Regionale Erdung, weiter Horizont – Buch und Ausstellung zum Thema „Mensch & Tier im Revier“

Der Titel „Mensch & Tier im Revier“ wirkt anheimelnd. Doch dieses Buch kommt vor allem anfangs auch mit gewichtigem theoretischen Unterbau und gesellschaftskritischem Besteck daher. Anlässe gibt’s ja genug.

Und so erfahren wir eingangs, dass das menschengeprägte Erdzeitalter, das Anthropozän, sich in der bisherigen Form dem Ende zuneige und dass wir endlich in eine – Achtung, Neologismus! – „humanimale Sozietät“ eintreten sollen. Sprich: Mensch und Tier mögen gleichsam auf Augenhöhe existieren, dem Tier wird eine Art „Inklusion“ zuteil und es sieht seinen so ganz anderes gearteten Geist (jawohl: Geist) gleichberechtigt gewürdigt. Eine ferne Utopie? Oder eine dringliche Notwendigkeit? Jedenfalls eine Sichtweise, die sich mit herkömmlichen Zoos oder zirzensischen Attraktionen nicht mehr vereinbaren lässt.

Grubenpferd, „Taubenvatta“ und Bergmannskuh

In fünf Hauptkapiteln greift der hochinteressante Band (und die zugehörige Ausstellung im Essener Ruhr Museum mit über 100 Exponaten und mehr als 100 Fotografien) die Aspekte seines vielfältigen Themenkreises auf, der nach Möglichkeit mit prägnanten Belegstücken aus der Geschichte des Reviers illustriert wird. Und ja: Auch der früher so allgegenwärtige „Taubenvatta“ sowie die Ziege als „Bergmannskuh“ kommen natürlich ebenso vor wie Gruben- oder Brauereipferde.

Der Horizont des Buches wie der Schau reicht allerdings weit über die Region hinaus, er erstreckt sich zugleich ins Existenzielle und Universelle. Man darf getrost von einem Standardwerk zum Thema sprechen, wobei es in den Texten häufig deutlich ernster zur Sache geht als in den Illustrationen.

Die Kapitel-Überschriften lauten:

1.) Tiere töten
2.) Tiere nutzen
3.) Tiere lieben
4.) Tiere ordnen
5.) Tiere deuten

Der Mensch handelt, das Tier erduldet und erleidet

Da gibt es, allen Differenzen zum Trotz, Gemeinsamkeiten: Immerzu ist nämlich der Mensch der Handelnde, das Tier erduldet und erleidet zu allermeist die Aktionen und Emotionen des Homo sapiens. Das biblische „Macht euch die Erde untertan“ wirkt lange und vielfach schrecklich nach.

Ganz unverhüllt und explizit zeigt sich das Gewaltverhältnis zu Beginn: „Tiere töten“ handelt vornehmlich von Jagd und Schlachtung, aber auch von rabiater Insektenvernichtung oder massenhaft überfahrenen Tieren. In den Blick gerät selbst ein Bildschirmspiel wie „Moorhuhn“, bei dem die Comic-Tierchen halt bedenkenlos abgeknallt werden. Befinden wir uns hier im Grenzgelände zwischen berechtigter Mahnung und humorfreier Spaßbremsung?

Auch in der Abteilung „Tiere nutzen“ verhält es sich nicht gerade zu wie auf dem sprichwörtlich idyllischen Ponyhof: Da geht es etwa um barbarische Tierversuche, erbärmlich ausgebeutete Grubenpferde, Brieftauben im Militärdienst, rücksichtslose Elfenbein-, Pelz- und Leder-Gewinnung, wobei im Ruhrgebiet das vielzitierte „Arschleder“ der Bergleute nicht fehlen darf.

Objekte der sortierenden Wissenschaft

„Tiere lieben“ klingt demgegenüber harmlos und versöhnend, doch auch die oftmals übertriebene Vermenschlichung und Verniedlichung der Tiere wird deren Wesen keinesfalls gerecht. Die herablassende Haltung schließt etwa die Zurschaustellung in Varietés und Zirkuszelten mit ein. Auch der vermeintliche „Schutz“ von Tieren hat furchtbare Kehrseiten: So wurden in Kriegszeiten Pferde in die Schlachten geschickt, notfalls mit Gasmasken versehen. Das war natürlich alles andere als mitfühlend.

