Künstlers Erdenwallen zwischen Porno und Designer-Droge – Mülheimer Stücketage begannen mit Rainald Goetz‘ „Jeff Koons“

Von Bernd Berke

Mülheim. Auf der Bühne zappeln „Adam und Eva“ unter lautem Lustgestöhne. „Sie poppen, sie ficken, sie tun es“, kommentiert einer ungerührt übers Mikrofon. Und dann, vollends gelangweilt: „Mein Gott, ist das geil“.

Drastischer Auftakt zum Mülheimer Dramatikerwettbewerb „stücke 2000″: Mit Adam und Eva sind hier Jeff Koons und Ilona Staller („La Cicciolina“) gemeint. Wir erinnern uns: Der US-Trivialkünstler wurde grell berüchtigt, als er seine Orgasmen mit Italiens Porno-Queen zu grässlichen Kitsch-Skulpturen gefrieren ließ. Auch sonst hat er alle Untiefen, der Banalität durchwatet. Inzwischen ist er ziemlich „out“…

Der Dramatiker Rainald Goetz hat sich freilich noch einmal vehement auf den Mythos gestürzt und ihn – in seinem Stück „Jeff Koons“ – unter Wortkaskaden pompös beigesetzt. Goetz (Jahrgang 1954 / knackig betitelte „Werke: „Krieg“, „Irre“, „Hirn“), der auf seine älteren Tage der Techno- und Rave-Szene huldigt, sieht in Koons (geboren 1955) eine Ikone der neueren Künste, sozusagen Andy Warhols Stellvertreter auf Erden.

Immerhin: Das im eigentlichen Sinne „Obszöne“, weil gänzlich Marktgeile einer solchen Kunstkarriere hat auch Goetz leicht angewidert registriert. Ein Überdruss am „Betrieb“ wird spürbar. Künstlers Erdenwallen ist nicht nur feierlich.

Ratternde Textcollage

Lauter Warhols mit unverkennbarem Weißhaar sind es denn auch, die zu Beginn in einer Absteige hocken, immer mal wieder „einen nehmen“ (Dosenbier, Designer-Drogen) und versuchen, der Goetzschen Textfluten Herr zu werden. Da wird gereimt bis zum Irrsinn und rhythmisiert, dass es knattert. Es wechseln Stakkato und Plätschern, Sperrfeuer-Sprache und drangvoll „deutsche“ Innigkeiten. Insgesamt bleibt es diffus. Mögliche Motti bei der Themen- und Satzwahl: „Alles geht“ oder „Einer geht noch ‚rein“.

Es ist, als wolle Goetz sich gleichzeitig in allen Geschossen aufhalten, in Keller und Parterre wie auf dem Dachboden. Er will Wahrnehmungen mitteilen, zudem den Untergrund aufwühlen und auch die höhere, die Meta-Ebene gleich mitliefern. So kommt’s zum ort- und gestaltlosen Hin und Her. Wir tippen mal auf „chemische Beihilfe“ zum Schreiben. Da gäb’s eine hehre Tradition.

In Mülheim war Stefan Bachmanns Inszenierung vom Deutschen Schauspielhaus Hamburg zu sehen. Da Goetz seine Textflächen nicht durch Figuren-Zuordnung eingrenzt und die Szenen-Partikel willkürlich vor- und rückwärts nummeriert, bleiben der Regie manche Freiheiten.

Die kleine Tierschau

Da treten beispielsweise prügelnde und fixende Stadtstreicher in barocken Kostümen samt Perücken auf. Und gegen Schluss lachen wir ratlos über „Rainalds kleine Tierschau“: Von Koons einst auf den Kunstsockel gehobene Comic-Figuren wie der rosarote Panther und allerlei Bärchen versammeln sich hier leibhaftig zur Vernissage, schwätzen erzdummes Tiefsinns-Zeug über Kunst und erzeugen ein abstraktes „Bild“ mit ihren diversen Körperausscheidungen.

