Selbstgeißelung eines vierfachen Vaters: Tillmann Prüfers Kolumnen-Buch „Jetzt mach doch endlich mal das Ding aus!“

Das Phänomen ist schon einige Jährchen alt. Etliche Journalistinnen und Journalisten sehen sich bemüßigt, das Aufwachsen ihrer Kinder publizistisch mit Kolumnen zu begleiten oder es (böswillig ausgedrückt) „auszuschlachten“.

Die schwer zu übertreffenden Musterbeispiele für dieses Genre hat Axel Hacke („Der kleine Erziehungsberater“ u. a.) von der Süddeutschen Zeitung verfasst. Er dürfte einige Leute zumindest indirekt inspiriert haben, es ihm gleichzutun; so wohl auch Tillmann Prüfer (Leitender Redakteur beim „Zeit-Magazin“, wo die meisten Kolumnen zuerst erschienen sind), der schon mal darauf verweisen kann, Vater von vier Töchtern zu sein: Juli ging zum Zeitpunkt der Niederschrift noch zur Grundschule (2. Klasse), Greta war 13, Lotta 15 und Luna 20 Jahre alt. Ein gehöriges Spektrum, fürwahr. Da macht man(n) was mit. Und da drängt sich die Verfertigung einer Kolumne geradezu auf, oder?

Ein hervorstechendes Merkmal der Töchter (nicht nur bei den Prüfers) ist der allgegenwärtige Medienkonsum via Smartphone. Und so trägt das Buch denn auch einen genervten Ausruf als Titel: „Jetzt mach doch endlich mal das Ding aus!“ Dumm nur, dass auch der Vater ziemlich oft auf dem Handy daddelt. Das schmälert schon mal seine Autorität in derlei Fragen. Doch als leuchtendes Vorbild sieht er sich eh nicht. Dazu gleich noch mehr.

Tillmann Prüfer spielt das Lied von der Smartphone-Manie sozusagen auf der Klaviatur rauf und runter, in immer neuen Variationen. Da geht es beispielsweise um die (herzlich nutzlose) Festlegung der Bildschirmzeit, um Selfies, um Netzwerke wie WhatsApp, TikTok und Insta (nur Erwachsene sagen Instagram), um die übliche Kürzelsprache, um Streaming-Dienste wie Spotify und klaftertiefe Differenzen beim Musikgeschmack oder um Ballerspiele. Et cetera pp.

Fährnisse rund ums Internet bilden zwar den Schwerpunkt, doch kommen weitere Alltagsdinge hinzu, so etwa der Auftritt eines Roboter-Staubsaugers, Turnübungen im Wohnzimmer, Fernsehkonsum und schließlich auch schon Freud und Leid beim coronabedingten Homeschooling im Frühjahr 2020. Gar vieles läuft auf augenzwinkernde Verständigung hinaus, die auf die Generationsgenossenschaft des Autors zielt. Tillmann Prüfer ist übrigens vom Jahrgang 1974. Und er hätte es so gern, wenn seine Töchter öfter mal ein Buch zur Hand nähmen…

Zwar habe ich nicht vier Töchter, sondern eine Elfjährige, die auf Nachfrage inhaltliche Details des Buchs vollauf bestätigen kann. Sie und ihre Freundinnen leben quasi im selben Kosmos wie Tillmann Prüfers Kinder. Und der bleibt einem eben teilweise verschlossen. Dessen ungeachtet kommt mir manches sehr bekannt vor, so etwa Schleich- und Playmo-Spielzeug, die speziellen Tänze, die zu TikTok-Sounds wie „Baby Shark…“ vollführt werden, oder der Kult um BFF-Verhältnisse (Best Friend Forever). Und vieles mehr.

