„Das Buch von der fehlenden Ankunft“ – Verlust, Fremdheit und Aufbegehren in den Gedichten Lina Atfahs

Die 30-jährige Syrerin Lina Atfah lebt heute in Herne und genießt in Deutschland vor allem die wiedergefundene Meinungsfreiheit, zu der die unzensierte Publikation ihrer Lyrik sicher gehören dürfte. Mit einer Sammlung 23 meist langer Gedichte hat sie jetzt auch hierzulande nachdrücklicher auf sich aufmerksam gemacht, nachdem die  schriftstellerische Arbeit der Newcomerin seit längerem gefördert wird und eines ihrer Gedichte bereits in die Frankfurter Anthologie der FAZ aufgenommen wurde.

Aus Syrien nach Herne gekommen: Lina Atfah (Foto: © Osman Yousufi)

Lina Atfah erhielt zudem den Kleinen Hertha-Koenig-Literaturpreis, sie schrieb für die ZEIT, erhält bundesweit Einladungen zu Podien und Lesungen, sie liest ihre Gedichte per YouTube-Channel, ist gefragte Interviewpartnerin und namhafte Lyriker übersetzen ihre Texte. Von „fehlender Ankunft“ dürfte – was ihre Biografie angeht –  also weniger zu reden sein als von den dennoch bestehenden Schwierigkeiten des Ankommens und den Traumata der Herkunft.

Zu den Schwierigkeiten einer jeden Migrantin jedenfalls gehören Asylbürokratie, das Sich-Zurechtfinden in einer anderen Kultur ebenso wie die Teilnahme an oft wenig erwachsenengerechten Deutschkursen. „Auf Arabisch kann ich die Sprache am Nacken greifen, aber auf Deutsch bin ich ein Kind“, merkte Atfah bei den RuhrNachrichten an. Allerdings geht es deutschsprachigen Lesern mit Atfahs Gedichten nicht so viel anders. Atfahs anspielungsreiche und arabischen Traditionen verpflichtete Gedichte muss man mindestens zweimal lesen und selbst dann bleiben sie einem in großen Teilen fremd, wie auch Lina Atfah selbst das Syrien des Assad-Regimes und des Krieges immer fremder wurde.

„… der Abschied verlief wie ein Verkehrsunfall“ (Lina Atfah im Gedicht „Am Rande der Rettung“)

2014 endlich reiste Atfah aus, über Beirut nach Deutschland, ihrem Mann nach, der bereits ein Jahr in Deutschland lebte. Vorläufige Schlussszene einer Geschichte, die lange zurückreicht: 2006 hatte man der begabten Sechzehnjährigen in einem Verhör dringlich angeraten, nicht einmal indirekt weiter über Diktatur oder Religion zu schreiben. Die Vorwürfe lauteten: Gotteslästerung und Staatsbeleidigung, sie erhielt Auftrittsverbot. Atfah, die auch für Zeitungen und Kulturmagazine schrieb, wusste, dass sie irgendwann  Syrien würde verlassen müssen. In ihrem Gedicht „Die Katze des Propheten“ finden sich Zeilen, die nicht zuletzt für sie selbst gegolten haben dürften: „Ich ließ die Vögel in meiner Kehle frei, um nicht an ihren Federn zu ersticken.“

Projekt „Weiter Schreiben“

In Deutschland fand Lina Atfah trotz aller Hindernisse bald auch jene Momente der Ermutigung, die sie als junge Autorin dringend benötigte. So konnte sie seit 2017 auch am Projekt „Weiter Schreiben“ teilnehmen, das sich der Unterstützung exilierter Autorinnen und Autoren verschrieben hat:
„Für Schreibende ist es elementar, dass der Prozess des Schreibens nicht abbricht. (…)
Weiter Schreiben ist das literarische Projekt von WIR MACHEN DAS, in dem Autor*innen aus Kriegs- und Krisengebieten weiter veröffentlichen und sich mit in Deutschland ansässigen Autor*innen vernetzen können. Es ist eine Plattform, die mit Übersetzungen auch das Gelesenwerden ermöglicht. Denn weiter schreiben zu können, bedeutet auch weiter gelesen zu werden.“

Nachdichtung als Verfälschung?

