Him und Brom, Glimpf und Toffel

Doch, doch, ich erinnere mich an Momente oder gar Phasen im Studium, die wirkliche Aha-Erlebnisse beschert haben. Freilich geschah dies eher abseits vom Hauptweg.

Him und Brom, hübsch sortiert. (Foto: Bernd Berke)

Him und Brom, hübsch ordentlich sortiert. Und wer knipst nun den Glimpf? (Foto: Bernd Berke)

Zuerst aber kurz zum Zeitgeist, der damals in der Germanistik herrschte: Es war Brauch, zunächst einmal alles als bloßen und blanken Text (im Sinne eines sprachlichen Gewebes, einer Textur) zu verstehen – von der Boulevard-Schlagzeile bis zum Rilke-Gedicht, vom Flugblatt bis zum Toilettenspruch und zum Werbeslogan.

Die Parole hieß: Bloß keine grundlegenden Unterschiede, keine Hierarchien! Selbst der beste Roman wäre demnach auch nur ein textueller Sonderfall. Alles sollte herunter von den imaginären Denkmalssockeln.

Das Wort „Dichtung“ war verpönt

Man ließ es sich angelegen sein, „Texte“ noch und noch zu zergliedern, bis nur noch ein Skelett übrig blieb. Liebe zur Dichtung wurde auf diese Weise nicht unmittelbar befördert. Auch nicht mittelbar. „Liebe“ und „Dichtung“ durfte man eigentlich überhaupt nicht sagen oder denken. Das galt als hoffnungslos romantisch, bürgerlich und veraltet. Das war soooo Benno von Wiese… Bertolt Brechts „Glotzt nicht so romantisch!“ wurde derweil zu Tode zitiert. Es war die Zeit, als bei den Historikern kaum eine Seminararbeit denkbar war, in der nicht ausgiebig aus MEW (Marx-Engels-Werke) zitiert wurde. Die Herren hatten ja den Weltenlauf schon vorhergesagt…

Kafka hielt es nicht mit den Proletariern

So kamen manche, schwerstens und gröbstens linke Kommilitonen zu irrwitzigen Urteilen wie dem, dass etwa Franz Kafka es nicht ausdrücklich mit den Proletariern seiner Zeit gehalten habe und somit für den Fortgang der Historie nur von minderer Bedeutung sei. Wie denn überhaupt alle Interpretation verpönt war, die der Literatur immanent blieb und nichts sofort aufs Gesellschaftliche, am besten gleich auf den Klassenkampf abhob. Unter solchen Auspizien blieben nicht viele Schriftsteller übrig, die man gelten lassen durfte. Wie gut, dass man durch mancherlei Lektüre gegen solchen Schwachsinn „geimpft“ war – allem Zeitgeist zum Trotz.

Herz- und lieblos zergliedert wurden nicht nur kunstvolle Werke, sondern das Gerüst der Sprache selbst. Linguistik in Form der Generativen Transformationsgrammatik gehorchte eher dem mathematischen Denken und war für jeden Wortfex eine Quälerei, die just auch mit Liebe zur Sprache nichts mehr gemein hatte. Solche nichtsnutzigen Gefühle sollten einem offenbar gründlich ausgetrieben werden.

Als der Prof über Ich-Schwäche redete

Und schon komme ich zur anfangs angedeuteten Sache. Natürlich gab es in allen Fächern auch Professoren und Dozenten, die derlei engstirnige geistige Begrenzungen bei weitem überstiegen haben. Sie haben einem unverhofft unvergessliche Momente beschert. So etwa ein Dozent, der sich phantasiereich über Zeit- und Raumkonstruktionen in Romanen ausgelassen hat. Oder ein anderer, höchlich renommierter Geschichts-Professor, von dem bei mir am meisten seine Suada haften geblieben ist, unsere Generation (also die der Studenten) sei ausgesprochen ich-schwach. Darüber hätte man diskutieren sollen.

Überhaupt ist es seltsam, was man über all die Jahre hinweg so bei sich behalten hat: Das unscheinbare Beispiel mit den Him- und Brombeeren wird mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Isoliert man die Bestandteile Him und Brom, so hat man Silben, die im Deutschen mutmaßlich einmalig sind (wenn man mal vom chemischen Element Brom absieht).

