In Mülheim mag man’s gern monströs: Dea Loher erhält für „Adam Geist“ den Dramatikerpreis

Von Bernd Berke

Mülheim/Ruhr. In Mülheim mag man’s gern monströs: Die sechsköpfige Jury des Dramatikerwettbewerbs „stücke 98″ plagte sich am Ende nur noch mit den zwei längsten und sperrigsten von acht Beiträgen herum. Zuvor hatte man alles halbwegs Bekömmliche aussortiert. Gewogen und zu leicht befunden.

Gegen 1 Uhr nachts stiegen die imaginären Rauchzeichen auf, und Moderatorin Sigrid Löffler konnte das Resultat verkünden: Dea Lohers fast fünfstündige Passionsgeschichte „Adam Geist“ wurde mit fünf Jury-Stimmen gekürt, Elfriede Jelineks fünfeinhalbstündiges „Sportstück“ kam mit einem Votum auf Rang zwei. Da half es wenig, daß Frau Jelinek in der Publikumsgunst an den Abstimmungsurnen ganz vorn lag.

Die Jurorin Ursula Rühle (Dramaturgin in Köln) hatte vielleicht das entscheidende Stichwort in die Debatte geworfen, als sie sich generell für Stücke aussprach, die „das Theater überfordern“. Und die Zuschauer nicht minder, möchte man seufzend hinzufügen. Denn der über alle Maßen anstrengende Leidensweg des „Adam Geist“ kommt ohne jede Entwicklung aus. Es werden lediglich Stationen der Peinigung abgeschritten. Wenn man nicht schon zur Pause die Stätte des Mißvergnügens verlassen hatte (was etliche Zuschauer vorzogen), so sah man hier der ausgiebigen Zerstörung einer Figur zu, die eben von vornherein keine Chance hat.

Sei s drum, Mitgefühl ist nicht erwünscht, ja geradezu verboten: Andreas Kriegenburg vom Schauspiel Hannover meinte zu seiner „Adam Geist“-Inszenierung, Mitleid erwachse nur aus Bequemlichkeit, es habe –man beachte – keine „revolutionäre Dimension“, man solle derlei Rituale dem Fernsehen überlassen, das Theater habe anderes zu tun. Hört sich ein wenig töricht an, oder?

In der Gesamtschau aller acht Beiträge fiel die stark monologische, gelegentlich gar autistische Struktur der meisten Stücke auf. Der Verzicht auf Handlung ist fast schon die Regel, und man horcht bereits gespannt auf, wenn Figuren einmal miteinander sprechen, wenn sich dramatische Konflikte in Rede und Gegenrede entfalten. Statt dessen gab’s oft wuchtige Symbolik, weitschweifige Litaneien und Selbst-Erklärungen, gelegentlich mit lyrischer, aber eben kaum theatralischer Qualität.

Noch eine harte Maßnahme aus Hannover

Immerhin konnte sich diesmal niemand über männliche Dominanz beschweren: Als sei eine Quotenregelung in Kraft, stammten jeweils vier Stücke von Frauen (Loher, Jelinek, ~ Kerstin Specht, Simone Schneider) und vier von Männern (Oliver Bukowski, Volker Ludwig, Daniel Call, Albert Ostermaier). Bezeichnende Einlassung der Jury: Oliver Bukowskis Text „Nichts Schöneres“, der (ohne Anbiederung) vielleicht publikumswirksamste von allen, werde gewiß an vielen Häusern aufgeführt, er habe mithin keine Preis-Förderung mehr nötig. So kann man s auch wenden .. .

Vor derJury-Diskussion war mit Albert Ostermaiers „Tatar Titus“ (erneut eine harte Maßnahme des Schauspiels Hannover) der letzte Beitrag über die Bühne gegangen, auch dies überwiegend ein ungebremster Monolog der Sprach-Zertrümmerung. In einem gottlob nur einstündigen Konzentrat wird (Shakespeares „Titus Andronicus“ folgend) die Anfälligkeit von Autoren für die Macht, die prekäre Allianz zwischen Schwert und Schrift erwogen, genauer: schwerwiegend gewälzt.

Ostermaiers (unbewältigtes) Vorbild Heiner Müller lugt durch jede dritte Zeile. Viel Ausdruckswille, wenig eigene Substanz. Als Lesetext mag s angehen. Doch auf der Bühne ist’s Anti-Drama und Theaterentleerungs-Theater, das nur dem eigenen Klang nachhorcht. Wäre nicht der Darstelle! Hannes Hellmann gewesen, der die uferlosen Textflächen hie und da zur Reibung brachte, so hätte man noch mehr gelitten.