Lina Atfah veröffentlichte in Deutschland zunächst einzelne Gedichte in Anthologien wie „Deine Angst – dein Paradies“. Im kürzlich vorgelegten Lyrikband „Das Buch von der fehlenden Ankunft“ finden sich diese Gedichte wieder und alle 23 Gedichte des Bandes können in deutscher wie in arabischer Sprache gelesen werden. Zwölf namhafte Übersetzer und Dichter haben die Übertragung ins Deutsche besorgt.

Von fünf Gedichten gibt es jeweils zwei Übersetzungen, weil sich je zwei Übersetzerteams für jedes der fünf Gedichte interessierten. Diese Doppelübersetzungen lesend, wird irritierend deutlich, wie sehr Übersetzung immer auch Nachdichtung ist. Man liest die unterschiedlichen Deutungen der Poeme Atfahs mit einer gewissen Verblüffung. Der arabischsprachige Islamwissenschaftler Stefan Weidner kritisiert in der FAZ gar, dass die Nachdichtungen die Verse Atfahs zu oft verhüllen als ins rechte Licht rücken. Die Folge ist – laut Weidner –, dass Atfah im Deutschen nicht wirklich eine eigene Stimme erhält. Ein Vorwurf, der allerdings jede Übersetzungsarbeit im innersten Kern angeht.

Was man aber von Atfahs Stimme trotz oder eben doch auch wegen der Übersetzungen zu hören bekommt, beeindruckt nachhaltig. Zwar kündigt der Untertitel des Gedichtbandes an, man lese im Buch allein „Gedichte aus Syrien“ („Gedichte einer Syrerin“ träfe es besser), doch schon das erste Gedicht „Das Navi“ erzählt von der Gerichtsstraße in Herne und davon, dass für einen Flüchtling das sonore Navi-Versprechen „Sie haben ihr Ziel erreicht“ etwas unerhört Zynisches hat.

Lina Atfah „findet Worte für die, die sie verloren haben. Sie sucht nach einer Sprache inmitten der Sprachlosigkeit.“ (Nino Haratischwili)

Doch wie kann es anders ein: Im „Buch von der fehlenden Ankunft“ überwiegen jene Gedichte, die eindringlich vor Augen führen, was der Krieg für jene Menschen bedeutet, die ihn miterleben mussten oder noch müssen. Das Massaker einer für das syrische Regime „arbeitenden Miliz“ im Dorf Al Mabujah kommt ebenso zur Sprache wie die Ermordung zweier fünfjähriger Cousinen Lina Atfahs in „Lin und Leila und der Wolf“.

Dass solche Gedichte nirgendwo zum platten Lamento geraten, nie ins Sturzbetroffene abrutschen, sondern hellwaches Erschrecken und Mitgefühl erzeugen, liegt sicher auch an der eindringlichen Bilderwelt, den Metaphern und Fakten, die Atfah aufruft. Sie machen schmerzhafter und anders als alle Nachrichten sichtbar, wie bösartig Krieg en gros und en détail ist. Etwas, das wir gern verdrängen würden, obwohl wir mitverantwortlich sind, auch hier im Ruhrgebiet, nur wenige Kilometer entfernt vom Standort eines der weltgrößten Waffenexporteure Rheinmetall.

„(…) lass der Fantasie der Liebenden freien Lauf“

„‘Ich habe auch viel über meine Träume geschrieben‘, sagt Atfah. ‚Hier in Deutschland kann ich das nicht mehr. Hier geht es um das, was ich verloren habe.‘ Und um die Liebe, ein Thema, das in Syrien tabu war.“
So finden sich im „Buch von der fehlenden Ankunft“ nicht nur Verse über Sterben und Tod, über Ohnmacht und Abschied, Verlust der Heimat und der Liebsten. Lina Atfah reflektiert poetisch auch die Dilemmata ihres eigenen Schreibens, denkt nach über ihr Unperson-Sein im neuen Land, ihr weibliches Selbstbewusstsein, führt Zwiegespräche mit arabischen Dichtern und wagt Erotisches. „(…) lass der Fantasie der Liebenden freien Lauf“, fordert sie programmatisch im Gedicht „Nach der Asche“ und löst im Gedicht „Obst auf Stoff“ ihre eigene Forderung gleich auch selbst poetisch ein:

