„Vorhofflattern“: Ein erregender Theaterabend

Foto: dman

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Was könnte man sich wieder aufregen: Über die miese Qualität von Taschentüchern heutzutage. Über die Scheiß-Tölen in der Stadt. Über Menschen auf Rolltreppen. Über die Erderwärmung und das trotzdem schlechte Wetter.

Wenn der Wutbürger sein eigenes Genörgel dann nicht mehr ertragen kann, besucht er einen Wut-Workshop. Dort sitzt er, probiert Modellbau als Substitution und versucht, konstruktiv mit seiner Wut umzugehen, was so einfach nicht ist: „Ich hasse Menschen, Tiere und Pflanzen. Aber Steine sind okay.“

„Vorhofflattern“ heißt das Stück von „artscenico performing arts“, das in Kooperation mit dem Dortmunder Theater im Depot und dem Theater Rottstraße in Bochum entstand. Die Gruppe um Rolf Dennemann, eigentlich Spezialist für ortsspezifische Inszenierungen, spielt diesmal nicht im Freien, nicht im Hotel oder auf dem Fried- oder Bauernhof, sondern ganz profan auf der Theaterbühne. Wut rauslassen lässt sich schließlich überall.

Wie ein überdimensionierter Stammtisch wirkt der schwarze lange Tisch, an dem die Darsteller (Karin Moog, Maximilian Strestik, Matthias Hecht, Manuela Stüßer) sitzen und Dampf ablassen. Was er seinen Darstellern in den Mund legt, hat Dennemann (Autor und Regisseur des Stücks) collagiert: Es sind Sätze aus Kommentaren in Sozialen Netzwerken und Internet-Foren, aufgeschnappt in Kneipen, gelesen in Leserbriefen. Es ist die vielleicht verzerrte, aber ungeschminkte öffentliche Meinung, die hier wütet: schreiend, zeternd, motzend, nörgelnd.

Um diesen Zustand der Dauer-Erregung auf der Bühne zu visualisieren, hat Dennemann starke Bilder gefunden. Schon vom Ankündigungsflyer glotzt schweinsäugig ein Pitbull in Lauerstellung. Im Stück taucht der Hund als Wackel-Dackel auf: Der Mensch (der Deutsche?) als ängstlich-angepasster Ja-Sager, dessen aufgestaute negative Energien sich an Nichtigkeiten entzünden und explodieren. Die vier Darsteller kommen und verschwinden wie Handpuppen im Puppentheater hinter ihrem schwarzen Podest und regen sich künstlich auf: Gegeben wird ein großartiges Wut-Theater der großen Posen.

Vorhof1

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Doch dann, plötzlich, bewegt sich ein Wesen auf dem Tisch. Es kriecht und schlängelt sich wie ein Wurm, und es ist zu groß, um es zu ignorieren. Die Workshop-Teilnehmer versuchen es, aber es wird nicht gelingen. Ist es etwa das hässliche, ungeliebte und bedürftige Selbst der Wütenden? Diese beginnen damit, das Wesen zu bandagieren wie eine Mumie. Die kümmerliche Kreatur muss gebändigt werden.

In einer eingespielten Simultan-Übersetzung der Rede eines schwedischen Arztes lernt der Zuschauer dann: Das Wesen steht für das Opfer eines Bombenanschlags. Trotz schlimmster Verletzungen kämpfe die Frau jeden Tag um eine bessere Zukunft im eigenen Körper. „Wir Menschen sind Wesen, die mit Narben gesund weiterleben können“, heißt es leider etwas aufdringlich, während sich die Bandagierte oben auf dem Podest sinnfällig ihrer Fesseln entledigt. Photini Meletiadis heißt die Tänzerin unter den Bandagen. Ihr Aufbegehren ist existenziell, ihre pure Körperlichkeit steht in krassem Gegensatz zum nun umso sinnloser scheinenden Aufbegehren der Unversehrten.

Diese, die vier Wut-Bürger, kauern am Ende unterm Tisch in vier kleinen Kabinen, gefangen im eigenen Unvermögen, mit der Welt und vor allem sich selbst klarzukommen.




Theater auf Feldforschung und im Verschnittversuch

Zwei kleine Theatererscheinungen der letzte Tage, ein „Stück“ und ein „Tanzstück“, in Dortmund und in Köln gezeigt, drängen zum Nachdenken über den Nachwuchs.

Beginnen wir in Köln. Auf der „Bühne der Kulturen“ sieht man „Aus Drei mach Eins“, ein Versuch, drei kleine Tanzstücke zu einem abendfüllenden zu verknoten. Es ist ein Versuch und als solcher wird er auch vermittelt. Die Reihe „Next Generation“ sagt uns, hier sieht man was, was noch Zeit braucht, aber kommen wird. Aus dem Solo „Kehrseite“ von und mit Annekatrin Kiesel, dem Duo „Human inside“ mit Cornelia Trümper und Arthur Schopa und dem Musik/Tanz-Duo „Subcontinenscious“ mit Photini Meletiadis und Laurenz Gemmer wurde ein Abend zusammengesetzt. Muss nicht sein, aber einen Versuch war es wert.

Die einzelnen Konzepte passen nur scheinbar zusammen, behindern sich aber eher, werfen Fragen auf, die nicht aufkommen sollten. Im Zentrum steht das fast autistische Verhältnis des Tänzers zu seiner Musik und dem Klavier, das eine zwanghafte Liaison mit der Bewegungskünstlerin eingeht. Da sieht man, welch ein minimalistischer, aber starker Abend es hätte sein können. So war es ein Tanzabend mit konventionellen Intermezzi. Immerhin.

In Dortmund zeigte das 99-Cent-Theater aus Bochum ein Gastspiel, das sich – in veränderten Konstellationen und Inhalten – durch das Ruhrgebiet zieht, mal erarbeitet nach Beobachtungen in Essen, mal in Duisburg. Hier im Theater im Depot bietet die junge Truppe ihre „Eintagsfliegen“, einer von ihnen so genannten Feldforschung folgend. Diese Feldforschungsserien sind eine Modeerscheinung. Man hat sich am Dortmunder Flughafen aufgehalten. Die Beobachtungen dort sind nun als Konzentrat auf der Bühne zu besichtigen. Da  sieht man Stuhlsitzgruppen, einen Koffer, eine Erdkugel, die von der Decke hängt. Drei Akteure kommen und gehen, dann wird Text abgesondert, nicht viel, aber passgenau. Zugegeben, die Texte von Elisa Müller (über das Fliegen an sich) haben eine naiv-schöne Färbung.

Ansonsten ist das alles sehr dünn. Knappe 40 Minuten dauert der Abend. Inhalt für gerade mal fünf Minuten kann man nicht länger ziehen. Das war schon hörgerecht. Warum man Mikros für die kleinen Ergebnisse großer Forschung benutzt, könnte dem Verfremdungseffekt geschuldet sein, ist aber eher befremdlich. Auch hier ein Versuch, der allerdings die Bühnengröße von ca. 12 mal 8 Metern nicht schafft, nicht in 40 Minuten, nicht so dünn angewärmt.