Ungarisches Kolorit, asiatische Exotik: Paul Abrahams Operette „Dschainah“ in Berlin und Köln wiederentdeckt

Bogumil kennt das Gesellschaftsspiel – und Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda die Regeln, nach denen ein zündendes Operetten-Libretto funktioniert. Sie schrieben für Paul Abraham auch noch, als die Nazis den Berliner Operettenkönig der dreißiger Jahre entthront und ihn außer Landes gejagt hatten. 1935 komponierte er nicht mehr für die einst glamouröse deutsche Hauptstadt, sondern für Wien die Operette „Dschainah, das Mädchen aus dem Tanzhaus“.

Der junge Paul Abraham auf einer historischen Fotografie.

Der junge Paul Abraham auf einer historischen Fotografie.

Besagter Baron Bogumil Barczewsky ist der bei Paul Abraham unverzichtbare ungarische Anteil in der Story: Er ist sozusagen der Not-Ehemann, der für seinen Freund einspringen muss, falls der nicht rechtzeitig zur Hochzeit anwesend ist. Der Freund heißt Pierre Claudel, ist von Beruf Marineoffizier, in seiner Freizeit Verfasser von Liebesromanen, und hat sich in die Tochter einer Madame Hortense Cliquot verliebt – da haben wir den Pariser Schauplatz.

Jetzt fehlt noch der ferne Osten: Eine plötzliche Versetzung des männlichen Helden nach Vietnam macht’s möglich und schürzt zugleich den dramatischen Knoten: Denn seine Braut Yvonne muss aus Erbschaftsgründen bis zu einem bestimmten Datum verheiratet sein. Bogumil also übernimmt seine Rolle im Gesellschaftsspiel und steht als Notfall-Bräutigam bereit, obwohl er lieber mit der flotten Musotte eine Affaire beginnen würde. Jetzt kommt „Dschainah“ ins Spiel, eine Art vietnamesischer Madama Butterfly, eine Edelkurtisane in einem „Sing-Song“-Haus. Der edle Pierre rettet sie durch Heirat davor, verkauft zu werden, und richtet sich mit dieser Frühform von Miss Saigon häuslich ein. Eine Rechnung, die er ohne Madame Cliquot gemacht hat: Die packt ihre gesamte Entourage ein und kommt nach Vietnam, um den gewünschten Schwiegersohn zurückzubeordern. Dschainah versinkt nicht in Tränen, sondern bekommt einen Maharadscha: Die heile Operettenwelt ist gerettet!

Der Operettenkönig arbeitet für den Kaffeekönig

Kaffeekönig Julius Meinl hatte Abraham den Auftrag zu „Dschainah“ gegeben, damit seine japanische Frau, die Sängerin Michiko Tanaga, in einer attraktiven Hauptrolle auftreten könne. Und das Theater an der Wien hoffte mit der Finanzspritze, die während der Weltwirtschaftskrise untergegangene Operetten-Seligkeit wieder zu beleben. Das mit der Rolle gelang prächtig. Das andere auch: „Es geht wieder hoch, bunt und luxuriös her wie einst an üppigen Marischka-Abenden. Exotik mit Straußenfedergarnierung, Melancholie mit Stepcomfort“, beschrieb Ludwig Hirschfeld die Uraufführung.

Die Rettungsaktion allerdings ging schief. Auch die 57 Aufführungen der Operette mit ihrem fernöstlichen Kolorit und ihren Paris-Einsprengseln konnten das Theater an der Wien nicht vor dem Konkurs retten. Abrahams „Dschainah“ blieb ohne Resonanz und wurde vergessen. Barrie Koskys unermüdlichem Wiedererweckungsdrang und der Komischen Oper Berlin ist nun die deutsche Erstaufführung zu verdanken – in der konzertanten Form der inzwischen zur Tradition gewordenen „Weihnachtsoperette“ mit spiellustigen Protagonisten in Kostüm.

Es gab zwei ausverkaufte Vorstellungen in Berlin, eine in Köln und am 22. März sogar noch ein Gastspiel in Fulda. Ähnlich wie bei den anderen bisher aufgeführten Abraham-Operetten könnten davon Impulse ausgehen: „Ball im Savoy“ und das bis dato völlig unbekannte „Märchen im Grand Hotel“ werden an mehreren Bühnen nachgespielt und schicken sich an, einen Platz im schmal gewordenen Repertoire zurückzuerobern. In Berlin geht die konzertante Abraham-Serie weiter, kündigte Barrie Kosky an: 2020 mit einer populären Operette – es muss sich um „Blume von Hawaii“ handeln – und zum Ende seiner Intendanz 2021 mit einer unbekannten ungarischen. Zur Auswahl stehen „Der Gatte des Fräuleins“ (1928, der erste Erfolg Abrahams), „Julia“ (1937) oder „Der weiße Schwan“ (1938).

