Ein Dortmunder Stillleben

Vanitas – alles Irdische ist eitel und vergänglich. Dieser Umstand ist auf barocken Bildern hinreichend beschrieben worden. Eine erfrischende Neu-Interpretation erfuhr das Genre nun durch einen unbekannten Installationskünstler auf der Dortmunder Kampstraße. Die Materialien: Mixed Media (Glasflasche, Taubenleiche, Heckenrosen).

Neu ist einerseits, dass der Anonymus organische Materialien verwendete und damit quasi die Dimension der Zeit, die Vergänglichkeit, nicht nur anhand von Symbolen andeutet, sondern gleich damit arbeitete. Schon Stunden später vermutlich wird ein unwissender Flaschensammler oder Straßenreiniger das Arrangement zerstört haben, und wenn nicht, täten Insekten das ihre, das Bild zu zerstören, indem sie das tote Tier schändeten. Auch die Heckenrosen würden verblühen.

Erfrischend ist andererseits die Erweiterung der Symbolik: Statt Geige, Schmuck oder Büchern steht hier die Pilsflasche stellvertretend für jene Dinge, denen wir Wert beimessen. Statt Totenkopf , Sanduhr, Kerze oder welkender Blume symbolisiert eine tote Taube für das jedem Leben immanente Ende. Ein Dortmunder Stillleben.

 

 




Das Geflüster der Dingwelt – Bilder von Giorgio Morandi in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. „Ich habe das Glück gehabt, ein ereignisloses Leben zu führen.“ Das bilanzierende Zitat in der Wuppertaler Ausstellung über Giorgio Morandi (1890-1964) ist typisch für diesen Mann.

Nur äußerst selten ist der scheue Morandi überhaupt aus seiner Heimatstadt Bologna herausgekommen, und die Annalen verzeichnen lediglich eine einzige Auslandsreise – in die nahe Schweiz. Auch seine malerischen Vorbilder (Cézanne, Vermeer, Velazquez) kannte Morandi nur aus Büchern. Zudem hatte er sein Lebtag keinerlei „Frauengeschichten“, weder ehelich noch sonstwie. Nein, nein: Mit Männern war auch nichts. Er lebte einfach immer mit seinen drei Schwestern zusammen und malte, malte, malte.

Eingesponnen in den eigenen Kokon

Und niemals trumpfte er auf, sondern hielt sich stets an bescheidene Bildfonnate. Es ist ein wahrer Sonderling und Hagestolz der Kunst, den das von der Heydt-Museum jetzt mit 126 Exponaten (Ölbilder, Radierungen, Zeichnungen) präsentiert. Auch in den wirrsten Zeiten blieb er unbeirrbar, eingesponnen in den eigenen Kosmos – oder auch Kokon. Über zwei Weltkriege hinweg hielt er seinem schmalen Motivvorrat die Treue: Flaschen, Vasen, Schalen und dergleichen schlichte Behältnisse „bevölkern“ seine Stillleben.

„Natura morta“ (tote Natur) heißt die ausgesprochen kontemplative Schau mit Leihgaben aus vielen Städten, darunter auch Siegen, wo Morandi 1962 den Rubenspreis erhalten hat.Allein diese Ausstellung würde schon den (arg gekappten) Jahresetat des Wuppertaler Hauses überschreiten – und das bereits im Januar. Die Brennscheidt-Stiftung sorgt dafür, dass der Betrieb mehr als ordentlich weiter geht.

Zurück zu Morandi. 1925 entstanden zwei Selbstbildnisse. Doch der Mann, den wir da sehen, wirkt dermaßen zurückhaltend, als wolle er am liebsten verschwinden und sich ungeschehen machen. Weitere Selbstporträts hat Morandi vernichtet. Fortan schuf er nur noch jene Stillleben, die vor allem in den ruhebedürftigen 50er Jahren hohe Geltung hatten und etwa auf den ersten beiden documenta-Schauen in Kassel gezeigt wurden.

Tagelang die Gefäße ordnen

In Bologna herrscht(e) oft Wolkenwetter. Damit hatte Morandi seine liebe Not, war er doch auf perfekte Lichtverhältnisse aus. Tagelang soll er die Gefäße, die er malen wollte, hin und her geschoben haben, bis alles in seinem Sinne stand und das Wetter „stimmte“. Die Bilder entstanden jeweils ganz rasch. Man sieht’s an den Pinselspuren.

Die scheinbar leblosen Dinge werden in erdhaften Farben ganz leise beredt, als wären es doch (verschlüsselte) Selbstporträts, die uns etwas zuflüstern wollen. Auf jede Lichtschwingung und jeden Schattenhauch kommt es hier an. Mal wirken die Gegenstände plastisch, dann wieder breiten sie sich als reine Malereignisse in der Fläche aus. Mitunter erlangen sie gerade zu mystische Qualitäten. Eine stille Weit als Hallraum für ungeahnte Erscheinungen.

