Zwischen Lyrismen und Kalauern – Lünen: Das Theaterpathologische Institut mit „Die Raupe versteht den Schmetterling nicht“

Von Bernd Berke

Lünen. Samtbedeckt die ganze Bühne, im Hintergrund ragt einsam ein Riesenkaktus auf. Doch die trostlose Einöde ist nicht unbelebt. Hierher hat es drei Frauen verschlagen, die unter heißer Sonne ihre bundesrepublikanisch-verkühlten Seelchen auslüften wollen.

Pseudophilosopische Bröckchen, hartnäckig-oberflächliehe „Beziehungs“-Analysen, viel Psycho-Geschwätz, eine kleine Portion Frauenpower, Aufschwünge in falsche Bedeutsamkeit, halblinker Muff und minimal-Reste von sozialem Gewissen vermengen sich da zu einer wohlvertrauten Mixtur. Roland Rebers Theaterprojekt „Die Raupe versteht den Schmetterling nicht“, neueste Produktion seines .„Theaterpathologischen Instituts“ (TPI) in Lünen und Saisonauftakt daselbst, läßt dieses Gemisch freilich nicht nur im Habitus seiner Figuren aufgehen, sondern ist selbst davon durchdrungen.

„Das Stück entstand in Südspanien im Sommer 1987″, verrät der Programmzettel. Wenn Reber und die Seinen Urlaub machen, dann jedenfalls nicht Urlaub vom Theater. So wird man denn in Lünen quasi zum „Mitleser“ von Urlaubsnotizen, die nur leider recht ungeglättet auf die Bühne gerieten.

Es sind eher Vorarbeiten und Materialien zu einem Stück, weder sprachlich noch im Hinblick auf Bühnenwirksamkeit hinreichend aufbereitet. Sonderlich theatergerecht ist das Projekt über weite Strecken schon deshalb nicht, weil die zahlreichen Monologe nur im Falle schauspielerischer Spitzenleistungen nicht ermüden würden. Sprachlich schwankt das Ganze – ohne sinnvolles Kalkül – zwischen erhabenen Lyrismen und Kalauern.

Wie es sich für eine rechte Spanienreise gehört, ist viel von Stierkampf und (seiner Todestheatralik) die Rede, natürlich fehlt nicht die einschlägige Hemingway-Lektüre im Gepäck, und Don Quijote kommt auch vor.

Aus dem Arsenal der Wahrheiten und Bilder zieht Reber häufig das hervor, was zu oberst liegt. Vom Süden berauscht, versteigen sich seine drei Frauen ins Nächstliegende: Im Süden begann, so dozieren sie, die Renaissance, im Norden gedieh der grüblerisehe „Faust“. Alles eine Frage des Klimas.

Auch sonst hält man sich eher an Natur und Zoologie: So leitet sich der Projekttitel von der Abfolge „Raupe Puppe-Schmetterling“ her, deren Dreiheit mit den drei Frauen in Bezug gesetzt wird. Die Raupe gilt dabei als begriffslos-lnfantiler Beginn, der Schmetterling als Schönheit zum Tode, als Dekadenz; die Puppe aber, einzig lebensgerecht, versinnbildlicht den Schwebezustand dazwischen. Ein möglicherweise ergiebiges Bild, das aber hier nicht wirklich freigesetzt wird.

‚Überhaupt der Umgang mit Bildern und Vergleichen. Da steht eine Agave offenbar nur deswegen auf der Bühne, damit es heißen kann, sie blühe nur ein einziges Mal – und eine Frau sinniert: „Wie wir.“ Wer da nicht ins faustische Grübeln kommt…

Wie schon in der TPI-Produktion „Friedrich“ heißt es auch diesmal (frei nach Beuys): „Zeige deine Wunde“. Kam Friedrich als eine Art Gekreuzigter auf die Bühne, so diesmal in einer Szene die halbnackte Gun Oehlert als abgestochener Stier. Ein arg verrutschtes Bild, Dämonie wie vom Rummelplatz.