Exotisches Schlagwerk gibt das Kolorit

Die „bühnenpraktische Rekonstruktion“ der „Dschainah“ erledigte in bewährter Weise das inzwischen zu Abraham-Spezialisten herangereifte Duo Matthias Grimminger und Henning Hagedorn. Letztere gab auf Anfrage auch Aufschluss über die Quellen und die musikalische Einrichtung, über die sich das Programmheft der Komischen Oper ausschweigt: Basis war ein Satz unbenutzter Orchesterstimmen in der Ungarischen Nationalbibliothek Budapest nebst Text- und Regiebuch, dazu ein handgeschriebener Klavierauszug auf finnischem (!) Notenpapier. Die Instrumentierung ist somit festgelegt; Abraham schreibt für das übliche Orchester plus Gitarre, Banjo, Klavier und ein reich besetztes, für exotische Wirkungen nötiges Schlagwerk mit Vibraphon, Glockenspiel und anderen Instrumenten.

Das Schlagzeug ist sparsam notiert, aber in der Berliner Aufführung lässt Dirigent Hendrik Vestmann den Solisten derart ausufernd und indiskret trommeln, dass die Wirkung der Musik nicht mehr den schmeichelnden, geschmeidigen Klängen entspricht, wie man sie von den Plattenaufnahmen der dreißiger Jahre kennt, in denen der Rhythmus von Banjo oder den Pizzicati der in Berlin leider schwach besetzten tiefen Streichern kommt. Vestmann lässt das Orchester auf der Bühne auch mächtig auftrumpfen, was den mikroportierten Sängern nichts ausmacht, den Klang aber oft zu massiv und zu wenig elegant auflädt. Was mitreißend funktioniert, sind die Rhythmen – es entzückt, wenn die asiatisch anmutende Pentatonik und die fremdelnde Klangexotik der Schlaginstrumente in einen swingenden Slowfox oder einen veritablen Tango münden, vom unverzichtbaren „ungarischen“ Idiom ganz abgesehen.

Präziser Sinn für Wortwirkung

Präzise und mit Sinn für Wortwirkung ist der Chor unter David Cavelius bei der Sache; auch die Solisten artikulieren meist verständlich und vor allem mit Witz und Charme. Stimmlich ragt Hera Hyesang Park als Dschainah Lylo heraus, ein Sopran mit sicherem, angenehm lockeren Klangkern und der für die Operette unabdingbaren Flexibilität. Bei Johannes Dunz als französischer Marineoffizier schleicht sich – soweit die Mikroports eine Einschätzung zulassen – eine sich verfestigende Härte in seinen Tenor.

Mirka Wagner (Yvonne) und Talya Lieberman (Musotte) wirbeln hindernisfrei durch ihre Partien; Dániel Foki aus dem Opernstudio zeigt Temperament und viel versprechende stimmliche Vorzüge. Unglücklich die Rolle der Madame Cliquot: Zazie de Paris, auch schon mal mit Gastrollen in der „Lindenstraße“ und im „Tatort“, bleibt wohl, weil die Dialoge durch einen Erzähler ersetzt sind, als Madame Cliquot eine marginale Figur. Klaus Christian Schreiber entledigt sich seiner Conférencier-Pflichten mit eher beschränktem Humor.

Jetzt käme es – wie bei „Märchen im Grand Hotel“ auf eine szenische Aufführung an, um zu beurteilen, wie lebensfähig Abrahams Wiener Exotin tatsächlich ist. Die Musik macht schon mal Spaß, auch über den Schlager „Ohne Liebe kann ein Herz nicht glücklich sein“ hinaus.

 




Operetten-Passagen (9): Paul Abrahams „Märchen im Grand Hotel“ wirft leise satirische Blicke auf das mondäne Leben

Hotels, die großen, mondänen, waren und sind bis heute Traumorte: Hier verkehren Menschen, die Geschichten mit sich tragen; hier gibt es Skandale und Geheimnisse; hier tummeln sich Verliebtheit und Verbrechen. Heute ist kaum mehr zu ermessen, was die Hotels der Vorkriegszeit bedeuteten: Man schlief und speiste nicht nur im Hotel, man vergnügte oder verbarg sich, man tanzte und träumte.