„Tiere ordnen“ bezieht sich auf die Systematik der wissenschaftlichen Betrachtung, die im Tier vor allem ein Objekt sieht. Ausgestopfte Exemplare in naturkundlichen Sammlungen sind nur ein Ausdruck dieses herrschaftlich sortierenden und zergliedernden Zugriffs auf die Schöpfung, zu dem sich die Menschen selbst ermächtigen. Überdies umfasst der „Ordnungs“-Gedanke auch die ideologische Indienstnahme der Tiernatur – bis hinab zur 1935 in Essen gezeigten Ausstellung „Mensch und Tier im deutschen Lebensraum“, die unterm überdimensionalen Hitlerbild und unter Schirmherrschaft des „Reichsjägermeisters“ Göring rund 350.000 Besucher anzog.

Mit Blattgold überzogener WM-Krake

Schließlich „Tiere deuten“. Hier erfährt man von mancherlei Zuschreibungen symbolischer oder religiöser Art, mit denen der Mensch sich das Tier gedanklich für seine emotionalen Bedürfnisse zurechtlegt. Das Spektrum reicht hier vom putzigen Zigaretten-Igel bis zum Amulett und Wappentier, vom Tierkreiszeichen bis zum prolligen Fuchsschwanz am Auto-Rückspiegel.

Sogar der Oberhausener Fußball-Krake Paul, der bei der EM 2008 und bei der WM 2010 so manches Match mit deutscher Beteiligung richtig „vorhersagte“ und posthum mit Blattgold überzogen wurde, wird in diesem Zusammenhang noch einmal dargeboten. Das Exponat stammt übrigens aus dem Deutschen Fußballmuseum in Dortmund und zeugt auf bizarre Weise von einem obsoleten Blick auf die Tierwelt.

Das Buch

Heinrich Theodor Grütter / Ulrike Stottrop (Hrsg.): „Mensch & Tier im Revier“. Klartext Verlag, Essen. 304 Seiten Katalogformat, fester Einband, über 230 Abbildungen. 29,95 Euro.

Die gleichnamige Ausstellung

„Mensch & Tier im Revier“. Bis zum 25. Februar 2020 im Ruhr Museum auf Zeche Zollverein, Essen. Mo bis So 10-18 Uhr. 24., 25. und 31.12 geschlossen. Eintritt 3 Euro, ermäßigt 2 Euro. Welterbe Zollverein, Areal A (Schacht XII), Kohlenwäsche (A 14), Gelsenkirchener Straße 181. www.ruhrmuseum.de 




Kleines Genrebild vom Bauernhof

„Ich wollt', ich wär' ein Huhn..." (Foto: Bernd Berke)

„Ich wollt‘, ich wär‘ ein Huhn…“ (Foto: Bernd Berke)

Gar nicht so furchtbar weit von heimischen Gefilden entfernt, doch in einer anderen Welt gelegen: Zwei Wochen Urlaub auf einem Bauernhof in Ostsee-Nähe zeigen einem sehr sinnfällig, wie man sich von naturnahen Vorgängen entfremdet hat. Nicht einmal Kindern mag alles gleich gefallen.

Aufstehen! Ungefähr um 4:30 Uhr krähen lauthals drei bis vier Hähne. Schweine, Kaninchen, Esel, Enten, Rinder, Pferde und Ziegen haben jeweils ihren Platz und tragen im Laufe des langen Tages das Ihre zum allgemeinen Geräusch- und Geruchs-Aufkommen bei. Wie anders und keimfrei liest man’s meistens in den zahllosen Landleben-Magazinen.

Es gibt hier noch etliche Tiere mehr. Wie aufgeregt Hühner rennen können! Wie durchdringend Gänse kreischen können! Wie schnell und kraftvoll ein Esel zu galoppieren vermag! Auch fünf Katzen und fünf Hunde treiben mittenmang ihr Wesen. Die niedlichste, zutraulichste Katze kann auch völlig anders. Sie springt einem Vorstehhund schon mal beherzt auf den Rücken, als wollte sie ihn zureiten. Allzeit kratzbereit.

