Gastspiel bei der RuhrTriennale: Suzanne Vega und ihre kostbaren Etüden der Traurigkeit

Bernd Berke

Duisburg. Nebenan in Oberhausen rockten die betagten Rolling Stones, gleichfalls nahebei in Essen legte der Rapper Eminem los – jeweils vor Zigtausenden. Da hieß es: Sich fuchsig durchschlängeln auf den Revier-Autobahnen, um rechtzeitig von Dortmund bis zum Landschaftspark Duisburg-Nord zu gelangen.

Hier geht es intimer und erlesener zu, zumal es sich um eine Veranstaltung der RuhrTriennale handelt: In der imposanten Gießhalle tritt Suzanne Vega auf, die vielleicht kreativste Songschreiberin der letzten Jahre. Als Gitarrist steht ihr der Jazzer Bill Frisell zur Seite, der die gesamte angloamerikanische Abteilung des Triennale-Programms „Century of Songs“ betreut. Die Begleit-Band wurde eigens für die beiden Auftritte am Freitag und gestern Abend in Duisburg formiert.

Das schutzlose Kind schaut hervor

Das Programm, das in dieser Besetzung und Abfolge nie wieder erklingen wird, haben sie in gerade mal drei Tagen einstudiert. Ein Hauch von Exklusivität. Die 1959 geborene Amerikanerin mit den apart rötlich schimmernden Haaren wirkt noch immer mädchenhaft. Wie keine Zweite lässt sie hinter einem zuweilen herben Gestus – das schutzlose Kind in sich durchscheinen. Sie singt vorwiegend von allerlei Trennungen, Einsamkeiten und Ängsten. Mit samtig-seidener Stimme trägt sie verhaltene, kunstvoll in sich selbst versponnene Etüden der Traurigkeit vor.

Derlei melancholische bis verzweifelte (und manchmal trotzige) Gefühls-Nuancen hat Suzanne Vega auch in den Schöpfungen anderer Songwriter aufgespürt. Deren Lieder streut sie ins eigene Schaffen ein, z. B. Bob Dylans „It’s alright, Ma“, dem freilich in ihrer Interpretation die Schärfe des Originals fehlt. Hierfür ist sie ebenso wenig gerüstet wie für „Mack the Knife“ („Mackie Messer“, Brecht/Weill).

Viel lieber, weil vom Habitus her ungleich passender, hätte man etwa Songs von Leonard Cohen (vielleicht gar „Suzanne“?!) von ihren Lippen gehört. Doch Werke des Kanadiers stehen hier nicht auf dem Zettel.

Große Momente mit „Erie Canal“ und „Behind Blue Eyes“

Hingegen entlockt sie „Behind Blue Eyes“ von Pete Townshend („The Who“) oder dem Kinderlied „Erie Canal“ ganz neue, schwebende Qualitäten. Es sind die leider etwas raren, ganz großen Momente dieses Konzerts.

Überhaupt ist Vegas Sache nicht eine Musik des Immer-weiterVoranschreitens bis zum Ende der Welt, wie es einen etwa bei Neil Young erfasst und mitnimmt. Vielmehr verwehen ihre Refrains; zuweilen ins gänzlich Freie, manchmal in beinahe tonlose Regentags-Resignation.

Den Schwerpunkt des Abends bilden Suzanne Vegas eigene Songs – von „Marlene on the Wall“ über „Penitent“, „Gypsy“ und „Caramel“ bis hin zu ihren größten Erfolgen „Tom’s Diner“ und „Luka“.

Eigentlich sollten diese Kostbarkeiten im Zusammen- oder auch Widerspel mit Bill Frisell gänzlich neu arrangiert werden. Doch Frisell hat sich wohl freundlich gefügt, er tupft nur sparsame Arabesken hinzu. Aus den Wandlungsprozessen wird nahezu nichts. Offenbar hat sich Suzanne Vega auf nichts Unerhörtes einlassen wollen.

Also bleiben ihre Texte und Noten weitgehend „unbeschädigt“. Für sich betrachtet, sind sie ja auch ziemlich perfekt. Zudem kann man ihr Beharren gut verstehen: Vega ist Vega, und die Anderen sind eben die Anderen. Nur das sorgsam Ausgesuchte kann sie sich anverwandeln. Das geht halt nicht in wenigen Tagen.

 




Suzanne Vega: Eine gewisse Melancholie

Von Bernd Berke

Münster. „Don’t be shy! Express yourself!“ – Seid nicht schüchtern, geht aus euch heraus! Die New Yorker Rocksängerin Suzanne Vega wollte ihr Publikum verbal anstacheln. Doch wie, bitteschön, hätten die Leute ihre Musikbegeisterung in dieser kreuzbraven Halle Münsterland mit ihrer aufgereihten Bestuhlung Ausdruck verleihen sollen?

Außerdem ist Suzanne Vega selbst keine Frau von extrovertierter Art. Wenn sie beim Singen mal die Knie bewegt, ist das schon viel. Nur manchmal glaubt man bei ihr eine kleine, fast diebische Freude an der eigenen Musik zu verspüren. Ihre Intensität liegt woanders: in einer leicht neurotisch angehauchten Innerlichkeit. Angetan mit einer Kluft zwischen Uniform und Schulmädchenkleid (weiße Söckchen) steht sie auf der Bühne. Blaß, zerbrechlich, aber irgendwie standhaft und tapfer.

Suzanne und ihre erprobte Band (klassische Gitarrenrock-Besetzung) bringen einen soliden Querschnitt durch die bisherigen drei LPs/CDs: „Suzanne Vega“, „Solitude Standing“, „Days of Open Hand“; Hits wie „Luka“ und „Book of Dreams“ inklusive. In der vielleicht besten Passage des Abends singt Suzanne Vega aber ohne Band, unter anderem einen kleinen Folksong aus ihrer Schulzeit.

Nicht jeder ihrer eigenen Songs ist eine kreative Öffenbarung, manche Elemente wiederholen sich. Doch jede Nummer stammt unverwechselbar von ihr, jede trifft traumwandlerisch einen gewissen melancholischen Ton, jede für sich ist anhörenswert – und manch eine schlicht und ergreifend schön.

Eineinhalb Stunden dauerte das Konzert. Für ausschweifende Zugaben reicht das Songmaterial noch nicht aus. Nicht nur die Dauer, auch die Art der Präsentation wirkt ein bißchen abgezirkelt. Alles klingt live genau wie auf Platte. Manche mögen das, sie wiederhören. Aber die Spontanität bleibt etwas auf der Strecke.

Trotz solcher Einwände: Suzanne Vega gehört zum Originellsten und Echtesten, was die Rockszene Anfang der 90er zu bieten hat.