Einbruch mit Überraschungen: „Celine“ bietet leichtfüßiges französisches Boulevard-Theater

Stefan Pescheck (Pierre) und ChrisTine Urspruch (Anna) in der Komödie „Celine“. (Foto: Andreas Bassimir)

Vorhänge bewegen sich sacht, ein Lichtstrahl fingert im Dunkel. Eine Gestalt huscht vorbei. Völlig klar: ein Einbruch. Aber was als großer Coup geplant war, endet jämmerlich.

Der Ganove hat sich nicht nur in der Adresse vertan. Er macht auch mit seinem Pistolengefuchtel keinen Eindruck, als er erwischt wird. Und er scheitert vollends an der völlig ungerührten Furchtlosigkeit einer mondänen Dame namens Celine. Sie hat dem jungen Kerl schnell alle Chuzpe abgekauft.

Celine gibt dem französischen Boulevardstück auch den Titel, das in Emmerich am Niederrhein in einem vollen Theatersaal seine Premiere feierte und bis Dezember (und wieder im Frühjahr 2022) durch Deutschland tourt. Maria Pacôme, 1923 geborene Schauspielerin und Theaterschreiberin hat mit dieser leichtfüßigen Kriminalkomödie 1977 einen beachtlichen Erfolg errungen. Unterhaltsames Schauspielertheater ohne viel Tiefgang, aber mit einer aparten Handlung, die auf ihrer Klimax einen überraschenden Coup bereithält – mehr soll nicht verraten werden. Genau der richtige Leckerbissen also für die fünf auf der Bühne versammelten Stars. Denn die Theatergastspiele Fürth haben sich nicht lumpen lassen und das Fünf-Personen-Stück attraktiv besetzt.

Als glückloser Einbrecher stolpert Moritz Bäckerling mitten hinein in die erlesene Kunstsammlung in einer noblen modernen Villa, gebaut mit reduzierten, aber sehr effizient eingesetzten Mitteln von Elmar Thalmann. Aufgeschossen, dünn, etwas linkisch und verzweifelt Selbstbewusstsein und Professionalität mimend, ist sein Guillaume die köstliche Studie eines wohl gerade der Pubertät entwachsenen Jungen, der viel lieber lieb sein würde, als seinem anrüchigen Handwerk nachzugehen – und das letztendlich auch werden darf. Der in Unna geborene Jungstar verkörpert einen grundanständigen, ein bisschen weinerlichen und naiven jungen Mann, der sich zutraulich der Führung weiser Frauen übergibt.

Eine hat er offenbar in seinen Augen in Celine gefunden: Christine Neubauer („Soko 5113“), Trägerin vieler renommierter Auszeichnungen wie des Adolf-Grimme-Preises, stellt mit wunderbar gestützter und damit wandlungsfähiger Sprechstimme eine abgebrühte Dame von Welt auf die Bühne: schlagfertig, selbstbewusst, souverän. Das sind Eigenschaften, die den unsicheren jungen Mann beeindrucken. Celine scheint nichts aus der Ruhe zu bringen. Wirklich gar nichts? Die Frage stellt sich im Lauf des Stücks auf spannend-rätselhafte Weise.

Neben Christine Neubauer brilliert ChrisTine Urspruch, die als „Alberich“ im Münsteraner „Tatort“ stets verdiente Sympathie- und Bekanntheitspunkte einfährt. Hier wirkt sie als Anna, Haushälterin und Gefährtin Celines, als Gewissen des Hauses, als ausgleichendes Element und als warmherzige Frau, die dem Leben, obwohl sie es kennt, noch die guten Seiten abgewinnen kann. Eine durch und durch menschlich gezeichnete Rolle, sicher die anrührendste im Stück.

Hochkarätig besetzt hat Tourneetheatergründer und –leiter Thomas Rohmer auch die kürzeren Rollen: Celine hat nämlich einen Sohn, Pierre, und der hat eine neue Freundin. Fatal, fatal, denn wie es das Schicksal will, gibt es da sprichwörtliche Leichen im Keller – in diesem Fall Kunstwerke von unschätzbarem Wert. Und mit denen ist ausgerechnet die Favoritin Pierres durch ihre Vergangenheit verbunden. Stefan Pescheck, der in der Komödie „Patrick 1,5“ seit Jahren höchst erfolgreich mit den Theatergastspielen tourt, gibt den passenden Gegenpol zu dem hippeligen Einbruchs-Anfänger: Er tritt gemessen und gereift auf, in konservativem Anzug, ganz junger Mann aus gutem Hause.

Fee Denise Horstmann („Rosenheim Cops“, „Soko München“) dominiert nicht nur ihn, sondern auch die Szenerie und sorgt sehr cool für eine unangenehme Überraschung. Thomas Rohmer lässt in seiner Regie viel Raum, damit die Schauspieler ihre individuellen Stärken einsetzen können. Herausgekommen sind zwei Stunden Erzähltheater, in dem kein tieferer Gedanke vom trefflich konstruierten Fluss der Handlung ablenkt.

Was es nun wirklich mit Celine auf sich hat, kann man in der Region am 18. November in Recklinghausen und am 9. Dezember in Unna erfahren.




