Ein freundlicher Riese – Christos gigantischer „Mauerbau“ aus 13000 farbigen Ölfässern im Gasometer Oberhausen

Von Bernd Berke

Oberhausen. Dieser Christo schafft es einfach immer wieder: Anfangs, wenn man nur von den Projekten des Verhüllungskünstlers und seiner Gefährtin Jeanne-Claude hört, schüttelt man vielleicht noch den Kopf. Doch das ist bloßer Phantasiemangel. Man muß stets nur eine Weile abwarten. Und jetzt muß man’s nicht mehr: Das Ereignis ist da!

Sobald Christos Ideen verwirklicht sind, ist man überwältigt. So war’s 1995 beim verhüllten Reichstag, so ist es nun im Oberhausener Gasometer, wo Christo 13 000 bunte Ölfässer zur Riesenmauer („The Wall“) geschichtet hat. Christo und seine Gefährtin Jeanne-Claude kehren die üblichen Verhältnisse um: Die bloße Vorstellung klingt prosaisch, die reale Umsetzung erweist sich hingegen als poetisch…

Kein besserer Ort ließe sich für diese Installation finden als just der Gasometer. Sieht man die gigantisch aufgetürmte Ölfässer-Wand vor sich, so wird einem auch die ungeheure Ausdehnung des Industriedenkmals erst so recht bewußt. „The Wall“ füllt die gesamten 68 Meter Durchmesser des Gasometers aus und ragt 26 Meter auf; haushoch zwar, aber in den Dimensionen des 110 Meter hohen Gasometers fast bescheiden. Steht man ganz nah davor, so kann einem freilich ein wenig bange werden. Doch keine Angst: Das Wunderwerk wird von einer massiven Stütz-Konstruktion ehern gehalten.

Niemals an eine Verhüllung gedacht

Obwohl für den Faßanstrich handelsübliche Industriefarben verwendet wurden, ist die Leucht-Wirkung phänomenal, vor allem im Kontrast zum Grau-in-Grau der stählernen Industrie-Kathedrale. Koloriert wurden die Fässer, die später wieder in den Wirtschafts-Kreislauf zurückwandern, nach einem ausgeklügelten System: Rund 45 Prozent der Behälter gleißen hellgelb, 30 Prozent schimmern rötlich, der Rest weist blaue, graue, grasgrüne und weißliche Tönungen auf. Viele, viele bunte Kreise? Nein: Mehr Farbe, als das Auge trinken kann.

Projektleiter Wolfgang Volz, der den dreimonatigen Aufbau des „freundlichen Riesen“ für Christo überwachte, ist mit täglich 15 bis 20 Kräften ausgekommen – eine feine Organisationsleistung. Volz gestern zur WR: „Pannen hat es überhaupt nicht gegeben. Im Gegenteil: Es ging schon fast zu glatt.“

Christo und Jeanne-Claude sonnen sich derweil im Scheinwerferlicht etlicher Fernsehteams und im Blitzlicht zahlloser Pressefotografen. Auf die Frage, ob sie je an eine Verhüllung der Fässer gedacht hätten, reagieren sie allergisch. Ihre letzte Verhüllungs-Idee stamme von 1975. Jeanne-Claude: „Wir sind keine Verhüllungskünstler.“ Christo nickt. Weitere Frage: Ob wir bei „The Wall“ auch an die Berliner Mauer denken sollten? Jeanne-Claude schelmisch: „Es gibt auch eine chinesische Mauer…“

Nun denn. Jetzt nichts wie hin nach Oberhausen: Nachzählen, ob es wirklich genau 13 000 Fässer sind.

Christo & Jeanne-Claude: „The Wall“ (und Doku-Ausstellung zu früheren Christo-Projekten). Gasometer Oberhausen (A 42, Abfahrt OB-Zentrum). Bis 3. Oktober, täglich 10-20 Uhr. Eintritt 10 DM, Familienkarte 20 DM. (Infos: 0208/80 37 45).




„The Wall“: Mitreißende Bilderfluten

Von Bernd Berke

Die britische Rockgruppe „Pink Floyd“ war mit ihrer Show „The Wall“ („Die Mauer“) 1981 auf Tournee. Es erschienen das dazugehörigen Platten-Album (Auflage 12 Millionen) und ein einschlägiges Buch. Nun wird das Spektakel auf Zelluloid vermarktet. Ab morgen kann man das Ergebnis in den Kinos sehen. Dann läuft der Film „The Wall“ an, in Breitwandformat und Dolby-Stereo versteht sich.

Regisseur Alan Parker hat laut Presseheft nur ein einziges „Wall“-Konzert von „Pink Floyd“ gesehen, jenes in der Dortmunder Westfalenhalle. „The Wall“ ist als Film aber kein Produkt geworden, das die Bühnenshow nochmals originalnah für die Kinozuschauer reproduziert. Parker ließ sich vielmehr von der Musik dazu inspirieren, die Geschichte des von Eltern und Erziehern „kaputt“ gemachten Rockstars Pink (Bob Geldof) neu zu gestalten. Dabei ist ein mitreißender Film entstanden.

Parker hat nach dem Drehbuch von „Pink-Floyd“-Chef Roger Waters in 16-wöchiger Dreharbeit einen opulenten Augenschmaus angerichtet. Spielfilmelemente wechseln mit aufregend choreographierten, wortlosen Szenen, zwischendurch gibt es fulminante Trickfilmeinlagen. Stets gilt: die Bilder schmiegen sich eng an den Ablauf der Musikstücke. Der Sound strukturiert das Geschehen. Meist bedeutet das (vor allem zerstörerische) Aktion und ein ungeheuer hohes Tempo. Die Alptraumgestalten, die Pink halluziniert, verkörpern Visionen ziellosen Hasses. Endlich zerbirst die „Mauer“, die der Frustrierte um sich aufgebaut hat – Symbol für psychische Panzerungen. Am Ende steht – tja, was eigentlich? – Befreiung und/oder Irrsinn.

Man müßte den Film eigentlich viermal sehen (was wohl nur altgediente „Pink-Floyd“ Fans ihrem Geldbeutel zumuten werden): einmal, um die Bilderflut zu bewältigen, von der man sofort in Bann gezogen wird, als gerate man selbst in den Strudel des Geschehens. Ein zweites Mal, um die Musik zu genießen. Ein drittes Mal, um den Gehalt der Texte wahrzunehmen, die als deutsche Untertitel laufen und ständig von den Bildern ablenken. Ein viertes Mal schließlich, um das alles zusammen auf sich wirken zu lassen.

Gerade weil der Streifen die Sinne also vielfach bestürmt, beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Man wird nämlich nicht nur in Anspruch, sondem auch gefangengenommen von diesem Werk des ehemaligen Werbefilmers Parker. Für eigene Phantasie bleibt kein Platz. Das Stakkato der Bilder tenorisiert oft mehr, als daß es anregt. Genau darauf spekuliert der Film wohl auch: daß der Zuschauer sich ausliefert und nur noch aufnahmebereiter Konsument ist.