„Den Ruhrpott muss man lieben“ – Gespräch mit der Schauspielerin Tana Schanzara

Von Bernd Berke und Rolf Pfeiffer

Bochum. Man kann es bei aller Diskretion nicht ganz verschweigen: Tana Schanzara, die große Dame des Theaters im Ruhrgebiet, feiert nächsten Montag ihren 80. Geburtstag. Die WR hat sie – mitten in der Probenarbeit – in ihrer Bochumer Theater-Garderobe besucht. Der kleine Raum ist gefüllt mit Maskottchen und Erinnerungsstücken an ihre lange Laufbahn. Zur Begrüßung bietet Tana uns erst mal ein Piccolo-Fläschchen Sekt an.

WR: Ihre Garderobe sieht ja aus wie eine kleine Bühne. Viele Dinge – und so schön bunt.

Tana Schanzara: Ja, ich schmeiß nie was weg. Da schenken einem die Leute nette Sachen und sagen Toi-Toi-Toi! Das muss man doch aufheben. Bei manchen Kollegen sieht’s dagegen steril aus. Wie in der Klinik.

Wie viele Rollen haben Sie wohl schon gespielt?

Tana Schanzara: Och. weiß ich gar nicht! Reichlich.

In Bochum haben Sie praktisch alle Nachkriegs-lntendanten kennen gelernt.

Tana Schanzara: Ja, außer Saladin Schmitt. Eigentlich mocht‘ ich sie alle gern, auch Matthias Hartmann. 1954 kam ich aus Gelsenkirchen als Gastschauspielerin nach Bochum – mit Jürgen von Manger. Wir fuhren mit dem Bus. Auf diesen Strecken Manger seine Tegtmeier-Geschichten erfunden. Was haben wir gelacht!

Wie hat alles begonnen?

Tana Schanzara: Meine Eltern waren am Theater, beide als Sänger. Als ich in Kiel geboren wurde, gab meine Mutter ihren Beruf auf. Eine schwere Hypothek für mich. Übrigens war ich eine ziemlich schwere Geburt. Meine Mutter hat drei Tage lang geschrien wie am Spieß. Ich hab‘ selbst nie ein Kind haben wollen.

Sie gelten als die Ruhrgebiets-Figur schlechthin.

Tana Schanzara: Ja, weil ich so lange hier bin. Claus Peymanns Chefdramaturg Uwe Jens Jensen hat oft mit mir geblödelt. Irgendwann hat er gesagt: Du musst ein Solostück haben. Die Songtexte, so richtige Ruhrsongs, hab‘ ich mir selbst geschrieben und bin damit auch getingelt. Das brachte schön Geld. Jensen hat dann kleine Stücke drumherum verfasst. Die Sachen liefen dann wie Bolle. Und die Kritiken: Überragend wär‘ ich gewesen! So ‚was liest man doch gern. Dann kamen noch Film und Fernsehen.

Sie stehen fürs Revier, obwohl Sie in Kiel geboren sind.

Tana Schanzara: Als ich drei Jahre alt war, zogen meine Eltern von Kiel nach Dortmund, in die Leipziger Straße. Da bin ich aufgewachsen und habe auch früh Ballett-Unterricht genommen. Also bin ich eigentlich „von hier“.

Haben Sie eigentlich immer noch Lampenfieber?

Tana Schanzara: Aaach! Natürlich. Wer sagt, er hat keins, der lügt.

Was ist denn das Spezielle am Ruhrgebiet?

Tana Schanzara: Naja, ich habe mal so ein Lied gemacht (singt): „Wenn der ganze Ruhrpott eine Stadt war, wär’n wir wie New York so groß…Mit unsren schönenEcken müssen wir uns nicht verstecken.“ So isset doch!

Dann finden Sie es sicher auch gut, dass sich Essen und das Ruhrgebiet als Kulturhauptstadt Europas beworben haben.

Tana Schanzara: Ja, das würde mich sehr freuen. Und wenn schon, dann muss der ganze Ruhrpott Kulturhauptstadt werden. Essen alleine bringt es nich‘. Die sollen es werden und den Titel annehmen – aber bitte für uns alle.

Was halten Sie von jüngeren Comedy-Leuten im Revier?

Tana Schanzara: Wennse von hier sind, könnses machen. Aber manche sprechen die Sprache gar nicht richtig. Das ist dann schlecht. Auch ein Herbert Knebel hat letztlich von Manger gelernt. Der Manger war ja aus Hagen, der hat alles erfunden, und er hat die Sprache der Gegend einfach geliebt. Übrigens will mir Hape Kerkeling – er is‘ ja aus Recklinghausen – bald einen neuen Liederabend schreiben, er hat’s versprochen. Leider hat er so wenig Zeit. Aber ich könnte ja auch mal Helge Schneider fragen…

Hatten Sie eigentlich jemals einen Misserfolg?