Und die Menschen? Zwei Helfer sind einander offenbar spinnefeind. „Lass mich in Ruhe, ich muss arbeiten“, raunzt die knorrige P. den öfter mal tagelang sturzbetrunkenen J. an, der in einem Wohnwagen auf dem weitläufigen Hofgelände lebt. Ein Duo, das jedes rustikal polternde Bauerntheater weit hinter sich lässt. Sie erinnern eher schon an den frühen Kroetz – oder gar an Beckett.

Dem Trunkenbold zur Mahnung: Gestern ist einer, der nahebei unter ähnlichen Bedingungen in einem Wohnwagen hauste, am exzessiven Suff gestorben. Ein Stoff wie aus einer Moritat. Die Bauersleute wollen es ihrem derzeit wenig hilfreichen Helfer eindringlich erzählen, auf dass er sich besinne. Auch so ein Narrativ. Zusatzfrage: Darf man jemanden heute noch „Knecht“ bzw. „Magd“ nennen oder ist das im politisch korrekten Sinne verpönt?

Die etwaige Anschaffung eines neuen Traktors ist ein weiteres Thema des Monats. Was bringt das alte Modell noch, was darf das neue kosten? Überhaupt wird notgedrungen hart kalkuliert. Wo gibt es günstige Gelegenheiten? Wo kann man diese oder jene Unterstützung bekommen, wie erhält man spezielle Subventionen? Welche Zimmer kann man vermieten? Wie lange muss das Hofcafé geöffnet bleiben? Auf welchen Märkten muss man präsent sein? Die partielle Missernte dieses Dürresommers verschärft die eh schon angespannte Situation noch. Der Laptop, gefüttert mit allen wichtigen Eckdaten, läuft quasi permanent heiß.

Woher kam eigentlich nochmal das Wort Kultur? Hat es denn nichts mit Kultivieren, also letztlich mit Ackerbau (aka Agrikultur) zu tun?




Der Mensch zwischen Tieren und Robotern: Windungsreiche Münsteraner Schau rund ums Gehirn

Geheimnisvoll und etwas gruselig: Blick in die „Galerie der Gehirne". (Foto: Bernd Berke)

Geheimnisvoll und etwas gruselig: Blick in die „Galerie der Gehirne“. (Foto: Bernd Berke)

Es gibt keinen Grund zur darwinistischen Überheblichkeit: Im Vergleich zu den Tieren hat der Mensch gar nicht so furchtbar viele exklusive Anlagen. Mit solchen Erkenntnissen lehrt die neue Münsteraner Ausstellung „Das Gehirn. Intelligenz, Bewusstsein, Gefühl“ auch etwas Bescheidenheit oder gar Demut.

Gleich am Beginn steht das größte Exponat, ein veritables Londoner Taxi aus den 1970er Jahren, in das man auch einsteigen soll. Nanu? Was hat das mit dem Gehirn zu tun? Nun, hier erfährt man, dass angehende Taxifahrer, die sich den komplizierten Londoner Stadtplan einpauken, nachhaltig von der Mühsal profitieren. Anschließend sind die Hirnbereiche, die mit Orientierung zu tun haben, deutlich ausgeprägter als vorher. Eine frohe Botschaft, übrigens auch und gerade für ältere Probanden.

Trio der Ausstellungsmacherinnen (von links): Dr. Julia Massier, Nicola Holm und LisaKlepfer) mit dem größten Exponat, inem original Londoner Taxi. (Foto: LWL/Steinweg)

Die drei Ausstellungsmacherinnen (von links): Julia Massier, Nicola Holm und Lisa Klepfer mit dem größten Exponat, einem original Londoner Taxi. (Foto: LWL/Steinweg)

Imposante Fülle der Exponate

Im LWL-Museum für Naturkunde werden 1200 Quadratmeter Ausstellungsfläche mit 770 Objekten rund ums Thema Gehirn „bespielt“. Damit ist es deutschlandweit die bei weitem größte Ausstellung zu dieser Materie. An über 60 Medienstationen können Besucher(innen) weiterführende Informationen sammeln oder ihre kognitiven Fähigkeiten erproben, sich jedenfalls zum Nachdenken und Nachfühlen anregen lassen. Zwei bis drei Stunden Zeit sollte man möglichst mitbringen, um die Fülle halbwegs auszuschöpfen. Aber gemach! Die Schau dauert beruhigende 16 Monate.

