Das Zerbrechliche gar nicht antasten – eine brave Version von Tennessee Williams‘ „Glasmenagerie“ in Essen

Von Bernd Berke

Essen. Es gibt noch ein Theater jenseits aller temporären Aufgeregtheiten um schrille Konzepte von „angesagten“ Regisseuren. Es gibt das „täglich‘ Brot“ der Bühnen. Ist es nur Graubrot?

Im Essener Schauspiel-Studio kann man jetzt eine Probe aufs Exempel machen. Dort hat Martin Schulze ein in der Erinnerung fast schon verblasstes Stück von Tennessee Williams inszeniert, und zwar derart konventionell, dass man meint, dergleichen schon vor Jahrzehnten gesehen zu haben.

Warum hier und jetzt dieses Stück?

Vom Mobiliar bis zu den Gesten ist eigentlich nichts erkennbar von heute. Manche mögen da aufatmen und sich befriedigt im Theatersessel zurücklehnen. Als sei der ganze Text so fragil wie seine Hauptfigur Laura Wingfield, hat man „Die Glasmenagerie“ kaum anzutasten gewagt. Man könnte dies als Behutsamkeit, als Zeichen des Respekts vor dem Autor auslegen. Dennoch beschleicht einen die Frage: Warum hier und jetzt dieses Stück, wenn man doch keinen speziellen Zugang gefunden hat? Man müsste dem Drama ja nicht gleich die Haut abziehen, um es zu durchleuchten.

Die körperlich leicht behinderte Laura (oft nur geistesabwesend dreinblickend: Anja Schiffel) ist überaus schüchtern. Sie hat sich vor der ach so robusten Weit zurückgezogen und in eine eigene Sphäre versponnen, in deren Zentrum jene Glastier-Sammlung steht. Zerbrechlich die Figuren, zerbrechlich die Seele – derlei Symbolhaftigkeit ist für heutiges Empfinden zu üppig aufgetragen. Doch auch solche zeitbedingten Unzulänglichkeiten nimmt die Regle ohne Abstriche in Kauf.

Es geht noch immer zu Herzen

Die dominant-redselige Mutter Amanda (Ute Zehlen), die angeblich schon viel bessere Zeiten gesehen hat (als ihr Mann sich noch nicht aus dem Staub gemacht hatte), sorgt dafür, dass endlich mal ein „Verehrer“ für Laura eingeladen wird. Obwohl dieser Jim (Georg B. Lenzen) sich redlich bemüht, Laura nicht zu verletzen, ist er doch letztlich ein schaler Propagandist seines eigenen Erfolgsstrebens. Außerdem hat er längst eine andere Braut.

Der Rest ist quälende Peinlichkeit, die immer noch seltsam zu Herzen geht, selbst in dieser kreuzbraven Version. Es wird einem angesichts all der wehen und welken Illusionen gelegentlich eng in der Brust, und man würde vor dem Verblühen einer solch heillosen Restfamilie am liebsten Reißaus nehmen – wie Lauras Bruder Tom (Nico Link), der sich abends immer ins Kino davonstiehlt.

Im Großen und Ganzen gibt es solides Schauspiel-„Handwerk“ zu sehen; kleine Seelenstudien der Beklommenheit, die sich jedoch kaum einmal wirklich verdichten. Wahrlich ein unaufgeregtes Theater. In Ordnung. Jetzt aber bitte wieder ein paar Anstöße! Oder auch: Mehr Butter aufs Graubrot.

Termine: 23., 24.,26. Oktober. 5., 6., 23. und 24. November Karten: 0201/8122-200.




Das Niemandsland am Ende aller Träume – Tennessee Williams‘ „Endstation Sehnsucht“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Kreuz und quer über die Bühne verstreut sieht man Scheußlichkeiten der 50er Jahre. Verschlissenes Mobiliar, ärmliche Plastik-Kultur. Ringsum schaut’s aus wie auf einem billigen Campingplatz.

Oder wie auf einem melancholischen Gemälde von Edward Hopper: Rechts verläuft ein Gleis ins Niemandsland, daneben erheben sich dürre Telegrafenmasten. Wahrlich, es ist die „Endstation Sehnsucht“. Hier leben und leiden die unbehausten Figuren aus Tennessee Williams‘ Stuck.