Von der Heydt-Museum, Wuppertal (Turmhof 8). 11. Januar bis 7. März. Katalog 39 Euro.




Funkelnd und fruchtig: „Sinn und Sinnlichkeit“ – flämische Barock-Stillleben in der Essener Villa Hügel

Von Bernd Berke

Essen. Die Stillleben-Gattung gilt manchen als öde: Blumen über Blumen häufen sich da; allerlei Speisen, etliche tote Tiere und Krüge oder Trinkgläser füllen die Gemälde. Da regt sich doch nichts.

Doch wer so drauflos denkt, hat diese Ausstellung noch nicht gesehen: Die üppige Schau flämischer Stillleben von 1550 bis 1680, die nun in der Essener Villa Hügel gastiert, ist bunt und fruchtig wie das pralle Leben.

Hinter barocker Wohlstands-Pracht lauert zwar allemal die Vanitas, also Vergänglichkeit. Doch anders als die eher nüchternen Holländer, haben die katholisch geprägten Flamen dieser Einsieht die Krone der Hoffnung aufgesetzt – oft unscheinbar: Eine Ähre über dem Totenschädel, das bedeutete nach damaligem Verständnis die Gewissheit der Auferstehung.

110 Werke aus vielen großen Sammlungen der Welt kann die Kulturstiftung Ruhr jetzt vorweisen. Der entlehnte Titel „Sinn und Sinnlichkeit (Roman von Jane Austen, Verfilmung desselben) trifft den“doppelbödigen Sachverhalt recht gut: Die Bilder sprechen alle Sinne an, und dahinter verbergen sich tiefere Sinn-Schichten, mit denen Kunsthistoriker sich plagen.

Eine Frau bleibt lieber im Hintergrund

Aufschlussreich dargelegt werden auch Grenzbereiche zu anderen Gattungen wie dem Genrebild oder der Historienmalerei. Hier kommt Peter Paul Rubens zum Zuge, von dem u. a. eine wahre Horror-Vorstellung zum Medusa-Mythos zu sehen ist.

Bemerkenswert: Neben all den Brueghels, Hoefnagels und de Heems ist auch eine der seinerzeit raren Malerinnen vertreten: Clara Peeters hielt sich freilich persönlich im Hintergrund. Ein einziges Selbstbildnis hat sie geliefert – mikroskopisch klein als Spiegelung in einem Tischgefaß…

Gründungsbild der Stillleben-Gattung, die anfangs in der künstlerischen Hierarchie als „niedrig“ galt, ist Pieter Aertsens „Speisekammer mit Maria, Almosen verteilend“ (1551). Die Heiligen-Szene rückt hier weit in den Hintergrund, wird beinahe blasphemisch verborgen hinter einem Schweinskopf. Doch nicht das biblische Geschehen sollte geschmäht werden, sondern umgekehrt: Der Künstler staffierte Produkte des Fleischerhandwerks mit Zeichen allerhöchster Würde aus – zwiespältig genug.

Am liebsten in die Bilder beißen

Den frappanten Augentäuschungen, diesen Vexierspielen zwischen Realität und Abbildung (Fachbegriff: trompe l’oeil) widmet man eine eigene Raumflucht. Cornelis Norbertus Gijsbrechts fügte veritable Scharniere und Schlösser in seine Bilder ein – erstaunlich frühe Vorform des neuzeitlichen Materialbildes.

Doch so sehr die Gläser auf manchen Bildern auch funkeln, so mundgerecht die Trauben auch hängen und prangen (hie und da möchte man am liebsten in die Bilder beißen, was natürlich strikt verboten ist), so handelt es sich doch nur selten um bloße Natur-Nachahmung. Vermeintliche Insekten-Forscher unter den Malern haben in Wahrheit vielfach Phantasietiere ersonnen. Und wenn etwa Adriaen von Utrecht für ein Jagd-Stillleben erlegtes Wild arrangiert, so tut er dies ganz im Sinne künstlerischer Komposition, auf dass sich eine „schöne Linie“ ergebe.

Häufig erotische Hintergedanken

Apropos Tiere. Bei den sinnenfrohen Flamen gab es kaum ein Lebewesen ohne erotische Anspielung. In abendlicher Weinrunde hat man damals frivol über derlei Gemälde-Finessen geredet. Gewisse Fisch-Teile verweisen so unmissverständlich aufs weibliche Genital wie Artischocken oder Austern. Kein Witz: Der Hase weckte derbe Hintergedanken ans „Rammeln“, der Vogel gemahnte buchstäblich ans „Vögeln“ Da sieht man doch die Bilder von Fischmärkten und Tafelfreuden gleich mit ganz anders geweiteten Augen…

1. September bis 8. Dezember. Villa Hügel, Essen. Katalog 30 Euro.