Ausgestopfte Tiere, die man gemeinhin in Naturkundemuseen erwartet, sind hier auch reichlich zu finden, doch sind sie nicht das Eigentliche, sondern dienen eher als sinnfällige Dekoration. Der themengerecht windungsreiche, ansprechend gestaltete Rundgang führt in etliche Bereiche, die man mit dem Gehirn assoziiert.

Da geht es zunächst um anatomische Voraussetzungen und Entwicklungen, sodann um natürliche und künstliche Intelligenz, Wahrnehmung, Gefühle, Ich-Bewusstsein, Schlaf und Traum, psychische Erkankungen, Drogen und schließlich um Verhaltenssteuerung (Stichwort „Gehirnwäsche“) des für allerlei Einflüsse empfänglichen, ja anfälligen Organs. Überhaupt erweist sich die Schau keineswegs als rein naturkundlicher Streifzug, sondern als Unterfangen, das weit in psychosoziale Sphären reicht.

MM7 Selector mit der groben Mechanik

Das eingangs erwähnte Taxi ist dabei nicht das einzige auffällige Exponat. Da wäre zum Beispiel KIM, ein Roboter mit 3D-Kamera und ausgeklügelter Sensorik (Kostenpunkt rund 40.000 Euro), der leise auf Rollen durch die Räume gleitet, zielsicher zu bestimmten Exponaten hinführen und sie einigermaßen eloquent erklären kann. Er wirkt in gewissen Momenten freilich noch etwas störrisch. Aber keine Angst: Er fährt einen nicht um, sondern bremst stets rechtzeitig! Das hat ein ähnliches Exemplar auch schon in der Dortmunder Arbeitswelt-Ausstellung DASA bewiesen.

KIM steht übrigens für „Künstliche Intelligenz im Museum“. Einer seiner frühen Vorläufer, der Maschinenmensch MM7 Selector, ist gleichfalls zu bestaunen. Das ziemlich ungeschlacht aussehende Monstrum wurde bereits 1961 vom Visionär Claus Christian Scholz-Nauendorff entwickelt, ist aber kein echter Roboter im heutigen Sinn. Es wollte sozusagen erst einer werden und musste sich noch mit grober Mechanik begnügen.

Früher Vorläufer heutiger Roboter: der „MM7 Selector", eine kybernetische Maschine von 1961/62. (Foto: © Technisches Museum Wien)

Früher Vorläufer heutiger Roboter: der „MM7 Selector“, eine kybernetische Maschine von 1961. (Foto: © Technisches Museum Wien)

Daran knüpfen sich Fragen nach dem heutigen Stand der Robotertechnik. Man ist drauf und dran, ihnen beizubringen, angemessen auf menschliche Mimik und somit auf Emotionen einzugehen – vielleicht zeichnet sich da eine (Neben)-Lösung im Pflegebereich ab? Gleichzeitig weckt derlei Fortschritt natürlich auch Ängste: Werden wir Menschen eines (nicht so fernen?) Tages in die hinteren Reihen rücken und von Robotern nicht nur entlastet, sondern regiert werden?

Zwei Schnittproben von Einsteins Hirn

Zurück zur Natur: Gibt es äußere Merkmale für besonders kluge Gehirne? Schon vorab wurden zwei Exponate besonders beworben, nämlich in einer Art Schrein präsentierte, haudünne Schnitte durchs Gehirn des Genies Albert Einstein, die aus einem Museum in Philadelphia (USA) eingeflogen wurden. Freilich hat keiner der vielen, vielen Hirnforscher, die solche Schnitte untersuchen durften, bisher spezielle physische Merkmale der überragenden Intelligenz Einsteins nachweisen können – wie denn überhaupt dieses Fachgebiet immer noch und immer wieder Rätsel bereithält. Auch das kann man eher beruhigend finden.

Nebenbei bemerkt: Zur Pressekonferenz lag auf jedem Stuhl u. a. ein Stück Seife in Form eines Gehirns. Die morbide kleine Morgengabe war mit einem Zettel versehen, auf dem „Gehirnwäsche“ stand. Beim Museumsträger, dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), hat man offenbar schwarzen Humor.