„ich bin ein rollender Pfirsich
ich bin ein Apfel auf der Suche nach Lust und Sünde
ich bin eine Aprikose, die mein Verlangen süß macht, weich
werde ich und klebrig wie Marmelade
und diese Metapher stellt mich unter Anklage
ich bin Trauben wenn alle Wege zum Meer führen
schwer beladen mit Zeit, gefärbt von der Abendröte
und ich bin Datteln
ich bin die Beeren der Myrte und, wenn ich mich ärgere, eine Zitrone
wie ein Granatapfel warte ich auf das Unwahrscheinliche
ich löse mich auf aus List
in Pflaumen, Erdbeeren, Kirschen
jedes Mal wenn das Wasser brennt und meine Wollust hochragt wie Weizen“

Mit der Dichterin Lina Atfah ist ihr Heimatort, das syrische Salamiyah, jetzt auch in Herne, genauer: in Wanne-Eickel angekommen. Man darf für uns, für Atfah wie für die 85.000 Syrerinnen und Syrer, die im Ruhrgebiet leben, vielleicht beharrlich darauf hoffen, dass sie nicht selbst gefangen bleiben und als ewige Fremde nicht länger gefangen gehalten werden im elend-migrantischen Zwischenreich, so, „als sei ihr Anteil am Leben die Flucht“ (aus dem Gedicht „Am Rande der Rettung“).

Lina Atfah: „Das Buch von der fehlenden Ankunft“. Gedichte aus Syrien. Mit einem Nachwort von Nino Haratischwili. Aus dem Arabischen übersetzt und nachgedichtet von: Dorothea Grünzweig, Mahmoud Hassanein, Brigitte Oleschinski, Hellmuth Opitz, Christoph Peters, Annika Reich, Joachim Sartorius, Suleman Taufiq, Julia Trompeter, Jan Wagner, Kerstin Wilsch, Osman Yousufi. Pendragon Verlag, Bielefeld 2019. 152 Seiten, 22 Euro.




In den Iran und nach Syrien: Sonderbarer Journalisten-Verband lädt zu Pressereisen ein

Nein, danke. Auf diese Einladung möchte ich wirklich nicht zurückkommen. (Repro/Ausriss: BB)

Nein, danke. Auf diese Einladung möchte ich wirklich nicht zurückkommen. (Repro/Ausriss: BB)

Da erreicht mich doch dieser Tage eine Einladungs-Mail zur Journalistenreise in den Iran. Aber wer steckt dahinter? Mal schauen…

Nun, mit der Nachfrage beginnen schon die Seltsamkeiten. Die etablierten Journalistenverbände DJV und dju (bei Ver.di) sind mir seit vielen Jahren aus beruflichen Zusammenhängen wohlvertraut, im DJV bin ich selbst Mitglied. Doch von einem vollmundig so benannten „Journalistenzentrum Deutschland e. V.“ hatte ich bis dato noch nichts gehört, auch nicht vom zugehörigen Träger „DPV“ („Deutscher Presse Verband e. V.“) und dessen Schwestergewächs bdfj (Bundesvereinigung der Fachjournalisten).

Für ihr sonderbares „Imperium“ haben sich die Betreiber auch noch die hochtrabend klingende Internet-Adresse www.journalistenverbaende.de gesichert; ganz so, als stünden sie – gleichsam als Dachorganisation – für Deutschlands journalistische Zusammenschlüsse überhaupt. Was natürlich kompletter Unsinn ist. Nebenbei gefragt: Woher haben die eigentlich meine private Mailadresse?