Tanzt erstklassig: Sarah Bowden in Paul Abrahams "Märchen im Grand Hotel" an der Komischen Oper Berlin. Foto: Robert-Recker.de

Tanzt erstklassig: Sarah Bowden in Paul Abrahams „Märchen im Grand Hotel“ an der Komischen Oper Berlin. Foto: Robert-Recker.de

Das Hotel war der magische Brennpunkt des luxuriösen Lebens, das der eine aus dem Vollen schöpfte, der andere wenigstens für ein paar Stunden erhaschte. Kein Wunder, dass es Menschen gab, die quasi im Hotel existierten. Ein letzter Spross dieser Hotelkultur war wohl der legendäre Opern-Erklärer Marcel Prawy, der hinter der Wiener Staatsoper im Hotel Sacher seine letzten Jahre verbrachte.

„Märchen im Grand Hotel“ – der Titel der kaum mehr bekannten Operette von Paul Abraham, die an der Komischen Oper Berlin wiederentdeckt wurde, ließ also zur Zeit ihrer Uraufführung 1934 eine ganze Lichterkette von Assoziationen aufgehen. Man wusste, wovon sie erzählt, oder man konnte es sich nach Vicki Baums 1929 erschienenem Roman „Menschen im Hotel“ – bereits drei Jahre später Thema eines mit dem Oscar geschmückten Films – irgendwie vorstellen. Und Abraham selbst, der Jahre seines Lebens in Hotels verbrachte, hatte wohl aus eigener Erfahrung einen sehr konkreten Begriff von Glanz und Elend der Nobelherbergen.

Paul Abraham freilich schildert nicht das vereinsamte, depressive Luxus-Treibgut, das sich in Baums Roman sammelt. Er überhöht das Etablissement – wie viele andere Operettenschreiber – zur Traumkulisse. Seine Hotelbewohner sind entweder fröhliche Angestellte wie der stets alerte Zimmerkellner Albert, oder sie sind exotisch-exzentrische Reizfiguren wie eine spanische Infantin im Exil nebst Zofe, ein mit jener verlobter Prinz und der Geldadel der neuen Welt, die Herrscher über die damals neuen Medien: ein Filmproduzent und seine selbstbewusst sorgenfreie Tochter. Figuren, die sich als Projektionsfläche für Wünsche, Träume und Begehrnisse bestens qualifizieren.

Träumen und Staunen mit Ironie

Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda, die anerkannten Operettenroutiniers, verknüpfen diese Typen nicht ohne satirischen Blick zu einer augenzwinkernd vorhersagbaren Story: Am Ende der unglücklichen Liebe zwischen Niedrig und Hoch findet sich ein toller Zufall, der alles gut werden lässt – und die neue mediale Illusionsfabrik, der Film, tut einen Teil dazu.

Dass solche Geschichten nicht in peinliche Banalität abrutschen, ist dem Talent der Macher zu verdanken, sich immer wieder mit Ironie zu distanzieren; leise genug, um ein vergnügungssüchtiges Publikum nicht beim Träumen und Staunen zu stören, aber ausreichend vernehmbar, um den Geist nicht mit dem erstbesten Groschenroman-Sujet zu betäuben.

Henning Hagedorn (links) und Markus Grimminger haben - wie bei anderen Abraham-Operetten auch - die noch auffindbaren Quellen ausgewertet und eine bühnenpraktische Fassung erarbeitet. Foto: Werner Häußner

Henning Hagedorn (links) und Markus Grimminger haben – wie bei anderen Abraham-Operetten auch – die noch auffindbaren Quellen ausgewertet und eine bühnenpraktische Fassung erarbeitet. Foto: Werner Häußner

Wortwitz ist eine Methode, musikalische Raffinesse die andere: Abraham zeigt sich in dieser nach seiner Vertreibung aus dem hakenkreuzdurchseuchten Berlin entstandenen Operette nicht ganz auf der Höhe seiner melodischen Erfindungsgabe, aber im Drive der Nummern, im Nervenreiz der Rhythmen, in der Eleganz und sprühenden Farbigkeit der auch bei diesem Werk wieder von Henning Hagedorn und Matthias Grimminger eingerichteten Instrumentation ist er ganz der Alte, wie wir ihn aus „Viktoria und ihr Husar“ oder „Ball im Savoy“ kennen.