Etwas gruselig kann einem auch in der geheimnisvoll abgedunkelten „Galerie der Gehirne“ zumute werden. Hier sind gleich 71 echte, in Gläsern konservierte Hirne verschiedener Lebewesen zu sehen, die frappierende anatomische Vielfalt reicht von Frosch und Fledermaus bis zum Elefanten. Die allermeisten Beispiele stammen aus der umfangreichen „Edinger-Tiergehirnsammlung“. Sie werden ergänzt durchs Gehirn und das filigran verzweigte Nervensystem eines Berberaffen, präpariert vom nicht ganz unumstrittenen Plastinator Gunther von Hagens.

Die Wahrnehmung eines Elefanten

An einer anderen Station kann man sich – ein wenig – hineinversetzen in die Wahrnehmung diverser Tiere, die ja ganz andere Farbspektren und Tonfrequenzen aufnehmen können. Auf einer Vibrationsplatte stehend, kann man etwa das Sensorium eines Elefanten nachempfinden, der höchst sensibel auf geringste Erderschütterungen reagiert. Grotesk wirken jene Menschen- und Tiermodelle, deren tastempfindlichste Körperstellen entsprechend optisch vergrößert wurden. Deshalb hat die scherzhaft so genannte „Homunculine“ riesige Finger. Und das Kaninchen… Aber sehen Sie selbst!

Visualisierte Tastempfindlichkeit: „Homunculine", Kaninchen und Maulwurf. (Foto: Bernd Berke)

Visualisierte Tastempfindlichkeit: „Homunculine“, Kaninchen und Maulwurf. (Foto: Bernd Berke)

Sogar ein kleines, unscheinbares Bild von Pablo Picasso ist zu sehen, daneben vom Computer programmierte „Kunst“ – und die Hervorbringung eines Schimpansen, der angeblich nach und nach sogar einen „Stil“ entwickelt haben soll. Das bodenlose Fass, was nun Kunst und wer ein Künstler sei, will das Museum mit diesem Arrangement eigentlich nicht aufmachen. Zu erwarten steht jedoch, dass die einen oder anderen Betrachter dies trotzdem tun.

Auch Tiere berauschen sich

Man kann längst nicht alles erwähnen, so vielfältig und reichhaltig ist diese Ausstellung. Schon beim zügigen Rundgang lassen sich einige erstaunliche Einsichten gewinnen. So etwa die, dass nicht nur Menschen (allerdings erst mit etwa 18 Monaten), sondern auch manche Tierarten ein rudimentäres Ich-Bewusstsein entwickeln und sich selbst von anderen Exemplaren ihrer Spezies zu unterscheiden wissen. Ihnen ist offenbar auch vor dem Spiegel klar, dass sie sich selbst sehen. Und dabei reden wir nicht nur z. B. über Affen, Delfine und Hunde, denen man das wohl zugetraut hat, sondern beispielsweise auch über Schweine.

Dass Tiere ängstlich oder aggressiv sein können, weiß man. Die Ausstellung begibt sich darüber hinaus auf die aussichtsreiche Spur der Vermutung, dass sie auch ein (etwas anders gelagertes) Gefühlsleben haben. Noch in einer weiteren Hinsicht verhalten sich Tiere wie Menschen, sie berauschen sich nämlich ganz gezielt mit allerlei „Drogen“. So bevorzugen manche Arten Rauschpilze oder Mohn, andere wiederum pfeifen sich das Sekret von Tausenfüßlern ‚rein, um es mal salopp zu sagen. Da gerät ihr Gehirn gleichsam ins Schwirren, Schwanken und Tanzen.

„Das Gehirn. Intelligenz, Bewusstsein, Gefühl.“ LWL-Museum für Naturkunde, Münster, Sentruper Straße 285 (neben dem Allwetterzoo). Vom 29. Juni 2018 bis zum 27. Oktober 2019. Geöffnet Di bis So 9-18 Uhr. Eintritt 6,50 Euro (Erwachsene), 4 Euro (Kinder), 14 Euro (Familien).

Weitere Infos: www.das-gehirn.lwl.org




WDR-Film „Wildes Ruhrgebiet“: Wie Pflanzen und Tiere frühere Industrieflächen erobern

Die bundesweit größte Wanderfalken-Kolonie hat sich im Ruhrgebiet angesiedelt. Diese Raubvögel, die auch auf Tauben aus sind, mögen halt hohe Schlote, aus denen kein Rauch mehr kommt.