Väter oder Mütter können sich da schon mal ziemlich altmodisch oder „zurückgeblieben“ vorkommen. Aber muss man sich selbst so unablässig geißeln, wie es Tillmann Prüfer für angebracht hält? Feinsinnige Selbstironie in allen Ehren, sie ist angenehm und lässt auf eine gewisse Souveränität schließen. Hier aber wird sie als ständige Selbstverkleinerung geradewegs zur Masche und schlägt zuweilen ins Gegenteil um.

Fast in jeder Kolumne lässt uns der Autor wissen, dass er sich – ganz gleich, auf welchem Gebiet – wieder mal als total uncooler und unfähiger Depp erwiesen habe, der nach Meinung der Mädels weder locker noch „fresh“ ist. Er setzt noch manch einen drauf und stellt sich allemal als vorgestrig, ungelenk und begriffsstutzig dar. Diese permanente (Pseudo)-Unterwürfigkeit verwässert die Lektüre. Die einzelnen Beiträge bekommen dadurch einen recht ähnlichen Drall und münden häufig in Sinnschleifen, die gut und gern mit Loriots unnachahmlichem „Ach was!“ quittiert werden könnten. Man muss zugute halten: Als gelegentliche Einzelstücke im Zeit-Magazin haben die Texte eine andere Wirkung als im Buch, wo sie halt hintereinander weggelesen werden.

Indes lässt Prüfer immer mal wieder ahnen, was es heißt, gleichsam im Bannkreis von vier Töchtern in verschiedenen Stadien zwischen Kindheit und Vollmündigkeit ein Vaterdasein zu fristen. Da braucht man einfach seine kleinen Fluchten.

Tillmann Prüfer: „Jetzt mach doch endlich mal das Ding aus!“ Kindler Verlag, 160 Seiten, 12 Euro.




Soziale Miniaturen (6): Im Herrenhaus

Die ältere Dame trägt wochentags stets einen schwarzen Kaschmir-Pullover. Sie sagt, sie sei einst Schauspielerin bei einem weltberühmten Regisseur gewesen. Beinahe achtlos lässt sie auch Namen wie Marianne Hoppe oder Will Quadflieg herabtropfen. Sie macht kein Aufhebens davon, sondern handelt es ab, als sei es selbstverständlich, derlei Theaterprominenz gekannt zu haben.

Sie lebt in einem weitläufigen Herrenhaus mit riesigem Park. Nebenher vermietet sie einige Ferienwohnungen auf ihren Latifundien. Weitere Domizile liegen in einer deutschen Metropole und in Übersee.

Früh hatte sie die Schauspielerei aufgegeben und sich in gewisse Formen des Journalismus eingefunden. Anfangs hat sie triviales Geschichten für damals noch florierende Illustrierte geschrieben. Später hat sie – unter Pseudonymen – Unterhaltungsromane mit billigem Lebenstrost verfertigt und schließlich ähnlich gelagerte Stoffe fürs Fernsehen gestrickt. Irgendwann glaubte sie die schaumigen Träume vom jederzeit möglichen Aufstieg der kleinen Leute selbst. So etwas schreibt sich leichten Herzens im Herrenhaus.

Ihre größte Sorge ist ihre Tochter, die einer brotlosen Kunst nachgeht. Das ließe sich ja noch regeln. Doch weitaus schlimmer sei dies: „Sie bringt mir keinen vernünftigen Schwiegersohn“, sagt die Dame über die Tochter, die als Einzelkind gar zu zickig sei. Am liebsten würde die Mutter ihr einen passenden Mann suchen. Der müsste halt mit einem etwas kleineren Busen vorlieb nehmen und den „Wildfang“ bändigen… Dafür gäb’s allerdings ein ansehnliches Erbteil und eine doch recht hübsche Gattin obendrein. „Hier. Schauen Sie. Ich habe ein paar Fotos.“

Tiefer Seufzer. In einigen Jahren werde die Tochter 40 sein, dann werde es immer schwieriger, wenn eine so eigenwillig sei wie sie. Den Besten von allen habe sie verschmäht, vergebens weine sie ihm jetzt nach.

Ach, es ist ein Elend. Geradewegs illustriertenreif.