Im Wuppertaler Schauspielhaus (Regle: Paolo Magelli / Bühnenbild: Cary Gayler) begegnen sich die Schwestern Blanche DuBois und Stella anfangs so, als wären, sie wieder die kleinen Mädchen von damals. Sie balgen, sie kichern und kitzeln einander. Doch es ist nur ein Nachklang früherer Spiele. Inzwischen ist ja längst das Erwachsenen-Leben mit all seinen Zumutungen über sie beide hinweg gegangen, gleichsam schweren Schrittes.

Blanche (Eicke Gercken) sucht bei Stella (Patricia Hermes) letzte Zuflucht: Das einstige Familien-Vermögen schwand dahin, vor allem aber hat sie alle Freunde und fast jede Hoffnung auf Liebe verloren. Sie wirft sich nun jedem hin wie eine Hure und ertränkt ihre wachsende Hysterie in Alkohol.

Mechanik statt Magie des Textes

Stella wiederum ist mit Stanley Kowalski (This Maag) nicht nur verheiratet, nein, sie ist ihm verfallen. Dieser Klotz von einem Kerl säuft und pokert unentwegt. Wenn Stella nicht spurt, schlägt er sie grün und blau. Doch ihr Begehren höret nimmer auf. Stanley wirkt hier gar nicht so animalisch, sondern ist einer von der weinerlich-brutalen Sorte, selbst zutiefst vereinsamt; wie denn überhaupt die Wuppertaler Aufführung mehrerlei Einsamkeiten vor uns ausbreitet. Vom gelingenden Leben dürfen all diese Menschen wohl nicht einmal träumen.

Ganz anders als bei Frank Castorf, der dasselbe Stück in Salzburg (und nun in Berlin) herausbrachte und die Vorlage nach eigenem Gutdünken umstülpte, hat die Wuppertaler Inszenierung großen, vielleicht auch allzu großen Respekt vor dem Original. Man wagt kaum, ihn anzutasten, zu raffen oder zu stilisieren. Sie reichen uns den Text sozusagen Zeile für Zeile dar. Doch obwohl man alles breit ausspielt, bleibt der Ertrag merkwürdig schmal. Wir erleben eher die Mechanik als die Magie des Stückes.

Eine gar zerbrechliche Frau

Längen gibt’s ebenfalls: Schier endlos sitzen Stanley und seine Kumpane am Pokertisch, wir dürfen ihnen beim Biertrinken zusehen. Prost! Aber man nimmt sich auch Zeit, peinigende Sprechpausen wirken zu lassen.

Nachdem das anfängliche hektische Getrappel und Geplapper vorüber und die offensichtliche Nervosität abgelegt ist, gewinnt man dem Text einige Nuancen ab. Besonders Eike Gercken als Blanche vermag ihre Figur anrührend darzustellen, es gibt sogar einige inbrünstige Momente.

Sie mimt zunächst die Tapfere, die „eigentlich ganz patente“ Frau. Doch dazu ist sie viel zu zerbrechlich – und schließlich ganz und gar gebrochen. Am Ende hockt sie da als überschminkte, grässlich rosa gekleidete Barbie-Puppe und lässt sich willenlos wegführen – geradewegs in die Psychiatrie. Das schiere Elend in bonbonbunten Mischlicht-Farben. Doppelt betrüblich.




Nur noch Zerstreuung und Betäubung – Frank Castorf inszeniert in Salzburg Tennessee Williams‘ „Endstation Sehnsucht“

Aus Salzburg berichtet Bernd Berke

„Big Brother“ hat nun auch Tennessee Williams eingeholt, die allgegenwärtigen Kameras sind bis zur „Endstation Sehnsucht“ vorgedrungen. Lust auf heftige Eheprobleme? Eine Sekunde, wir schalten um von der Küche ins Badezimmer, sehen Sie selbst!