Etliche Ungereimtheiten

Ein wenig Nachforschung im Netz fördert schnell einen lesenswerten Beitrag des Journalisten Ulf Froitzheim zutage, der bereits 2009 für den „BJV Report“ (Zeitschrift des bayerischen Landesverbandes im renommierten Deutschen Journalisten-Verband DJV) auf gründliche Spurensuche gegangen war und derart viele Absurditäten, Ungereimtheiten und zweifelhaftes Gebaren beim „DPV“ vorgefunden hat, dass es kaum zu glauben ist.

Man sollte das nachlesen: Hier ist der Link zu Froitzheims Bericht, der einen Kaufmann namens Christian Zarm als (nahezu einzige) treibende Kraft des „DPV“ ausmacht, welcher offenbar aus einer Art Vespa-Motorroller-Fanclub hervorgegangen ist. Journalismus im eigentlichen und seriösen Sinne scheint demnach nicht gerade das Kerngeschäft des „DPV“ (gewesen) zu sein. Um es mal ganz vorsichtig zu sagen. Auch die auf eine einzige Person zugeschnittene Satzung des Verbandes sorgt, wenn man Frotzheim folgt, für ungläubiges Kopfschütteln. Übrigens hat sich Zarm laut Focus und Froitzheim in den 1990er Jahren auch schon mal als dubioser Doktortitel-Händler verdingt.

Zurück zum „DPV“. Von einem solch undurchsichtigen Vereins-Konstrukt mag ich mich jedenfalls nicht einladen lassen – erst recht nicht in den Iran oder gar nach Syrien. Diese letztere Reise, so heißt es auf der „DPV“-Homepage, sei freilich schon ausgebucht. Behaupten lässt sich ja so manches.

„Terminverschiebung möglich“

Unterdessen ist die Iran-Reise (Teilnehmerzahl von „ca. 8 Personen“ offenbar noch nicht erreicht) bereits einmal verschoben worden und wird nunmehr für 4. Bis 11. November angekündigt, plus/minus 1-2 Tage, wie es heißt. Zusätzliche Anmerkung: „Terminverschiebung möglich“. Da muss sich der interessierte Journalist (welche Zielgruppe wird hier eigentlich angepeilt?) halt mal eine Zeit lang mit gepackten Koffern bereithalten und demütig abwarten, was da kommen mag…

Überhaupt bleibt rätselhaft, was sich wohl hinter diesen beiden, jeweils einwöchigen Reisen verbirgt, deren angeblich (von wem?) subventionierter Pauschalpreis je 1980 Euro beträgt. Laut „DPV“ alias Journalistenzentrum Deutschland werden Details zum Ablauf – „auch aus Sicherheitsgründen“ – erst kurz vor dem Abflug bekannt gegeben. Man habe allerdings so gute Kontakte, dass Treffen mit Vertretern hochrangiger Institutionen „fest eingeplant“ seien. Aha.

Extremistenführer treffen

Damit bei weitem nicht genug: Als „Referenzen“ aus früheren Reisen werden ferner (neben vielen, vielen weiteren Grandiositäten) u. a. Begegnungen mit „lokalen Stammesfürsten, Interviews mit Extremistenführern (Al Qaida, Taliban)…“ genannt. Da schau her. Die trauen sich was. Zumindest verbal.

„Delegationsleiter“ (der „DPV“ und seine Ableger zahlen niemals in kleiner Wortmünze) soll offenbar Shams ul-Haq sein, der aus Pakistan stammende „Fachgruppenleiter für Internationale Beziehungen“, der anderwärts als Journalist und Terrorismusexperte firmiert – beides keine gesetzlich geschützten Berufsbezeichnungen, die sich also notfalls jeder anheften kann.

Apropos bisherige Trips: Es gibt bei YouTube ein reichlich bizarres, rund 20 zähe Minuten langes Video von der „Ersten europäischen Journalistenreise“ (wie gesagt: Sie lieben die prahlerischen Formulierungen) in den Iran – selbstverständlich unter Führung des genannten Shams ul-Haq. Zu orientalischer Musik werden da x-beliebige Filmaufnahmen einer irgendwie gearteten Pressereise gezeigt. Gegen Ende macht Shams ul-Haq dann auch mal ein albernes Späßchen. Was haben wir gelacht.