Und wo bleibt das Positive? Nun, es wog im Grunde gar nicht wenig. Das Bühnenbild (Reber) war ansehenswert, und die schauspielerischen Leistungen von Ute Meisenheimer, Gun Oehlert und Fee Sachse verdienen auch nicht mehr das Prädikat „Laientheater“.




Mordgelüste – eine alltägliche Krankheit / Shakespeares „Macbeth“ beim Theaterpathologischen Institut in Hattingen

Von Bernd Berke

Hattingen. Die obszönen Hexen schänden ein Kreuz, ein bluttriefender Krieger dient als Lustobjekt, sein Kampfschwert desgleichen. Kein Zweifel: Wir befinden uns im „TPI“, im „Theaterpathologisehen Institut“ des Roland Reber zu Hattingen an der Ruhr.

D o c h Zweifel! Denn mit besagten Szenen hat die Truppe nur jene Erwartungshaltung ironisch zitiert, mit der ein Gutteil der Zuschauer zur „Schulenburg“ gepilgert sein mag. Schließlich war Shakespeares „Macbeth“ (Titelrolle: Reber) angesagt, dessen diverse Metzeleien um den schottischen Königsthron das Ensemble wahrlich mühelos in eine seiner berüchtigten Gewaltorgien hätte umsetzen können. Es kommt aber alles ganz anders, nämlich über weite Passagen so bieder, als müsse man ein kreuzbraves Publikum beschwichtigen.

Der TPI-Chef hat für dieses Projekt sein Ensemble um einige Bühnenlaien verstärkt. Das merkt man. Streckenweise ist die vollständig mit lehmigklumpigem Erdreich bedeckte, „L“-förmige Bühne Schauplatz von „Schülertheater“. Die tragenden Rollen sind hingegen diskutabel besetzt.

Der Untertitel lautet „Die vom Tod Befallenen“. Tatsächlich grassieren Mordlust und ihre Begleiterscheinungen hier als eine alltägliche Krankheit, fast einem Schnupfen vergleichbar. Das zynische Endlos-Spiel der Macht spielen nämlich ausnahmslos alle mit. Bereits Banquos Söhnchen bedroht den alten König Duncan (Thomas Rech als kümmerlich-lächerlicher „Papiertiger“) hinterrücks mit dem Schwert, was sein Papa, der im Grunde auch keine edleren Gedanken hegt, grad mal mit einer Backpfeife quittiert.

Keinesfalls ist Macbeth allein der große Usurpator. Höchstens ist er derjenige, der den tödlichen Intrigen noch die meisten Gelegenheiten zu ausgiebiger Theatralik abgewinnt – sei es, daß er alle Geschehnisse demonstrativ auf die leichte Schulter nimmt, sei es, daß er gestenreich vorgibt, monumentale Wahnsinnsanfälle zu haben. Am Ende findet er in Macduff, dem die Hexen unheilvollen Ehrgeiz einflüstern, einen mutmaßlich ebenbürtigen Nachfolger.

Bei genereller Zurückhaltung wirken einige Regieeinfälle desto greller – so der Auftritt eines öligen Muskelmanns, so verschiedene pyrotechnisch-circensische Effekte, so die Sturzflut von Tischtennisbällen, die zum Schluß eine Treppe hinabprasselt und das Geräusch des Beifalls vorwegnimmt. Schließlich Banquos Geist, der – was eigentlich verpönt sein sollte – körperlich erscheint. Solche Ideen liegen oft dicht an der Geschmacksgrenze (was der Aufführung gar nicht einmal zum Nachteil gereicht). Daß aber Macbeth’s Widersacher das Horst-Wessel-Lied anstimmen, kommt für meine Begriffe denn doch zu unvermittelt.

Warum diesmal „großes“ Theater beim TPI? Vermutlich wollte sich Reber – es ist seine erzwungenermaßen letzte Theaterproduktioft in Hattingen – einen beeindruckenden Abgang verschaffen, um andernorts Fürsprecher zu finden. Müßte er ganz aufgeben, wäre das Revier um einen kulturellen Reibungspunkt ärmer; man mag zu seiner Arbeit stehen, wie man will.