Leibesübung für den Krieg – Elfriede Jelineks „Sportstück“ beim Mülheimer Dramatikerwettbewerb

Von Bernd Berke

Mülheim. Freunde militärischer Zucht könnten ihre Freude an dieser Inszenierung haben: Regisseur Einar Schleef muß bei den Proben ein echter Schleifer gewesen sein, so zackig hat er die Hundertschaft der Mitwirkenden in Elfriede Jelineks „Ein Sportstück“ gedrillt.

Die fünfeinhalbstündige „Kurzfassung“ des Stücks, das bei manchen Theaterfreaks mittlerweile Kultstatus genießt, ging am Sonntag ins Rennen um den Mülheimer Dramatikerpreis. Ein Ereignis war’s allemal.

Gellende Trillerpfeife, markiger Schrei: „Achtung – fertig – los!“ So werden die ausgiebigen Haßtiraden auf jedwede Ertüchtigung gestartet, denn: Im Sport, so findet Frau Jelinek, wird der Körper als Hochleistungsmaschine gepanzert und zugerichtet für jederlei brutale Konkurrenz, er wird letzten Endes kriegstauglich gemacht. Sport ist Mord, das Trikot eine Uniform. Ob dies in Zeiten von Computer-Schlachten noch das einzige Problem ist, sei dahingestellt. Immerhin geht’s bei Jelinek auch um den technikgerechten Umbau des Leibes.

Die Autorin breitet eine reichhaltige Beweisführung zur Gewaltsamkeit gestählter Körper aus. Familienpsychologische Aspekte (Mütter verlieren ihre Söhne an Sport und Militär, wie denn überhaupt Frauen meist Leid-Tragende sind) kommen ebenso in Betracht wie rabiates Fan-Wesen, Aufpeitschung durch Medien und Zeitgeist-Moden wie diverse Fitness-Umtriebe. Und immer droht der Faschismus.

Jelineks Text besteht vornehmlich aus einer Reibung gedehnter Monologe, vermutlich ist er eher zum Lesen als für die Bühne geeignet. Die präzis komponierte und formstrenge Sprech-Partitur besitzt freilich enorme rhythmisch-lyrische Qualitäten und setzt durch einige Kalauer hie und da erstaunlich selbstironische Akzente.

Auch das Theater hat seine Südkurve

Die rhythmischen Elemente hat Einar Schleef, den sich Frau Jelinek als Regisseur am Wiener Burgtheater gewünscht hatte (bevor sie ihn verwünschte), ins Monströse gesteigert. Die Hauptlast der Textmassen stemmen bei ihm vielköpfige Chöre, die zumeist im Turndreß anzutreten haben. Deren Bewegungs- und Sprecheinsätze klappen auf die Hundertstelsekunde genau.

Also vernimmt man ungeheure Dauer-Salven, als sei’s ein ratternder Rap-Gesang. Und es fließt so viel Schweiß, daß man wahrlich von Theater-Spitzensport reden kann. Die längste Chorpassage dauert ohne Atempause fast 40 aggressionsgeladene Minuten, sie provozierte in Mülheim zunächst höhnisches Klatschen und „Aufhören! „-Rufe, hernach aber auch Jubel wie im Stadion. Das Theater hatte diesmal seine Südkurve.

Freilich geht die Entlarvung faschistoider Züge des Sports bei Schleef einher mit Anfälligkeit für faszinierende Momente dessen, was im Stück gegeißelt wird. Einige Szenen haben einen Beigeschmack von „Reichsparteitag“. Hoffentlich sind nicht zu viele Auslandsgastspiele geplant. Ohne Sprachkenntnisse könnten sie andernorts denken, daß „es“ bei uns wieder losgehe…

Einmal bleibt der Chor ganz stumm

Allerdings erschöpf sich die Inszenierung, die Jelineks Text machtvoll hervortreibt, dann aber wieder unter sich begräbt, nicht nur in solchen zwiespältigen Exerzitien. Sie erinnert phasenweise auch an eine gravitätische Messe nach exakten liturgischen Vorgaben, verarbeitet Einflüsse neuen Tanztheaters, schaufelt zusätzliche Materialien (Kleist, Hofmannsthal) herbei und entwirft grandiose Szenenbilder.

Ja, der Abend hat sogar meditative Momente. So sitzt uns der Chor, als gehöre er einer eingeschworenen Sekte an, einmal in schwarzer Einheitskleidung minutenlang stumm gegenüber. Ein Psycho-Trick, mit dem die Zuschauer auf eigenes Denken und Verhalten verwiesen werden? Da haben wir ihn nun, den Grübelstoff für die nächsten Wochen. Man darf gespannt sein, wie die Jury den Text bewertet.