Mit „Märchen im Grand Hotel“ hat die Komische Oper Berlin eine Reihe begonnen, die in den nächsten Jahren fünf Operetten von Paul Abraham vorstellen soll. Zu denken wäre an seine frühen Werke wie „Zenebona“ oder „Der Gatte des Fräuleins“ oder an seine ungarischen Operetten wie „Julia“, „Dschainah, das Mädchen aus dem Tanzhaus“, oder gar an „Tambourin“, jenes Schmerzenskind, an dem er im Exil in den USA arbeitete und das bisher nie aufgeführt wurde.

Punktgenau aufs Tempo der Operette eingeschworen

Leider sind vollständige Inszenierungen der unbekannten Trouvaillen nicht geplant, aber Hausherr Barrie Kosky weiß nur zu gut, dass eine „konzertante“ Aufführung einer Operette ein Unding ist. So richtet er auf der Vorderbühne – das Orchester sitzt dahinter – einen Spiel-Raum ein, den die von Kathrin Kath herrlich schrill kostümierten Darsteller mit flott choreographiertem Spiel ausfüllen. Den Chor ersetzt das Lindenquintett mit Arrangements á la Comedian Harmonists. Und weil Kosky einem seiner Operettenstars, Max Hopp, neben der Rolle des Albert auch die eines Conférenciers überlässt und sich die meisten Sprechtexte spart, haben die 90 Minuten auch ohne ausgebaute Szenerie das atemlose Tempo, bei dem keine Sekunde die Spannung verloren geht.

Dafür sorgen die Darsteller, allesamt hochprofessionell auf die Kunstform der Operette eingeschworen: flink, punktgenau, pointensicher, selbstironisch, aber dennoch voll in der Rolle drin. Das Manko ist nur: Das Singen ist ihre am wenigsten entwickelte Kunst. Ungeachtet der Frage, ob man in der Operette wirklich Microports verwenden sollte: Ohne Technik kämen wohl weder Max Hopp noch Sarah Bowden, die „Stars“ der Produktion, mit ihrer Stimme über die Rampe. Wie war das denn anno 1934? Vergessen wir die Frage schnell …

Nun hat es durchaus Qualitäten, wie Max Hopp, ein gescheiter Conférencier, eine wunderbar zugespitzte Sprache führt, aber für die „schönste Rose und ein Herz voller Liebe“ hätte man sich doch einen stimmbeherrschenden Operettentenor statt ein heiseres Falsettsäuseln gewünscht. Man sollte nicht jedes Unvermögen zum künstlerischen Mittel hochstilisieren.

Sarah Bowden (Marylou) ist ein anderer Fall: Sie tritt als Tanzsoubrette par excellence auf, hat Esprit und Glamour im Auftritt, kann sprechen, aber singt mit dem flach-nasalen Ton und dem aufgesetzten Vibrato, wie es im kommerziellen Musical heute üblich ist. Talya Lieberman bringt als Infantin Isabella dagegen eine sauber gestützte Stimme, ein angenehmes, vom Vibrato nicht zerschlagenes, sondern geadeltes Timbre und eine technisch abgesicherte Flexibilität mit – genau richtig für die sentimentalen Lieder, mit denen Abraham ihre Partie geschmückt hat.

Üppiger Schaum und ein wenig Pfeffer

Johannes Dunz, adrett im Auftritt, müsste sich wohl nicht elektronisch stützen lassen; sein frischer Tenor verspricht hinter dem technisch aufgepeppten Sound einen attraktiven „Natur“-Klang. Philipp Meierhöfer als Filmproduzent Sam Makintosh ein quirliger Lieferant eines musikalischen Running Gags und Tom Erik Lie als soignierter Hotelbesitzer und en travestie als überdrehte spanische Gräfin in ebenso herrlich überdrehter Robe pfeffern die Handlung mit genau dem richtigen Zuviel, das vor der Überwürze des Klamauks gerade noch gefeit ist.

Mit Adam Benzwi steht ein operettenversierter Dirigent am Pult des Orchesters der Komischen Oper, der weiß, wie die Rhythmen der damaligen Modetänze flexibel zu halten, wie instrumentale Details zu beleuchten, wie Tempo in Schmiss zu verwandeln ist. Da geht es oft um agogische Detailarbeit, um Präzision im Laissez-faire, um den treffsicheren Geschmack in der Phrasierung.

Die Bühne ist allerdings nicht der optimale Spielort für das üppig besetzte Orchester: Der Klang bleibt oft unbestimmt, Details sind im Raum nicht durchgezeichnet, die verstärken Stimmen übertönen die Finessen. Dennoch: Paul Abrahams mitreißend gemachte Musik garantiert schäumendes Vergnügen, das man gerne an anderer Stelle – und dann szenisch voll durchgearbeitet – noch einmal serviert bekommen würde.