Staub aufwirbeln mit Bach: Britta Lieberknechts Tanzperformance „Die Kunst des Staubsaugens“

Der Tanz mit dem Staubsauger ist mir aus alten Zeiten bekannt. Als meine Mutter den Teppich im Wohnzimmer mit dem Vorwerkgerät von Staub befreien wollte, schmissen mein Vater und ich die Beine hoch, als wäre der Can Can angesagt und mit Schwung schob sie das immer noch lauteste Haushaltsgerät unter den schwingenden Beinen hin und her. Sie tat dies allerdings ohne die musikalische Hilfe Johann Sebastian Bachs. Unser Plattenwechsler hatte nicht die Kraft, den Sound des Saugers zu überbügeln.

In Köln hat sich nun die Choreographin Britta Lieberknecht, von der man während ihrer langen Schaffenszeit schon viel Kurioses hat erleben dürfen, der scheinbar widersprüchlichen Gegenüberstellung von Staubsaugern und Musiken von J.S. Bach angenommen. Dass der Mensch heute von allerlei Geräusch, sei es Musik oder eben die Maschine, fast ständig umgeben sei, liegt im Erfahrungsfeld von uns allen. Das Rauschen, Klackern, Scheppern und Sausen, Piepsen und Fiepsen bilden oft genug den Hintergrund für ebenso oft unerwünschte musikalische Ergüsse.

„Die Kunst des Staubsaugens“, eine Tanzperformance, stand in der Alten Feuerwache auf dem Programm. Publikum und Medien kamen, um die Neugier, die dieser Titel hervorruft, zu befriedigen. Fünf TänzerInnen stellten sich der Aufgabe, Ernsthaftigkeit der Choreographie mit dem Augenzwinkern über Sauger in eine Reihe zu bringen. Dass es dabei ratlose Gesichter gibt, liegt in der Natur der Sache, sind doch wenige Zuschauer mit dieser Kombination vertraut.

Dass hier präzise und gleichermaßen verspielt getanzt wird, bleibt niemandem verborgen. Vor allem das kunstvoll bedrückend komische Solo von Photini Meletiadis bleibt nachhaltig in Erinnerung. Der „Hoover“ bläst ihr Haar und saugt es in sich auf, verändert ihre Frisur. Sie traktiert ihre Haut, als wäre der Sauger der Fettabsauger.

Infos zu Britta Lieberknecht und ihrer Arbeit: http://www.britta-lieberknecht.de/




RuhrTriennale: Tanz-Skulptur auf der Halde

Levée des conflits / Ruhrtriennale

Levée des conflits / Ruhrtriennale

Das Stück beginnt, und nach wenigen Minuten haben die Zuschauer oben im Amphitheater auf der Halde Haniel in Bottrop alles gesehen. Das können sie zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht wissen. Erst mit zunehmender Dauer von Boris Charmatz‘ Choreografie „Levée des conflits“ (Die Aufhebung der Konflikte) erahnt man das Prinzip, begreift die Struktur im vermeintlichen Chaos.

Der französische Tänzer und Choreograf, der schon vor einem Jahr bei der Ruhrtriennale mit seinem Mensch-Maschine-Stück „enfant“ für Aufsehen sorgte, lässt die 24 Tänzer diesmal kein Stück in klassischem Sinne aufführen. Es gibt weder Thema noch Handlung, keine Entwicklung und kaum tänzerische Interaktion. Vielmehr bildet Boris Charmatz eine kinetische Skulptur. Er schafft mit tänzerischen Mitteln ein Stück bildender Kunst auf der Bühne – ein Perpetuum Mobile aus einem festgelegten Bewegungskanon, der von den Tänzern zeitversetzt ausgeführt wird.

Es beginnt mit einer Tänzerin. Sie setzt sich auf das mit Rasen ausgelegte Bühnenrund und streicht weit ausholend übers Gras, als würde sie sich einen Schlafplatz zurechtmachen. Etwa eine Minute später die nächste Figur: Sie streckt den Hintern gen Luft und schiebt ihn nach links und rechts wie eine Katze. Eine Minute später steht sie und schlägt, beide Armen vor- und rückschleudernd, auf Brust und Rücken zugleich. Eine Minute, dann folgt ein maschinenähnliches Hantieren mit unsichtbaren Geräten, das einem nicht zu durchschauenden Ziel folgt.

