Wie man im Ruhrgebiet spart – und kassiert

Dortmund ist ziemlich arm dran. In fast allen Statistiken, die Gutes besagen, liegt die westfälische Großstadt hinten (neuerdings sogar in der Bundesliga-Tabelle); wenn’s hingegen prekär wird, mischt die arg verschuldete Kommune zumeist in der Spitze mit. Doch es gibt hier auch einige, die ausgesorgt haben.

Beispielsweise Guntram Pehlke, Chef der Dortmunder Stadtwerke (DSW21). Der Mann wird auch im bundesweiten Vergleich überaus ordentlich bezahlt. Laut „Ruhr Nachrichten“ (RN) vom 3. Dezember 2014 liegen bei ihm derzeit jährlich 442 389,77 Euro an – mit allen Zusatzleistungen. Pehlkes Kollegen in Düsseldorf, Hamburg oder Stuttgart liegen weit unterhalb seiner Einkünfte. Nun soll, wie die RN weiter berichten, sein Vertrag auch noch in Windeseile vorzeitig verlängert werden, was wiederum mit weiteren Vergünstigungen verbunden wäre.

Wenn's nach einigen politischen Platzhirschen geht, wird das Damwildgehege im Dortmund Süggelwald geschlossen. Esparnis: gerade mal 4500 Euro im Jahr. (Foto: Bernd Berke)

Wenn’s nach einigen politischen Platzhirschen geht, wird das Damwildgehege im Dortmunder Süggelwald geschlossen. Esparnis: gerade mal 4500 Euro im Jahr. (Foto: Bernd Berke)

Pehlke gehört als einstiger SPD-Schatzmeister im Unterbezirk Dortmund und als früherer Stadtkämmerer zu den Parteigenossen, die in Dortmund (und überhaupt im Ruhrgebiet) immer mal wieder an die Spitze kommunaler Unternehmen geraten.

Ob Energieversorger, Entsorgungsbetriebe, (stark defizitärer) Flughafen, Stadtsparkasse oder Messe/Westfalenhallen – stets steigen die Chancen auf lukrative Dortmunder Chefposten mit SPD-Parteibuch erheblich. Gewiss, andernorts gibt es Filz und Klüngel im Zeichen der CDU. Doch das Revier ist eben vorwiegend ein Selbstbedienungsladen für manche Sozialdemokraten. Ein Jammer für die vormals stolze Partei.

Das TV-Magazin „Monitor“ hat kürzlich (Ausgabe vom 20. November 2014) recherchiert, dass ausgerechnet die Ruhrgebietsstädte national meist weit vorn liegen, wenn es um kommunale Chefgehälter geht. Als Boss der Entsorgungsbetriebe kann man in Essen oder Dortmund deutlich mehr kassieren als etwa in Berlin oder Hamburg.

Bei der Dortmunder Entsorgungsgesellschaft EDG verdienen laut „Monitor“ drei (!) Chefs je etwa 266000 Euro, für ähnlich gelagerte Aufgaben reicht in Stuttgart ein Geschäftsführer, dessen Tätigkeit mit vergleichsweise bescheidenen 125000 Euro vergütet wird. Weitere verblüffende Einzelheiten sind auf der Monitor-Homepage nachzulesen.

Unterdessen muss die durch immense Sozialkosten gebeutelte Stadt ihre sonstigen Leistungen stetig reduzieren. Ein besonders groteskes Beispiel, wenn man mal vom schleichenden (und bald galoppierenden?) Kulturabbau absieht: Gerade mal 4500 Euro will Dortmunds Stadtkämmerer Jörg Stüdemann durch Schließung eines Damwildgeheges im Süggelwald (Stadtteil Eving) einsparen. Auch auf der Homepage der Stadt wird das Gehege bis heute als Möglichkeit für ansonsten vielfach benachteiligte Kinder der Nordstadt beworben, quasi in ihrer Nachbarschaft Tiere im naturnahen Raum zu erleben.

Egal. Der Posten soll gestrichen werden. Und was wird aus den Tieren? Da könnte man die polemische Frage stellen, ob anschließend noch der Wildbraten auf dem Tisch kommunaler Honoratioren kredenzt wird. Vielleicht gar beim nächsten Empfang des SPD-Oberbürgermeisters Ullrich Sierau?

Aber mal im Ernst: Drängt sich denn nicht die Idee auf, mit den Sparmaßnahmen auch bei den besagten kommunalen Spitzengehältern anzusetzen? Schon allein, um mal ein Signal zu setzen.

Unterdessen sehen sich die Städte des Ruhrgebiets gezwungen, auch noch Menschen abzuschrecken, die vielleicht trotz alledem hierher ziehen wollen – mit exorbitant steigenden Hebesätzen für die Grundsteuer B. Wie die WAZ heute berichtet, könnten ohnehin schon weniger attraktive Orte wie Duisburg und Witten, die eh schon Einwohner verlieren, auf diesem Gebiet demnächst Spitzenpositionen einnehmen. Duisburg hätte dann einen fast doppelt so hohen Hebesatz wie das benachbarte Düsseldorf, Witten könnte gar bundesweiter Spitzenreiter werden und selbst Berlin überflügeln. So gut wie alle Revierbürer sind betroffen. Per Umlage wirkt sich die Grundsteuer auch mietsteigernd aus.