Schon im Filmvorspann werden als Teilnehmer Christoph Hein von der „Frankfurter Allgemein“ (sic!), Jörg Lau von der „Zeit“ und Daniel Steinworth von der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) genannt. In Sachen medialer Markennamen geht’s im hiesigen Sprachraum schwerlich edler, es fehlt eigentlich nur noch die „Süddeutsche Zeitung“. Und was ist wirklich dran? Das könnten wohl nur die Genannten bezeugen.

Undercover im Flüchtlingsheim

Zum Namen Shams ul-Haq finden sich im Internet einige Verknüpfungen, die zu denken geben. Sie gipfeln vorerst in der Rechtsaußen-Postille „Junge Freiheit“ als angeblichem Auftraggeber einer 2015 entstandenen Undercover-Reportage aus einem Flüchtlingsheim, mit der Shams ul-Haq seinerzeit mächtig hausieren ging. Auch die Netzadresse der außerordentlich „flüchtlingskritischen“ „Epoch Times“, die bei Shams ul-Haq ebenfalls anliegt, ist nicht gerade als fein verschrien.

Und weiter geht’s: Für den 3. Oktober wird in einem Verlag namens SWB Media Publishing ein Haq-Buch über Zustände in Flüchtlingsunterkünften angekündigt, es heißt bezeichnenderweise „Die Brutstätte des Terrors“. Aparte Zuspitzung im Zusammenhang mit Asylbewerbern, nicht wahr? Dabei ist Shams ul-Haq einst selbst als Flüchtling nach Deutschland gekommen.

Schon vorab werden zu dem Buch einige begeisterte Testimonials verbreitet, unter anderem ausgerechnet von Prof. Dr. Frank Überall, seines Zeichens vor allem umtriebiger WDR-Journalist und – Obacht! – Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes DJV, der angeblich geäußert haben soll: „Ein spannendes Werk, das sicherlich viele Debatten auslösen wird.“ Ob mit diesem Zeugnis wohl alles so seine Richtigkeit hat?

Strittiger Wikipedia-Artikel

Besagter SWB (SüdWestBuchVerlag) scheint übrigens längst nicht nur als klassischer Verlag tätig zu sein, sondern vorwiegend mit Books on Demand (BoD) zu handeln und zudem vielfach als „Dienstleister“ aufzutreten, sprich: auf dem Felde des umstrittenen Druckkostenzuschuss-Wesens. In einschlägigen Internet-Foren gehen die Meinungen dazu freilich auseinander.

Unterdessen ist für Shams ul-Haqs (von ihm selbst verfassten?) Wikipedia-Eintrag Löschung beantragt worden. Begründung auf der Diskussions-Ebene des Internet-Lexikons: „Es bestehen erhebliche Relevanzzweifel“. Nanu! Sollte der Mann etwa gar nicht so furchtbar wichtig sein, wie er sich offenbar nimmt? Mal abwarten, wie sich der Vorgang entwickelt.

So weit also die ersten Ergebnisse einer bloßen Internet-Recherche, die noch erheblich ausgedehnt werden könnte. Aber ganz ehrlich: Ich mag mich nicht weiter auf solche Untiefen einlassen. Man wagt sich ja gar nicht auszumalen, was sich mit investigativen Mitteln aus solcherlei Ansätzen noch herausholen ließe.




Drama in Damaskus: „Kuss“ am Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführt

Aktuelle politische Konflikte auf die Bühne zu bringen, ist immer ein Risiko: Kann man dem Schrecken des Krieges und dem Leid der Opfer im fiktionalen Raum wirklich gerecht werden? Kann man den jeweiligen Konflikt überhaupt verstehen, wenn er sich in einem völlig anderen Kulturkreis und Machtgefüge abspielt? Wie entgeht man der Gefahr des herablassenden europäischen Blickes, der den betroffenen Gesellschaften zuerst mangelndes Demokratieverständnis attestiert und sich dann ratlos abwendet?