Das verflixte Komma: „Patrick 1,5“ als vergnüglicher Boulevard-Abend in Wattenscheid

Die Kuscheltiere sitzen in Reih und Glied, der Kinderwagen steht bereit und an der Plastikpuppe wird Babywickeln geübt. Alles ist bereit für den Empfang des kleinen Patrick, da bricht den beschaulichen Alltag zweier schwuler Männer das Desaster ein. Nicht in Gestalt des freudig erwarteten, nach langem Behörden-Hürdenlauf adoptierten eineinhalbjährigen Kleinkinds. Sondern als breitbeinig missgelaunter Teenager, der zuerst für den neuen Postzusteller gehalten wird.

Stefan Pescheck als Patrick. Foto: Andreas Bassimir

Stefan Pescheck als Patrick. Foto: Andreas Bassimir

Patrick ist zur Verblüffung der beiden Männer nicht 1,5, sondern 15 Jahre alt: ein übersehenes Komma, ein Behördenfehler.

Mit der 1995 erstmals gezeigten, 2008 auch verfilmten Komödie des schwedischen Autors Michael Druker touren die Theatergastspiele Fürth nun schon seit 2014 und haben über 200 Vorstellungen gegeben – auch in der Rhein-Ruhr-Region, von Remscheid über Witten bis jetzt in der Stadthalle in Wattenscheid. Auf den ersten Blick möchte man die lockere Boulevard-Story für ein Plädoyer halten, gleichgeschlechtlichen Paaren die Adoption zu ermöglichen.

Doch genauer genommen geht es in den knapp zwei Stunden in der unterhaltsamen Façon um den ganz normalen Alltag eines Paares, der sich von demjenigen von Frau und Mann so sehr nicht unterscheidet. Göran ist ein Träumer, der nachts über bahnbrechende Erfindungen sinniert, aber keine Kühlschranktür reparieren kann. Sven ist Sozialarbeiter und muss in seiner Telefonbereitschaft auch Suizidgefährdete beraten. Beide haben mit ihren Müttern Probleme – und Sven greift gerne zum Fläschchen, um die verdrängten inneren Belastungen zu neutralisieren. Dazwischen Alltag mit Vorwürfen und Versöhnung – wie es das Zusammenleben eben mit sich bringt.

Geladene Atmosphäre – überspielte Unsicherheit

So plötzlich wie unerwartet sind die beiden nun mit dem rotzigen Patrick konfrontiert. Stefan Pescheck spielt ihn äußerlich cool und genervt, weil er durch den Fehler des Sozialamtes bei den beiden „Schwuchteln“ gelandet ist. Die Körperhaltung und die ständig wie Waffen vom Körper wegstoßenden Arme – zwei Finger zum Teufelchen gespreizt – zeigen, was er von ihnen hält, aber auch, wie er seinen seelischen Panzer anlegt und die eigene Unsicherheit angriffslustig überspielt. Die Atmosphäre lädt sich schnell auf, der Streit eskaliert, auch weil Sven so gar nicht bereit ist, seine soziale Ader auch im Privaten zuzulassen: Er wäre den Teenager am liebsten sofort wieder los und zeigt das auch ziemlich direkt und aggressiv.

So gerät das bunte Chaos der kleinen schwulen Welt – Horst Rohmer-Kreller hat die Bühne gebaut – gehörig durcheinander. Wie es sich für eine Boulevard-Komödie gehört, geht alles gut aus, aber der Weg zum Happy End ist mit nachdenklichen Szenen gesäumt. Thomas Rohmer, zugleich Regisseur des Abends, spielt den weichherzigen Göran als knuffigen, ein wenig kindlich gebliebenen Bären: Er spürt als Erster, dass Patricks verletzte Seele keine Strenge, sondern Verständnis braucht. Sein sanfter Einfluss öffnet auch seinen Partner: So lässt auch Sven, der so zupackende wie verletzliche Saša Kekez, seine Sensibilität zu und baut allmählich einen Draht zu dem Jungen auf. Der fasst schließlich Vertrauen und kann offenbaren, wie es zu seiner kriminellen Vergangenheit gekommen ist.

In diesen Szenen zeigen die Darsteller viel Empathie für ihre Figuren, spielen leise und mit Nachdruck und verzichten – wie im ganzen Stück – auf das Ausstellen von Jugend- oder Schwulen-Klischees. Mit Göran und Patrick beginnen zwei Menschen sich zu verstehen, die aus unterschiedlichen Gründen zu Außenseitern geworden sind und ihre empfindsame Innenwelt nach außen abschirmen. Drukers Komödie bettet die Botschaft von der segensreichen Wirkung von Verständnis, Offenheit und Einfühlungsvermögen in einen lockeren, flotten Ablauf, in dem Humor und Spielwitz nicht zu kurz kommen. Ein vergnüglicher, aber nicht vordergründig „lustiger“ Abend.

Der nächste der insgesamt acht Boulevard-Abende in Wattenscheid ist am Freitag, 3. Mai, 20 Uhr, mit René Heinersdorffs „Aufguss“. Info: https://www.stadthalle-wattenscheid.de/events/aufguss/