Im Randbereich des Absurden

Wie ich gerade jetzt darauf komme? Nun, in den letzten Tagen sind mir zwei vergleichbare sprachliche Sinn- und Unsinns-Einheiten wie von selbst beigekommen. Zum einen der/die/das „Toffel“, wie es in Kartoffel und Pantoffel vorkommt – und sonst wohl nirgends, außer bei Zusammensetzungen wie Kartoffelsalat oder Pantoffeltierchen. Zum anderen wäre da der/die/das „Glimpf“, wie wir es in glimpflich oder verunglimpfen finden – und sonst an keiner Stelle.

Mit der Frage, was denn wohl „Glimpf“ und „Toffel“ besagen, gerät man in die Randbereiche des Absurden. „Glimpf“ scheint etwas glückhaft Harmloses zu bedeuten, „Toffel“ ist noch kryptischer. Wäre am Ende der Pan-Toffel ein allumfassender Toffel und die Kar-Toffel ein Trauer- oder Schmerzens-Toffel? Nee, hier wird nicht gegoogelt. Vor manchen erhabenen Rätseln sollte man demütig schweigen.

Fast möchte man wetten, dass begnadete Satiriker, Komiker und Parodisten wie Heinz Erhardt, Loriot oder Robert Gernhardt sich zuweilen mit solcherlei Fragen befasst haben. Auch der unvergessene SPD-Poltergeist Herbert Wehner hätte wohl am „Toffel“ Gefallen gefunden, hat er sich doch mit dem artverwandt klingenden (und übrigens auf Helmut Kohl gemünzten) „Düffeldoffel“ im Bundestag sprachlich verewigt. Aber das, liebe Kinder, ist eine ganz andere Geschichte.




Was ich eigentlich gerne schreiben wollte, dann aber doch nicht geschrieben habe…

Das Nicht-Getane, hier wird’s Ereignis. Wenn ich mir so überlege, worüber ich in den letzten Tagen habe schreiben wollen! Ui-ui-ui. Doch wo anfangs ein Wille gewesen sein mag, ist er dann doch nicht auf den Weg geraten.

Beispielsweise hätte ich ausführlichst von jenem misslichen kleinen Vorfall berichten können: Vergoss ich doch tatsächlich eine Tasse (schwarzen) Kaffee in meine vormalige Mac-Tastatur. Sie hat’s nicht überlebt. „R.I.P.“, wie es bei betroffenen Facebookianern öfter mal heißt.

Hätte, hätte, Fahrradkette... (@ Lupo / www.pixelio.de)

Hätte, hätte, Fahrradkette… (© Lupo / www.pixelio.de)

Anschließend habe ich mich mit einem so genannten „Migrations-Assistenten“ geplagt, der einem hilft, Programme, Dateien und Einstellungen von einem Computer auf den anderen zu schaufeln. Man lasse sich das Wort auf der Zunge zergehen: „Migrations-Assistent“.

Nebenbei gesagt: Ich mag’s ja sehr, wenn Technik funktioniert. Was ich aber überhaupt nicht mag, ist das forciert witzigseinwollende Wort „funktionuckelt“.

Zwischendurch habe ich noch eine allerletzte Buchbesprechung mit der Jahressignatur 2016 ins System hacken und ins Blog heben wollen, aber auch dafür war ich zu faul. Der Autor des betreffenden Bandes wird’s mir vielleicht danken. Doch es ist nur ein Aufschub. Und vielleicht habe ich dann schlechtere Laune.

Vorher wäre auch noch eine Zwischenbilanz zur winterpausierenden Bundesliga denkbar gewesen. Schließlich fühlen wir uns hier auch der Fußball-Kultur verpflichtet. Doch ach! Plötzlich gab es Ereignisse, neben denen jedes Gekicke verblasste.

Überhaupt: Jahresbilanzen, rauf und runter. Schwerstens kritisch und politisch. Hätte man schreiben können. Macht ja sonst keiner. Aber man kann nicht überall sein.

Persönliche Bekenntnisse? Gewiss. Auch das wäre möglich gewesen. Aber so weit möchte man dann doch nicht ausholen.

Irgendwer fühlt sich eh immer beleidigt.

Und was sagt man in derlei Möchtegern-Fällen?

Jede Wette, jede Wette:
„Hätte, hätte, Fahrradkette.“

Oder auch, ungleich avancierter mit Karl Valentin: „Mögen hätt ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut!“

Auf einer Glatze Locken zu drehen, sei das Geschäft der Feuilletonisten, hieß es einst. Und siehe da, schon hat der gewiefte Zeilenschinder wieder ein paar Zeilen geschunden; allemal genug für einen kurzen, so richtig nichtigen Beitrag. Nichtig ist allerdings auch mal wichtig.

In diesem oder einem völlig anderen Sinne: Prosit Neujahr!