch das Festival einiger Uraufführungen. Gleich zu Beginn des Schlagwerk-Konzerts erblickt Stephan Froleyks’ „VCTRS“ das Licht der musikalischen Welt, eine Performance mit wanderndem, flüsterndem, sprechendem, heulendem Chor, raffiniert ummantelt mit Flatterbandgeräusch und Klängen, die ausgeweideten Klavieren entspringen. Die Saiten als Verfügungsmasse, Zerstörung als Voraussetzung für Neues: ein Werk nicht ohne Symbolkraft.

Das zweite neue Stück des Abends heißt „FOKUS-Spaltung“ und stammt von der Chinesin Ying Wang. Die Komponistin hat fünf Schlagzeugsets im Raum verteilt, zu bedienen von insgesamt acht Spielern, denen sich zwei Akkordeon-Solisten hinzugesellen, zwecks Klangfarbenbereicherung. In seinem teils rhythmischen Gleichmaß wirkt manches wie ein Ritual und findet so zurück zu Strawinsky. Anderes tönt wie ein exotischer Klangcocktail oder wie Stimmen der Natur: mit all ihrem Pfeifen oder Rascheln. Doch das Stück entflieht der Realität mit einem furios bruitistischen Finale.

Ähnlich stark wirkt Adriana Hölszkys  Gewitter-und-Sturm-Musik namens „Wirbelwind“. Besonders jedoch lässt „Lamento“ von Marei Seuthe aufhorchen, für Chor, sphärischen Gläserklang und Perkussion. Eine Studie über stimmliche und klangliche Varianten des Aufseufzens, bis hin zum klagenden Schrei. Am anderen Ende einer Skala von Empfindungen steht dann Silvia Ocougnes „Curto Circuito“, ein Stück praller Spielfreude, markiert auf Pfannen, Ententröten und anderen Skurrilitäten.

Diejenigen also blicken nach vorn (und kaum zurück), die sich, wenn schon nicht neue Klänge, so doch innovative Klangkombinationen erarbeiten. Und die sich glücklich schätzen dürfen, professionelle Interpreten an ihrer Seite zu haben. In diesem Fall den Chor „Les Saxosythes“ und die Schlagzeugformation „Splash“. Alle wagen sich an Un-erhörtes und gewinnen viel.

Das mehrteilige Festival „NOW!“ wird fortgesetzt mit einem Konzert des Ensembles musikFabrik am 2. November in der Philharmonie Essen (19.30 Uhr).

Karten unter Tel.: 0201/8122-200

www.philharmonie-essen.de