Derlei erstaunliche Eroberung aufgegebener Industrie-Areale ist beileibe kein Einzelfall. Etliche Tierarten haben – um nicht einmal zu kalauern – ihr Revier im Revier gefunden; zumindest für eine gewisse Zeit, häufig auch dauerhaft. Das Ruhrgebiet als „Platz für Tiere“ – wenn Bernhard Grzimek das geahnt hätte…

Zwischen rostendem Stahl: Rotfüchse haben sich mitten im früheren Hüttenwerk (Landschaftspark Duisburg Nord) angesiedelt. Hier finden sie bessere  Schlupfwinkel als im Wald. (Foto: © WDR/Light & Shadow GmbH)

Zwischen rostendem Stahl: Rotfüchse haben sich mitten im früheren Hüttenwerk (Landschaftspark Duisburg Nord) angesiedelt. Hier finden sie bessere Schlupfwinkel als im Wald. (Foto: © WDR/Light & Shadow GmbH)

Da sind beispielsweise die Füchse, die sich im stillgelegten Duisburger Stahlwerk sicherer fühlen können als in vermeintlich „freier Natur“. Unterdessen haben Steinmarder – sonst Felsenbewohner – eine aufgelassene Gießereihalle für sich entdeckt. Da ist der Flussregenpfeifer, der riesige Brachflächen zu erobern weiß, die durch den Abriss von Industriebauten entstanden sind. Anders, als es sein Name vermuten lässt, braucht er nicht zwingend ein Gewässer.

Findig waren auch die Kreuzkröten, die vor der Industrialisierung in den Auenlandschaften der Ruhr gelebt haben und sich nun auf Kohlehalden verlegt haben. Wenn diese in absehbarer Zeit vollends begrünt sein werden, müssen sich die Tiere allerdings wieder auf Wanderschaft begeben.

Der (hauptsächlich von einem NDR-Team um den Regisseur Christian Baumeister erstellte) WDR-Fernsehfilm „Wildes Ruhrgebiet“ (morgen, 13. Dezember, 20.15 Uhr; bis zum 20. Dezember außerdem in der Mediathek) zeigt in teilweise hinreißenden Bildern frappierende Kontraste zwischen rostenden Industriekolossen, öden Brachlandschaften und einer quasi unverwüstlichen Natur, die sich Räume in dieser geschundenen Landschaft zurückerobert. Das hat schon seinen ganz eigenen Reiz, den man in anderen Gegenden nicht kennt.

Pflanzliche Pioniere wie Birken und tierische Neuland-Eroberer wie eben Füchse und Marder machen den Anfang, alsbald folgen andere Arten und es entstehen ungeahnte Biotope. Das geht dann etwa nach und nach so vor sich: Pflanzen überwuchern alte Gleisanlagen, es folgen Insekten, die sich an den Pflanzen gütlich tun, sodann wollen Igel die Insekten vertilgen und locken schließlich Tiere an, die ihrerseits Igel fressen.

Sprachlich ist der 45 Minuten lange TV-Beitrag zuweilen redundant, hin und wieder auch etwas volltönend geraten („Das Comeback der charismatischen Vögel“). Doch der in Dortmund geborene Sprecher Dietmar Bär, der schon bessere Texte hatte, verhütet immerhin Schlimmeres.

Auch wenn man von der einen oder anderen Wiederkehr bzw. Neuansiedlung schon gehört hat, bleibt der Film lehrreich. Er kündet von den nie versiegenden Selbstheilungskräften der Natur, die sich sogar noch auf vergifteten Böden festkrallt, und sei’s in Gestalt der Ödlandschrecke. Mit grausig gestimmter Phantasie vermag man sich demnach vorzustellen, wie es nach einer Katastrophe oder Apokalypse aussehen könnte.

Doch denken wir lieber ans Positive. Selbst Bergsenkungsseen, die ja eigentlich aus Schädigungen der Natur hervorgegangen sind, haben sich (etwa in der Dortmunder Hallerey) zu beschaulichen kleinen Paradiesen entwickelt, in denen nicht nur Lachmöwen ein ideales Brutgebiet vorfinden.

Ganz zu schweigen vom grandiosen Projekt einer Renaturierung der einstigen Fluss-Kloake Emscher, die sich über weite Strecken schon wieder als lieblicher Bach durch diese Region schlängelt und eine entsprechende Flora und Fauna nach sich zieht. Nicht oft können Filme mit so vielen sinnfälligen Hoffnungszeichen aufwarten.