Chaos in Küche und Kneipe – Stücke von Volker Ludwig und Kerstin Specht beim Mülheimer Dramatikerwettbewerb

Von Bernd Berke

Mülheim. Oft ist das Theater seiner Epoche voraus, doch manchmal hat es Mühe, mit dem Lauf der (technischen) Welt Schritt zu halten. Da keimt die Versuchung, Zeitnähe durch Äußerlichkeiten zu bekunden. Nimmt man die Auftakt-Ereignisse des Mülheimer Dramatikerwettbewerbs „stücke 98″ zum Maßstab, so geschieht dies vorzugsweise durch den Bühnen-Einsatz von Mobiltelefonen.

Sowohl in Volker Ludwigs klotzigem Berliner Szene-Musical „Café Mitte“ (Grips-Theater, Regie Rüdiger Wandel) als auch in Kerstin Spechts unaufdringlich frauenbewegtem Küchenmärchen „Die Froschkönigin“ (Staatstheater Stuttgart, Regie Markus Trabusch) zirpen die Handys. Ludwig gewinnt dem Auftritt telefonierender Wichtigtuer die wohl beste Gesangs- und Tanznummer des Abends ab, bei Specht vibriert der schnurlose Quälgeist so unvermittelt, daß manch ein Zuschauer schuldbewußt in die Jackentasche greift.

Trostlosigkeit mit Staubsauger

Lange vor dem Handy ertönt in „Die Froschkönigin“ das Geräusch des Staubsaugers als Signatur trostlosen Hausfrauendaseins. Mutter (Helga Grimme) macht mal wieder sauber. Dann wickelt sie behutsam das Kabel auf, stellt die Küchenstühle zurecht, steigt auf einen hinauf – und legt ihren Hals in einen Strick, der von der Decke baumelt. Doch nicht einmal das klappt.

Das Stück versinkt nun keineswegs im Sumpf der Depression, sondern schnurrt ab wie eine Spieluhr. Gewiß steckt Sarkasmus dahinter, doch leichtfüßig hangelt sich Kerstin Specht an Grimms Märchen vom „Froschkönig“ entlang. Vollends verdichtet wird der Stoff freilich nicht, es bleibt bei schön beiläufig auf gereihten Miniaturen.

Einfach Frau sein ohne Last

Die verwitwete Mittvierzigerin bedient ihre beiden unverschämten Nesthocker-Kinder und jenen Faulpelz Stefan König (Klaus Weiss), der sich bei ihr einnistet. Auf sein Geheiß sorgt sie als Hellseherin fürs Einkommen. Wüßte sie doch auch fürs eigene Leben Rat! Ihr Tagtraum: „einfach Frau sein“ ohne Last. Den erfüllt sie sich am Ende durch beherzte Flucht in eine Versorgungsehe mit Kreditkarten-Zugriff. Wenn schon (anders als im Märchen) das Wünschen nicht mehr hilft, muß frau eben zusehen, wo sie bleibt…

Zuvor hatte man dreieinhalb Stunden in Volker Ludwigs Kneipe „Café Mitte“ zugebracht – oder soll man sagen: vergeudet? Berlin köchelt hier im eigenen MetropoIen-Saft, harmlos und Tourismus-tauglich. Der Autor hat alles zum Chaos verrührt, was im Handbuch wohlmeinender Sozialpsychologen steht: Ossi-Wessi-Reibereien, Punks, Skins, Fixer, Russenmafia, Multikulti-Sehnsüchte und mehr. Das meiste klingt, als sei Ludwig mit den erstbesten Dialogen zufrieden gewesen. Hier gibt s fast alles zum Einstiegspreis.

Eine Botschaft wie von Guildo Horn

Die angejazzte Rockmusik (Uli Buhl), lauer Querschnitt durch diverse Jahrzehnte, kann dem Kuddelmuddel um die Straßenkinder Keule, Schnuffi und Ratte nicht aufhelfen. Hätten ihre Eltern sie nur richtig liebgehabt (so eine fast schon Guildo-Horn-verdächtige Botschaft), dann wären sie allemal glücklicher. Und hätte das Grips-Theater nicht bleibende Verdienste angehäuft, so müßte man auch einige Darsteller schelten. Lassen wir das. Nur dies: Sollte Ludwigs Stück gewinnen, so schicken wir 1999 Bruno Knusts umgekrempelte „Dortmund-Revue“ ins Rennen. Dann rappelt’s im Karton.

Ganz anders wird’s am Sonntag zur Sache gehen. Dann gibt es für gestählte Zuschauer Einar Schleefs mit Spannung erwartete fünfstündige Kurzfassung (!) des „Sportstücks“ von Elfriede Jelinek. Die hat soeben den Büchnerpreis bekommen. Legt die Mülheimer Jury vielleicht noch etwas drauf?