Auch die Euphorien und Schaffenskrisen des Künstlers Koons alias „Adam“ (Oliver Mallison) geraten zur Groteske; der Mann will sich die Ideen aus dem Kopf graben und muss sie sich dann im Doppelsinne aus dem Kopf schlagen. Josef Ostendorf, der Darsteller, der die Aufführung dominiert, nimmt als Kommentator dem Geschehen gottlob jene Weihe, die im Text noch wabert.

Das unbändige Johlen beim Schlussbeifall kam wohl von jenen, die das Schrille geil finden und das Geile krass – oder so ähnlich. Bis zum 24. Juni folgen noch sechs Stücke im Wettbewerb. Es bleibt also Hoffnung.




Raserei bis zum Stillstand – Mülheim: Acht Mini-Dramen von illustren Autoren uraufgeführt

Von Bernd Berke

Mülheim. Es klingt fast wie ein Witzanfang: Kommt ein Mann ins dunkle Theater und irrt fluchend umher. Oder: Kommt ein Mann zum Arzt und redet lauter Unsinn. Wie Blitzlichter flackern gleich acht solcher Mini-Dramen an den Zuschauern vorüber.

Illustre Autoren haben zur Uraufführung beigetragen, nämlich acht frühere Preisträger des Mülheimer „Stücke“-Wettbewerbs: Herbert Achternbusch hat eine Zahnarzt-Groteske beigesteuert, Klaus Pohl führt uns an eine ostdeutsche Bushaltestelle, Oliver Bukowski liefert einen rotzigen „Prolo“-Monolog. Sogar der sonst auf Distanz bedachte Höhenwandler Botho Strauß ist dabei.

Binnen Minuten ist jeder Teil abgetan, das Ganze hat die Länge eines Fußballspiels. Man fühlt sich wie beim Zappen am TV-Gerät. Der Schnellgang über den dramatischen Laufsteg, für eine einzige Aufführung inszeniert von Thirza Bruncken, heißt im Obertitel „Erdball, Lichtgeschwindigkeit, Los los“. Da ist der gehetzte Grundton angestimmt, der den meisten Mini-Stücken eigen ist und der von der manchmal etwas ra(s)tlosen Regie szenisch ausgereizt wird.

Aus der Zeit geschleudert

Ein gemeinsames Thema, ja ein Daseins-Befund des Autoren-Oktetts zeichnet sich schemenhaft ab: Praktisch alle Figuren sind irgendwie aus der Zeit, aus der „globalisierten“ Welt hinaus geschleudert worden, da laufen die Uhren auch schon mal rückwärts. Doch zumeist herrscht sinnlos in sich selbst rasender Stillstand; bis zum Schlusspunkt der Historie: Werner Buhss („Vollklimatisiert“) lässt drei Astronauten im erinnerungslosen Nichts schweben – am Ende jeder menschlichen Geschichte.

Gelegentlich geht’s so albern zu wie beim ComedyWettbewerb: George Tabori lässt in „Sprechstunde“ schläfrige Altmännerscherze vom Stapel, Herbert Achternbuschs „Frau Sägebrecht“ wirkt wie Slapstick aus der Muppet-Show, jeder Satz kollert wie Zufall hervor – und doch quillt ein Quäntchen Poesie heraus. Urs Widmers „Schnell und träge“ klingt wie trotziges Kindertheater. Atemloses Aufhorchen eigentlich nur bei Botho Strauß, der in wunderbarer Sprache die bedrängende Vision einer Fabrik entwirft, in der alles Leben unter den besinnungslos produzierten Waren erstickt wird…

Im Grunde war’s eine hübsche Idee zum Auftakt der 25. Stücketage. Doch viel mehr als ein Pröbchen ist es denn auch nicht geworden. Der Beifall – uralter Theaterscherz – war „endenwollend“.