Tana Schanzara: Ich tu immer mein Bestes, und bisher hat’s immer geklappt.

Fällt es Ihnen leicht, die Texte zu lernen?

Tana Schanzara: Da hat man ja Routine. Doch wenn man trotzdem mal einen „Hänger“ hat, ist es heute schwierig. Früher saß die Souffleuse in einem Kasten. Das Publikum hörte fast nichts, wenn sie einem zuflüsterte. Der Kasten war den Bühnenbildnern aber im Weg. Jetzt sitzt die Souffleuse irgendwo, wo sie keine Sau auf der Bühne hört. Wenn jetzt was schiefgeht, schreit sie von ganz hinten her oder aus der ersten Zuschauerreihe. Alle hören es, nur die Schauspieler nicht.

Was machen Sie an Ihrem Geburtstag?

Tana Schanzara: Ich wollte ja schon abhauen. Aber das geht wohl nicht. Ich mag die Zahl gar nicht, die ich da erreiche. Nun ja. Jetzt muss ich wohl gleich zur Probe. So geht’s eben: Hart aber grausam.

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ZUR PERSON

„Perle vom Pott“ kam in Kiel zur Welt

  • Am 19.12.1925 wird Konstanze Schwanzara (Taufname) in Kiel geboren.
  • Nach dem Abitur nimmt sie Schauspielunterricht in Köln. Bevor sie 1956 als festes Ensemblemitglied nach Bochum kommt, hat sie Engagements in Bonn, Köln, Mannheim, Oldenburg und Gelsenkirchen.
  • Film und Fernsehen (kleine Auswahl): „Jede Menge Kohle“ (1981, von Adolf Winkelmann, „Willi und die Windsors“ (1996) und „Die Oma ist tot“ (1997), beide von Hape Kerkeling, „Jazzclub“ (2004, von Helge Schneider).
  • Heute hat in Bochum der neue Liederabend mit Tana Schanzara Premiere:„A Kiss is just a Kiss“.
  • „Vatta, aufstehn!“ war in den 70er Jahren Tanas größter Hit.
  • Kosenamen: „Perle vom Pott“, „Ruhrpott-Duse“.



Im Dschungel der Begierden – Lukas Bärfuss‘ Stück „Die sexuellen Neurosen unserer Eltern“ in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. Der Vorhang öffnet sich und man sitzt vor einem Dschungel. Über und über ist die Bühne bewachsen, so dass kaum ein Durchkommen ist. Ist dies der Dschungel der Begierden? Die Assoziation liegt nicht allzu fern, denn auf dem Spielplan stehen „Die sexuellen Neurosen unserer Eltern“.

Das zu Herzen gehende Stück des jungen Schweizers Lukas Bärfuss handelt von der geistig leicht behinderten Dora. Auf Wunsch der Mutter werden eines Tages ihre dämpfenden Medikamente abgesetzt. Und was kommt zum Vorschein? Ein sexuelles Monstrum, das fortan nur noch „ficken“ will.

Einiger Unsinn ist über das Stück verbreitet worden, etwa nach der Devise, dass Doras machtvoll erwachende Sexualität von den Erwachsenen im Namen einer höheren Ordnung unterdrückt werde. Ganz so, als wär’s noch wie einst in Frank Wedekinds„Frühlings Erwachen“, wo die Lüste der Jugend im wilhelminischen Ungeist erstickten.

Diese Dora liefert sich vollkommen aus

In Wahrheit geht es hier ziemlich permissiv zu, sprich: Die Erwachsenen erlauben dieser Dora so manches, sie haben (oder heucheln) ja sooo viel Verständnis. Die Eltern, der Arzt (bravourös: Fritz Schediwy), der Gemüsehändler (Bernd Rademacher als Doras Arbeitgeber) und ein „feiner Herr“ (Martin Horn als Parfümvertreter), der Dora brutal entjungfert, sind in verschiedenen Graden und Verdruckstheiten selbst bis zum Anschlag sexualisiert. Mutter und Vater (Veronika Bayer, Manfred Böll) etwa treiben’s mit einem „gut bestückten“ Mann zu dritt.