Minütlich folgen weitere Bewegungsabläufe, und längst sind weitere Tänzer in Straßen- oder Sportkleidung auf die Bühne gekommen. Ohne erkennbar Notiz voneinander zu nehmen, führen sie die gleiche Abfolge aus, jeder in seinem Tempo, jeder in seinem Stil – bis zwei Dutzend Tänzer gleichzeitig auf der Bühne sind. Sie rollen und winden sich über den Boden, hüpfen und springen, drehen sich um die eigene Achse, lassen sich zu Boden werfen und wieder aufhelfen, fließen weich wie eine Welle durch den Bühnenraum und scheinen alle Möglichkeiten auszukosten, ihn mit dem eigenen Körper zu erkunden. Dazu läuft eine Sound-Collage: Mal sind es HipHop-Fetzen, mal avantgardistische Neue Musik, mal industrielle Geräusche, mal alles zugleich.

Irgendwann scheinen sich die Tänzer wie zufällig zu formieren: Es zentriert sich ein strudelartiges Knäuel in der Mitte, dann am Rand. Obwohl jeder für sich arbeitet, bilden sie doch erkennbar ein Ganzes. Es braucht seine Zeit, diesen irgendwann sogar meditativen Rhythmus zu erkennen und es letztlich zu genießen, seine Augen in dem Strudel treiben zu lassen, der ständig wiederkehrende und doch neue Bilder produziert.

Die nötige Muße dazu kam allerdings wetterbedingt nur schwerlich auf. „Das Stück ist sowieso chaotisch, aber heute Nacht ganz sicher“, hatte Charmatz vor Beginn mit Blick auf das Wetter angekündigt. Der leichte Regen wurde im Laufe des Stücks immer heftiger, so dass die Compagnie des „Musée de la Danse“ aus Rennes sich am Ende entschloss, die Aufführung etwas abzukürzen. Dankbarer, dennoch begeisterter Applaus.




Hahne + Horn heute in Herne: Tanz und Neue Musik in den Flottmannhallen

Die Flottmannhallen in Herne bieten heute Abend (Daten siehe unten) ein außergewöhnliches Musik/Tanz-Ereignis an. „Rotlicht“ heißt das Programm der Tänzerin/Choreographin Henrietta Horn und der Komponistin Dorothée Hahne. Was uns dort erwartet ist nicht nur getanzte Neue Musik, wir erleben einen vielschichtigen Dialog, der ebenso die Sinne anspricht wie zum Nachdenken anregt.

Als sei der Tanzboden mit Mikrofonen unterminiert, werden in „Schrittweise“ die Bewegungen der Tänzerin zum Rohmaterial des Klangs. Wie überhaupt bei Dorothée Hahne die Live-Elektronik weniger ein Generator von Tönen als ein verwandelnder Reflektor von Vorgefundenem ist. Das klingt manchmal gruselig, wirkt verstörend, oder es kommt witzig daher.

„Portabel x“ spielt mit der „Tür“ und dem, was tragbar und was nicht mehr tragbar ist. Die Stimmen quietschender, knarzender, knarrender Türen werden gedehnt, gestreckt, gepitcht. Ölen wäre ruinös.

„Kanon“ ist unter dem Aspekt althergebrachter Harmonien vielleicht das „schönste“ Stück des Abends. Dorothée Hahne singt ein Gedicht von Christine Lavant aus „Spindel im Mond“ und zeigt dabei die Nähe von Loop und Kanon.

Drei Intermezzi führen kommunikative Standardsituationen mit ungewissem Ausgang vor. Annäherung oder Befremdung, Monolog und einfühlsames Miteinander.

Akustisch und optisch abwechslungsreich gestaltet sich das Programm, das am 3. Mai dieses Jahres im Pina Bausch Theater an der Folkwang Universität der Künste in Essen uraufgeführt wurde und heute Abend in Herne zu erleben ist. Jazz-Atmen, Zischen des Horns und Schmatzen am Mundstück, ein Alphorn wird geknutscht und gerieben; faunisch bläst Hahne das Schneckenhorn, schelmisch das Abflussrohr aus dem Baumarkt. Die verwitternden Eisenschalen von Blindgängerbomben, die nicht detonierten, klingen nun als Glocken. Die Musikerin wirft von Hand Patronenhülsen, Abfall von Projektilen, in einen umgekehrten Stahlhelm, und daneben stehen Eierbecher, die das Ganze ironisieren. Ein Ohren- und Augenspaß, der zugleich zu denken gibt.

Die neunte Nummer, „es geht, was kommt …“, schließt die Klammer, die eine kurze Stunde zuvor mit „es kommt, was geht …“ geöffnet wurde. Warum der Abend mit den neun Programmpunkten aber „Rotlicht“ heißt? Ein rotes Lämpchen „On Air“ aus einem Tonaufnahmestudio, das manchmal in der sparsamen Bühnenausstattung leuchtet, mag einen Hinweis geben.

Dorothée Hahne – Musik
Henrietta Horn – Tanz
am Freitag, 29. Juni 2012, 20:00 Uhr,
Flottmannhallen Herne
Straße des Bohrhammers 5
44625 Herne
Spieldauer: 60 Minuten

 

Die Komponistin Dorothée Hahne