Vor der Zukunft einer Region, in der just morgen das allerletzte Opel-Fahrzeug vom Bochumer Band laufen wird, kann einem gelegentlich angst und bange werden.




Tanz mit der Waldfee: artscenico-Projekt im Dortmunder Wald

Foto: dman

Foto: dman

Natürlich ist darstellende Kunst immer flüchtig. Wer an verschiedenen Tagen das gleiche Theaterstück sieht, wird niemals exakt das gleiche sehen. Die Inszenierungen von artscenico allerdings sind besonders flüchtig. Denn die Dortmunder Künstlergruppe um Rolf Dennemann setzt nicht nur Menschen, sondern vor allem Orte in Szene.

Sie macht die Besucherinnen und Besucher zum Teil der Performance. Sie produziert Bilder, die man anhalten möchte, weswegen man hilflos zur Smartphone-Kamera greift. Und sie sorgt für eine fast exklusive Einmaligkeit des Kunst-Erlebnisses: Selten sind artscenico-Produktionen häufiger als vier, fünf Mal zu sehen. Wer dabei war, kann noch lange davon erzählen.

Industrierelikte und Hotelzimmer, Bauernhöfe und Schrebergärten hat artscenico bereits inszeniert. Am vergangenen Wochenende ging es in den Evinger Süggelwald, der, wie die Ankündigung verrät, seinen Namen den Schweinen verdankt, die die Bauern früher in den Wald trieben. „4rest“ ist ein Tanzprojekt in der rauen Natur, ein Spaziergang, der den Besuchern im weichen Licht der Dämmerung eine Ahnung von den Geheimnissen des Waldes vermittelt. Konzept und Choreografie stammen von der Kölner Choreografin und Tänzerin Photini Meletiadis.

Eine Frau im leuchtend Grünen Kapuzenpullover mit einem aus Korb geflochtenen Spiel-Ball lockt die Besucher in den Wald, wirft ihren Ball – und scheucht damit eine Gruppe Waldwesen auf, die blitzschnell davonschwirren. Wer sind sie? Und wohin? Die Spurensuche beginnt, angeleitet von der elfenhaften, milde lächelnden Frau in Grün – eine Vermittlerin zwischen den Welten, die die Aufmerksamkeit bald auf eine Lichtung, bald auf einen besonderen Baumstamm lenkt. Immer wieder hält sie an, horcht in den Wald – und der Zuschauer hört erst den Kuckuck rufen und sieht dann eines dieser scheuen Wesen in sicherer Entfernung im Dickicht hocken. Die eine scheint ihr Baby zu schaukeln. Eine andere ist offenbar auf Nahrungssuche. Eine dritte verfängt sich in einem Netz – oder webt sie es? Die Zuschauer flüstern, das Laub raschelt, die grüne Fee lächelt, der Wald kühlt und tut gut.

Foto: dman

Foto: dman

Mehr und mehr verlieren die Waldwesen ihre Scheu, kommen näher, scheinen neugierig auf die vielen Besucher, die nun zum Teil der Inszenierung werden: Einige bekommen aus Wald-Fundstücken liebevoll gefertigte Puppen geschenkt. Andere werden zu Bäumen geführt, um sie zu berühren und zu umarmen. Dann nehmen sich alle an die Hand, werden von den Wesen weitergeführt und stehen plötzlich vor einem gedeckten Tisch: Es gibt Weintrauben, Kirschen, Kokosnuss und Wasser aus Paprika-Bechern.

Offenbar sind die menschlichen Besucher nun im Wald akzeptierte Gäste, sie werden bewirtet und dürfen die harmonisch fließenden, fast symbiotischen Tänze der vier Frauen (Photini Meletiadis, Susanne Grau, Geraldine Rosteius, Kathrin Wankelmuth) auf offener Wiese anschauen. Es geht noch tiefer ins Gehölz, zu riesigen Pilzen an Baumstämmen oder versteckten, überraschend sonnendurchflutete Lichtungen, in denen plötzlich die gelb gewandtete Waldfee wie ein Engel erscheint und die Zuschauer fast blendet.

Kein Wort wird gesprochen, kein Konflikt aufgebaut und gelöst, keine Geschichte erzählt. Oder doch: Die von der Schönheit und Harmonie des Waldes, der in dieser Inszenierung nicht die Bühne bildet, sondern quasi das Drehbuch, zumindest die Regieanweisungen liefert. Der Spaziergang endet in einem Gehege, aus dem Steeldrum-Klänge kommen. Die Besucher dürfen eintreten und sind dem Tanz der Naturwesen nun ganz nah. Die Choreografin hat eine Tanz-Sprache des Waldes entwickelt, die sie sich bei Feen abgeschaut haben muss: Behutsam, aber auf der Hut, eingebunden in die Gruppe, aber jeder für sich.

Ein traum-hafter, phantastischer und Phantasie anregender Abend – der leider niemals wiederholt werden wird…