Ruhrfestspiele: Zwei Teufel und ein Weib

Foto: Hans Jörg Michel/Residenztheater

Foto: Hans Jörg Michel/Residenztheater

Wie ein überdimensionales Mikadospiel liegen die Baumstämme kreuz und quer auf der Bühne. Als hätte ein Riese gewütet und dann die Lust verloren oder als sei ein Kyrill durch den Bergwald gefegt. Auf den Stämmen balancieren zwei Männer und eine Frau, schwindelnd, nah am Abgrund, immer kurz vor dem Absturz.

Ein Sinnbild für ihr unheilvolles Dreiecksverhältnis, das von Leidenschaften, Eifersucht und Gier vergiftet ist und schließlich in die Katastrophe führt. Martin Kusej inszenierte „Der Weibsteufel“ 2008 für das Wiener Burgtheater, 2011 nahm er ihn mit ans Münchner Residenztheater, wo der Regisseur inzwischen Intendant ist. Jetzt war die Inszenierung mit Starbesetzung bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen zu sehen.

Birgit Minichmayr (Weib), Werner Wölbern (Mann) und Tobias Moretti (Jäger) entfalten ein hochdramatisches Geflecht, das aus einem emotionalen Bodensatz aus Liebe, Hass, enttäuschten Lebenserwartungen und zu lange gezähmten Begierden gespeist wird, die wie in einem Dampfkochtopf irgendwann explodieren müssen, wenn der Druck zu hoch wird. Dem Kochvorgang zuzusehen, der im volkstümlichen Idiom des Dramatikers Karl Schönherr im knapp Gesagten unendlich viel mehr Gemeintes produziert, lässt einem zuweilen den Atem stocken. Soviel Gemeinheit in der Welt und zugleich so viel Hilflosigkeit zwischen Mann, Frau und Liebhaber.

Apropos Frau oder – mit Schönherr (1867-1943) gesagt – „Weib“: Birgit Minichmayr gibt den Weibsteufel auch als Verteufelte. Als Frau, die in der männlich eingerichteten (Dorf)Welt dauernd nach fremden Regeln spielen muss, als Besitz behandelt wird und als Mittel zum männlichen Zweck. Bei solcherart „Zipfelspielen“ ist zunehmend ihr Herz erkaltet, das eigentlich doch geliebt werden will. Und sie schlägt zurück, in ihrer unnachahmlichen, rotzig-rauen Art, nur manchmal leuchtet durch einen Spalt die Verletzlichkeit. Will sie nicht eigentlich ein Kind, statt in die Schmuggelgeschäfte des Mannes hineingezogen zu werden? Will sie nicht eigentlich die wahre Liebe, statt einen Liebhaber, der sie als Köder benutzt, um den Schmuggler zu überführen und sich einen Jäger-Orden zu verdienen?

Allerdings ist die weibliche Rache als Holzweg in die Emanzipation an Grausamkeit und manipulativem Kalkül kaum zu überbieten: Wie beiläufig schmeichelt das Weib dem Ehemann das soeben erworbene Haus gleich wieder ab, samt Unterschrift auf dem Testament. Der Liebhaber wird in Zorn und Hass hineingetrieben, dass er den lästig gewordenen Ehemann am End ersticht. Doch triumphiert sie jetzt, die Teufelin?

Das weiß man nicht, denn es gehört nicht mehr zum Stück. Denkbar wäre, sie säße alt und grau allein in ihrem schönen Haus am Markt. In einem Kästchen vor sich einen goldenen Knopf von der schmucken Uniform des Jägers und eine blonde Locke vom verblichenen Gemahl. Und weinte still eine kleine, verlogene Träne…

Weitere Infos:
www.ruhrfestspiele.de und www.residenztheater.de




Die Luftgeister des Leidens – Bochumer Uraufführung von „Der Narr und seine Frau heute abend in Pancomedia“

Von Bernd Berke

Bochum. Es war wohl das vornehmste deutsche Theaterereignis dieses Monats: Nicht der ursprünglich vorgesehene Peter Stein in Berlin, sondern Matthias Hartmann in Bochum inszenierte die Uraufführung des neuen Stückes von Botho Strauß. Und so herrschte am Samstag knisternde Spannung, als das Spiel begann.

Der Titel der 20-teiligen, in Bochum vierstündigen Szenenfolge passt komplett in kein Schauspielführer-Register: „Der Narr und seine Frau heute abend in Pancomedia“. Vermutlich wird man ihn aufs klangvolle Rätselwort „Pancomedia“ verkürzen – und darunter ist vielleicht die allumfassende (Tragi)-Komödie heutigen Menschseins zu verstehen, das sich (einem Stückzitat zufolge) „zwischen Ariel und Hiob“ spannt; ein Drahtseilakt also zwischen dem Luftgeist, der zum Höheren oder ins Flüchtige strebt, und der biblischen Figur erdenschweren Leidens.