Die Leute sind daher ebenso irritiert wie insgeheim aufgestachelt, als dieses Mädchen mit seinem etwas debilen Lolita-Appeal zu allem bereit ist und sich alles gefallen lässt, um sich endlich einmal selbst zu spüren. Eine unversehens auf die Welt gefallene Versuchung. Blutergüsse, heftige Hautabschürfungen? Egal. Dora liefert sich aus, wie ein vollkommen passives Fluidum. Es ist ihr offenbar ganz gleich, ob man sie gröbstens beschläft, sie verprügelt oder eine Abtreibung an ihr vornimmt. Ihre häufigsten Sätze bei all dem lauten „Weiß nicht“ und „Ist doch nichts dabei“. Ungeheuerlich.

Martin Höfermanns Inszenierung am Bochumer Schauspielhaus lässt solche bestürzenden Befunde im besagten Dschungel (mit Extra-Beifall bedachtes Bühnenbild: Volker Hintermeier) wie ein düsteres Märchen oder eine Legende erscheinen. Der Rcgisseur erspart uns rüde Sex-Szenen. Statt dessen wird es jeweils finster, und man hört ein bcdrohlich-atavistisches Dröhnen.

Herkömmliche Erklärungsmuster helfen hier nicht

Die Regie erschließt geradezu mythische Dimensionen und beschwört abgründige Ängste vor einer freigelassenen, geist- und grenzenlosen Sexualität. Herkömmliche gesellschaftliche Erklärungsmuster (von Geld, Arbeit und drohender Pleite ist nur en passant die Rede) helfen hier kaum weiter. Es waltet ein unlösbares Geheimnis. Doch im ältesten, aristotelischen Sinne des Theaters werden Furcht und Mitleid geweckt.

Sehr leicht könnte das Stück in Brachial-Komik oder Weltekel abstürzen. Es steht und fällt fast alles mit der Darstellerin der Dora: Bewundernswert, wie Angelika Richter in Bochum das Schwanken auf dem Grat vollbringt. Am Ende erstrahlt sie geradezu in ihrem Elend der Selbstaufopferung, als wäre sie eine „Heilige“ ganz eigener Art.

Doch über allem thront wie eine Zauberin oder Zeremonienmeisterin die betagte, doch frisch-freche Mutter des Gemüsehändlers: Mit dieser Urgestalt (Tana Schanzara), so ahnt man, könnte vielleicht ein neues Matriarchat beginnen. Doch das wäre ein anderes Märchen.

Termine: 31. März, 7., 13., 19. April. Karten: 0234/33 33-111.




In Bochumer Theater regt sich stets ein guter Geist – seit dem Neubeginn vor 50 Jahren

Von Bernd Berke

Wenn denn ein guter Geist herrschen soll, so muss er auch begünstigt werden, und da bedarf es wohl einer Vorgeschichte: So haben die ersten beiden Intendanten die Grundsteine der großen Bochumer Tradition gelegt – schon lange vor dem Neubeginn von 1953: Saladin Schmitt (Intendanz 1919 bis 1949) und Hans Schalla (1949-1972) amtierten jeweils mehrere Jahrzehnte lang. Die Ensembles hatten Zeit, in aller Ruhe zu wachsen. Das Bochumer Intendanten-Leben schien, vom branchenüblichen täglichen Chaos abgesehen, ein langer ruhiger Fluss zu sein – angesichts heutiger Wechselgelüste auch im Theaterbetrieb fast unvorstellbar.

So reifte denn auch der oftmals gerühmte „Bochumer Stil“ heran – bei Schmitt vor allem in Gestalt prachtvoll dekorierter Klassiker-Aufführungen, die in eher gemächlicher Würde um den Text kreisten. Schalla hingegen brachte ungleich mehr Bewegung auf die Bühne; ganz gleich, ob in klassischen Dramen oder bei all jenen Texten, die in der NS-Zeit nicht hatten aufgeführt werden dürfen und die er nun „nachholte“.

Damit waren zwei Grundtöne angeschlagen, die auch später immer wieder nachklingen sollten. Statisches, eher düster grundiertes Theater sah man auch in der Ära Frank Patrick Steckel (1986-1995), höchst bewegte Zeiten mit Revue und manchmal herrlichem KIamauk gab’s zuvor bei Peter Zadek (1972-1979), eine gewisse Synthese beider Strömungen gelang in den allerbesten Phasen Claus Peymann (1979-1986), vorwiegend Theater für die Spaßgesellschaft erlebte man bei Leander Haußmann (1995-2000).

Seligste Zeiten: Bei Zadek spielten u. a. Hannelore Hoger, Ulrich Wildgruber, Eva Mattes und Rosel Zech, bei Peymann schwelgte man in Aufführungen etwa mit Kirsten Dene, Gert Voss, Therese Affolter und Branko Samarovski. Wer bietet mehr?