Regisseur Frank Castorf hat Williams‘ Nachkriegs-Klassiker von 1947 (George Orwells Roman „1984″ mit dem „Big Brother“-Motiv erschien übrigens 1948) für die Salzburger Festspiele in unsere Zeit gezerrt; in eine Zeit, die keine privaten Dinge mehr zulässt, in der jedes ordinäre Gezeter sogleich für schrille Talkshows zugespitzt wird. Und so übermittelt denn auch ein TV-Bildschirm in dieser Inszenierung mancherlei Szenen zwischen Dusche und Toilette. Anders als im Originaltext, quetschen sich die Beteiligten auch schon mal zu dritt oder sechst auf der Bettstatt und vollführen groteske sexuelle Turnübungen.

Willkürliche Einschübe und jede Menge Zeitgeist

Die Geschichte vom geradezu tierhaft virilen „Proll“ Stanley Kowalski, der die ungleich zarteren Seelen seiner Frau Stella und ihrer Schwester Blanche sozusagen mit bloßen Fäusten zermalmt, wird von Castorf mit willkürlichen Einschüben versehen. Kowalski, der ja nun einmal aus Polen in die USA eingewandert ist, bekommt eine fetzenhafte Solidarnosc-Biographie verpasst, er soll einst an der Seite (und im Schatten) Lech Walesas für die Freiheit gekämpft haben. Doch von seinen früheren Utopien ist nichts geblieben als eine ziellos rasende Energie am Rande der Kriminalität. So ähnlich ergeht’s hier allen: Das früher Erträumte zeigt nur noch seine albtraumhaften Fratzen.

Trostlos wirkt die unbehauste Szenerie. Gegen Ende wird diese auf grelle Art dürftige Kleinwohnung der Kowalskis (Bühne: Bert Neumann) so weit nach hinten gekippt, dass alles Mobiliar verrutscht und die Darsteller sich nicht mehr auf den Beinen halten können. Die Welt ist also mal wieder ein unrettbar sinkendes Schiff. Doch dieser im Theater ach so gängige Befund wird nicht so sehr erkundet, sondern schlichtweg vorausgesetzt.

Alles ist mies, aber wir spielen’s munter ‚runter

Mögliches Motto: Alles ist mies, aber wir spielen’s munter ‚runter. Als sei’s eine Bochumer Regietat nach Art von Jürgen Kruse, wird unablässig Popmusik ins triste Geschehen eingeschleust – von Lou Reed („Perfect Day“) bis „Oasis“. Überhaupt wird das menschliche Elend allzeit mit Singsang verkleistert, den Rest erledigt „Doktor Alkohol“. Ruhe und Besinnung sind nicht mehr vorgesehen, nur Zerstreuung und Betäubung. Noch so ein Befund, der etwas für sich hat; wie denn Castorf überhaupt etlichen grauslichen Zeitgeist auf die Bühne schaufelt. Und zwischendurch lässt er sogar einige kostbare Momente stehen, in denen das wahre Leiden an Sehnsucht und Begierde hindurch schimmert.

Auf die Nerven geht aber diese Manier: Stets werden Sätze wiederholt und auf die schrille, zumeist hysterische Spitze getrieben. Das schmälert die durchaus achtbaren schauspielerischen Leistungen. Der Text geht vielfach im Gebrüll oder Gewinsel unter. Alle Haltungen sind nur noch Pose und Zitat, eine Lebensgeschichte geschweige denn eine umrissene Identität scheint keine dieser Figuren zu haben. Sie alle existieren nur noch als zumeist infantile Improvisationen ihrer selbst.

Henry Hübchen als Stanley Kowalski flattert zwischen haltloser Wut, fast schon rührend lachhafter Kraftmeierei und bloßer Leichtfertigkeit. Kathrin Angerer als Stella oszilliert als piepsiger Marilyn-Monroe-Verschnitt zwischen Vorstadtschlampe und Sensibelchen, und auch Silvia Rieger als Blanche, ehemals wohl attraktiv, ertrinkt in Augenblickslaunen.

Unter vier Schlagworte fasst das mit superklugen Essays gesättigte Programmheft die Zeitdiagnose: Danach herrschen in diesen unseren Tagen: Verwahrlosung, Lebensgier, Paranoia und Depression. All dies prägte die Inszenierung, die ein Gewoge aus Bravo- und Buh-Rufen hervorrief. Wie sagte doch die Frau vom Frittenstand am Theater, die tags zuvor die Generalprobe gesehen hatte: „Es ist halt a Problemstück“. Ei, freilich.