Zentraler Ort ist die Empfangshalle des Hotels „Confidence“ (Vertrauen). In einem Saal des Etablissements, das in Erich Wonders magischem, durch und durch roten Bühnenbild an einen riesigen Uterus gemahnen mag, gibt es eine Dichterlesung. Die Schriftstellerin Sylvia Kessel (Dörte Lyssewski) nimmt etwas schüchtern am Tischchen Platz und trägt mit zunehmend brüchiger Stimme aus ihrem Roman „Rapunzelzopf oder Vom Ende der Greisenrepublik“ vor.

Bis zum Schluss in der Schwebe 

Diese gläsern empfindlichen, doch hin und wieder aufbrausenden Visionen aus einer überalterten Gesellschaft werden von einem notorischen Zwischenrufer unterbrochen. Es ist der Kleinverleger Zacharias Werner (Tobias Moretti), der das gesamte Programm seiner „edition 24″ in einem Rucksack bei sich trägt. Ständig mit dem Aufkauf durch einen großen  Buchkonzern des jovialen Großsprechers Brigg (Alexander May) bedroht, laviert sich dieser Mann durch eine geldverderbte, immerzu mit Handys und Börsenkursen befasste Welt.

Soll man diesem Werner glauben, dass er für die wirklich wichtigen Bücher kämpfen und sich auch für Sylvia Kessel bedingungslos einsetzen will? Oder ist er nur ein finanzieller und sexueller Filou? Wäre er am Ende gar nur ein unverdrossen durch die Zeit schweifender Narr? Es bleibt bis zum Schluss in spannender Schwebe, und das ist eine reife Leistung von Tobias Moretti, der mit der TV-Serie „Kommissar Rex“ halt sein gutes Geld verdient hat.

Eine grandiose Gesellschafts-Belauschung

Rings um die beiden Hauptfiguren, deren Liebes-Zukunft letztlich gleichfalls ungewiss, doch nicht gänzlich hoffnungslos bleibt (wie gut tut dies einmal, angesichts aller sonst so gängigen, pessimistisch-schwarzen Bühnen-Phantasien), entfaltet sich ein ungeheuer facettenreiches Panorama der Paare und Passanten. Die 31 Darsteller verkörpern in diesem rauschenden, manchmal zu Tableaus einfrierenden Reigen rund 100 Figuren in immer neuen Gruppierungen. Er ist eine grandiose Gesellschafts-Belauschung: Einmal geht eine Engels-Figur mit einem überdimensionalen Ohr in den Händen durch die Menschen-Pulks, allerlei markante Beziehungs-Satzfetzen einfangend.

Dies alles ist so sehr aus dem Heute geronnen und so unumstößlich zur Sprache gebracht, dass es zum Lachen reizt und gleichermaßen schmerzt. Botho Strauß zeigt hier ganz und gar, was das Theater vermag. Es ist, als spiele er dessen Möglichkeiten zwischen Alltags-Niederung und mythischem Fluge („Weltliebesbrand“, „Zerschlagt die Ideen“) bis zur Neige durch.

Wie in einem hellsichtigen Traum

Hartmann tut es ihm nach: Der allzeit gleitenden Bewegung des Textes folgend, wandelt er wie in einem hellsichtigen Traume durch all die Ticks und schrägen Manieren, die grotesken, innigen, sehnsüchtigen, absurden, witzigen, traurigen, desolaten, zu Tode bestürzten Momente.

Requisiten kommen wie von Zauberhand auf Rollen herein und hinaus. Mit Drehbühne und sphärischer Flüster-Musik (Parviz Mir Ali) ergeben sich daraus geradezu geisterhaft schön fließende Übergänge. Eins erwächst aus dem anderen und treibt das nächste aus sich hervor. Und wie die Narren bei Shakespeare, so spiegeln hier die beiden Varieté-Typen Alfredo und Vittoro (Fritz Schediwy, Ernst Stötzner) das Tun und Treiben. Man denkt an abstruse Dialoge eines Karl Valentin, doch auch an die urkomischen Verzweiflungen eines Samuel Beckett.

Wen dürfte man nur hervorheben aus dem starken Ensemble? Moretti und Lyssewski tragen das Gerüst. Sie haben sichtlich Bodenhaftung und vermögen dennoch – als leidvoll Freigesetzte – ins Jenseitige auszugreifen, ganz wie es Strauß entspricht. Doch ohne all die anderen gingen sie durch luftleere Räume.

Ein an Gedanken und Empfindungen, reicher, ein erhebender Abend. Frenetischer Beifall.

Termine: 15., 16., 22. April. 5., 6., 19., 20. Mai. Karten: 0234/33 33-111.