Allen Bochumer Spielleitern gemeinsam war eine Vorliebe fürs ungeheure Werk des William Shakespeare, der so etwas wie ein Hausheiliger an der Königsallee geworden und geblieben ist. Wer weiß, vielleicht ist am Ende er der gute, der waltende Geist von Bochum. Noch so eine langlebige Tradition jedenfalls, auf die auch die ansonsten so verschiedenen Bühnenchefs gern zurückkamen.

Der jetzige, beim Publikum so erfolgreiche Intendant Matthias Hartmann (seit 2000), der auch Entertainer wie Harald Schmidt und Helge Schneider ans Haus holte und 2005 nach Zürich wechseln wird, sollte also möglichst höchstselbst noch ein oder zwei große Dramen des Engländers auf dieBühne bringen, will er sich in die Überlieferung einreihen.

Damit nicht genug des ehern Bleibenden: Auch eine Darstellerin steht für schier unglaubliche, höchst erdverbundene Kontinuität. Damit kann natürlich nur Tana Schanzara gemeint sein. Bereits 1953, als am 23. September alles wieder neu begann, stieß die von manchen als heimlichen Regentin der (Revier)-Herzen angesehene Schauspielerin als Gast zum Bochumer Ensemble, seit 1954 gehört sie fest dazu. Intendanten und Mimen-Kollegen kamen und gingen, sie blieb – und kann gewiss so manche Theater-Anekdoten aus all diesen Jahren erzählen. Das wäre ein Buch wert.

Wäre aber nichts als Beharren in Bochum, so hieße das irgendwann Erstarrung. Immer wieder erwies sich diese Bühne auch als rechter Ort für weithin beachtete Uraufführungen. Nur scheinbar paradox: Auch das jeweils Brandneue ist somit schon gute Bochumer Tradition.

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• Die neue Bochumer Saison beginnt heute, 4. Oktober, mit zwei Premieren: Auf Lessings „Minna von Barnhelm“ (19 Uhr, Schauspielhaus) folgt die Uraufführung von Falk Richters Stück „EIectronic City“ (22 Uhr, Kammerspiele). Karten: 0234/3333 111.

• Das Jubiläum wird an diesem Sonntag, 5. Okt. (11-16 Uhr), mit einem Fest auf dem Theatervorptatz und in den Foyers gefeiert. Am Samstag/Sonntag (18. und 19. Oktober) gibt’s das Sonderprogramm „50 Jahre – 50 Stunden“.

 




„Schön isst hier“ – aber die Krise ist gegenwärtig

Von Bernd Berke

Dortmund. Die nicht gerade leichtgewichtige Tana Schanzara wirbelt temperamentvoll über die Bühne im Hörder „Bollwerk-Eck“ und besingt die Schönheit eines Schrebergartens. Sie bekommt den größten Beifall des Abends.

Die Revier-Revue „Schön isset hier“, eine Produktion des Ruhrfestpielensembles (Regie: Corinna Brocher), die gestem Abend in Dortmund-Hörde Premiere hatte, präsentierte – abgesehen von jenem Schanzara-Auftritt – fast nur kritische, nachdenklich machende Texte. Der Titel täuscht somit. Davon, daß es sich zwischen Dortmund und Duisburg angenehm oder gar sorgenfrei leben ließe, hörte man in dem 100-Minuten-Programm so gut wie nichts. Wohl zu Recht. Die wirtschaftliche Lage ist zu ernst, um eine kunterbunte Show über diese Region zu veranstalten.

Der Abend war, wenn auch nicht bunt im Sinne von optimistisch, so doch farbenfroh im Sinne von vielfältig. Eigentlich zu viele Themen hat man hineingepackt: Zechen- und Stahl-Probleme sowieso; dazu Ausländerfeindlichkeit, apokalyptische Konsequenzen des hiesigen U-Bahn-Baus und der Automatisierung im Büro, „Dallas“-Fieber, Umweltzerstörung und, und, und…

Auch die Auswahl der Textquellen verriet nicht eben ein straffes Konzept: Klaffen nicht allzu große Lücken etwa zwischen der Art, wie Franz Kafka einen „Besuch im Bergwerk“ beschreibt, und Kroetz-Auszügen oder Slang-Szenen Elke Heidenreichs? Dennoch gab es Entdeckungen zu machen. Wer hätte zum Beispiel gedacht, daß man Franz Kafka überhaupt halbwegs plausibel in solch ein Programm einbauen könnte?

Für das heutige zweite Gastpiel (17 Uhr, „Bollwerk-Eck“) gibt es noch Karten.