Die Uraufführung „Kuss“ von Guillermo Calderón am Schauspielhaus Düsseldorf entgeht dieser Gefahr auf bestmöglichem Wege, indem sie sokratisch zugesteht: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Diese Erkenntnis verknüpft sie zudem mit einem Überraschungseffekt, der aus einer klugen Dramaturgie erwächst: Denn zunächst wirkt das Kammerspiel zwischen zwei befreundeten Paaren in Damaskus wie eine konventionelle Soap-Opera. Sie ist angesiedelt in dem naturalistisch nachgebautem Wohnzimmer von Hadeel (Simin Soraya) mit Perserteppichen, Sofas und Couchtisch. Hadeel wartet auf ihre Freunde, um gemeinsam Fernsehen zu schauen. Denn, und darauf fußt laut Programmheft das Konzept von „Kuss“, in Syrien erfreuen sich eben jene Fernseh-Soaps großer Beliebtheit. Sie sind Kult und jeder fiebert mit den Helden mit.

Doch zum gemütlichen Fernsehabend kommt es diesmal nicht, weil sich die Protagonisten so sehr in ihre eigenen Liebes- und Beziehungsprobleme verstricken, dass die Freundschaft am Ende zerbricht. Es beginnt schon damit, dass Youssif (Marian Kindermann) viel zu früh auftaucht und Hadeel seine Liebe gesteht. Das Problem: Sie ist eigentlich mit Ahmed (Gregor Löbel) verlobt und er mit Bana (Anna Kubin) zusammen, die wiederum die beste Freundin von Hadeel ist. Trotzdem wird Hadeel beinahe schwach, doch da betritt ihr Verlobter Ahmed die Szene und verkompliziert die Angelegenheit, indem er ihr einen Heiratsantrag macht. Bana, die als zuletzt dazu stößt, wird als erste eifersüchtig und klagt Liebesverrat und Betrug durch die beste Freundin an.

Gerade als sich die Zuschauer fragen, wo denn nun die politische Relevanz eines Stückes liegen soll, in dem es hauptsächlich um gebrochene Herzen geht und der Spielort Damaskus offensichtlich überhaupt keine Bedeutung hat, dreht sich der Plot. Hadeel fällt um und liegt tot auf dem Teppich. Bana fällt aus der Rolle, entpuppt sich als Regisseurin des Spiels im Spiel und will nun per Skype Kontakt mit der angeblichen Autorin des Stückes aufnehmen, die in den Libanon geflohen sein soll.

Der sich nun entspinnende Skype-Dialog (über eine Leinwand auf die Bühne projiziert) ist derart von Missverständnissen durchsetzt und zeigt die Diskrepanz des Lebens hier und des Lebens als Kriegsflüchtling mit solcher Deutlichkeit, dass dies die eigentlich Botschaft transportiert: Wir haben trotz medialer Berichterstattung einfach keine Ahnung, was Menschen im syrischen Krieg wirklich widerfährt und welche Konsequenzen das für ihr Leben hat.

Als Beispiel genügt schon die Diskussion um die Todesursache von Hadeel: Während die Schauspieler der festen Überzeugung sind, Hadeel sei an gebrochenem Herzen gestorben, stellt die syrische Autorin klar: „Habt ihr denn nicht die Regieanweisung gelesen, dass Hadeel die ganze Zeit hustet?“ – „Ja, natürlich, sie hustet ja auch ab und zu, aber wo ist das Problem?“ – „Hadeel ist Opfer eines Giftgasangriffs in Damaskus geworden, daran stirbt sie. Ihr Geist ist verwirrt und benebelt, deswegen kommt sie mit ihren Liebhabern durcheinander.“

Nicht zuletzt entpuppt sich die vermeintliche Autorin als Hadeels Schwester. Die Schöpferin des Stückes ist bereits tot. Auch der titelgebende Kuss bezeichnet keinen Austausch von Zärtlichkeiten, sondern einen Kontakt mit dem Geheimdienst, erfährt man. Betroffen inszeniert die Schauspielertruppe einige Szenen noch einmal neu: Kitschig sind sie nun nicht mehr.

Infos: http://duesseldorfer-schauspielhaus.de/de_DE/Premieren/Kuss.954851